ZDF-Predigt: Auf dem Weg zur Krippe von Pfarrerin Petra Rau

ZDF-Predigt: Auf dem Weg zur Krippe von Pfarrerin Petra Rau

Liebe Adventsgemeinde!

I
Was beflügelt Bergsteiger und Wanderer, die höchsten Berge zu erklimmen?
Was beflügelt uns jedes Jahr aufs Neue, Weihnachten zu feiern?
Ist es Sehnsucht?
Oder ist es pure Gewohnheit?

Hier in Bad Harzburg, am Nordrand des Harzes, hört man öfter den Satz: "Einmal im Jahr muss ich auf den Brocken wandern, sonst fehlt mir etwas." Menschen, die im Harz leben, lieben den Brocken, diese höchste Erhebung Norddeutschlands mit ihren 1142 Metern. Viele tausend Harz-Besucher aus der Nähe und Ferne teilen diese Begeisterung.

Wenn man an einem schönen Sommertag aus der Vogelperspektive auf das Brockengebiet hinunterblickt, kann man einen dichten Strom von Menschen sehen, der sich zur Bergspitze hoch schlängelt. Schaut man näher auf diesen Strom, sieht man, wie viele unterschiedliche Menschen unterwegs sind.

Einheimische mit Gästen, Deutsche aus allen Regionen unseres Landes, Familien mit Hund und Buggy neben zünftigen Bergsteigern, Wanderer aus Skandinavien und  japanische Touristen. Die Brockenspitze als Ziel der Harzwanderer ist immer da. Jeder wünscht sich natürlich, den Gipfel im Sonnenschein zu erreichen. Viel wahrscheinlicher ist es, oben anzukommen und im Nebel zu stehen. Schade. Und trotzdem großartig, es überhaupt geschafft zu haben!

Sie alle wollen auf den Gipfel – denn der Harz ohne Brocken:  da wäre etwas nicht vollständig. So ähnlich ist es auch mit Weihnachten. Ein Jahr ohne Weihnachten -  das geht eigentlich gar nicht. Da würde vielen Menschen sehr viel fehlen.

II
Ich stelle mir die Adventszeit vor wie einen Wanderweg.

Und wenn ich jetzt die Vogelperspektive einnehme, entdecke ich in diesen Advents-Tagen einen Strom von Menschen der sich auf Weihnachten zu bewegt wie ein langer, bunter Fluss. Ganz verschiedene Menschen sind unterwegs. Da gehen Adventswanderer, die ruhig und stetig auf das Ziel zu steuern. Und Adventssportler laufen voller Tatendrang. Sie stürmen vorwärts und können es kaum erwarten.

Mancher in der Menge hat seine liebe Mühe mit dem Weg. Ein anderer hat eigentlich gar  keine Lust, hat es geradezu über. Einige denken, sie wären ganz allein. Und doch werden sie alle auch noch irgendwie mitgenommen. Kinder fragen ungeduldig: Wie lange dauert es noch? Erwachsene: Huch, nur noch so wenig Zeit? Einige fragen auf der Adventswanderung grundsätzlich: Warum nehme ich das alles auf mich?

Der Adventsweg führt auf das Weihnachtsfest zu. Dabei weiß man nie, was einen erwartet. In der Mitte von Weihnachten steht die Krippe. So schlicht, so unvollkommen. Doch dort ist sie. Von ihr geht etwas aus. Jahr für Jahr.

III
Wir sind Wanderer unterwegs zur Krippe. Heute am vierten Advent haben wir schon eine gehörige Wegstrecke hinter uns gebracht. Wir wandern im Strom der Krippensucher, der seinen Anfang vor 2000 Jahren genommen hat.

Maria ist eine junge Frau. Sie ist  ungewollt schwanger und muss kurz vor der Geburt auch noch auf eine beschwerliche Reise gehen. Sie hat sich diesen Weg nicht ausgesucht. Doch es gibt kein Zurück – So viel Unsicherheit und so viel Leben liegen vor ihr.

Auf dem Weg aus ganz anderer Richtung: Die Könige, die Wissenschaftler. Freiwillig nehmen sie eine lange Reise aus dem Ausland auf sich. Etwas nie Dagewesenes wollen sie begutachten. Kluge Berechnungen lassen sie stetig und vorausschauend reisen. Doch der Weg bleibt gefährlich, ist ja sogar voller Betrug.

Die Hirten auf ihrem Feld haben den kürzesten Weg. So nahe dran sind sie und doch sind gerade sie völlig unvorbereitet.
Mitten in der Arbeit werden sie aufgefordert, loszugehen. Sie stürzen los, sehr überrascht und  sehr schmutzig. Und vor allem staunend - staunend, dass tatsächlich sie gerufen werden.

Drei Menschen aus der Luthergemeinde haben uns vorhin erzählt, an welchem Punkt auf dem Weg zur Krippe sie heute stehen.

Da ist Herr Eberts. Er gehörte früher zur Evangelischen Jugend. Jetzt begleitet er selber junge Menschen als Lehrer. Jedes Jahr macht er sich auf den Krippenweg, um wiederzufinden, was ihm von Jugend an wichtig ist.

Und Maryam Tirgari. Sie kommt aus dem Iran. Ein anderes Land, eine andere Sprache, ein anderer Glaube. Maryam hat früher Farsi gesprochen und als Logopädin gearbeitet. Das ging hier nicht, weil es Schwierigkeiten gab mit der Arbeitserlaubnis. Sie kann auch nicht mehr in den Iran zurück, weil sie Christin geworden ist. Maryam fragt sich, ob es eine neue Heimat in der Fremde geben kann.

Und Lea. Sie ist leidenschaftliche Leichtathletin. Auch sonst ist sie aktiv und sehr engagiert in der Schule. Lea wünscht sich zum Fest viel Schnee, damit sie Ski fahren kann. Am allermeisten wünscht sie sich, den anderen eine echte Freude zu bereiten.

IV
Auf einer Wanderung kommt man manches Mal mit anderen ins Gespräch. Wie wäre es, mit den biblischen Gestalten auf ihrem Weg zur Krippe zu sprechen? Ich möchte sie fragen, wie sie das damals erlebt haben. Warum sie trotz aller  Unsicherheiten immer weiter gegangen sind. Haben sie so deutlich die Kraft gespürt, die zur Krippe hinzieht?

Was haben mir die Könige, die Hirten, Maria und Joseph zu erzählen? Mit welchem dieser biblischen Krippenwanderer bin ich vielleicht schon längst unterwegs? Lea, Maryam Tirgari und Herr Eberts haben sich dazu ihre Gedanken gemacht.

Lea Steckann: Ich gehe mit den Hirten. Ich mag die Hirten. Sie vertrauen und gehen los. Dabei wissen sie gar nicht, was sie erwartet. Sie machen sich auf den Weg ohne lange nachzudenken. Und mir gefällt, dass sie sich so um ihre Schafe kümmern. Sie tun alles, um ihre Schafe zu beschützen, denn die sind alles, was sie haben.

Maryam Tirgari: Ich gehe mit Maria. Nicht nur weil wir denselben Vornamen haben: Maryam – Maria. Mich bewegt, wie es Maria geht; sie musste schwanger auf die Reise gehen. Und sie hat ihr Kind ganz alleine, ohne ihre Familie bekommen. Sie muss sich einsam gefühlt haben. Als ich schwanger nach Deutschland gekommen bin, konnte ich noch kaum deutsch. Im Krankenhaus hat niemand mit mir reden wollen. Im Iran sind die Mutter oder auch die Schwester dabei, wenn eine Frau ein Kind bekommt - 10 Tage lang! Ich hatte nur meinen Mann, der hat mir sehr geholfen. Und doch habe ich mich über mein Kind gefreut – wie Maria.

Wilfried Eberts: Ich gehe mit den Weisen aus dem Morgenland. Sie bilden für mich einen starken Kontrast zu den anderen Menschen an der Krippe  - und gehören dennoch dazu. Die drei sind von weit her gekommen. Sie haben ein großes Wissen und verfügen über besondere Erfahrungen. Ich selbst habe einige Jahre  im Ausland gelebt. Deshalb gefällt mir an den drei Weisen, dass durch sie die Erzählung von der Geburt Jesu eine überregionale Bedeutung erlangt. Die Anwesenheit der Weisen an der Krippe zeigt uns, dass diese Geschichte weit über das kleine Bethlehem hinaus reicht. Diese Weisen, Könige, Diplomaten tragen Botschaften hinaus in die Welt, die globale Bedeutung der Geburt Jesu wird deutlich.

Pfarrerin Petra Rau: Die Drei hier haben sich mit biblischen Krippenmenschen verbunden. Sie werden von ihnen mitgenommen zur Krippe. Sie tragen die gleiche Sehnsucht in sich und wollen sehen, was sich an der Krippe erleben lässt. Jeder von ihnen kann davon erzählen, wie es ist, Gott tatsächlich zu begegnen. Mit welchem der biblischen Krippenwanderer kann ich mitgehen, wer spricht mich am meisten an? Oder müssten Sie noch einen erfinden, der in der Bibel gar nicht genannt wird?

Das Schöne und Überraschende ist: Aus den verschiedenen und vereinzelten Menschen wird die eine Krippengemeinde. Könige stehen neben Hirten oder wie hier in unserer Gemeinde Einheimische neben Zugezogenen, Junge neben Älteren, Glaubende neben Fragenden. Sie entdecken: Jeder ist willkommen an der Krippe. Ganz gleich, wer man ist, ganz gleich, woher man kommt.

Im letzten ist der Weg zur Krippe für jeden Menschen ein innerer Weg. Aus der Geschäftigkeit und der Fremde heraus in die Stille hinein. Dorthin, wo ich spüre, dass ich nicht losgelöst bin von allem – sondern geborgen und erkannt.
Diese Schritte können fordernder sein als all die anderen Vorbereitungen. Doch die Mühe wird sich lohnen.

Deshalb
…warte nicht, zeig
Das Versprechen, geh
Mit offenem Gesicht:
Einer, der lächelt in der Wüste
Einer, der sich bewegt, als folgte er
Einer vorausfliegenden Freude.

Amen.