"Zeit für wichtige Fragen!" Predigt über Apostelgeschichte 8, 26-39 von Christian Bogislav Burandt
8,26

"Zeit für wichtige Fragen!" Predigt über Apostelgeschichte 8, 26-39 von Christian Bogislav Burandt

Zeit für wichtige Fragen!
Liebe Gemeinde,
gut dran ist, wer auf seine Frage eine Antwort bekommt,
  glücklich ist, wer auf seine wichtige Frage eine richtige Antwort bekommt,
  selig ist, wer auf seine Lebensfrage eine Leben schenkende Antwort bekommt.
Keine Frage, richtiges Fragen ist zurzeit gefragt, genauso wie gute Antworten. Selten gab es in unsere Gesellschaft so viele Möglichkeiten Fragen zu stellen und Antworten zu bekommen. Wir leben im Zeitalter des Internets, des Handys und der vielen Quiz-Sendungen und Talk-runden im Fernsehen. Vielleicht fällt es deshalb bei diesem Frage-Antwort-Rummel vielen schwer, die wirklich wichtigen Fragen zu finden. Im Gespräch mit Jugendlichen und Unterrichtenden erfahre ich: Allzu oft stellen Schüler Fragen, die für sie belanglos sind und Lehrer geben Antworten, die auf kein Interesse stoßen. Nehmen wir uns Zeit, nach der wichtigen Frage zu suchen, nehmen wir uns Zeit, der Frage nach dem eigenen Leben auf die Spur zu kommen?
Der Kämmerer seiner Majestät, von dem wir im Predigttext gehört haben, nimmt sich dafür Zeit. Er, der Mächtige am Hof der Königin von Äthiopien, der es bis zum Finanzminister gebracht hat, ist auf der Suche nach der entscheidenden Frage. Nicht nach der Frage, wie viel Geld er obendrein verdienen könnte oder wie viel Macht er noch erlangen könnte. Ihn bewegt vielmehr die Frage, was seinem Leben Grund und Ziel gibt.
Die Karriere allein ist es jedenfalls nicht. Gerade am Kämmerer können wir sehen, dass ein steiler Aufstieg zu Erfolg und Macht nicht ohne Verluste zu haben ist. Denn der Kämmerer ist ein Eunuch; so steht es im Urtext. Ein Eunuch, das ist ein Mann, der seine Männlichkeit hergeben musste. Wenn im Alten Orient Königinnen an der Macht waren, dann waren oft ihre engsten Mitarbeiter Eunuchen. So verhält es sich offensichtlich auch mit dem Kämmerer in unserer Geschichte. Und für uns ist damit klar: Auch Familie und Kinder können diesem Mann nicht als Grund und Ziel seines Lebens vor Augen schweben.
Was aber dann? Der Kämmerer nimmt sich eine Auszeit. Die vielen verschiedenen Göttergestalten, die Stars und Sternchen, die ihn in der Heimat umgeben, beeindrucken ihn nicht. Da ist für ihn die Suche sinnlos. Er möchte dagegen mehr über den einen Gott erfahren, den, der sich nicht in einem Abziehbild einfangen lässt. Vielleicht kann er seine Lebensfrage mit diesem Gott in Verbindung bringen? Der eine Gott aber, der wird in Jerusalem angebetet und verherrlicht. Von der Heimat in Äthiopien ist das weit entfernt. Aber wer sich auf die Suche nach der entscheidenden Frage macht, darf vor Anstrengungen nicht zurückscheuen. Der mächtige Finanzminister erhält von seiner Königin Urlaub und zieht mit einem standesgemäßen Wagen nach Jerusalem.
Unser Text schweigt über die Erfahrungen des Kämmerers am Jerusalemer Tempel. Aber so großartig dürften sie nicht gewesen war. Denn dort galt die Devise: Zutritt für Eunuchen verboten! Freilich: Wer auf der Suche ist, der darf sich durch Ablehnung, Ausgrenzung und Missachtung nicht irre machen lassen. Und wer Gott nicht in dessen Haus aufsuchen darf, der kann immer noch Gott in der Heiligen Schrift suchen.
Der Kämmerer kehrt nicht mit leeren Händen aus Jerusalem zurück. Er kauft eine Schriftrolle. Es handelt sich hierbei um den Propheten Jesaja. Ein Buch also, in dem von dem einen Gott die Rede ist, von dem einen Gott, auf den es ankommt, von dem Gott, bei dem sich möglicherweise eine Antwort auf die Frage nach dem eigenen Leben erhalten lässt. - Der Kämmerer beginnt im Buch Jesaja zu lesen; und zwar laut – so, wie man es in der Antike immer getan hat.
Der Frage nach dem eigenen Leben auf die Spur kommen, dazu reichen die eigenen Bemühungen nicht aus. Auch dies beobachten wir am Kämmerer. Er ist mit dem Suchen und Fragen schon sehr weit gekommen. Aber eine Antwort auf seine Lebensfrage erhält er nicht kraft eigener Anstrengung. Die verdankt sich vielmehr der Güte Gottes. Es ist ja kein Zufall, dass der Missionar Philippus sich ausgerechnet auf die öde Straße von Jerusalem nach Gaza begibt. Ein Engel, ein Bote Gottes hat dem Philippus den Weg zu dem Kämmerer gewiesen. Und es ist kein Zufall, dass der eher mäßig bekleidete Wanderprediger sich an diesen vornehmen Wagen heranwagt: Der Geist Gottes hatte zu Philippus gesprochen: Geh hin und halte dich zu diesem Wagen! Eine Antwort auf die eigene Lebensfrage, die mich leben lässt, die ist ein Geschenk Gottes!
Wer fragt und sucht, der muss die Ohren offen halten. Der Kämmerer hört die Frage des Philippus, ob er verstehe, was er liest. Und der Mann ist ehrlich. Er macht sich nichts vor, er versteht den Propheten Jesaja nicht. Nur wer ehrlich sucht und fragt, kann auch tragende Antworten bekommen. Und so kommt es zur Begegnung auf Augenhöhe, Philippus steigt in die Reisekutsche und erklärt dem Kämmerer das vierte Gottesknechtslied.
Das Schaf, das zur Schlachtung geführt wird, ist Jesus Christus. Nach Leiden und Erniedrigung wird er von den Toten auferweckt, und damit wird das Todesurteil über ihn außer Kraft gesetzt. Durch Jesus Christus schafft Gott eine neue Grundlage zum Leben für Dich und für mich. Das erläutert Philippus dem Kämmerer. Und da geht dem Kämmerer auf, dass er für seine Lebensfrage eine Leben schenkende Antwort bekommt. Der eine Gott lässt sich in Jesus Christus als Liebe erkennen, und er schenkt uns für unser Leben ein Fundament und ein Ziel – egal wie reich oder arm, wie jung oder alt, wie kraftvoll oder beschädigt auch immer wir sind. Der reiche Finanzminister erkennt dies für sich und darum lässt er sich bei der nächsten Gelegenheit taufen.
Liebe Gemeinde, diese Geschichte ist „nicht zu schön, um wahr zu sein“, sie ist „wahr genug, um so schön zu sein.“[1] Denn immer wieder entdecken Menschen für sich, dass das Evangelium von Jesus Christus ihnen eine Antwort auf ihre Lebensfrage bietet.
Vor einigen Jahren klingelte es an einem Freitagabend an meiner Haustür. Zwei Iraner standen im Eingang. Den einen kannte ich recht gut, ich hatte ihm den Weg zur Gemeinde der evangelischen Perser gewiesen. Jetzt wollte er seinem Bekannten unsere Kirche zeigen. Dieser Bekannte war Seemann, sein Frachter lag im Hamburger Hafen. Und er wollte jetzt unbedingt eine evangelische Kirche anschauen. Der Mann sprach einigermaßen Englisch, ich zeigte ihm unsere Kirche mit dem Mosaik über dem Altar, wo der Vater den Verlorenen Sohn in die Arme nimmt. Gott ist überschwängliche Liebe. Der Seemann ließ sich von mir alles erklären und stellte dann die für ihn wichtige Frage: Was hindert’s, dass ich mich taufen lasse?
Eine Taufe als Erwachsener, die gibt es gemäß der Ordnung unserer Kirche nur nach ausführlichem, vorhergehendem Taufunterricht. Ich schickte den Mann nach Hause und vertröstete ihn auf den kommenden Tag. Allerdings machte ich ihm für die Taufe selber nicht viele Hoffnungen. Ohne Rücksprache mit anderen aus unserer Kirche wollte ich mir nichts herausnehmen. Und ein Samstagvormittag bot da nicht die günstigsten Bedingungen. Aber der Geist Gottes ist nie zu unterschätzen. Dank einer Demonstration in Hannover gegen Ausländerfeindlichkeit und Nazis erwischte ich nicht nur meine Vorgesetzte, sondern auch den Pastor für die evangelischen Iraner in unserer Landeskirche. Und so erzählte ich dem Seemann am Samstagnachmittag nicht nur von Jesus Christus sondern taufte ihn auch. Er zog aber seine Straße fröhlich.
Und der Friede Gottes, der höher ist als all unsre Vernunft, bewahre unsere Herzen und Sinne in Christus Jesus unserm Herrn. AMEN

  
  
    [1] Werner Jetter, Unterwegs mit dem Wort. Lesepredigten, Hamburg 1966, S. 101.