Zum Gottesdienst gehört Gemeinschaft – am Sonntag und im Alltag - Predigt zu Römer 12,1-3 von Dieter Splinter
12,1-13

Zum Gottesdienst gehört Gemeinschaft – am Sonntag und im Alltag - Predigt zu Römer 12,1-3 von Dieter Splinter

Zum Gottesdienst gehört Gemeinschaft – am Sonntag und im Alltag

1 Ich ermahne euch nun, liebe Brüder (und Schwestern), durch die Barmherzigkeit Gottes, dass ihr eure Leiber hingebt als ein Opfer, das lebendig, heilig und Gott wohlgefällig ist. Das sei euer vernünftiger Gottesdienst. 2 Und stellt euch nicht dieser Welt gleich, sondern ändert euch durch Erneuerung eures Sinnes, damit ihr prüfen könnt, was Gottes Wille ist, nämlich das Gute und Wohlgefällige und Vollkommene. 3 Denn ich sage durch die Gnade, die mir gegeben ist, jedem unter euch, dass niemand mehr von sich halte, als sich's gebührt zu halten, sondern dass er maßvoll von sich halte, ein jeder, wie Gott das Maß des Glaubens ausgeteilt hat.

I.

Liebe Gemeinde!

Gottesdienste kann man nur gemeinsam feiern. Diese Erkenntnis ist nicht neu. Neu ist, dass Paulus diese Erkenntnis auf das richtige Verhalten im Leben bezieht. Kurz gesagt: Gottesdienst und Ethik gehören zusammen. Was das bedeutet, gilt es heute zu verstehen.

II.

Gottesdienste kann man nur gemeinsam feiern. Wohl gibt es Fernsehgottesdienste, die man zu Hause allein am Bildschirm verfolgen kann. Dabei gibt es sicherlich den einen oder anderen ergreifenden Moment. Letztlich bleibt man dabei aber immer nur Zuschauer oder Zuschauerin. Einer Predigt kann ich zwar auch am Bildschirm folgen, Gebete kann ich dort ebenso mitbeten. Doch zum Singen, bei der Taufe und im Abendmahl brauche ich leibhaftige Gemeinschaft mit anderen Menschen.

Um an dieser Gemeinschaft im Gottesdienst teilzuhaben, mache ich mich auf den Weg. Zur Teilhabe gehört Teilnahme. Dabei geschieht diese Gemeinschaft im Gottesdienst nicht nur unter Menschen. Gott ist gegenwärtig. Das Wort Gottes-Dienst macht es deutlich. Es meint: Gott dient uns – und wir dienen Gott. Es geht also um eine Begegnung, um ein Gespräch. Im Gespräch entfaltet sich Gemeinschaft. Der Reformator Martin Luther  hat das bei der Einweihung der Torgauer Schlosskirche 1544 so auf den Punkt gebracht: Im Gottesdienst, so meint er, geht es darum, dass „nichts anderes darin geschehe, als dass unser lieber Herr mit uns rede durch sein heiliges Wort und wir wiederum mit ihm reden durch Gebet und Lobgesang.“

Das Gespräch, die Begegnung, die Gemeinschaft im Gottesdienst geht dabei vonstatten wie wir es von einer Einladung her kennen. Der erste Schritt geht so: „Man begrüßt sich, macht sich bekannt, bedankt sich, entschuldigt sich für Vorfälle, die die Begegnung stören könnten, klärt bisherige Mißverständnisse, bittet um Verzeihung.“ (Frank Maibaum: Das Gottesdienstbuch. Ein Arbeitsbuch, Stuttgart/Kiel, S. 9) Und lässt sich diese zusprechen! So geschieht es im Eingangsteil des Gottesdienstes.

Im Gespräch geht es dann bei einer Einladung meist so weiter: Man bezieht sich „auf gemeinsame Grundlagen und Erfahrungen, berichtet, was man gehört, gesehen, gelesen hat. Man möchte etwas weitersagen, nimmt Stellung, gibt seine Überzeugung preis und verteidigt Standpunkte.“ (a.a.O., s. 10) Dieser zweite Schritt entspricht im Gottesdienst die Lesung, das Glaubensbekenntnis und die Predigt.

Als nächstes stärkt man sich bei einem gemeinsamen Essen. Dieses dient nicht bloß der Nahrungsaufnahme, sondern ist ein sinnliches Zeichen der Verbundenheit. Wer zusammen mit anderes isst, pflegt Gemeinschaft. Dabei denkt man vielleicht auch an jene, „die nicht (mehr) dabei sein können, und an Menschen, die Not leiden.“  Dabei wird man sich der eigenen Grenzen bewusst und empfindet Dankbarkeit, weil es einem selber gut geht. Dies entspricht dem Abendmahl und dem Dank- und Fürbittengebet.

Und schließlich trifft man bei einer Einladung Verabredungen für die Zukunft, überlegt, wem man wie helfen kann - „und verabschiedet sich mit guten Wünschen und Vorsätzen.“ Im Gottesdienst  geschieht das in den Abkündigungen, im Wochenspruch und im Segen.

Das, was wir von einer Einladung her kennen, findet sich also auch im Gottesdienst wieder. Zugleich geht es dabei in der gottesdienstlichen Versammlung noch um mehr. Es geht um die Gegenwart Gottes. Es geht um eine Begegnung mit dem dreieinigen Gott, um das Gespräch mit ihm. Es geht darum deutlich zu machen, dass Gott uns dient – und wir ihm. Es geht darum, was uns über den Alltag hinaushebt, damit wir den Alltag bewältigen können. All das jedoch braucht Gemeinschaft. Gottesdienste kann man nur gemeinsam feiern.

III.

Diese Erkenntnis bezieht Paulus auf das Verhalten im Alltag. Da stehen wir immer wieder vor Fragen wie: Was sollen wir tun? Was ist richtig, was ist falsch? Der erste Hinweis, um solche Fragen zu beantworten, lautet bei Paulus: „...dass ihre eure Leiber hingebt als ein Opfer, das lebendig, heilig und Gott wohlgefällig ist. Das sei euer vernünftiger Gottesdienst.“

Teilhabe geschieht durch Teilnahme. Wer am Leben teilnimmt, tut das mit Seele und Leib. Leben braucht immer, neben allen Seelenkräften, Leibeskräfte. Woran wir uns vielleicht bei Paulus stören mögen – unsere Leiber hinzugeben als ein Opfer – bezeichnet das Gegebene. Ein katholischer Priester hat mir das einmal in einem Bild nahegebracht: „Das Leben gleicht“, so sagte er, „einer Kerze. Am Anfang ist sie lang und gerade. Der Docht brennt zögerlich. Dann wird sie heller und immer heller. Dabei brennt sie ab. Am Ende ist von der Kerze nicht mehr viel übrig. Aber ganz am Ende leuchtet sie besonders hell. Gerade im Alter“, so meinte der katholische Priester, „geht es darum, die Umgebung mit Weisheit und Erkenntnis heller zu machen.“ Wenn wir uns schon bei der Gestaltung des Lebens verzehren, so Paulus, und dabei herab brennen wie ein Kerze, dann sollen wir es für Gott tun.

Wie das geschehen kann, macht Paulus in einem zweiten Hinweis deutlich: „Und stellt euch nicht dieser Welt gleich...“. Genau das ist für Paulus vernünftig: Für den Gottesdienst im Alltag der Welt gilt das, was uns auch sonst im Gottesdienst verbindet: Gott dient uns – wie dienen wir ihm? Die Schritte eines Gottesdienstes können  auch im Alltag dienlich sein. Fragen helfen dabei zu prüfen, was Gottes Wille ist: Was habe ich selber falsch gemacht? Was sagt mir die Heilige Schrift, wenn ich vor einem großen Problem stehe? Welche Gewissheit gibt mir mein christlicher Glaube? Wofür kann ich dankbar sein? Wie stärke ich Gemeinschaft? Wem kann ich helfen?

Entscheidend bei all dem ist, dass Paulus zunächst  die christliche Gemeinde als ganze anspricht. Zunächst spricht er immer von „ihr“, „euch“, „euer“. Zum Dienst an Gott gehört immer die Gemeinschaft – am Sonntag und am Werktag.

IV.

Erst nachdem Paulus das festgestellt hat, kommt er darauf zu sprechen, welche Rolle der oder die einzelne im ganzen der christlichen Gemeinschaft hat. Er macht dabei eine hilfreiche Einschränkung: „... ich sage jedem unter euch, dass niemand mehr von sich halte, als sich's gebührt zu halten, sondern dass er maßvoll von sich halte, ein jeder wie Gott das Maß des Glaubens ausgeteilt hat.“ In einer modernen Übersetzung hört sich das so an:

„Überfordert euch nicht bei dem, wofür ihr euch einsetzt, achtet auf eure Grenzen bei dem, was ihr vorhabt. Denn Gott hat jedem und jeder ein bestimmtes Maß an Kraft zugeteilt, Vertrauen zu leben.“ (Bibel in gerechter Sprache)

Dieses „Maß an Kraft“ zeigt sich in den Gaben, die Gott einem jeden und einer jeden gegeben hat, um zum Gelingen der Gemeinschaft beizutragen. Wie Paulus das meint, ist ohne Kommentar verständlich und findet sich im zweiten Teil des Predigttextes (Römer 12, 4-8; Bibel in gerechter Sprache):

„Denkt an unseren Körper. Er besteht aus vielen Gliedern, aber nicht jedes Teil hat dieselbe Funktion. So sind wir, obwohl wir viele sind, doch nur ein einziger Körper in der Gemeinschaft des Messias. Einzeln betrachtet sind wir Körperteile, die sich füreinander einsetzen. Wir haben jeweils unterschiedliche Befähigungen, die uns in göttlicher Zuwendung geschenkt wurden: Wer die Gabe hat, prophetisch zu reden, nutze sie, um deutlich zu machen, welches Handeln dem Vertrauen auf Gott entspricht: wer die Gabe hat, für andere zu sorgen, der nutze sie zum Wohle der Gemeinschaft. Wer die Gabe hat zu lehren, nutze sie, um andere am Wissen teilhaben zu lassen. Wer die Gabe hat zu trösten, nutze sie, um andere zu ermutigen. Wer mit anderen teilt, sei aufrichtig dabei. Wer eine Leitungsaufgabe übernimmt, fülle sie mit Begeisterung aus. Wer solidarisch mit anderen lebt, soll es heiter tun.“

V.

Zum Gottesdienst gehört Gemeinschaft – am Sonntag und im Alltag. „Jesus Christus, als Gemeinde existierend“ - so hat das der Theologe Dietrich Bonhoeffer auf den Punkt gebracht. Man kann es auch mit den Worten einer bekannten Kantate von Johann Sebastian Bach sagen:

„Herz und Mund und Tat und Leben
Muss von Christo Zeugnis geben
Ohne Furcht und Heuchelei
Dass er Gott und Heiland sei.“ Amen

Hinweis: Wenn möglich, sollte der Organist/die Organistin statt des Predigtliedes die genannte Kantate (BWV 147) aufnehmen, besonders „Jesus bleibet meine Freude“.