Zur Freiheit seid Ihr berufen - Predigt zu Galater 5,1-6 von Christof Vetter
5,1-6

Das Konzert neigt sich dem Ende zu. Das Stadion tobt. Die Arena bebt. Das eine Lied fehlt noch. Der Star, den alle so lieben, der Star, der sich so rar macht, steht allein. Ganz vorne an der Bühne, neben einem Klavier. Er wartet ab, bis die Massen ruhig sein. Der Beifall ebbt ab… Ein paar Töne des Klaviers…

Die Masse singt schneller los, als der, der das Mikrophon gemacht hat – das gesamte Stadion brüllt:

Die Verträge sind gemacht
Und es wurde viel gelacht
Und was Süßes zum Dessert
Freiheit, Freiheit

Marius Müller-Westernhagen und seine Hymne über die Freiheit.

Der Drucker hält die Seite in der Hand, liest, was gerade aus der Presse gekommen ist: „Siehst du, was da steht?“, jubelt er. Unüberhörbar. Alle schauen zu ihm… Ein Christenmensch ist ein freier Herr über alle Dinge und niemandem untertan. „Hey, lies doch weiter“, meint einer seiner Knechte – da steht noch mehr: Ein Christenmensch ist ein dienstbarer Knecht aller Dinge und jedermann untertan. Oh, dieser Luther, nie kann er sich klar ausdrücken: ein freier Herr, ein dienstbarer Knecht? Und dies in einer Schrift: Von der Freiheit eines Christenmenschen, 1520 zum ersten Mal erschienen. Was denn nun?

Fast 30 Jahre saß er im Gefängnis. Tag für Tag – und jetzt dreht sich der Schlüssel in der Zellentür. Angeblich ein letztes Mal. Menschen haben demonstriert, dass er frei gelassen wird. Nicht nur in Südafrika, all überall auf der Welt. Präsidenten haben sich für ihn eingesetzt. Und doch hat es fast 30 Jahre gedauert - Nelson Mandela:

Als ich aus der Zelle durch die Tür in Richtung Freiheit ging, wusste ich, dass ich meine Verbitterung und meinen Hass zurücklassen musste, oder ich würde mein Leben lang gefangen bleiben.

Seit 200 Jahren wird es immer wieder gesungen. Als die Studenten sich 1848 auf der Wartburg und in Hambach trafen, weil sie mit der Politik nicht mehr einverstanden waren. 100 Jahre später, als der regierende Bürgermeister von Berlin Ernst Reuter verzweifelte angesichts der Blockade von Berlin – und manchmal abends einfach so, wenn wir uns treffen, weil wir gern miteinander singen – bei den Pfadfindern oder auch zum Volksliedersingen einfach so:

Die Gedanken sind frei,
wer kann sie erraten,
sie fliehen vorbei
wie nächtliche Schatten.
Kein Mensch kann sie wissen,
kein Jäger erschießen,
es bleibet dabei:
die Gedanken sind frei.

Auf Reisen. Er sitzt da. Wieder einmal muss er einen Brief schreiben. Dieses Mal nach Galatien. Vor kurzem war er noch dort. Hat doch alles erklärt, hat gepredigt und diskutiert. Nun hört er schon wieder, dass dort Dinge geschehen, die ihm gar nicht gefallen. Er greift zur Feder und zum Pergament und schreibt: Zur Freiheit hat uns Christus befreit! So steht nun fest und lasst euch nicht wieder das Joch der Knechtschaft auflegen! Siehe, ich, Paulus, sage euch: Wenn ihr euch beschneiden lasst, so wird euch Christus nichts nützen. Ich bezeuge abermals einem jeden, der sich beschneiden lässt, dass er das ganze Gesetz zu tun schuldig ist. Ihr habt Christus verloren, wenn ihr durch das Gesetz gerecht werden wollt, aus der Gnade seid ihr herausgefallen. Denn wir warten im Geist durch den Glauben auf die Gerechtigkeit, auf die wir hoffen. Denn in Christus Jesus gilt nur der Glaube, der durch die Liebe tätig ist. Ich hoffe, so denkt er, sie verstehen es dieses Mal, wenn sie es schriftlich haben. Wer sich beschneiden lässt, weil es im alten Gesetz steht – man weiß ja nie, wozu es gut ist – der stellt sich unser das gesamte Gesetz. Unter alles! Es gibt nicht nur ein bisschen Gesetz. Am besten ich schreibe es noch einmal:

Ihr aber, Brüder und Schwestern, seid zur Freiheit berufen. Allein seht zu, dass ihr durch die Freiheit nicht dem Fleisch Raum gebt, sondern durch die Liebe diene einer dem andern. Denn das ganze Gesetz ist in dem einen Wort erfüllt: "Liebe deinen Nächsten wie dich selbst!"

So viel könnte jetzt hier noch zitiert werden – bis hin zu dem Song, den David Hasselhoff berühmt gemacht hat: „I’m looking for freedom“ – ich suche nach Freiheit. Diese unbeschreibliche Szene, als er auf der Silvesterparty 1989/1990 am Brandenburger Tor seinen Hit "Looking For Freedom" gesungen. Die Bilder von sich in den Armen liegenden Berlinerinnen und Berlinern gingen um die Welt.

Ich könnte auch die Kommunistin Rosa Luxemburg zitieren – oder zumindest des Satz, der ihr immer wieder zugesprochen wird:

„Die Freiheit ist immer die Freiheit des Andersdenkenden.“

In ihrem Aufsatz und ihrer scharfen Kritik an der russischen Revolution habe sie dies geschrieben. Veröffentlicht wurde diese Schrift erst nach ihrem Tod. 1919 wurde sie zusammen mit ihrem Genossen Karl Liebknecht von einer herum marodierenden, sogenannten Bürgerwehr aus einer Wohnung entführt, verhört und gefoltert und erschossen. Die Leichen der beiden wurden in den Landwehrkanal geworfen – es sollte so aussehen, als seien die beiden von Ganoven ermordet worden. Das ist keine 100 Jahre her.

Ihr aber, Brüder und Schwestern, seid zur Freiheit berufen.

Das war doch nur eine Kommunistin. Und später waren es nur die Juden, die Homosexuellen, die Bibeltreuen, die Spinner und Verrückten und alle, die selbst denken wollten. Wie etwa Sophie und Hans Scholl und wie sie alle hießen: "Ihr Widerstand speist sich ganz wesentlich aus jugendlicher Sehnsucht nach Menschlichkeit, aus jugendlicher Leidenschaft für Freiheit und Gerechtigkeit."

Und wie viele Namen wären hier noch zu nennen: gestorben für die Freiheit, gestorben dafür, dass andere frei leben können. Als einer der letzten vielleicht Liu Xiaobo, Schriftsteller, Philosoph, Freiheitskämpfer, Friedensnobel-Preisträger und Chinas prominentester politischer Gefangener. Er wollte Demokratie in China. Er hat sich ein Leben lang dafür eingesetzt und es hat ihn das Leben gekostet. Oder auch der Journalist Jamal Khashoggi muss wahrscheinlich hier genannt werden – unbequem war er in seinem Denken für die Mächtigen in Saudi-Arabien. Nun ist er tot.

Aber vielleicht nach ihm noch andere, vielleicht welche, von denen wir nicht einmal wissen. Vielleicht keine Christen. Vielleicht vergessen, wie so viele vor ihnen, vielleicht irgendwo verscharrt, in irgendeinen Kalender verstreut oder ihre Asche dem Wind ausgesetzt – darauf gibt es nur eine Antwort:

Alle, die von Freiheit träumen,
Sollen's Feiern nicht versäumen,
Sollen tanzen auch auf Gräbern
Freiheit, Freiheit,
Ist das einzige, was zählt
Freiheit, Freiheit,
Ist das einzige, was zählt.

Zur Freiheit seid ihr berufen, ihr, liebe Schwestern und Brüder, ihr alle. Zur Freiheit seid ihr berufen – Freiheit, das einzige, was zählt. Um Freiheit haben viele gekämpft in der Geschichte unseres Landes, in der Geschichte unseres Kontinents, in der Geschichte unserer Welt. Zur Freiheit seid ihr berufen, schreibt der Apostel Paulus – und es hat selbst bei uns in der Kirche Jahrhunderte, Jahrtausende gebraucht, bis wir eine Ahnung davon hatten, was Freiheit eigentlich sein könnte. Martin Luther hat entdeckt, wie wichtig Freiheit ist – in seiner kirchlichen Situation, in dem Streit mit den Mächtigen – und seine Freiheit auch missbraucht. Weil, sie galt aus seiner Sicht nur den Christen, vielleicht sogar nur den Evangelischen – aber auf keinen Fall den Juden und den Muslimen. Das ist in den Jahren nach 1518 nicht besser geworden: Bauernkrieg, der 30jährige Krieg, Hexenverbrennungen – und auch Johannes Calvin ließ in Genf seine Gegner auf den Scheiterhaufen bringen.

Das ist auch in den demokratischen Strömungen nicht besser geworden: Die Freiheit, für die die Studenten 1848 kämpften, galten den Gebildeten und Betuchten. Auf der Strecke blieb, wer nichts hatte und nichts wusste. Und die Freiheit der Revolutionen der vergangenen beiden Jahrhundert fraßen schneller ihre Kinder, als die Revolutionäre es sich vorstellen konnte.

Liebe Schwestern und Brüder, liebe zur Freiheit Berufene, vielleicht irren auch wir uns – und spätere Generationen werden den Kopf schütteln darüber, welche Freiheiten, wir uns genommen haben: Freiheiten gegenüber Menschen, die zu uns gekommen sind, weil sie Schutz gesucht haben. Freiheiten gegenüber der Schöpfung Gottes, die wir ausbeuten und zerstören, Freiheiten gegenüber anderen Völkern, denen wir Waffen liefern, damit sie Kriege führen, gegen die wir dann protestieren können.

Zur Freiheit seid ihr berufen, liebe Schwestern und Brüder. Zur Freiheit sind wir berufen, liebe Schwestern und Brüder. Mit allen, die an unserer Seite stehen – unseren katholischen Geschwistern und den jüdischen Mitbürgern, den Muslimen und den Atheisten. Denen werden wir zwar allen sagen: Seht her, das ist unser Glaube, unser Leben, unsere Hoffnung, unser Gebet – aber gemeinsam sind wir mit allen, die sich für die Freiheit einsetzen. Für die Freiheit, miteinander zu leben – egal wie unsere Hautfarbe ist, egal wie unser Essen schmeckt – ja, selbst egal, zu wem wir beten.

Zur Freiheit sind wir berufen, liebe Schwestern und Brüder. Das heißt wir stehen gemeinsam ein für das Leben – und widersprechen allen, die auch nur einem von uns das Leben einschränken wollen: in der Politik, in der Gesellschaft, auf montäglichen Spaziergängen oder bei sonntäglichen Wahlen. Freiheit heißt nichts anderes als, wir übernehmen Verantwortung füreinander: Für den Bruder und die Schwester, für den Fremden und den Freund, für Frau und Mann, für Kinder allzumal und für alle, die unsere Kraft brauchen – „Liebe Deinen Nächsten wie dich selbst“

Auf dass wir nie wieder bekennen müssen:

Als sie die Kommunisten holten, habe ich geschwiegen; ich war ja kein Kommunist.
Als sie die Sozialdemokraten einsperrten, habe ich geschwiegen; ich war ja kein Sozialdemokrat.
Als sie die Gewerkschafter holten, habe ich geschwiegen, ich war ja kein Gewerkschafter.
Als sie mich holten, gab es keinen mehr, der protestieren konnte.

So hat Martin Niemöller bekannt, nach 1945 und einigen Jahren als persönlicher Gefangener des Führers. Für uns heute sind sind die genannten austauschbar.

Doch egal, wem sie die Freiheit nehmen – wir müssen widerstehen, denn wir wissen: Zur Freiheit seid ihr berufen, liebe Schwestern und Brüder – und auch all die anderen Menschengeschwister.

Amen

Perikope
31.10.2018
5,1-6