Zur gar nicht so selbstverständlichen Einmütigkeit - Predigt zu Philipper 2, 1-4 von Andreas Pawlas
2, 1-4

Liebe Gemeinde!

Was soll man zu einem solchen Predigt-Text noch sagen? Es ist da doch wirklich alles gesagt! Damit ist uns doch ganz deutlich mitgegeben, wie wir hier im Lande und in unseren Gemeinden miteinander leben sollen. Müsste darum jetzt nicht einfach ein kräftiges „Amen“ folgen?

Vielleicht ist das auch für manchen Gottesdienstbesucher genau das Richtige. Ja, wohl dem, der so ganz direkt von Gottes Wort angeregt und bewegt ist und es „hören und bewahren“ kann.

Aber deshalb müssen es ja nun die anderen, die durch dieses Bibelwort auch so etwas wie Denkanstöße bekommen könnten, nicht schlechter haben. Denn man könnte doch zum Beispiel fragen, aus welchem Grunde der Hl. Apostel Paulus in seinem Brief an die Gemeinde in Philippi solche an sich selbstverständlichen Ermahnungen mit hineingeschrieben hat.

Ja, dass natürlich solche Ermahnungen für uns heutige Menschen mit unseren vielen Streitigkeiten erforderlich oder sogar notwendig sind, darüber brauchen wir ja gar nicht zu reden. Aber weshalb denn nun solche Ermahnungen in der ersten Christenheit, am strahlenden Anfang der christlichen Gemeinschaft, am lebendigen Beginn des Göttlichen Wirkens im Neuen Gottesvolk? Wie viele unter den Gemeindegliedern damals in Philippi oder in den anderen Gemeinden, in denen dieser Brief weiter verlesen wurde, mögen Jesus noch selbst gehört, ihn berührt, mit ihm gegessen haben, seine Kreuzigung miterlebt haben? Wie viele unter den Gemeindegliedern damals in Philippi oder in den anderen Gemeinden mögen dann Jesus als dem Auferstandenen direkt begegnet sein oder sogar wie der ungläubigen Thomas selbst vor ihm auf die Knie gefallen sein? Wie sollte man dann noch Ermahnungen brauchen, wie man als Christenmenschen miteinander leben soll? Das ist doch einfach unvorstellbar!

Oder ist das alles einfach ganz anders? Sollte es etwa, selbst wenn man ganz fest im Glauben steht, dennoch nötig sein, sich ermahnen zu lassen, den Trost der Liebe und die Gemeinschaft des Geistes zu suchen, sich um herzliche Liebe und Barmherzigkeit zu mühen eines Sinnes, einmütig und einträchtig zu sein, was ja den Apostel so gefreut hätte?

Und dann werden ja diese Ermahnungen noch ergänzt um Weisungen, die uns doch immer vor Augen stehen, wenn wir an das gegenwärtige schwierige Zeitalter denken, nämlich: Tut nichts aus Eigennutz oder um eitler Ehre willen, sondern in Demut achte einer den andern höher als sich selbst, und ein jeder sehe nicht auf das Seine, sondern auch auf das, was dem andern dient.

Ja, das weiß doch jeder, der auch nur ein bisschen genauer auf das Leben in diesem Zeitalter schaut, was für eine wichtige Ermahnung das für uns alle heute ist. Heute, wo so viele von Ehrsucht getrieben oder korrupt sind, wo es so wenige gibt, die den andern höher als sich selbst achten, wo Raffsucht und Gier - „Geiz ist geil!!!“ - als Parole ausgegeben werden und darum so viele vor allem auf das Eigene schauen und eben nicht auf das, was dem andern dient.

Aber, soll das nun stimmen, dass wir uns als Hintergrund für die ganzen Ermahnungen aus unserem Bibelwort auch eine solche heutige Lebensart für die damalige Zeit vorstellen müssen? Aber wäre das nicht schlimm? Wäre das nicht richtig enttäuschend? Sollte denn da der christliche Glaube keinen Fortschritt und keine Verbesserung gebracht haben oder bringen können? Das können wir uns doch überhaupt nicht vorstellen. Denn wir sind es doch so gewohnt: wenn irgendeine Verhaltensweise nicht stimmt oder wenn man Fehler macht, dann gibt es nicht nur einen Rüffel, sondern dann ist Training angesagt. Und nach einer Weile hat man das Fehlverhalten beseitigt.

Ja, so meint man das heute. Deshalb gibt es ja auch bei üblen Verkehrsverstößen eben Nachschulungen in den Fahrschulen. Und so gibt es auch etwa bei bestimmten Gesetzesverstößen vom Gericht Auflagen, soziale Arbeit abzuleisten, damit man gebessert wird. Oder entsprechend gibt es bei manchen Fehlern am Arbeitsplatz Supervision oder eine Schulung, ein „Coaching“, und dann sollte alles wieder laufen. Aber nun sind das doch alles keine Neuigkeiten. Diese Verfahren kennt man doch schon seit Menschengedenken! Und warum sollten nun derartige Verfahren über die Jahrtausende nicht haben helfen können, dass wir eines Sinnes, einmütig und einträchtig sind?

Aber vielleicht kann und muss uns diese Erfolglosigkeit unserer Bemühungen etwas ganz Anderes sagen: Denn könnte die Botschaft nicht sein, dass dadurch eindeutig offen gelegt wird, wie weit wir Menschen immer wieder von dem entfernt sind, was wir nach Gottes willen sein sollen und dürfen? Könnte darum die Botschaft nicht sein, mit was für einem gewaltigem Graben wir hier eigentlich zu tun haben? Wie harmlos ist dafür der traditionelle Ausdruck „Sünde“, an den wir uns doch einigermaßen gewöhnt haben und den wir vielleicht deshalb auch gar nicht mehr richtig ernst nehmen. Ja, offenbar sind es abgrundtiefe Unterschiede zu dem, was wir nach Gottes willen sein sollen und dürfen und dass wir Menschen immer noch und immer wieder Wegen finden, alles nach der eignen Nase zu machen und eifrig auf das Eigene zu sehen, und nicht auch auf das, was dem andern dient. Das scheint eben richtig zu uns zu gehören: Erster sein! Bester sein! Den größten Spaß haben! Das meiste Geld haben! Die größte Macht haben, am besten noch Macht über viele viele andere. Und das ist offenbar nicht nur Parole der heutigen Zeit, sondern genauso Parole in der Welt der ersten Christenheit! Unsere Historiker berichten, dass damals die Sittenlosigkeit und korrupte Verderbtheit aller Welt einfach maßlos war!

Kein Wunder, dass dieses Übel auch mit Macht vor der Tür der ersten Gemeinden stand und in sie hineindrängen wollte. Im Neuen Testament wird ja nicht nur von Judas berichtet, sondern auch von Simon Magus, Hannanias und Saphira und noch von manchen mehr, bei denen dieses Übel sich dann doch Eingang erzwungen hatte. Aber warum konnte die damalige Umwelt die ersten Gemeinden insgesamt dennoch als ganz anders und ganz besonders wahrnehmen? Warum konnte es dann doch passieren, dass es für die meisten ersten Christen mit einem Male nicht mehr darauf ankam, Erster und Bester zu sein, den größten Spaß, das meiste Geld und die größte Macht auf dieser Welt haben zu wollen?

Achtung, die entscheidende Betonung liegt auf der Ortsbestimmung „auf dieser Welt“. Wenn ich eben durch die Worte Jesu lebendig habe erfahren dürfen, dass sein Reich nicht von dieser Welt ist; wenn ich durch den Lebensweg Jesu wirklich begriffen haben durfte, dass auch mein Lebensweg, weil ich doch zu ihm gehöre, nicht auf dieser Welt vollendet wird, sondern im Reich Gottes; wenn mir durch die Auferstehung Jesu endlich hat klar werden können, dass alle Mächte und Gewalten dieser Welt nur vorübergehend und vorläufig sind, und ich aber bis auf alle Ewigkeit zu Christus in seiner Lebenswelt gehöre, warum sollte ich dann auf dieser Welt nicht anderen in Demut den Vortritt lassen können? Warum sollte ich dann etwas aus Eigennutz oder um eitler Ehre willen tun? Das wäre doch vollkommen widersinnig!

Viel wichtiger wäre es doch angesichts der bockigen Natur von uns Menschen, uns immer wieder freundlich und liebevoll an diese großartige Perspektive zu erinnern, die uns durch Christus eröffnet ist. Das ist das, was der Apostel mit der Ermahnung in Christus, dem Trost der Liebe, und der Gemeinschaft des Geistes meint.

Aber wie kommt da mit einem Male in diesem Bibelwort herzliche Liebe und Barmherzigkeit ins Spiel?

Das zielt doch auf den Inhalt dessen, was uns von Christus und vom Reich Gottes her erwartet. Und das ist eben nicht so etwas, wie es uns in der Volksüberlieferung immer so gern als Paradies dargestellt und breit ausgemalt wird. Sicherlich haben wir alle die Bilder vor Augen, in denen einem in einem wunderschönen Garten gebratene Tauben in den Mund fliegen. Aber von so etwas habe ich in der Bibel noch nie gelesen,

Immerhin mögen solche Bilder ein schlechtes Gleichnis dafür sein, dass im Reich Gottes alle diese Alltagsnöte, die sonst so viel Gewalt über uns haben, wie Hunger oder Durst, ihre Macht über uns verloren haben. Viel entscheidender ist aber, dass die viel umfassenderen Bedürfnisse, die sonst noch viel mehr Gewalt über uns haben, wie der Durst nach Leben und Liebe, nach Anerkennung und Geborgenheit, ihre Macht über uns verloren haben. Warum?

Genau das haben wir doch von Jesus Christus hören dürfen und genau das darf seine Gemeinde immer wieder bezeugen: Weil Gott Liebe ist und darum alles mit seiner Liebe erfüllt und alles in seiner Liebe vollendet!

Und dass Gott so Menschen in sein ewiges Reich aufnimmt und mit Liebe durchdringt, das passiert dann nicht nur ab und zu mal, das geschieht dann nicht nur für diejenigen, die brav waren, nicht nur für die Perfekten und die Gelobten, sondern gerade auch für die zu kurz gekommenen, gerade auch für die Schuldigen, gerade auch für die Geschändeten, gerade auch für die Betrogenen, gerade auch für die Hoffnungslosen.

Wenn sie alle Christus glauben und ihm vertrauen, dann werden sie das alles schauen und staunen. Dann werden sie erfüllt von der Liebe Gottes - etwas schon jetzt und bestimmt und überreichlich in Ewigkeit. Müsste darum nicht einfach schon jetzt etwas von dieser herzlichen Liebe und Barmherzigkeit in der heutigen vorläufigen, irdischen Gemeinde Jesu Christi zu spüren sein?

Ja, so sollte es sein. Damals wie heute. Aber wir können das nicht erzwingen, sondern nur demütig unseren Gott darum bitten - und dann aber schon jetzt in Einmütigkeit und in dankbarer Erwartung darauf hin leben. Was ist das für ein Band, das uns eint: Christus mit uns, uns untereinander, und das jetzt und in Ewigkeit! Amen.

Perikope
15.07.2018
2, 1-4