Zweierlei abgerichtete Höllenhunde oder Gottes makelhafte Schönheit - Predigt zu Lukas 16,19-31 von Markus Kreis
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Zweierlei abgerichtete Höllenhunde oder Gottes makelhafte Schönheit - Predigt zu Lukas 16,19-31 von Markus Kreis

Zweierlei abgerichtete Höllenhunde oder Gottes makelhafte Schönheit

Eine Granitarbeitsplatte in der Küche, die Lackierung einer Karosserie, ein je nach Jahreszeit mehr oder weniger großes Stück blanke Haut. Menschen lieben schöne Oberflächen. Wir fühlen uns davon angezogen, das kann man schlechterdings nicht bestreiten. Dabei muss eine Oberfläche nicht unbedingt glatt sein, rau geht auch als schön durch.

Wie ist das zu erklären? Diese Faszination für Schönheit? Vielleicht so: In einer schönen Oberfläche steckt ganz schön viel Arbeit. Sie bringt auf ihre Art ein Leistungsvermögen zum Ausdruck. Das gilt sicher für Granitarbeitsflächen und andere technische Werkstücke, von Kunstobjekten ganz zu schweigen. Darin findet sich eine ganze Menge an Feinarbeit, Knowhow und Theorie.

Ähnliches gilt für alles menschlich Schöne wie z.B. gezeigte blanke Haut. Dahinter verbirgt sich viel Disziplin, Training und Schulung - wie man spätestens seit den einschlägigen TV-Sendungen wie GNTM wissen kann. Das Leben als Model ist wahrhaft nicht nur ein Zuckerschlecken. Die Gott gegebene Begabung allein reicht dafür nicht aus, obwohl sie unabdingbare Grundlage ist. Opernsänger, Geigenspieler, Balletttänzer, alles Virtuose im Bereich der E-Musik ist davon betroffen.

Apropos Gott – wir Christen glauben: Die Schönheit der Schöpfung, die Schönheit von Tieren, Pflanzen und Materie bezeugen sein Werk, stehen für seinen Willen, zeigen sein Leistungsvermögen. Diese Schönheit ist nicht allein ein willkürliches Werk der Natur und der in ihr wirkenden Kräfte.

Schönheit bringt ein Wohlgefallen allerhöchster Stelle zum Ausdruck. Deswegen ist sie Menschen so wichtig. Schönheit und Ansehen gehören zueinander, sie hängen zusammen. Das  war zu allen Zeiten und Epochen so. Und es gilt immer noch, egal ob in China oder bei den Aborigines, bei den Eskimos oder den Latinos oder den Europäern. Und es gilt unabhängig davon, welche Merkmale jeweils als Ausdruck von Schönheit empfunden werden. Was schön ist und was nicht, das ist von Kultur zu Kultur durchaus verschieden.  

Schönheit und Ansehen gehören zueinander, hängen zusammen. So sehr, so eng, dass Menschen bei Schönheitsmakeln, bei Unansehnlichkeit nachhelfen, sich behelfen. Und d.h.: weniger Schönes mit Schönem verstecken, überspielen, zum Verschwinden bringen. Geminderte Schönheit ist unsere Sache nicht, da reagieren wir empfindlich, eher liegt uns die Betonung von Schönheit. Bleiben wir beim erst Genannten:

Das Verdecken von Schönheitsmakeln spielt in unserem Alltag eine große Rolle, hier sei die Kleidung genannt. Aber auch anderes, was wir uns so kaufen und gönnen. Was wir an Dienstleistung in Anspruch nehmen, den Besuch bei Friseur zum Beispiel.

Ebenso die Art, wie wir uns präsentieren, wie wir miteinander reden, wie wir miteinander umgehen. Unansehnliches, Makel behaftetes gefährden das Ansehen, Anmut und Schönheit stärken es augenscheinlich. Und keiner fühlte sich je so schön, dass er vom erwähnten Verbergen nie Gebrauch machen musste. Ein jeder war als Redner oder als Hörer vom schön Reden betroffen. Kennt plumpes Gerede, Stammtischgeschwätz, das er besser kritisch aufgenommen hätte.

Wir Menschen wissen um die ersehnte Schönheit und um das damit einher gehende Verbergen von Unansehnlichkeit all zu gut. Deshalb erkennen wir ein weiteres: Schönheit kann vordergründig sein! Und wir fragen uns: Was mag dahinter stecken?

Umso mehr, als es in Schöpfung und Natur einige schön und harmlos scheinende Tiere und Pflanzen gibt, die sich in Wahrheit als sehr gefährlich erweisen. Solche Tiere und Pflanzen erfordern einen umsichtigen Umgang;

Entsprechendes gilt natürlich, wenn wir mit schönen Menschen zu tun kriegen. Da ist ebenso Umsicht und Vorsicht vonnöten. Da fragen wir: Geht es um das Erwecken interesselosen Wohlgefallens? Oder stecken Interessen dahinter, soll uns da etwas verkauft werden? 

Umgekehrt gilt genauso: Wenn wir mit unansehnlichen Mitmenschen zu tun bekommen, sind wir geneigt zu denken, dass sie was zu verbergen haben. Aber lassen wir uns von Schönheit nicht blenden! Und lassen wir uns gleichfalls nicht von Unansehnlichkeit den Blick auf die Wahrheit entstellen!

Das dürfte uns Christen nicht schwer fallen - sich vom Augenschein nicht blenden zu lassen. Angesichts der Tatsache, dass einige der schönsten Kunstwerke der Menschheit die Kreuzigung Jesu thematisieren - musikalisch oder in Bildern. Und viele kennen dazu entsprechende Märchen, wie das vom Froschkönig oder das von der Schönen und dem Biest oder das vom hässlichen Entlein.

Also, Christen dürfte es nicht schwer fallen, den Augenschein auf Blendung zu prüfen. Jedenfalls tritt das Thema in unserem Bibeltext auf. Der Reiche erscheint als ein Geblendeter. Der Bibeltext teilt nicht ausdrücklich mit, ob er sich vom eigenen Leben und Wohlergehen hat täuschen lassen. Oder von der Unansehnlichkeit des Lazarus.

Hat er den geschundenen Lazarus erst gar nicht wahrgenommen? Oder hat er ihn erblickt? Und sich angesichts dieses Jammerbildes  menschlicher Verletzlichkeit ganz auf sein Wohlergehen in Schönheit gestürzt? Hat sich dabei ganz auf sein Erbe oder auf sein wirtschaftliches Potential und Geschick verlassen?

Und warum? Um seine Verletzlichkeit zu verstecken, um sich als unverletzlich schön zu wähnen? Verwundung hat ja was Ansteckendes! Wie dem auch sei, sein Irrtum macht ihn namenlos, führt ihn geradewegs in eine höllenhafte Unterwelt.

Hat sich Lazarus blenden lassen? Hatte er nur Augen für seine schwärenden Wunden und ins Auge stechenden Verletzungen? Oder schwebte vor seinem  Auge nur der Reiche mit seinem makellosen Ansehen und Wohlergehen? Die aussichtslose Hoffnung, von der Party ein paar Krümel abzubekommen? Wie es in der Bibel immerhin den Hunden ab und an gelingt.

Auch darüber sagt der Predigttext nichts direkt aus. Es ist nicht zu erkennen, ob Lazarus ein guter Armer war. Oder ob er ein böser Armer war, selbst schuld an seinem Ergehen. Es könnte ja sein, dass die Innenwelt des Lazarus seiner geschilderten abstoßenden äußeren Erscheinung entsprochen hat - zumindest so lange, bis er in den Himmel aufgenommen worden war.  

Klar ist nur, dass Lazarus der Wahrheit ins Auge geblickt haben muss. Wie anders hätte er sonst zu Gott in Abrahams Schoß gelangen können? Und die Wahrheit lautet: Gott hat geholfen. Mit all seiner abstoßenden Schönheit und. Mit der Auferstehung des Gekreuzigten.

Und in Jesu Geist hilft er in Wahrheit und Wirklichkeit weiter: Gott hilft dem Verletzlichen, der seinen schwärenden Wunden ausgesetzt ist und ihrer nicht ledig wird. Gott hilft dem makellos Schönen, der seine Verletzlichkeit vor sich versteckt. Und deshalb Verletzte aus Angst vor Ansteckung und Schönheitsdellen meidet.

Diese göttliche Hilfstätigkeit vorausgesetzt, erscheint eines im Predigttext merkwürdig und befremdlich. Lazarus, was soviel heißt wie mein Gott hat geholfen, Lazarus kann dem Reichen in der Unterwelt nicht helfen. Obwohl dieser darum inniglich bittet. Zu groß ist die Kluft, als unüberwindbar erweist sich dem Reichen der Abstand.

Das ist umso erstaunlicher, als es dem Reichen in der höllenhaften Unterwelt so ähnlich ergeht, wie Lazarus in der Oberwelt. Seine Verletzlichkeit brennt sich ihm ein sowie die Tageshitze einst dem Lazarus zusetzte. Anstelle der Hunde lecken Flammen an seinem schwärenden Körper, anstelle von Hunger peinigt ihn Durst.

Durst, der im Gegensatz zu Hunger etwas Unstillbares hat. Hunger kann befriedigend gestillt werden, davon zeugt unter anderem das Wort satt. Für einen derart gestillten Durst gibt es kein Wort. Und die neuerdings dazu erfundenen Wörter setzen sich im Sprachgebrauch nicht durch.

Klar, der Reiche hätte helfen können. Dann hätte er gemerkt, dass er in Schönheit Recht bekommt, und zwar doppelt Recht und Schönheit bekommt. Der Umgang mit Verletzten ist ansteckend, der macht einem die eigene Verletzlichkeit klar – das ist zugegeben.

Aber ebenso ansteckend ist die erwachende Lebendigkeit und Schönheit des Verletzten, wenn ihm Hilfe zuteil wurde. Die neue Lebensenergie und Freude. Die springt über. Und zumindest in unserem Bibeltext wäre die dazu erforderliche Gabe für den Reichen ein Klacks gewesen, Tischabfall, Krümel.

Keine großen Investitionssummen, keine langfristige Verpflichtung, keine besonderen Fähigkeiten und Talente. Wäre mehr erforderlich, dann würde womöglich der Reiche nur in seinem Größenwahn bestärkt werden. Letztlich wäre sein Tun eine herablassende Hilfe, eine Art von Zuwendung, die an einige Charity-Aktivitäten heutiger Prominenter erinnert.

Die vom Reichen erforderte Gabe lautet Vergebung. Jemandem zu vergeben, dass er an die eigene Verletzlichkeit und Verwundung erinnert. Und so die ersehnte Makellosigkeit und Schönheit gefährdet.

Die Gabe besteht also darin Hilfe zu gewähren, obwohl  damit die eigene Verletzlichkeit oder Verwundung auftaucht – wenn nämlich die Hilfe scheitert, an eigenem Unvermögen z.B., Oder weil sie vom Bedürftigen abgelehnt wird. Da kann das schöne Selbstbild ganz unschöne Dellen abkriegen.

Diese Gabe zeigt wahre Schönheit. Von mir aus auch wahre innere Schönheit. Diese zeigt sich meiner Meinung nach, obwohl eine innere, garantiert auch äußerlich: als Anmut im Tun und Lassen. Als Anmut, die ihre Verletzlichkeit offenbart.

Gott gewährt in Kreuz und Auferstehung die Kraft zu dieser Vergebung, indem er uns vergibt. Er vergibt dem armen Lazarus, nimmt ihm Ängste und Wunden und gibt ihm schöne neue Lebenskraft, die den Schmerz erlittener Verletzungen übersteigt. Die ihn trotz aller Enttäuschungen erneut um Hilfe bitten lässt bei Gott und den Mitmenschen.

Auch dem Reichen in seiner Unterwelt gewährt Gott Vergebung. Vergebung, die den Reichen trotz aller Enttäuschung erneut Gott um Beistand bitten lässt. Vergebung, so dass er als Reicher der eigenen Verletzlichkeit standhält, also eventuelle Selbstbilddellen in Kauf nimmt und dem Armen Hilfe gewährt, ganz bescheiden und unspektakulär. Amen.