Predigt zu Epheser 2,17-22 von Inke Raabe
2,17-22

Predigt zu Epheser 2,17-22 von Inke Raabe

In Österreich ist sie zum Wort des Jahres 2015 gekürt worden. Und auch bei uns ist sie in aller Munde. Manche beklagen schon ihr Ende, andere sagen, es wäre Zeit, dass endlich mal ein Ende mit ihr sei. Die Arme ist gedehnt, verwaschen und missbraucht worden, und trotz allem hat sie nicht wirklich Schaden genommen. Die Rede ist von der Willkommenskultur. Sie ist, entgegen anderslautender Behauptungen, keine Erfindung der Neuzeit. Im Gegenteil. Hört mit mir den Predigttext für den heutigen Sonntag. Er steht im Epheserbrief, Kapitel 2.

Christus ist gekommen und hat Frieden verkündet: Euch, den Fernen - und Frieden den Nahen. Denn durch ihn haben wir beide in einem Geist Zugang zum Vater. Ihr seid also nicht mehr Fremde und Nicht-Bürger, sondern ihr seid Mitbürger der Heiligen und Hausgenossen Gottes, aufgebaut auf dem Fundament der Apostel und Propheten - der Eckstein ist Christus Jesus selbst. Durch ihn wird der ganze Bau zusammengehalten und wächst zu einem heiligen Tempel im Herrn, durch ihn werdet auch ihr mit eingebaut in die Wohnung Gottes im Geist.

Ihr seid nicht mehr Fremde und Nichtbürger, oder wie es bei Martin Luther heißt „Gäste und Fremdlinge“ – das wird den Leserinnen und Lesern des Briefes zugesagt. Ihr gehört dazu, ihr seid absolut vollwertige Mitglieder. Ihr seid Mitbürger und Hausgenossen, zu 100 Prozent gleichberechtigt. Ihr seid herzlich willkommen in der Gemeinschaft der Glaubenden, ihr Neuchristen aus Kleinasien. So sieht Gottes Willkommenskultur aus, sagt der Epheserbrief.

Eigentlich schlimm, dass wir über Willkommenskultur überhaupt reden müssen. Es ist doch eigentlich ein Jammer, wie mühsam wir das lernen. Es gibt Konzepte für die Integration, es gibt Schulungen für die interkulturelle Öffnung, es gibt Papiere, Streitschriften und Beschlüsse – sie ist eben nicht selbstverständlich, die Willkommenskultur. Und manchmal scheint es, als wäre sie uns Menschen naturgegeben mühsam, als bedürfe es auch immer wieder neuer und noch qualifizierterer Lehrmeister, die uns auf die Notwendigkeit der Freundlichkeit und Offenheit hinweisen. Anscheinend ist es gar zu bequem und gemütlich im eigenen Saft ist. Und ja, ich weiß es selber: Das Fremde ist immer auch anstrengend und herausfordernd. Und die Beschäftigung mit dem Anderen wirft immer auch ein neues Licht auf mich und meine eingeübten Muster. Willkommenskultur ist nicht selbstverständlich. Leider.

Aber so ist es nun einmal. Und so war das schon immer. Schon das Alte Testament sieht sich gezwungen zu mahnen: Du sollst den Fremden lieben wie dich selbst (Lev. 19, 34). Einen Fremden sollst du nicht ausbeuten (Ex. 23,9). Gastfrei zu sein vergesset nicht; denn dadurch haben etliche ohne ihr Wissen Engel beherbergt – so steht es im Hebräerbrief des Neuen Testaments (Hebr. 13,2) So hoch die Gastfreundschaft im Alten Orient angesehen ist, so wenig war sie auch dort selbstverständlich. Sie wurde immer als Kulturgut, als kulturelle Errungenschaft verstanden, als etwas, das Menschen lernen können und lernen müssen. Gastfreundschaft muss kultiviert werden – unkultiviert ist, wer auf Grenzen pocht. Und noch heute sind die arabischen Völker stolz auf ihre hochkultivierte Gastfreundschaft und beschämen damit nicht selten uns Europäer, die wir im Vergleich dazu manchmal kleinkariert wirken.

Der Epheserbrief ist an Christen in Kleinasien gerichtet, die vormals Heiden waren. Er entsteht im ausgehenden ersten Jahrhundert nach Christus. Da gibt es noch kaum kirchliche Strukturen. Das junge Christentum galt den Römern als jüdische Sekte, den Juden als Irrglauben und den Wohl-Wollenderen als kleine Schwester des Judentums, als ein neuer Spross am alten Baum. Die Christengemeinden wussten vielfach selber nicht, wer sie nun sein wollten und was sein würden. Sollten sie sich nun als Neubürger des Judentums verstehen und sich zum Beispiel an die althergebrachten Speise- und Bekleidungsvorschriften halten? Waren sie als Christen vielleicht sogar nur Juden zweiter Klasse, Proselyten, Zugezogenen im Glauben? Alles war im Umbruch, alles war neu. Sie waren im Grunde geistliche Migranten, die jungen Christen: Sie entflohen der römischen Einerlei-Kultur und der beliebigen Vielgötterei ihrer Umwelt, sie suchten eine neue geistliche Heimat im Glauben an den Auferstandenen Christus. Und mit der Willkommenskultur war das damals wie heute so eine Sache. Sie rechneten nicht unbedingt mit der Gastfreundschaft der Mutterreligion, und nicht wenige meinten, dass Anpassung der bessere Weg sei.

Christus ist gekommen und hat Frieden verkündet: Euch, den Fernen - und Frieden den Nahen. Denn durch ihn haben wir beide in einem Geist Zugang zum Vater. Ihr seid also nicht mehr Fremde und Nicht-Bürger, sondern ihr seid Mitbürger der Heiligen und Hausgenossen Gottes, aufgebaut auf dem Fundament der Apostel und Propheten - der Eckstein ist Christus Jesus selbst. Durch ihn wird der ganze Bau zusammengehalten und wächst zu einem heiligen Tempel im Herrn, durch ihn werdet auch ihr mit eingebaut in die Wohnung Gottes im Geist.

Ihr gehört dazu, meint das. Ihr müsst euch nicht anstrengen, ihr braucht euch nicht zu verbiegen. Und: Ihr braucht keine Angst zu haben. Mit Gott ist alles geklärt. Dieser Text - das ist so viel wie die Anerkennung eines Asylantrags durch das Bundesministerium für Migration und Flüchtlinge und klingt doch viel schöner. Hören Sie mal, wie unser Amt Flüchtlinge willkommen heißt: „Der Antragssteller hat vom Bundesamt für Flüchtlinge und Migration die Flüchtlingseigenschaft gemäß §3AsylVerfG zuerkannt bekommen. Ihm wird eine Aufenthaltserlaubnis gemäß §25, Abs. 2 AufenthG, gültig für drei Jahre, erteilt. Der Reiseausweis für Flüchtlinge und der elektronische Aufenthaltstitel werden bei der Bundesdruckerei bestellt. Erwerbstätigkeit gestattet. Im Auftrag. Und Punkt.

Na, denn herzlich willkommen.

Gottes Willkommenskultur klingt anders. Ihr seid nicht mehr Gäste und Fremdlinge, sondern Mitbürger der Heiligen und Gottes Hausgenossen. Ihr seid willkommen, ihr Lieben, Gott freut sich, dass ihr da seid. Ihr seid willkommen, so wie ihr seid.

Warum ist uns das mit dem Willkommen denn so mühsam, wenn es Gott doch offensichtlich so leicht fällt? Bei uns in Dithmarschen hängt an jeder zweiten Haustür ein Schild. „Willkommen“ steht da drauf, oder auch ein einfaches „Moin“ – das meint im Grunde dasselbe. Also: Der Wille zur Gastfreundschaft ist da. Aber man kennt auch hier die fiesen Sprüche: „Besuch ist wie Fisch: Nach drei Tagen fängt er an zu stinken.“ „Ein ungebetener Gast ist eine schwere Last.“ Oder: „Besuch ist wie Regen: Er muss nicht zu lange dauern.“ Willkommen schon, aber schön in Grenzen. Mein Gartenzaun ist mir heilig. Und der Harkstreifen davor erst recht.

Auf der anderen Seite erleben wir – gerade wir Dithmarscher - zurzeit höchstes Glück mit unseren Migranten. Unzählige engagieren sich, geben Sprachkurse, organisieren Kleiderkammern, fahren mit ihren Schützlingen zu den Ämtern, übersetzen, hören zu, reparieren Heizungen, besorgen Decken. Und sie sind unendlich freundlich zu – nein, sie sind geradezu entzückt  von den kleinen Neubürgern, von den Kindern der Geflüchteten, die uns so vorbehaltlos und ganz ohne Angst und Vorurteile begegnen und uns behandeln wie die Ihren. Wir erleben Glück in diesen Begegnungen: Ahmad, der einen Lehrplatz gefunden hat, Donya, die sich hat taufen lassen, Saria, die ihr erstes Kind im neuen Land erwartet, Kevah, der die Level-C-Prüfung bestanden hat und nun studieren darf. Wir erleben das Glück mit den wenigen, deren Asylanträge bewilligt werden und wir stören uns keine Sekunde an der kalten Bürokratensprache des zitierten Amtsbriefes - das machen wir mit Herzlichkeit locker wett.

Willkommenskultur – ja, wir mussten das lernen. Und wir mussten das ein bisschen schneller lernen, als uns lieb gewesen wäre. Aber da, wo es gelungen ist, erleben wir voller Dankbarkeit die Bereicherung und überwinden miteinander alle Schranken unterschiedlicher Kultur, Sprache oder Religion. Wir sind reich beschenkt. Herzlich Willkommen.

Darum ist sie so wichtig, die Willkommenskultur Gottes. Darum lässt die Bibel nicht nach, die Gastfreundschaft einzufordern. Weil Gott weiß, dass sie uns gut tut. Weil Gott weiß, dass Menschen nur so miteinander leben können, wenn sie einander von Herzen begrüßen, einander von Herzen suchen und kennenlernen wollen. Weil sie nur im Respekt vor dem Fremden und in der Begegnung mit dem Anderen die Demut lernen, die vor Gott so wichtig ist. Gott weiß, wie viel wir lernen können und wie viel wir lernen müssen. Und er möchte, dass wir einander dienen, so wie er uns dient und so wie er es uns in Christus aufgegeben hat.

Ihr seid willkommen, sagt der Epheserbrief seinen Leserinnen und Lesern. Und er sagt es auch zu uns: Ihr seid Gott so herzlich willkommen, ihr Dithmarscher, ihr Niedersachsen, ihr Friesen und Bayern. Gott lässt euch sein, wie ihr seid: ihr Dänen, ihr Ukrainer, Spanier, ihr Amerikaner, ihr Moldawier, ihr Tschetschenen und Finnen. Ihr seid ihm so herzlich willkommen, ihr Menschenkinder, egal, ob ihr krause Haare oder glatte habt, ob ihr gut seid in Mathe oder Deutsch, ob ihr Fußball mögt oder lieber Facebook und selbst wenn ihr World-of-Warcraft liebt - ihr seid ihm von ganzem Herzen willkommen. Gott liebt euch ohne Maß, ihr Männer und Frauen, ihr Alte und Junge, euch alle, die ihr heute hier seid. Merkt ihr, wie wunderbar das ist, so herzlich willkommen zu sein? Wer kann da, wo er so herzlich geliebt wird, anderen die Willkommenskultur verwehren?

Geht gar nicht, liebe Leute. Ihr seid nicht mehr Gäste und Fremdlinge, sagt der Epheserbrief. Ihr seid Mitbürger der Heiligen und Hausgenossen Gottes. Ihr wohnt in der wunderbaren Wohnung Gottes ganz umsonst. Ihr lebt in seinem heiligen Tempel absolut unverdient allein aus Gnade. Ihr lebt in Gottes Nähe – und hier ist Platz ist für viele. Für dich und für mich. Und natürlich für alle anderen auch.

Amen