Predigt zu Jesaja 1,10-17 von Andreas Schwarz
1,10-17

Predigt zu Jesaja 1,10-17 von Andreas Schwarz

Höret des HERRN Wort, ihr Herren von Sodom! Nimm zu Ohren die Weisung unsres Gottes, du Volk von Gomorra!
Was soll mir die Menge eurer Opfer?, spricht der HERR. Ich bin satt der Brandopfer von Widdern und des Fettes von Mastkälbern und habe kein Gefallen am Blut der Stiere, der Lämmer und Böcke.
Wenn ihr kommt, zu erscheinen vor mir - wer fordert denn von euch, dass ihr meinen Vorhof zertretet?
Bringt nicht mehr dar so vergebliche Speisopfer! Das Räucherwerk ist mir ein Gräuel! Neumonde und Sabbate, wenn ihr zusammenkommt, Frevel und Festversammlung mag ich nicht!
Meine Seele ist Feind euren Neumonden und Jahresfesten; sie sind mir eine Last, ich bin's müde, sie zu tragen.
Und wenn ihr auch eure Hände ausbreitet, verberge ich doch meine Augen vor euch; und wenn ihr auch viel betet, höre ich euch doch nicht; denn eure Hände sind voll Blut.
Wascht euch, reinigt euch, tut eure bösen Taten aus meinen Augen, lasst ab vom Bösen!
Lernt Gutes tun, trachtet nach Recht, helft den Unterdrückten, schafft den Waisen Recht, führt der Witwen Sache!

Liebe Gemeinde,
der Herausgeber von Predigten für Lektorengottesdienste in seiner Landeskirche hatte ein Problem. Die Bitte, diesen Text vorzubereiten, stieß auf Ablehnung – ‚diesen Text bitte nicht, gern einen anderen’. Nicht die Mehrarbeit wurde zurückgewiesen, sondern der Inhalt. Genauer: über dieses Gottesbild wollte niemand eine Predigt schreiben. Es ist wohl ein fremdes Bild geworden. Gott als der Liebende und Barmherzige ist uns näher – und sympathischer.

Worte, wie aus diesem Abschnitt,  gehen uns nicht so ohne weiteres ein. Was wir heute hören – müssen, mögen wir auch nicht. Und wenn, dann fallen uns vielleicht Menschen oder gesellschaftliche Verhältnisse ein, zu denen das passt und auch unbedingt mal gesagt werden müsste. Die Schwierigkeit liegt aber darin, dass es mitten ins Zentrum des Gottesvolkes hinein gesagt wird – wir werden so angesprochen und unser Gottesdienst, den wir feiern, ist gemeint. Denn immer steht der in der Gefahr, zur Routine zu werden mit dem Ziel, eine lieb gewordene Tradition aufrecht zu erhalten. Dabei geht es weniger um neue Formen, Texte und Lieder, sondern um die Einstellung.
Wie äußert sich im Gottesdienst eine lebendige und ehrliche Beziehung zu Gott?

Eine Umfrage unter Gottesdienstbesuchern hat ergeben, dass 2/3 unter ihnen in ihrer Hörgewohnheit ein so feinmaschiges Filtersystem entwickelt haben, dass sie nur jene Worte und Themen der Predigt aufnehmen, die sie in ihrer vorherigen Haltung bestätigen. Das ist eine Gefahr, die wir sicher alle kennen:
Wir ziehen die Bestätigung jeder Art von Beunruhigung vor, die uns zur Bewegung nötigen würde. In Dingen des Glaubens gilt das noch deutlicher, denn eine Bewegung würde viele Bereiche mit betreffen.

Nun berührt das aber erst die Oberfläche, die Worte des Propheten gehen tiefer, wenn er sagt, die zum Gebet erhobenen Hände klebten voller Blut. Das bedeutet ja, dass der Gottesdienst nicht nur keine Anstöße zum veränderten Handeln gibt, sondern Menschen in ihrem Handeln sogar bestätigt und so selbst zur Schuld wird. Er stützt Menschen in ihrem Unrecht und führt sie darum nicht zu Gott, sondern gerade in die Gottesferne. So wird der Gottesdienst in sein Gegenteil verkehrt und aus dem Volk Gottes ‚Gomorrha-Volk’.
Es muss Menschen erschrecken, so am Innersten getroffen zu werden und es wäre naiv und schädlich zugleich, wenn wir meinten, das sei lediglich ein Problem Israels vor 2500 Jahren und hätte mit uns nichts zu tun. Auch heutiger Gottesdienst kann das gute Gewissen zur bösen Tat liefern!

Das Schlimme daran: wir merken es nicht; wir merken nicht, wenn Gottesdienst zum Menschendienst verkommt, wenn er Gott längst eine Last geworden ist und er sich zurückgezogen hat.
Ob wir darüber je einmal nachgedacht haben, dass unsere Gottesdienste Gott eine Last sind, dass wir ihn feiern, ohne dass er anwesend ist – und wir spüren es nicht?
Wo aber ist er dann, wenn er in unseren Gottesdiensten nicht mehr ist?
 Am Verhalten Jesu selbst können wir es sehen, wem sich Gott zuwendet: er ist bei den Ärmsten und Schwächsten. Er muss diejenigen stärken, die er uns anvertraut hat und die wir in unserem Kreisen um uns selbst vergessen haben.

Natürlich gibt es auch das andere, dass Menschen in ihrem sozialen Engagement und dem Reden darüber vergessen Gott zu loben und es vernachlässigen ihn zu feiern. Und dann muss auch das einer Gemeinde gesagt werden.

So oder so: Gottesdienst und Leben im Alltag bilden nach den Worten des Propheten eine unauflösliche Einheit. Wo sie zerbricht, wird Gottesdienst zur Last für Gott.
Wir begegnen dem angemessen sicher nicht, indem wir möglichst viele Opfer, Gebete und Feiertage für Gott  vorsehen. Aktionismus kann ja gerade von den Dingen ablenken, die nötig sind und zu einer unheilvollen Koalition mit erstarrter Routine verkommen.

Was aber bedeutet das nun alles – wenn es denn so ist, dass das prophetische Wort uns heute erreicht hat, offene Ohren getroffen und unser Herz geöffnet hat?

Jesaja möchte im Namen Gottes erreichen, dass die Menschen umkehren und sich verändern. So deutlich und hart die Anklagen in diesem Text sind, so klar sind auch die Schritte, wie eine Umkehr, eine Veränderung, ein Neuanfang aussehen kann.
Es sind drei Schritte, die zur Umkehr führen:

Umkehr heißt erstens: Den falschen Weg erkennen
Das ist der erste Schritt: Jesaja hält den Menschen seiner Zeit einen Spiegel vor. So lassen wir uns heute am Buß- und Bettag einen Spiegel vorhalten, jeder persönlich. So müsste sich eine Gemeinde den Spiegel vorhalten lassen, die den Buß- und Bettag mit einem Gottesdienst feiert: dass wir uns in Frage stellen lassen, auch unser Gottesbild in Frage stellen lassen; dass wir Gottesworte hören und annehmen, die uns nicht gefallen, im Gegenteil, die uns anklagen und bloßstellen, ohne uns einen Ausweg zu gewähren. Es ist Gott nicht egal wie wir leben und wie wir feiern. Er ist der Herr unseres Lebens – und das wirkt sich aus auf unser tägliches Leben, im Umgang mit unseren Mitmenschen, mit den Ärmsten und Schwächsten dieser Welt, im Umgang mit seiner Schöpfung; es wirkt sich aus auf unseren Gottesdienst. Das ist der Ort, an dem Gott allein die Ehre zusteht, ihn fürchten und lieben wir, hören sein Wort, danken ihm, loben ihn, feiern ihn, lassen uns korrigieren, ermutigen, verändern. Und wenn das alles nicht zutrifft, dann ist eben unser Verhältnis zu Gott nicht in Ordnung, dann stimmt es an der Wurzel nicht, dann müssen wir zur Rettung unseres Lebens den falschen Weg als solchen wahrnehmen – ohne falsche Scheu und Rücksicht.

Umkehr heißt zweitens: Etwas beenden, mit etwas aufhören
Das ist der zweite Schritt: Bevor wir uns ändern, müssen wir aufhören mit dem, was nicht gut ist. Jesaja sagt bei diesem Schritt den Menschen seiner Zeit: Beendet eure bösen Taten, lasst ab vom Bösen. Dann sagt er auch noch: Wascht euch, reinigt euch! – Das ist uns ein Denkanstoß: Was würde ich gerne aufgeben, loswerden, welche Schuld drückt mich, welches unehrliche Verhalten?
Es ist mehr als ein Symbol, wenn wir nachher im Stillen Dinge nennen, die falsch gelaufen sind, persönliche Schuld. Und wenn wir dann aufstehen, nach vorne gehen, niederknien, die Hand des Pfarrers auf dem Kopf spüren und hören: dir sind deine Sünden vergeben. Gehe hin in Frieden. Spüren und hören helfen uns, dass wir Vergebung nicht nur wissen, sondern ernst nehmen. Der eigene Vorsatz, etwas zu ändern, kommt tiefer ins Leben.

Umkehr heißt drittens: Neues lernen und einüben.
Das ist der dritte Schritt: Neue Schritte wagen. Jesaja sagt den Menschen seiner Zeit sehr konkret, was das sein könnte: "Lernet Gutes tun, trachtet nach Recht, helft den Unterdrückten, schafft den Waisen Recht, führet der Witwen Sache!" Das ist der entscheidende Schritt. Jesaja sagt nicht, man soll einfach das Böse lassen. Nein, Umkehr bedeutet, in die andere Richtung hin aktiv zu werden. Alles andere wäre eine halbherzige Umkehr.
Dieser dritte Schritt ist zugleich der Schwierigste. Er bedeutet eine Wendung um 180 Grad. Haben die reichen Bürger von Jerusalem gerade noch andere unterdrückt, sollen sie die Armen nicht bloß in Ruhe lassen. Nein, sie sollen ihnen nun helfen, auf die Beine zu kommen.
Recht ist das entscheidende und wiederkehrende Wort, das das neue Leben der Umkehr beschreibt. Wir werden das nicht vorschnell auf gesellschaftliche Themen abschieben. Recht hat einen sehr weit gehenden und doch auch persönlichen Bezug. Recht ist die Größe, mit der Streit geschlichtet, Schuld benannt und zurechtgerückt wird und auf diese Weise die Ordnung gedeihlichen Zusammenlebens wiederhergestellt wird. Da gibt es im privaten und gemeindlichen Leben vieles zu bedenken und es ist allemal Umkehr nötig.
Vor allem aber ist es wichtig zu hören, dass Recht nicht unsere menschliche Sache ist, über die wir verfügen, wir können Recht zwar außer Kraft setzen, aber es nicht schaffen. Es ist eine Gabe Gottes. Von daher geht es gar nicht um die Ermahnung, ethisch besser zu leben, sondern darum, dass wir als Gemeinde im Leben und Feiern widerspiegeln, was wir von Gott erfahren haben.

Und dann lese ich am Ende dieser Predigt als Fortführung und Ziel den Vers, der sich direkt an den Predigttext anschließt und benennt, wie Gott mit der Sünde seiner Menschen umgeht:
‚So kommt, lasst uns miteinander rechten, spricht der Herr: wenn deine Sünde auch blutrot ist, soll sie doch schneeweiß werden, und wenn sie rot ist wie Scharlach, soll sie doch wie Wolle werden.’
Amen.