Predigt zu Johannes 3,1-8 von Karl Hardecker
3,1-8

Predigt zu Johannes 3,1-8 von Karl Hardecker

Liebe Gemeinde,
Ihr seid Kinder des Lichts und Kinder des Tages, heißt es bei Paulus. Als Kinder des Tages seid ihr Menschen des Geistes. Die Amerikaner würden dazu sagen: ihr seid reborn, Wiedergeborene, wiedergeboren aus seinem Geist.

Wie soll das zugehen, fragt Nikodemus. Wie sollte ein Mensch zurück kriechen können in den Leib seiner Mutter, um noch einmal geboren zu werden? Dass das nicht geht, leuchtet jedem ein. Aber dass wir einen Geist brauchen, der uns belebt, der uns beseelt und der uns leichter macht, das leuchtet genauso ein. Und darum geht es, um diesen Geist.

Es ist ein Geist des Tages, ein Geist, der uns hilft uns zu öffnen, der uns Worte schenkt  und ein Ohr für den anderen, ein Geist, der unsere schwere Seele vom Boden erhebt, ein Geist, der unser Herz zu Gott erhebt, wie es so schön in der Messe heißt: Erhebet die Herzen! Wir haben sie beim Herrn.

Erhebend also die Wirkung dieses Geistes, erhebend vom Boden, der der Boden Kains ist, oft blutgetränkt, mit Rivalitäten überzogen, belastet von der Schuld Menschen verachtender Genozide und durchtränkt von tödlichen Pestiziden. Erhebend die Wirkung dieses Geistes, erhebend von dieser leidzerrissenen Erde, erhebend zu einer Freiheit, in der Menschen sich am Reichtum der Erde freuen und an ihrer Vielfalt nicht leiden.

So sollte es sein, lehrt Jesus seinen nächtlichen Gast Nikodemus. Denn dieser spürt genau: unser menschlicher Geist ist einfach zu wenig. Es ist zu wenig, dass wir unseren Geist einsetzen um zu planen und zu berechnen. Es ist zu wenig, dass wir unseren Geist benutzen, um uns zu sorgen und um zu taktieren. Intrigen und Machtspielchen sind zu wenig und eigentlich Geschöpfe der Nacht, - Nachtgestalten.

Nikodemus hat das Gespür, dass diese Nachtgestalten nicht zur Krone der Schöpfung gehören und er wird darin bestärkt, wenn er erleben wird, wie diesem Gerechten, diesem Jesus von Nazareth der Prozess gemacht werden wird, wie hierbei so vieles bei Nacht ablaufen wird, die Gefangenahme, das Verhör und die Folter und wie dann bei seinem Tod die Sonne sich verdunkelt und eine Finsternis über das Land kommen wird als Ausdruck größter Geistlosigkeit.

Das weiß er, das spürt er schon jetzt. Gewalt geschieht oft im Verborgenen, die Folterer haben ihre Kammern häufig im Keller und als Judas Jesus verrät, ist es Nacht, wie der Evangelist später markiert.

Dass dieses Gespräch bei Nacht stattfindet, ist sicher kein Zufall. Weil es den Geist bei Nacht besonders braucht, weil die Welt bei Nacht schwer wird und erdrückend sein kann, das wissen wir aus schlaflosen Nächten.

Nikodemus sucht nach etwas, das herausführt aus der Finsternis menschlicher Seelen und der Finsternis menschlicher Gewalt. Er sucht nach etwas Neuem. Und er hat einen hervorragenden Lehrer gefunden, einen, der ihm zeigt, was es heißt, neu geboren zu werden durch diesen Geist. Und dieser lehrt, dass der alte Mensch sterben muss, der Mensch, der nicht aus sich heraus findet, der seine Geschöpflichkeit verspielt, weil er sein Gegenüber verliert, weil er nicht mehr im Ich und Du lebt, sondern sich nur noch um sich selbst dreht, der Mensch, der damit aus einem offenen Feld herausfällt oder sich selbst heraus katapultiert. Dieser Mensch ist alt und erwartet auch nichts mehr, weder von sich noch von anderen noch von Gott als seinem Schöpfer. Dieser Mensch vermag auch keine Anerkennung mehr zu geben, - dazu fehlt ihm die Offenheit und das Interesse am anderen.

Aber wie soll eine Annäherung entstehen, wo sich Menschen und Staaten die Anerkennung versagen? Ohne Anerkennung bleibt der Mensch alt und bleibt die Erde alt und das Palästinenser-Problem bleibt auf ewig bestehen und ohne Anerkennung und Einbeziehung wird auch Russland auf lange hin der gekränkte Partner sein, der sich übergangen fühlt vom Westen.

Um also wieder auf das offene Feld heraus zu finden, wo Ich und Du sich begegnen, wo der eine sich freut an der Eigenart des anderen, wo beide leben im Bewusstsein, nur zusammen können wir diese Erde bestehen und nur zusammen können wir durch` s Leben gehen, müssen wir neu geboren werden.

Und immer wieder, wenn wir aus dem Wort fallen, wenn es uns die Sprache verschlägt und immer, wenn wir unseren Blick in uns kehren, aus Angst oder aus Selbstsorge, dann brauchen wir dringend den Geist Gottes, dann müssen wir neu geboren werden.

Nikodemus ist uns vertraut. Er ist uns nicht fremd. Wir kennen ihn. Er ist ein Mensch auf der Suche nach Geist, ein Mensch, der spürt und weiß, dass es mehr als alles geben muss, ein Mensch, der merkt, wie unser menschlicher Geist einfach zu wenig ist.

Nikodemus, ein Mensch, der mit uns leidet an der Schwere der Welt, an ihrem Gewicht und an ihrem Leid, ein Mensch, der leidet an den Eindrücken aus den Flüchtlingslagern in Jordanien und im Libanon, ein Mensch, der nicht mehr schlafen kann, nachdem er die Hinrichtungsvideos des IS gesehen hat im Netz. Und der sich dann aufmacht und zu Jesus kommt bei Nacht, selber ein Lehrer, der zu einem Lehrer geht, um auf das zu hören, was dieser zu sagen hat. Und Jesus lehrt über den Geist und darüber, dass er uns neu machen kann, dass wir neu geboren werden und als neu geborene wieder zurück finden in die Bestimmung, die uns unser Schöpfer mit auf den Weg gab: nicht unserer Angst zu gehorchen und uns nicht zu verkriechen, sondern aufzustehen, aufzubrechen im Vertrauen auf diesen Geist, uns vom Boden erheben zu lassen und zu spüren, dass das Licht unseres Schöpfers sich widerspiegelt auf dem Antlitz unseres Nächsten, hin zu finden in die Erhabenheit, die dieser Geist allein zu schaffen vermag, wo alles eine neue Würde bekommt und allem mit Achtung begegnet wird und Leid und Geschrei und Krieg ein Ende haben wird und die Welt voll sein wird seines Heiligen Geistes. Amen