Advent am Rande der Wüste - Predigt zu 1. Mose 18, 1-15 von Susanne Ehrhardt-Rein

Advent am Rande der Wüste - Predigt zu 1. Mose 18, 1-15 von Susanne Ehrhardt-Rein
18, 1-15

I.

Irgendwann ist es einfach zu spät: Zu spät, noch einmal von vorn anzufangen. Zu spät, einen anderen Beruf zu lernen. Zu spät, eine Familie zu gründen, ein Kind zu bekommen. Die Uhr tickt, die Zeit vergeht – so ist das, und irgendwann ist es zu spät.

Sara ist eine Frau, für die es zu spät ist. Alt ist sie geworden, zusammen mit Abraham. Alt und runzlig und in allem langsam und ruhig. Sie sind zusammen weite Wege gegangen, immer den Anweisungen Gottes hinterher. Sie haben Prüfungen bestanden, Gefahr und Verrat, Hungersnot und bösen Streit. Und nun haben sie sich niedergelassen auf ihre alten Tage. Am Rande der Wüste, unter alten Bäumen. Alles ist in Erfüllung gegangen, was sie sich erhofft hatten: eigenes Land, Vieh und Wohlstand. Sie sind miteinander alt geworden, schon das: ein Segen. Fast alles ist in Erfüllung gegangen. Nur das eine nicht: das Kind. Das eigene, von Sara geboren. Es gibt ein Kind in dieser Familie, das Kind Hagars, der Magd. Sara hatte Hagar zu Abraham geschickt, damit sie von ihm ein Kind bekommt. Es hat die beiden Frauen Überwindung gekostet, diese Leihmutterschaft. Ismael wurde geboren, Abrahams Sohn. Und Hagars Sohn. Und Abraham schien zufrieden zu sein. Trotzdem blieben Streit und Eifersucht nicht aus. Der Zorn hat Sara gequält. Aber jetzt ist sie ruhiger geworden. Abraham hat einen Sohn, mit Hagar. Sie nicht, sie ist die Unfruchtbare. Vielleicht sollte es so sein.

Und nun, hier am Rande der Wüste, leben sie ganz zufrieden. Vorbei die Kämpfe. Nicht alles geht im Leben in Erfüllung, für manches ist es nun eben zu spät. Ob Abraham noch wartet? Nachkommen wie Sterne am Himmel, das war das Versprechen, das letzte, das unerfüllte. Sie fragt ihn lieber nicht. Lass die Hoffnung lieber ruhen, es schmerzt zu sehr, daran zu rühren. Es genügt, jeden Abend wieder in den Sternenhimmel zu schauen. Lass es gut sein. Lieber nichts mehr erwarten, als immer nur wieder enttäuscht zu sein. Es ist eben zu spät. Keine Spur von Erwartung. Kein Advent. Kein Stern für Sara.

II.

Wir werden versetzt in eine ferne Zeit, in eine ferne Welt. In den Hain Mamre, eine Wüstenoase. In die Mittagshitze des nahöstlichen Sommers. High noon. Die Luft flimmert, kein Lüftchen regt sich. In dieser Stunde sollte man ruhig im Schatten sitzen und sich nicht rühren.

Plötzlich tauchen drei Männer auf. Unverhoffter Besuch! Eine Fata Morgana in der flimmernden Luft? Abraham reibt sich die Augen. Aber nein. Sie kommen wirklich näher. Geheimnisvolle Gestalten. Abraham richtet sich auf, strafft sich. Eine gute Gelegenheit, sich gastfreundlich zu erweisen. Gäste sind ein Geschenk. Was für eine Ehre. Ehrfurchtsvoll ist auch die Begrüßung: Bitte bleibt doch, wenigstens ein Bissen Brot, einen Schluck Wasser. Ruht euch einen Moment im Schatten aus, bei dieser Hitze.

Was für eine Untertreibung ist diese Einladung. Denn dann ist es plötzlich vorbei mit der Ruhe in der Mittagshitze. Geschäftigkeit bricht aus: So viel Mehl, so viele Brote und Kuchen, wer soll das bloß alles essen. Das ist kein Fastfood, kein Schnellimbiss. Ein ganzes Kalb, und Milch und Butter. Abraham fährt auf, alle müssen mithelfen. Sara knetet Teig und backt. Und vielleicht ist auch der Junge, das Kind Ismael, dabei. Der hilft bei der Zubereitung des Bratens. Das braucht alles seine Zeit. Erst einmal müssen sie noch ein bisschen warten, die geheimnisvollen Gäste. Abraham selbst setzt sich nicht, er bedient die drei. „Und sie aßen.“ – in aller Ruhe.

Und auch das Tischgespräch braucht seine Zeit. Wer spricht da mit wem? Manchmal scheint es nur einer zu sein – der Ewige, der Abraham besucht. Dann wieder sind es drei. Die Geschichte bleibt mehrdeutig, legt sich nicht fest. Gott lässt sich nicht fassen. Und doch sitzt er am Tisch, bei Abraham vorm Zelt. „Und sie aßen.“ Ganz menschlich. Und sie sprechen mit Abraham. Ganz einfach, ohne Umschweife kommen die Gäste auf den wunden Punkt zu sprechen: „Wo ist Sara, deine Frau? Sie soll einen Sohn haben.“

III.

Das sitzt. Abraham sagt nun gar nichts mehr. Er hat lange genug gewartet. Er hat sich zufrieden gegeben mit dem Sohn, den Hagar geboren hat. Er hat sich an alles gehalten, was Gott ihm vorgegeben hat. Nun soll es gut sein. Keine Hoffnung mehr – keine Enttäuschung mehr. Lass es gut sein, Herr, mach dich nicht lustig über mich. Es ist zu spät. Abraham bleibt stumm.

Sara reagiert anders. Sie hört, was sie hören soll. Sie versteht, was gemeint ist. Und sie weiß, dass es Unsinn ist: zu spät, unrealistisch, am Leben vorbei. Sie sieht sich selbst da stehen, hinterm Zelteingang, alt und runzlig, und sie muss lachen. Was soll sie auch anderes machen. Geweint hat sie schon genug. Sie lässt sich nicht mehr verspotten, nicht in ihrem Alter. Die Liebe ist lange her, ihr Körper hat nicht getan, was er sollte, aber nun will sie auch nicht mehr von falschen Hoffnungen betrogen werden. Keine Fata Morgana bitte, dafür bin ich zu alt.

IV.

Worüber lacht Sara? Über sich selbst? Über Abraham, dem es die Sprache verschlagen hat? Über den Ewigen, den sie mit seinen ständigen Versprechungen nicht mehr ernst nehmen kann? Sie lacht bei sich selbst, also doch irgendwie verstohlen. Ungläubig und auch ein bisschen abgebrüht. Ach komm. Mach keine Witze. Aber gut: An mir soll es nicht liegen. Gegen Liebeslust habe ich nichts, frag doch mal Abraham, wie er dazu steht.

Lieber Gott, lass es doch mal gut sein und such dir eine andere für deine Versprechungen. Eine junge und schöne. Eine, die noch ganz am Anfang ihres Lebens steht, frisch und unverbraucht.

Sara lässt sich nicht mehr verspotten. Sie schlägt nicht die Augen nieder. Sie ist nicht einverstanden mit ihrem Schicksal, und sie jubelt nicht mehr über Versprechungen. Sie lacht Gott ins Gesicht. Was willst du noch von mir? Saras Lachen ist realistisch und deutlich.

Sie fühlt sich ertappt - und nimmt dann ihr Lachen gleich wieder zurück: „Ich habe nicht gelacht. – Doch, du hast gelacht.“ Es ist nicht mehr aus der Welt zu schaffen: Sara hat gelacht, ungläubig, staunend, frech – eine alte Frau, die sich nichts mehr vormachen lässt. Hoffnung? Wirklich? Du wirst sehen, sagt der Ewige. Ich komme wieder, und dann wirst du sehen.

V.

Die Geschichte dieser beiden Alten, Sara und Abraham – ist das eine Adventsgeschichte? O komm, o komm du Morgenstern? Tochter Zion, freue dich? Die Erwartung, die Freude sind doch sehr verhalten. Die ungläubige Sara bricht nicht in Jubel aus, sie singt kein Loblied auf Gott. Sie sagt auch nicht: Mir geschehe, wie du gesagt hast. Denn es ist ja wirklich zu spät. Zu spät für ein Kind für Sara. Zu spät für die Verheißung Gottes an diesen beiden alten Menschen. Das ist realistisch, so ist der Lauf des Lebens.

Aber Saras Lachen ist nun in der Welt. Ihr ungläubiges, respektloses, befreiendes Lachen. Der Vorhang wird beiseitegeschoben und der Ewige schaut ins Zelt: „Ich hab’s gehört, Sara. Ich kenne dich, du hast gelacht. Und du wirst sehen: Ich komme wieder. Und dann wirst du wieder lachen.“ Gott wird Saras Lachen verwandeln – in ein staunendes, frohes, schallendes Lachen. Sara wird sich daran erinnern, wenn sie das versprochene Kind Isaak zur Welt bringt. Isaak – das heißt: „Gott hat gelacht“, oder: „Gott hat jemanden zum Lachen gebracht.“ Er kann einen schon zum Lachen bringen, mit seinen Versprechungen.

Saras Geschichte erzählt von Enttäuschung und Erwartung, von ungläubiger Verwunderung und verhaltener Hoffnung: Sollte Gott etwas unmöglich sein? Vor allem erzählt diese Geschichte davon, wie Gott in die Welt kommt, wie er Gast ist bei den Menschen. Wie er mit uns spricht und um unser Vertrauen wirbt. „Du wirst sehen, ich komme wieder“ – so redet der Ewige mit Sara, und wir können es hören. Ja, das ist eine Adventsgeschichte. Amen.

Vier Fragen zur Predigtvorbereitung an Susanne Ehrhardt-Rein

1.    Welche Predigtsituation steht Ihnen vor Augen?
Vor Augen habe ich vor allem Menschen, die in der momentanen Pandemie-Situation auf den Gottesdienst nicht verzichten wollen. Die Planungsunsicherheit ermüdet, Ein-schränkungen belasten, die ganze Situation ist beängstigend und keiner weiß, wie sich die Dinge weiterentwickeln. Wo ist da Advent? Trotzdem feiern wir (hoffentlich) Got-tesdienst.

2.    Was hat Sie bei der Predigtvorbereitung beflügelt?
Die (ganze) biblische Geschichte selbst hat mich beflügelt – und gleichzeitig auch ein wenig gehemmt. Was soll man dazu noch sagen? Die äußeren und inneren Bilder der Geschichte haben mich inspiriert, ihnen nachzugehen und sie nacherzählend zu deu-ten. Die Nichtfassbarkeit Gottes und Saras Lachen – beides sollte genug Raum haben.

3.    Welche Entdeckung wird Sie weiter begleiten?
Einen Gedanken, eine Frage oder Erwiderung an Gott zu richten – das ist Gebet! Und auch: Gott ins Gesicht lachen ist Gebet. Das ist auch – oder gerade – in der Spannung zwischen Resignation und Hoffnung, zwischen ungläubigem Realismus und zaghaf-tem Gottvertrauen möglich.

4.    Was verdankt diese Predigt der abschließenden Bearbeitung?
In der ersten Fassung fehlte der Schluss der Predigt. Das Coaching hat mir geholfen, das Predigtziel genauer zu bestimmen und von dort aus den letzten Abschnitt zu for-mulieren: Die Spannung zwischen Realismus und Hoffnung sollte nicht aufgehoben werden. Gerade in dieser Spannung wird die adventliche Pointe der Sara-Geschichte deutlich: Dass Gott in diese Welt kommt, ist so unrealistisch wie eine Schwanger-schaft für Sara. Aber er hält daran fest und bleibt bei seiner Verheißung.

 

Perikope
20.12.2020
18, 1-15