Anfechtung im Glauben – Predigt zu Jakobus 1,12-18 von Matthias Riemenschneider
Anfechtung im Glauben
12 Selig ist der Mann, der die Anfechtung erduldet; denn nachdem er bewährt ist, wird er die Krone des Lebens empfangen, die Gott verheißen hat denen, die ihn lieb haben.
13Niemand sage, wenn er versucht wird, dass er von Gott versucht werde. Denn Gott kann nicht versucht werden zum Bösen, und er selbst versucht niemand.
14Sondern ein jeder, der versucht wird, wird von seinen eigenen Begierden gereizt und gelockt.
15Danach, wenn die Begierde empfangen hat, gebiert sie die Sünde; die Sünde aber, wenn sie vollendet ist, gebiert den Tod.
16Irrt euch nicht, meine lieben Brüder.
17 Alle gute Gabe und alle vollkommene Gabe kommt von oben herab, von dem Vater des Lichts, bei dem keine Veränderung ist noch Wechsel des Lichts und der Finsternis.
18Er hat uns geboren nach seinem Willen durch das Wort der Wahrheit, damit wir Erstlinge seiner Geschöpfe seien.
Liebe Gemeinde,
über das Buch des apostolischen Zeugen Jakobus wird in der evang. Kirche selten gepredigt. Schon Martin Luther hat sich über diese „stroherne Epistel“ beschwert. Für uns heute kommt noch hinzu, daß wir diese Sprache des Jakobus eher als Zumutung verstehen. Eine Sprache, die uns das Verständnis zusätzlich erschwert. Worte wie „Sünde“, „Begierde“, „Anfechtung“ gehören in unserer Alltagssprache eher zu den verlorenen Begriffen, deren Sinn uns, weil sie moralisch einseitig belastet sind, fragwürdig geworden ist. Aber mit den Begriffen haben wir auch die Thematik verloren und unseren Glauben um eine wichtige menschliche Seins- und Erfahrungsebene ärmer gemacht. Davon etwas wieder zu gewinnen, kann der Predigttext uns bei allen Barrieren anleiten.
In meiner Auslegung möchte ich mich auf die Thematik der Anfechtung konzentrieren.
Beginnen wir mit der guten Nachricht.
1) Alles Gute kommt von oben
„Alle guten Gaben kommen von oben, von dem Vater des Lichtes“ - so will Jakobus von Gott sprechen und nicht anders. Von dem Gott, bei dem kein „Wechsel zwischen Licht und Finsternis“ ist. Also nicht von einem Gott, bei dem wir nicht genau wissen, woran wir sind, keinem launenhaften Gott, wie die Götter der alten Griechen, nicht von einem manchmal guten und manchmal bösen Gott. Sondern eindeutig, ganz eindeutig klingt es aus den Worten des Predigttextes heraus: Bei Gott gibt es keine Veränderung, kein Zu- und Abnehmen des Lichtes und auch keine Verfinsterung (V.17).
Gottes Liebe und Treue halten sich also durch in unerschütterlicher Beständigkeit, und die Zielstrebigkeit, in der Gott das Heil des einzelnen und der Welt verfolgt, kennt keine Ermüdung und keine Resignation.
Von diesem Gott ist unser Text bewegt, leidenschaftlich bewegt und geprägt. Wenn wir diesen Gott verkündigten und an ihn glauben lernten, dann gäbe es kein verbogenes und neurotisches Christsein, keine Vergiftungen unserer Kinder mit einem finsteren, launischen und strafenden Gott.
Nur, klingt dies nicht fast zu schön, um wahr zu sein? „Jakobus“ möchten wir ihm entgegenrufen, „unser Leben ist anders.“ Da gibt es nicht nur gutes, sondern auch Schmerzen und Not. Und es fällt uns dann schwer, Gottes Stimme zu hören. Es ist dann eher so, daß wir sein Schweigen und seine Verborgenheit vor uns erfahren.
‚Deine seelsorgerliche Rede‘, Jakobus, ‚von Gottes Güte und seinen Wohltaten an uns, sie hilft uns nicht gegen unsere Zweifel und negativen Erfahrungen‘.
Deshalb gilt als zweites:
2) Das Leben ist anders - die Anfechtung im Glauben
Unser Leben ist tatsächlich anders. Wir sollten die dunklen Seiten dieses Lebens nicht verdrängen. Und wir sollten sie uns genauso wenig schönreden lassen. Wenn wir auf die Worte von Jakobus hören, dann gilt es einem doppelten Missverständnis zu wehren.
Der Glaube an Gott bedeutet nicht automatisch Glück, Wohlergehen und Harmonie. Das Leben der Gläubigen enthält Krisen und Konflikte genauso wie das Leben von Ungläubigen. Weil Glaubende in sich das Bild einer anderen Welt haben, das Bild von Gottes guter Schöpfung, darum ist ihr Blick auf die Lebensverhältnisse scharf ausgeprägt. Krisen und Konflikte sind nicht nur Konflikte der äußeren Welt, sondern sie bedeuten auch eine Infragestellung der guten Ordnung Gottes für diese Welt. Gläubige Menschen sind daher eher angefochten von den Problemen und Nöten in dieser Welt.
In der ersten seiner großen Invokavit - Predigten von 1522 hat Martin Luther diesen Sachverhalt so beschrieben:
„Zum vierten ist uns auch die Geduld nötig. Denn wer den Glauben hat, Gott vertraut und seinem Nächsten die Liebe erweist, in der er sich täglich übt, der kann ja nicht ohne Verfolgungen sein, denn der Teufel schläft nicht, sondern macht ihm genug zu schaffen; aber die Geduld bewirkt und bringt Hoffnung, welche sich frei ergibt und sich zu Gott aufschwingt. So nimmt durch viel Anfechtung und Anstöße der Glaube immer zu und wird von Tag zu Tag gestärkt.“ [ 1, S. 272, ]
Anfechtung, so wie Luther hier von ihr redet, setzt Glauben voraus. Glauben, der bestritten, angefochten, infrage gestellt wird. Gott ist nicht eindeutig, nicht beweisbar in unserem Leben. Darum können alle unsere Erfahrungen, die gegen Gottes Existenz gerichtet sind, zur Anfechtung, zur Bestreitung Gottes werden. Der Glaube ist strittig in der Welt, genauso wie Gott selber in der Welt strittig ist.
Darum spricht der einleitende Vers unseres Predigttextes von den Versuchungen, dem auf die Probe stellen. „12 Selig ist der Mann, der die Anfechtung erduldet; denn nachdem er bewährt ist, wird er die Krone des Lebens empfangen, die Gott verheißen hat denen, die ihn lieb haben.“ (V. 12)
Christen leben in Konflikten und Krisen. Sie verlassen sich auf Gottes Güte und deshalb erkennen sie besonders scharf das der Güte Entgegenstehende innerhalb und außerhalb ihrer selbst. Nicht Harmonie und Glück sind die Kennzeichen des Glaubens, sondern Standhaftigkeit, Mut und Courage gegen die widerstreitenden Erfahrungen des Lebens.
Anfechtungen gehören zum Glauben hinzu. Ganz nüchtern stellt dies Jakobus fest, ohne jede Tabuisierung. Sie sind gewissermaßen die Schattenseite des Lebens und des Glaubens. Sie gehören dazu, und doch drohen sie unseren Glauben zu zerstören. Das macht ihre eigenartige Ambivalenz aus. Man sucht sich diese Anfechtungen nicht selber aus, sondern wird in sie hineingestellt.
Wer es mit Gott versucht, der wird versucht. Und wer seinen Weg ins Leben sucht, auch wer ihn mit Gott sucht, der verläuft, versucht sich immer wieder, und er wird versucht. Aktiv und passiv gehen eine eigenartig schillernde Mischung ein. Daß dem so ist, hat mit unserem Menschsein zu tun, mit der Spannung von Vertrauen und Mißtrauen, von Glaube und Zweifel. Aber was haben Anfechtungen mit Gott zu tun?
'Nichts', sagt Jakobus klipp und klar. „Gott kann nicht zum Bösen verführt werden und er selbst verführt keinen (zum Bösen).“ (V. 13)
Jakobus tritt entschieden der Versuchung entgegen, die Anfechtungen ausschließlich auf Gott abzuschieben und so sich selbst zu entschuldigen und entschulden wollen, als wäre alles, was in der Welt passiert von Gott gewirkt und verursacht.
Allerdings finde ich diese Antwort nicht sehr überzeugend. Denn Gott selbst hält sich nicht heraus aus dem verwickelten Geschehen in unserer Welt, weder aktiv noch passiv. Paulus formuliert diesen Sachverhalt darum auch etwas realitätsnäher. Im 1. Korintherbrief sagt er: „Gott lässt euch nicht versuchen über euer Vermögen...“ (10,13). Das ist ja gerade das Schreckliche an der Anfechtung, dass man nicht mehr weiß, ob man es mit Gott oder dem Teufel, mit dem Gott der Verheißung oder dem Deus absconditus, dem verborgenen Gott zu tun hat.
Martin Luther, der diese Anfechtungen selber zur Genüge kannte und dem vermutlich dieses verzweifelte Fragen nach Gott zur Triebfeder seines theologischen Forschens geworden ist, er hat einmal dem Menschen in der Anfechtung einen sehr klugen und seelsorgerlich sehr sinnvollen Ratschlag gegeben. Luther schrieb: „In allem Leiden und aller Anfechtung soll der Mensch zu allererst zu Gott laufen und er soll seine Anfechtung erkennen, als sei sie ihm von Gott zugeschickt, auch wenn sie vom Teufel oder vom Menschen komme. .... Auf diese Weise lernt er Geduld und Gottesfurcht. Wer sich selber ansieht und sich nicht von Gott annimmt, der wird ungeduldig und Gottes Verächter.“ (Auslegung der Bußpsalmen, zu Psalm 6, 1517, WA 1, 159, 16ff)
Die Anfechtung, so meint Luther sehr weise, soll also zu aller erst vor Gott gebracht werden und dort als von Gott 'zugeschickt' angenommen werden, nicht weil Gott anficht oder Verursacher dieser Anfechtung ist, sondern weil keine Anfechtung außerhalb Gottes ist. Nicht als der Verursacher der Anfechtung kommt Gott ins Spiel, sondern als das Gegenüber, vor dem die Anfechtung klagend zur Sprache gebracht werden kann, von dem sie angenommen werden kann und vor dem die Standhaftigkeit und Geduld gegen die Anfechtung wächst.
Ein weiser Ratschlag, den nur jemand zu geben vermag, der selber erfahren hat, wovon er spricht. Keine Anfechtung ist außerhalb Gottes, egal vom wem sie kommt und wie schwer sie wiegt. Keine Anfechtung ist außerhalb Gottes, und darum ist sie auch nicht größer und stärker als Gott. Keine Anfechtung ist außerhalb Gottes, darum bleiben auch Gottes Verheißungen gültig. Auch die dunkelste Gottverlassenheit trennt nicht endgültig von Gott, sondern bleibt von Gott umschlossen. Dies erfahren in ganz unterschiedlicher Weise Abraham und Hiob. Und beide haben in der Anfechtung ihre Anklage gegen Gott gerichtet und um eine Antwort gerungen. In diesem Ringen ist auch die Geduld enthalten, von der Luther spricht. Nur wer ungeduldig ist, verliert Gott und wird zum Gottesverächter.
In dieser Geduld bekommen wir freilich keinen Hinweis nach dem „Warum“ des Leidens und der Widrigkeiten. Diese Frage hat ihren Platz in der Anklage gegen Gott, aber ohne Aussicht auf eine erschöpfende Antwort. Die Frage nach dem „Warum“ muss in der Klage offen gehalten werden.
Jeder menschliche Versuch einer Antwort oder einer Erklärung verbietet sich da. Es ist ja gerade das Kennzeichen der Anfechtung, dass sie „Sinn-los“ ist. Darum sollten wir nicht nach irgendeinem Sinn in ihr suchen, ihr auch keine Absicht und keine Funktion zuweisen. Weder ist das Leiden eine pädagogische Unternehmung Gottes, wie es die Freunde Hiobs verstehen, noch steckt in irgendeinem Krieg oder in irgendeiner Krankheit eine versteckte Absicht Gottes, mit der Menschen für ihre Vergehen bestrafen will.
Leiden hat keinen Sinn, auch keinen höheren, von Gott kommenden Sinn. Aber dem mit seinem Leiden zu Gott laufenden Menschen erwächst neue Kraft, auch wenn er nicht weiß, warum er leidet. Es erwächst ihm neue Kraft, weil er sich ganz auf den Lebenswillen Gottes ausrichtet.
Wer sich von diesem Lebenswillen Gottes getragen weiß, der erfährt vielleicht auch ein anderes: die Bewährung – durch die Bewahrung Gottes. Ich möchte damit nicht einer Leidensmystik das Wort reden, wie wir sie von Meister Eckart oder auch von anderen aus der Neuzeit kennen. Keiner soll das Leiden suchen oder über solche Erfahrungen glücklich sein. Ihr Ausgang ist allemal ungewiß. Aber wer der Anfechtung standgehalten hat, sich bewährt und von Gott bewahrt wurde, der darf dankbar sein, und vielleicht darf er sich auch selig nennen.
Daß jemand gereift aus der Anfechtung hervorgeht, davon erzählt die Bibel und das erleben wir auch immer wieder im Leben; in unserem eigenen, oder bei Menschen, die solches durchgemacht haben. Kein christliches oder ethisches Heroentum soll damit beschrieben werden. Aber durchgestandene Versuchungen und Anfechtungen machen stärker im Leben und im Glauben.
In diesem Sinne sagt unser Predigttext: „12 Selig ist der Mann, der die Anfechtung erduldet; denn nachdem er bewährt ist, wird er die Krone des Lebens empfangen, die Gott verheißen hat.“
Amen
Lied nach der Predigt: EG 351, 1-3+5: Ist Gott für mich, so trete gleich alles wider mich