Predigt zu Lukas 21,25-33 von Doris Gräb
21,25-33

Predigt zu Lukas 21,25-33 von Doris Gräb

Liebe Gemeinde!

Der 2. Advent macht es uns, zumindest was die Ordnung des Kirchenjahres angeht, wirklich nicht leicht. Im Gegenteil: die Texte und die Lieder fordern uns geradezu heraus. Da ist nichts, aber auch gar nichts, von freundlich-wärmender adventlicher Stimmung zu spüren. Kein Plätzchenduft, kein Glühweingeruch, kein Lichterglanz. Gar nichts von alledem dringt heute in unseren Gottesdienst herein.

Das war ja am vergangenen Sonntag, dem 1. Advent, noch ganz anders.  Die Freude auf die 1. Kerze, auf das endlich wieder gesungene „Macht hoch die Tür“,  - das geschäftige Treiben nach dem Gottesdienst auf unserem Kirchplatz, bis endlich der Weihnachtsmarkt eröffnet wurde, - das nachmittägliche Adventsliedersingen mit der Kantorei und dem Bläserchor, unserem Highlight am1. Advent: all das ist heute einer gewissen Ernüchterung gewichen. Die erste Kerze ist schon ein wenig herunter gebrannt, die zweite hat nicht mehr den Stellenwert. Unser abendliches Beisammensein im Rahmen des Lebendigen Adventskalenders ist schon wieder eingespielt. Also doch: every year the same procedure?

Und da, mit einem Mal, da ahnen wir, dass die Texte, die wir heute bedenken, die Lieder, die wir singen, womöglich doch hineinpassen in diese sich anbahnende Ernüchterung und Gewöhnung.  Kein strahlendes, erwartungsfrohes „Macht hoch die Tür, die Tor macht weit“, mehr, nein, stattdessen ein fast verzweifeltes, um Hilfe rufendes: „Wo bleibst du, Trost der ganzen Welt, darauf sie all ihr Hoffnung stellt? O komm, ach komm vom höchsten Saal und tröst uns hier im Jammertal.“

Und gerade deshalb, der Gewohnheit, dem drohenden Sichgewöhnen zum Trotz, hat dieser zweite Sonntag im Advent seine Bedeutung. Erinnert uns zumindest jetzt im Gottesdienst daran, dass es eine ganz besondere Zeit ist, die unser Aufmerken verdient. Grade, wenn wir sozusagen wieder auf den Teppich gekommen, wieder geerdet sind, und alle die Glühweingerüche und Plätzchendüfte nicht mehr an oberster Stelle unseres Seelenlebens liegen.

Und dann klingen die bedrohlichen Weltuntergangstexte, die zum 2. Advent gehören, auf einmal auch gar nicht mehr so befremdlich. Haben sie doch, zumindest beim zweiten Hinhören,  wiederum sehr viel mit unserer Realität zu tun.

„Auf Erden wird den Leuten bange sein, und sie werden verzagen, und die Menschen werden vergehen vor Furcht und in Erwartung der Dinge, die kommen sollen über die ganze Erde; denn auch die Kräfte des Himmels werden ins Wanken kommen.“ So schreibt der Evangelist LUkas.

„Ich konnte die Schreckensnachrichten einfach nicht mehr ertragen, vom Elend der Flüchtlinge in den Lagern, von den bedrohten Jesiden und Christen, von denen, die es nicht schaffen übers Mittelmeer: deswegen musste ich in den Gottesdienst kommen. Wo sonst könnte ich Trost finden?“ So sagte mir vor kurzem eine Freundin.  Und ich, fast ein wenig erschrocken: wie, um Himmels willen, kann solcher Trost denn aussehen? Was habe ich  den Schreckensbildern unserer  Zeit denn entgegen zu setzen? Haben wir ihnen überhaupt etwas entgegen zu setzen? Hatten sie es damals?

Es heißt, dass alle die biblischen Weltuntergangstexte in den Evangelien, und auch in der Offenbarung des Johannes, letztlich vor allem diesen Sinn hatten – und bis heute haben:  nämlich den Menschen gerade auf dem Hintergrund des erlebten oder befürchteten Schreckens Trost zu vermitteln, Gewissheit zu schenken, sie nicht allein zu lassen mit ihren Ängsten.

Und was unterscheidet uns dann von denen damals? Sind die Realitäten nicht sogar noch greifbarer – und wir nicht mindestens genauso des Trostes bedürftig? Gewiss, die Bilder sind andere, die uns täglich ins Wohnzimmer geliefert werden. Die Nachrichten von Hunger und Verfolgung, von Flucht und Vertreibung, von Gewalt und Krieg, von denen, die, um in der Sprache des Lukas zu bleiben, „verzagen und verschmachten vor Furcht“. – So geht es uns doch auch, wenngleich aus sicherem, gebührenden Abstand heraus.

Einerseits so satt und sicher und wohl behaust,  und andererseits so hilflos,  und so ohnmächtig. Auf der Suche nach Licht, das ins Dunkel unserer entsetzten Fragen dringt und  mehr ist als nur ein flackernder Schein am Adventskranz.  Auf der Suche nach Trost, der viel tiefer reicht als die Gerüche und Gefühle, die zu dieser Zeit gehören.

„So schau nun vom Himmel und sieh herab von deiner heiligen, herrlichen Wohnung!“ – ruft, ja schreit flehend der Prophet Jesaja. - „ O Heiland, reiß den Himmel auf, herab, herab vom Himmel lauf! Reiß ab vom Himmel Tor und Tür, reiß ab, wo Schloss und Riegel für!“ So singen wir mit dem Liederdichter und Jesuitenpater Philipp Spee, auch heute wieder. Und hoffen genau so, über die Zeiten und unterschiedlichen Bilder- und Vorstellungswelten hinweg, auf Trost, auf Hilfe, auf Erlösung aus allem Schrecken.

Und: wir haben etwas, was uns helfen kann. Tatsächlich. Trostgeschichten haben wir. Trostbilder haben wir, die bis in die Tiefe der Seele reichen, uns berühren, das Herz erleuchten, wenn wir sie nur auf uns und in uns wirken lassen.

Eine solche Trostgeschichte, ein Trostbild, hält  sogar unser Weltuntergangstext aus dem Lukasevangelium bereit, - vielleicht ist es Ihnen noch im Ohr:

„Und er sagte ihnen ein Gleichnis: Seht den Feigenbaum, und alle Bäume“. Der Feigenbaum ist der einzige Baum im Nahen Osten, der seine Blätter im Herbst abwirft – und im Frühling neu ausschlägt.  Ein sichtbares, handgreifliches Zeichen der Hoffnung, gerade in dunkler Zeit. Martin Luther hat es in einer Predigt zum 2. Advent ganz wunderbar bedacht und ausgelegt. So predigte er: „Das Gleichnis von den Bäumen, das Christus seinen Jüngern und Christen gibt, damit er ihnen den Trost desto besser einprägen möchte, ist lieblich. Unser Herrgott hat den Jüngsten Tag nicht allein in die Bücher, sondern auch in die Bäume hineingeschrieben, damit wir, so oft wir die Bäume im Lenz ausschlagen sehen, stets an dieses Gleichnis denken. Die Blätter an den Bäumen zeigen nicht den Winter an, dass es frieren, schneien und kalt werden soll, sondern zeigen die fröhliche Zeit an, nämlich den Lenz und den Sommer.“

„Oh Tannenbaum, oh Tannenbaum, wie grün sind deine Blätterl Du grünst nicht nur zur Sommerzeit, nein, auch im Winter, wenn es schneit.….“

Nein, Luther kannte die Sitte des Tannenbaums noch gar nicht. Er ist erst im 19. Jahrhundert in die Weihnachtsstuben der bürgerlichen Familien eingezogen. Aber er ist eben ein sinnenfälliges Zeichen der Hoffnung, ein sprechender Ausdruck von Trost. Spätestens, wenn ich mich mit unserem Hausmeister Ende November in Gummistiefeln auf den Weg zu einer Baumschule mache, um den sieben Meter großen Tannenbaum für unsere Johanneskirche auszusuchen,  - der dann noch weiter wachsen darf bis zum 4.Advent,  - beginnt für uns Mitarbeiter in der Gemeinde die besondere Zeit. Und wird dann noch verstärkt, wenn die Kranzbinderinnen mit ihrer Arbeit beginnen und das gespendete, durch alle Kirchenräume duftende Grün zu ihren vierhundert Kränzen für den Weihnachtsmarkt  verarbeiten. In den meisten Familien, sogar in den nichtchristlichen, ist es kaum anders. Mehr als 30 Millionen Weihnachtsbäume sind es auch in diesem Jahr wieder – wer keinen Baum hat, der, so scheint es, der feiert auch gar nicht richtig Weihnachten.

Und er sagte ihnen ein Gleichnis: „Seht den Feigenbaum, und alle anderen Bäume“ – so hören wir noch einmal Lukas. Er ist ein Symbol des Lebens. Seht ihn an, und erhebt eure Häupter, und wisst, dass der Sommer nahe ist. Seht hin, und denkt dran: das, was um euch und vor euch ist, was euch den Lebensmut nehmen und euch allen Trostes berauben will, das ist nicht alles. Es kommt eine andere Zeit. Es kommt der Sommer. Es kommt eine Zeit, in der eure Erlösung naht. – In der sich vieles ändert. In der sich die Menschen ändern - und ihr mit ihnen. Weihnachten kommt!

Ist es ein Trost? Zumindest ist es ein tröstliches Bild. Es  wird nicht kahl, nicht dunkel, nicht trostlos bleiben. Seht auf – erhebt eure Häupter. Seht, was kommt, und was euch wahrlich gut tut.

Und eine andere Trostgeschichte, ein anderes Trostbild, von Jochen Klepper. Im Jahr 1938, dem Jahr der Reichspogromnacht, schreibt er sein unvergleichlich tröstliches Lied: „Die Nacht ist vorgedrungen, der Tag ist nicht mehr fern. – Auch wer zur Nacht geweinet, der stimme froh mit ein, der Morgenstern bescheinet auch deine Angst und Pein.“ Und: „Noch manche Nacht wird fallen auf Menschenleid und – Schuld, doch wandert nun mit allen der Stern der Gotteshuld.“ In seiner berechtigten, ihn dann letztlich auch ganz und gar aufzehrenden  Angst um seine jüdische Frau, um die halbjüdische Tochter, hat er noch die Kraft, von solchem Trost zu sprechen und zu singen. – Wagt er es, den Blick zu heben, das Haupt zu erheben, und nach dem Morgenstern Ausschau zu halten, dessen Schein das Ende der Nacht anzeigt.

Und schließlich noch eines, ein letztes Trostbild: Beim Betreten der meisten Kirchen ist unser Blick nach Osten gerichtet, dorthin, wo die Sonne aufgeht - zu dem Gott, der in die Welt gekommen und den Tod überwunden hat.

Der Weg aus der Kirche führt uns dann nach Westen, dorthin, wo die Sonne untergeht. Zeichen ist sie für das  Vergehen des Lebens und der Welt.  In vielen mittelalterlichen Kirchen haben die Baumeister  nun gerade dort im Westwerk Glasfenster mit wunderbaren Rosetten gestaltet, die beim Licht der untergehenden Sonne in vollem Glanz erstrahlen – um, ja um die Furcht zu überwinden und auch noch im Bewusstsein des Vergehens das Leben feiern zu können.  Wir kennen solche wunderbaren Fenster aus den großen Kathedralen.

Trost, in aller Trostlosigkeit. Trostbilder, die uns inmitten der vielfach grausigen Realitäten erleuchten – und uns voller Freude den Advent feiern lassen können.

Nicht mehr, aber auch nicht weniger gilt es an diesem 2. Advent zu sagen. Der grüne Baum, der Morgenstern am noch dunklen Horizont, das bunte Glas im Licht der untergehenden Sonne: sie sollen uns dessen gewiss machen, dass wir etwas zu hoffen, zu erwarten haben. Dass sich etwas ändern wird in dieser unserer kalten Welt. Dass wir uns verändern. Dass sich unser Blick verändert. Dass mitten im Grauen Gott kommt, da ist, - und das Leben, trotz allem, schön ist, schön wird. –

Auch wir dürfen gewiss sein, was uns Jochen Klepper verspricht: „Noch manche Nacht wird fallen auf Menschenleid und – Schuld, doch wandert nun mit allen der Stern der Gotteshuld. Beglänzt von seinem Lichte hält euch kein Dunkel mehr, von Gottes Angesichte kam euch die Rettung her.“  Amen

Perikope
Datum 07.12.2014
Bibelbuch: Lukas
Kapitel / Verse: 21,25-33
Wochenlied: 6
Wochenspruch: Lk 21,38