Und er wurde Licht - Predigt zu Jesaja 9,1-6 von Bernd Giehl
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Und er wurde Licht - Predigt zu Jesaja 9,1-6 von Bernd Giehl

Liebe Gemeinde!

Gleich als ich es sah, habe ich gewusst, von wem das Bild stammt. Diesen Maler kenne ich. Den erkenne ich, ohne dass er mir vorgestellt wird. Allein an der Art, wie er seine Personen darstellt. Wenn ich es nicht besser wüsste, würde ich sagen: es ist eine Frau, die hier den Pinsel führt. Die den Augenblick wählt, in dem sie ihr Sujet einfängt. Es liegt ja nahe, weil dieses Bild so intim ist. So ungeheuer zärtlich. Aber wie viele malende Frauen gab es denn? Noch dazu in einer Vergangenheit, die lang zurückliegt? Angelika Kauffmann fällt mir ein, die Porträtmalerin der Goethezeit.  Aber ihre Bilder sind bei weitem nicht so intim. So dass man das Gefühl hat, man wohne einer Szenerie bei, die nicht für die Augen eines Anderen bestimmt sind. Man würde ja gar nicht eintreten, wenn der Maler einen nicht ausdrücklich einlüde. Vielleicht wird man später Eintritt dafür bezahlen müssen, dass man zuschaute, aber das ist jetzt nicht wichtig. Sicher wird man nicht mehr bezahlen müssen, als man dafür bekam. Denn der Mann der uns eingelassen hat in sein Allerheiligstes sieht eigentlich ganz vertrauenswürdig aus. Er selbst habe das Bild gemalt und er werde nicht mehr verlangen, als recht und billig ist. Sagt er. Also sind wir in das kleine Zimmer hineingegangen und er hat sich taktvoll entfernt. Und dann haben wir geschaut und gestaunt

 

Ach ja. Bevor ich’s vergesse will ich auch noch erwähnen, dass ich auch diesen Text erkenne, den wir vorhin gehört haben. Auch dann, wenn ich ihn nicht selbst vortrage. Dann weiß ich sofort, von wem er stammt. Ist ja auch kein Wunder. Den habe ich ja oft genug gelesen.

Na klar doch. Ich bin ja auch ein altgedienter Kirchgänger. Meist kann ich  den Verfasser an seiner Sprache erkennen.  Können Sie bei Gelegenheit ja mal nachprüfen.

Aber dieser Text ist noch mal was Besonderes. Er ist so voller Liebe. Zu einem einzelnen Menschen zu einem Volk, zu uns. Er verheißt den Frierenden Wärme, den Verirrten Licht und Orientierung:

 

Du machst des Volkes viel; du machst groß seine Freude. Vor dir wird man sich freuen, wie man sich freut in der Ernte, wie man fröhlich ist, wenn man Beute austeilt. Denn du hast das Joch ihrer Last und die Rute ihrer Schulter und den Stecken ihres Treibers zerbrochen wie zur Zeit Midians. Denn alle Rüstung derer, die sich mit Ungestüm rüsten, und die blutigen Kleider werden verbrannt und mit Feuer verzehrt werden. Denn uns ist ein Kind gegeben, ein Sohn ist uns geboren und er heißt „Wunderbar Rat Gott Held, Ewig-Vater, Friedefürst.

Frieden wird er bringen. Und Freiheit. Und das, obwohl er noch so jung ist. Toll, dass das ausgerechnet ein Prophet sagt, der normalerweise eher droht, als dass er Heil ankündigt.

Respekt, Herr Jesaja. Aber Sie müssen verzeihen. Ich kann mich momentan nicht um Sie kümmern. Ich habe noch mehr Verpflichtungen. Lassen sie sich ein Glas Sekt geben und bleiben sie noch ein bisschen. Es interessiert mich wirklich, was sie mir von diesem Kind, das den Frieden bringen wird, erzählen können. Aber verzeihen Sie, ich habe jetzt noch ein Rendezvous. Doch nicht, was Sie denken. Nicht mit einer Frau. Vielmehr mit einem Maler und seinem Bild. Ja sicher. Bei Gelegenheit werde ich Sie mitnehmen und Ihnen das Bild vorstellen. Falls Monsieur de la Tour das erlaubt. Aber jetzt seien Sie doch so freundlich und reden ein paar Minuten mit meiner Frau. Ja sicher, die ist auch da. Gestatten: Herr Jesaja – Frau Giehl.

Aber jetzt schnell weiter. Wirklich hektisch, diese Advents- und Weihnachtszeit. Nirgendwo kann man länger bleiben. Kaum ist man da, schon muss man weiter. Aber glücklicherweise ist der Maler noch anwesend. Sitzt versunken in seiner Ecke im Nachbarzimmer.  Hat von unsrer kleinen Weihnachtsparty wohl nur den Lärm mitbekommen- Ich muss laut klopfen, dann öffnet er. Sein Bild hängt immer noch an der Wand. Was für ein Glück, dass er nicht zur Gesellschaft im Nebenraum gestoßen ist. Er würde nicht passen mit seinem Bauernkittel und seinem grobknochigen alten Gesicht. Und das Französisch, das er spricht ist wirklich außerordentlich schlecht. Ein Lothringer eben. Spricht so wie sie im 18. Jahrhundert geredet haben. Kaum zu verstehen. Ich habe ihn schon mal gesehen. Ich glaube, er war der alte Hirte auf seinem eigenen Bild von der „Anbetung der Hirten.“ Kann’s bei Gelegenheit ja mal überprüfen.

Aber sein Gemälde. So etwas Schönes habe ich schon lange nicht mehr gesehen. Die Anmut dieser Frau. Schön ist sie ja eigentlich nicht. Aber wie andächtig sie dieses Kind ansieht. Fast schon versunken. Kinder sind ja wirklich niedlich, wenn sie nicht gerade schreien. Und ja doch. Es schläft. So als befände es sich in der besten aller Welten. Es hat den Mund offenstehen. Vielleicht träumt es ja von den Armen seiner Mutter. Die Kerze mit ihrem langen Docht und der großen Flamme scheint es nicht zu stören. Auch die Mutter scheint es nicht zu vermissen. Die Frau, die da vor dem Kind sitzt, ist nämlich gar nicht die Mutter, sondern es ist die Großmutter. Die heilige Anna mit dem Kinde, so heißt das Bild und wenn mich Monsieur de la Tour nicht vorhin informiert hätte, hätte ich es nicht gewusst. Aber ihre Zärtlichkeit, mit der sie das Kind betrachtet, steht der einer Mutter in nichts nach. „Nichts soll dir schaden“, flüstert sie dem Kind zu. „Die Welt ist sicher kein guter Ort für ein kleines Kind wie dich, aber solange ich noch am Leben bin, will ich dich vor ihr schützen. Nichts und niemand soll dir wehtun. Dafür wollen deine Mutter und ich sorgen.“

Ich höre ihren Worten zu. Sie sind schön. Und doch zweifle ich an ihnen, Wie soll das gehen? Wie kann man überhaupt irgendeinen Menschen beschützen vor den Gefahren der Welt. Die von außen kommen, von Ereignissen, auf die wir keinen Einfluss haben, aber auch von innen.  Von der eigenen Überheblichkeit. Plötzlich fällt mir etwas auf, Das Licht verändert sich. Es flackert. Es ist gar kein elektrisches Licht. Es ist der Maler selbst, der sein Bild beleuchtet. Mit einer Kerze.

„Gehen Sie nicht zu nah ran“, sage ich unwillkürlich. „Pardon?“ höre ich eine Stimme hinter mir. Ich sage es noch einmal auf Französisch. Er tritt einen Schritt zurück. Das Bild wird dunkler. Besser? fragt er? Ich nicke. Auf jeden Fall geheimnisvoller. Es braucht dieses dunkle Licht. Es mag paradox klingen aber ich sage: In diesem Zwielicht sieht man das Wesentliche besser. Aber jetzt muss ich wirklich weiter. Entschuldigen Sie. Excusez moi Monsieur de la Tour.”

Als ich wiederkomme, ist die Party noch in vollem Gang. Vielleicht sogar noch ein bisschen lauter als vorhin. Auch Herr Jesaja hat jetzt einen kleinen Kreis von Zuhörerinnen un sich geschart. Er sieht ein bisschen exotisch aus mit seinen nackten Beinen, dem Rock und dem lässig um die Schulter geworfenen Wolfspelz, aber das scheint ihn für die Damenwelt attraktiv zu machen. Der Wolf im Wolfspelz.

Eine Weile höre ich ihren Gesprächen zu. Er spielt seine Rolle gut. Erzählt von seinem Leben als Prophet im Südreich. Davon wie er mehr und mehr geschnitten wird, gemieden von den Mächtigen um den König Hiskia, verlacht vom Volk, weil er sagt was Sache ist. Dass das Reich nicht dauern wird, weil die Reichen die Armen unterdrücken und ausrauben. Dass die Assyrer kommen und alles zerstören werden, weil Israel seinem Gott nicht mehr folgt. Wie ihm schließlich niemand mehr zuhören will, weil seine Visionen so schrecklich sind.

„Ich kenne aber eine, die nicht schrecklich ist, sage ich. Gerade eben habe ich sie gesehen.“ Jetzt habe ich seine ganze Aufmerksamkeit. „Ist er gekommen?“ fragt er. „Der Friedefürst?“ „Wer, bitte?“ fragt eine schrecklich mondäne Dame, ebenfalls mit Pelz. Leopard, vermute ich. „Der Friedefürst“, entgegnet er noch einmal, ungeduldig, wie es scheint. Was kümmert ihn die Dame. Jetzt will er es wissen. „Sie hatten keine Ahnung, dass er existiert?“ „Wie sollte ich denn? Ich sah ihn doch nur in Umrissen. Wie im Nebel. Ein Schatten, mehr nicht.“ „Aber Sie glaubten ihm. Dass er kommen würde?“ „Ist er denn wirklich gekommen?“ „Sieht ganz so aus“. „Dann zeigen Sie ihn mir.“

Wir gehen in die kleine Kammer, die jetzt im Halbdämmer wie eine Abstellkammer wirkt. Monsieur de la Tour ist noch da. Er will sein Bild gerade in eine speckige Ledertasche einpacken. „Halt“, sage ich. „Das dürfen Sie nicht.“ Er sieht mich verständnislos an. „Was wollen Sie?“ fragt er auf Französisch. „Es ist doch niemand da. Personne ne viendra. Niemand wird kommen. Was also begehren Sie?“

„Wir wollen beide das Bild sehen. Sie kennen mich doch. Vorhin haben Sie mit mir gesprochen.“ „Comme vous voulez“, sagt er „Wie Sie meinen“.

Er packt das Bild wieder aus der Tasche. Entzündet die Kerze zum zweiten Mal. Löscht das Licht. „Diesmal muss ich aber wirklich Eintritt fordern.“ Ich gebe ihm einen Geldschein. Er nickt, tritt vor das Bild und beleuchtet es mit seiner Kerze. „Ist er das?“ frage ich den Propheten. Der nickt. „So sah er aus in meinem Traum. Klein, verletzbar. Und doch ein großer Herr. Ein Mächtigerer als er selbst würde ihn beschützen.

„Und sie? Die Dame auf dem Bild. Ist sie es, die ihn beschützen wird? Er tritt näher, besieht sich das Bild, dann zieht er mächtige Augengläser aus der Tasche. „Ich weiß nicht, wer das ist. Seine Mutter? Seine Amme? Nein, sie ist es nicht.“

„Es ist seine Großmutter. Anna heißt sie. „Anna, hörst du mich?“ Jetzt spricht er zu dem Bild. Ich warte. Horche. Sie ist leise. „Ich höre dich. Wer bist du?“

„Ich bin der Prophet Jesaja. Ich habe sein Kommen vorausgesagt. Jedenfalls wenn er der Friedefürst ist.“ „Du bist Jesaja? Und kannst mit mir sprechen?“ „Wie du siehst. Oder vielmehr hörst. Was sagst du.

„Toll. Über so große Entfernung. Ein Wunder. Wie machst du das?“

„Keine Ahnung. Ein Wunder eben. Gelobt sei der Herr.“

„Du hast Recht. Gelobt sei sein Name.“

„Bist du die Königin?“

Sie lächelt. „Nein“, sagt sie, „das ist meine Tochter.“

„Ist sie Hiskias Frau?“

„Oh nein. Sie ist die Frau keines Menschen. Sie ist die Himmelskönigin.“

„Davon habe ich noch nie gehört“, sagt Jesaja. „Was ist das: eine Himmelskönigin?“

„Sie regiert im Himmel und auf Erden.“

„Das ist mir zu katholisch“, versuche ich zu protestieren.“

„Katholisch oder nicht: Es ist die Wahrheit.“

„Ich dachte immer: Gott regiert die Welt.“ Auch Jesaja scheint noch nicht überzeugt.

„Er hat es ihr aufgetragen. Sie regiert gemeinsam mit ihrem Sohn. Dem, den du hier siehst.

„Und er ist sanft? Ein Held des Friedens?“

„Das ist er“, sagt sie stolz. Schließlich ist er Gottes Sohn. Und mein Enkel.“

Jetzt scheint Jesaja völlig von der Rolle. Er will protestieren aber der Maler macht jetzt Anstalten, sein Bild wegzupacken. Schon öffnet er seine speckige Tasche. „Jetzt reicht’s“ sagt er traurig. „Ein Bild kann doch nicht reden. „Genug Gaukelei für heute. Ich gehe. Bezahlt haben Sie ja schon. Quittung gibt’s keine.“

„Warten Sie bitte. Ich bezahle noch einmal.“ Schon öffne ich meine Börse, aber als ich ihm das Geld geben will, ist er verschwunden und die Münzen fallen auf den Boden. Wir gehen aus der jetzt leeren Kammer aber er bleibt verschwunden. Als ob er zaubern könnte,. „Er ist weg“, sage ich zum Propheten. Und sein Bild hat er auch mitgenommen.“

„Schade. „Ich hätte es mir auch gern noch einmal angesehen.“

„Und mit ihr geredet?“

„Auch das“, erwidert er. „Geht aber nicht mehr. Ist weg.“

„Wie war das möglich?“ frage ich.

„Sie haben es doch gehört. So war es eben.“

„Vielleicht weil Weinachten  war?

„Ich nenne es Chanukka. Das Fest der Lichter, die in der Dunkelheit aufstrahlen.“

„Also war es deshalb möglich?“

„Ja. Deshalb. Weil er das Licht ist. Weil wir ihn sehen können, Und mit ihm reden. Er hat es möglich gemacht.“

„Und jetzt ist er weg?“

„Nicht ganz. Sein licht strahlt immer noch. Es leuchtet in uns. Auch für andere.“

Und tatsächlich. Auch er leuchtet. Von innen heraus. Auch die anderen Besucher der Weihnachtsparty sehen es. Sie wollen jetzt alle mit ihm reden. Alle auf einmal. Aber er will das nicht. Also verlassen wir jetzt die Party. Und gehen hinaus.

Auch andere sollen das Licht sehen können. Egal ob an Chanukka oder Weihnachten.