„Christi Himmelfahrt ist kein Fest der Kirche.“ - Predigt zu Offenbarung 1,4-8 von Friederike Erichsen-Wendt
Vorbemerkung:
Die Predigt setzt einen Gottesdienstort „im Freien“ voraus, wie es in vielen Gemeinden üblich ist.
Predigtmanuskript:
Wir hören auf Worte aus der Johannesoffenbarung im ersten Kapitel (VV. 4-8):
Johannes an die sieben Gemeinden in der Provinz Asia: Gnade sei mit euch und Friede von dem, der da ist und der da war und der da kommt, und von den sieben Geistern, die vor seinem Thron sind,
und von Jesus Christus, welcher ist der treue Zeuge, der Erstgeborene von den Toten und Fürst der Könige auf Erden! Ihm, der uns liebt und uns erlöst hat von unsern Sünden mit seinem Blut und uns zu einem Königreich gemacht hat, zu Priestern vor Gott und seinem Vater, dem sei Ehre und Gewalt von Ewigkeit zu Ewigkeit! Amen. Siehe, er kommt mit den Wolken, und es werden ihn sehen alle Augen und alle, die ihn durchbohrt haben, und es werden wehklagen um seinetwillen alle Stämme der Erde. Ja, Amen.
Ich bin das A und das O, spricht Gott der Herr, der da ist und der da war und der da kommt, der Allmächtige.
Zwischen a und o.
Anfang und --- Unter freiem Himmel und doch mit Ort, an einem alten Ort und an einem neuen Tag. Die ersten Buchstaben sind keine Buchstaben. Das erste Licht beleuchtet nicht die Worte, das erste Wort aber schuf die Welt. Und wir sind hier. Auf dieser Welt. Mittendrin. Zwischen A und O. Anfang und Offenem. Arbeit und Osterlachen. Ordnung und Aufatmen. Orientierung und Aufbrechen. Das ist das A und O, sagen wir, und meinen: Das ist doch am Allerwichtigsten. „Ich bin das A und O“, weiß die Johannesoffenbarung von Gott. Ich bin’s: Anfang und Offenes, Arbeit und Osterlachen, Ordnung und Aufatmen, Orientierung und Aufbrechen. Christi Himmelfahrt ist die Geschichte, in der Gott sich zeigt. Das klingt widersprüchlich: Denn es wird doch erzählt, dass Jesus gen Himmel verschwindet, unserem Blick gerade eben entzogen ist. Entzogen sich zeigend. Eine besondere Zwischenzeit, in der Schwebe. Ich weiß nicht, was werden wird. In der Schwebe sein. Werde ich wieder gesund? Wie wird es sein, krank zu bleiben? In der Schwebe sein. Ob es klappt – mit dem neuen Job, eine neue Aufgabe, ganz anders leben? In der Schwebe sein. „Sie liebt mich, sie liebt mich nicht.“ Mitten in der Schwebe tauchen diese großen Worte auf: Angst und Hoffnung, Abschied, Verheißenes, Trauer, Vorfreude. Das steht noch in den Wolken, sagen sie. Christus kommt mit den Wolken, sagt die Johannesoffenbarung. Da und doch nicht da.
Wir leben, als sei Jesus bis gerade eben an unserer Seite gewesen. Ganz nah sind uns diese Worte: Selig sind, die reinen Herzens sind. Kommt her zu mir, die ihr mühselig und beladen seid. Steh auf – nimm dein Bett und geh. Mit dem Reich Gottes ist es wie mit einem Senfkorn. Worte, die prägen. Eigentlich. Und dann sind da die Abschiede, Trauer und Angst. Es wird anders. Bleibt alles anders. Wichtiges und Nahes steht auf dem Prüfstand: Personalstellen, Gebäude, Gottesdienstorte. Leben auf den Prüfstand gestellt. Das der Kirche, und wie viel mehr all das, was mich umtreibt.
Auf-sich-gestellt, allein. Da ist keine, die sagt, wie es geht. Wir hätten darauf vorbereitet sein können. Jesu Jünger waren es. Seit Gründonnerstag. Diese Tage, an denen man sich doch eigentlich darauf einstellen könnte – auf das, was da kommt. Trotzdem ist jetzt das Entsetzen groß. Wir wissen, was ansteht. Und sind doch bewegt.
Denn es geschieht etwas, was wir selbst nicht in der Hand haben. Ich werde über mich selbst hinausgerissen. Emporgezogen. Hinuntergestoßen. Außerhalb meiner selbst bei mir. Bis eben noch war alles so wie immer. Nun jetzt? Jetzt ist alles anders. Wie Allein-Sein fühlt sich das an. Als Christin zu leben. Als Gemeinde zu entscheiden: Das eine oder das andere, gemeinsam oder doch lieber allein. Christus kommt mit den Wolken. Sagt die Schrift. Seht den Himmel an! Christus bleibt entzogen nicht unsichtbar. Sichtbar – sieh auf! Zu den Bergen, zu Deinem Nächsten, auf Deine Kirche! Erlebbar – sieh auf! Auf Deine Freude, Deine Hoffnung, die Verheißung, auf die Sommersonne, den neuen Tag.
Alle werden ihn sehen. Die, die jeden Sonntag treu in die Gottesdienste gehen. Niemand kann sagen: Ich habe jemals eine leere Kirche von innen gesehen. Wenn Du die Glocken hörst und Dich noch einmal im Bett umdrehst. Die Busfahrerin, die Dich zur Arbeit fährt. Rudi, der am Pfarrhaus klingelt und an jedem Monatsletzten dringend ein Rezept für seine kranke Frau einlösen muss. Die Alte mit dem Kopftuch, die immer im Fenster sitzt und auf der Straße nach dem Rechten schaut. Die, die alles wissen und die, die nichts wissen. Die, die mehr sehen als andere und die, denen die Welt die Augen trüb gemacht hat. Alle werden ihn sehen.
Christi Himmelfahrt ist kein Fest der Kirche. Es ist für alle. Mag sein, es ist dafür auch ein Zeichen, dass wir heute mit unserer Musik, unseren Gebeten und der Bibel nach draußen gehen. Es ist für alle. Jesus verlässt Wenige, um allen nah zu sein.
Die Johannesoffenbarung erzählt dazu etwas Überraschendes: Alle werden deshalb klagen. Wiedersehen macht offensichtlich nicht immer Freude.
Der Trost der Nähe geht mit der Wahrheit Hand in Hand. Trost und Wahrheit gehen Hand in Hand. Dieser Wahrheit: Das Leid, das geschieht, verdunkelt die Würde der Menschen, greift sie an, zieht und zerrt an ihnen. Nicht aber Gottes. Dieses mächtige Bild Gottes in den Himmeln ist all denen Trost, die sich selbst nicht mehr wiedererkennen angesichts des Leides, das ihnen geschehen ist. Die entstellt sind. Verkrümmt. Gebeugt. Blind. Taub. Auf sich geworfen.
Alle werden klagen. Niemand wird mehr Unrecht leugnen, schönreden, verharmlosen. Niemand wird sagen: Das wird schon wieder.
Gottes Trost ist kein kleiner Trost. Gottes Trost ist, wenn unsere ersten Buchstaben keine Buchstaben sind, sondern Stammeln, Ringen, Suchen. Gottes Trost ist groß. Gottes Wahrheit ist groß.
Lasst uns groß davon reden. Auch in kleinen Gemeinden dem großen Trost trauen. Der Klage Raum geben. Und wissen: Gottes Würde bleibt. Wirkt in dieses Kleine hinein. Großer Trost und große Wahrheit nehmen dein kleines Leben in die Mitte und fassen Dich an der Hand. Und wenn der Stein zu mächtig ist, der in Deinem Weg liegt, dann heben sie dich an und schwingen dich drüber. Und ein bisschen was von den Wolken legt sich – wie früh am Morgen, kurz bevor die Sonne aufgeht, über den Erdboden, über das Kopfsteinpflaster Deines Lebens, damit Du gut landest.
Was wir glauben, werden dereinst alle sehen. Und wer all dies geschaffen hat, ist A und O. Die ersten Buchstaben sind keine Buchstaben. Sie sind Staunenslaute. Oh! Ah!
Alle werden sehen. Doch sieh Du auf Dein eigenes Leben! Wo bin ich an die Hand genommen, von Trost und von Wahrheit?
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Das Erste, was wir sagen könnten, sind keine Worte. Keine Buchstaben. Staunenslaute: Oh! Ah! – Wenn Sie mögen, können Sie einen Moment lang probieren, wie das für Sie klingt: Vielleicht hören Sie nur in sich diesen Ton, vielleicht ist er ganz leise, nicht mal Ihr Sitznachbar hört ihn, vielleicht ist er aber auch ganz nachdrücklich und laut, so dass es Sie selbst überrascht. Wir haben dafür einen weiteren Moment lang Zeit. Gottes Welt ist groß genug für all dieses Staunen.
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Ganz unbehaust und doch zuhause. Gottentzogen und doch von Trost und Wahrheit an die Hand genommen. Denn Gott spricht: Ich bin, der da ist und der da war und der da kommt.
Amen.