Liebe Gemeinde!
Maria und Martha. Zwei Frauen. Zwei Schwestern die man sich, nach allem, was wir aus der Erzählung des Lukas erfahren, verschiedener kaum vorstellen könnte.
Die eine zupackend, praktisch, fleißig, mit beiden Beinen fest auf dem Boden,
die andere eher meditativ veranlagt, nachdenklich und interessiert am Gesetz und den Propheten. Vielleicht wirkt sie auf ihre Schwester sogar ein klein bisschen weltfremd und abgehoben?
Nun ist Verschiedenheit an sich eigentlich nichts Schlimmes, jedenfalls solange man nicht eins gegen das andere ausspielt.
Genau das ist aber immer wieder versucht worden, indem man die Geschichte von Maria und Martha heranzog, um die Frage zu klären: Was ist wichtiger, Diakonie oder Gottesdienst? Meditation oder Aktion? Weltverbesserung oder Mission?
Eine merkwürdige Alternative, die ich immer schon schwierig gefunden habe!
Und bei Martha und Maria?
Ich merke: Ich mag die Martha, sie ist mir, wenn ich es recht bedenke, sogar recht sympathisch! Sie packt zu, sieht offenbar schnell was nötig ist, und sie kümmert sich. Sie nimmt das Gebot der orientalischen Gastfreundschaft sehr ernst.
Es hört sich ganz so an, als könnte man sich so richtig wohlfühlen in ihrem Haus.
Alles sauber und ordentlich, die Gäste sind bestens versorgt, das Essen schmeckt, die Atmosphäre stimmt, es würde sich bestimmt gut machen in unserem Juister Insel-Ferienkatalog.
Und trotzdem kommt Martha nicht besonders gut weg in der Auslegungsgeschichte des Textes. Auch in so manchem Gespräch über die Geschichte habe ich erlebt, dass Martha eher kritisch beäugt wurde.
„Martha, Martha“ spricht Jesus sie an. Klingt diese Wiederholung ihres Namens nicht tatsächlich nach erhobenem Zeigefinger? Nach Kopfschütteln und Ablehnung?
Ganz schnell hören viele merkwürdigerweise sofort einen Vorwurf aus Jesu Worten heraus. So als würde er sagen: „Martha, du machst aber auch wirklich alles falsch! So geht das nicht, hör endlich auf rumzuwirbeln und setz dich doch endlich auch einmal ruhig hin und hör mir zu!“
Aber genau das sagt er gerade nicht, sondern: „Du hast viel Sorge und Mühe“. Ich finde, da schwingt auch ganz viel Anerkennung mit, so etwas wie:
„Ich sehe wohl, dass du dir für uns so viel Arbeit machst, Martha! Schön, dass du für uns kochst, wir freuen uns schon auf das Essen.“
Dass Gäste viel Arbeit machen und mitunter auch einige Probleme verursachen, dazu könnten die Insulaner mit Sicherheit viel erzählen: Gerade wenn man mit Gästen sogar seinen Lebensunterhalt verdient!
Über die Arbeit an sich beklagt Martha sich gar nicht, sie ärgert sich bloß darüber, dass ihre Schwester nicht mit anfasst. Sie findet es nicht in Ordnung, dass sie alles allein am Hals hat! Die könnte auch mal was tun, statt einfach nur dem Rabbi zu Füßen zu sitzen und zuzuhören.
Außerdem habe ich den Eindruck, dass sie sich Sorgen macht um Maria.
Denn natürlich weiß sie, was das für ein Skandal ist, dass ihre Schwester bei einem Lehrer sitzt, bei den Männern! Als Frau! Das gehört sich doch einfach nicht!
Sie wird noch dazu die Familie in Verruf bringen!
Allerdings steht Martha ihrer Schwester, was den Skandal angeht, im Grunde in nichts nach. Martha ist in der Geschichte immerhin die, die Jesus eingeladen hat in ihr Haus, und wahrscheinlich auch seine Jünger. Auch das gehörte sich nicht für eine Frau in dieser Zeit! Aus einer anderen Geschichte wissen wir, dass die beiden einen Bruder haben, Lazarus. Aber er tritt hier nicht in Erscheinung; Wenn er der Einladende gewesen wäre, hätte Lukas das mit Sicherheit erwähnt.
Beide Frauen überschreiten also die Grenzen ihrer Zeit, ihres Kulturkreises.
Und Jesus? Jesus lässt sich darauf ein, er kommt ins Haus, er lässt sogar Maria zuhören und jagt sie nicht weg. Auch das ist eine Grenzüberschreitung!
Jesus versucht, und das ist ein entscheidender Punkt in der Geschichte, in Martha Verständnis zu erwecken für das, was Maria tut: „Lass sie nur, das ist schon o.k. so, sie darf mir zuhören. Ich traue euch zu, dass ihr verstehen könnt, was ich erzähle.“
Von Maria heißt es: Sie hat das gute Teil erwählt, das eine, was notwendig ist zum Leben!
Aber klingt das nun nicht doch ein bisschen nach Vorbild? Nach Kritik am fleißigen Herumwirtschaften?
Andererseits braucht doch auch jede Familie, jeder Verein und jede Kirchengemeinde diese „Marthas“. Leute, die anpacken, Tee machen, Kaffee kochen, Kuchen backen, Tische decken, damit ein Fest stattfinden kann, oder damit der Betrieb läuft. Das sind eben auch bis heute vor allem Frauen;
die auch hinterher wieder Abwaschen und Aufräumen, damit andere sich hinsetzen können, reden und diskutieren und Beschlüsse fassen. Zum Glück bietet sich in Vorstands- und Synodensitzungen heute ein sehr viel bunteres Bild! Frauen an Rednerpulten sind inzwischen doch selbstverständlich geworden. Und ich freue mich immer, wenn z.B. beim Seniorennachmittag Männer Tee und Kuchen verteilen.
Sicher, Martha „schmeißt den Haushalt“ allein. Vermutlich ist das keine neue Rolle für sie. Das kennt sie schon von sich, vermutlich geht sie oft bis an ihre Grenzen – oder drüber hinaus – und hält das vielleicht sogar für ihre Pflicht!
Aber jetzt hat sie endgültig die Nase voll. Ich denke, sie merkt auch: Ich kann einfach nicht mehr! Und ich habe auch keine Lust mehr! So kann es nicht weitergehen.
Und nun platzt ihr der Kragen. Vielleicht kennen Sie dieses Martha-Gefühl? Sie fühlen sie sich im Stich gelassen und vor allem nicht wirklich gesehen mit dem, was Sie leisten. Da kann das Gefühl aufkommen: Alles muss ich immer alleine machen. Nie ein bisschen Unterstützung!
Martha meint nun auch noch zu hören: Was machst du dir auch so viel Arbeit! Du bist ja selbst schuld, wenn du meinst, dass du den ganzen Tag in der Küche stehen musst. Was kümmerst du dich auch dauernd um anderer Leute Sachen, lass die das doch selbst machen.
Oder: es muss ja auch nicht immer ein Fünfgangmenue sein, der Pizzaservice tut’s doch vielleicht auch mal!
Und wieder: Selber schuld!
Und Martha? Martha klärt das Problem nicht direkt, sie geht nicht zu ihrer Schwester Maria und sagt: „Weißt du, du könntest jetzt aber wirklich mal eben mit anfassen! Ich schaffe es nicht allein, übernimm doch bitte den Tomatensalat, und Hummus mit Falafeln brauchen wir auch noch“. Nein, sie geht zu Jesus, und will ihn dazu bringen, dass er Maria Bescheid stößt!
Das kommt mir auch sehr bekannt vor, in vielen Paar-, Familien- oder Teamberatungen läuft das ganz ähnlich: „Sagen Sie doch mal meiner Frau/ meinem Mann, meinem Kollegen, dass das so nicht geht...!“ Ich fühle mich als Beraterin instrumentalisiert, man erwartet von mir, dass ich ein Problem löse, was die Ratsuchenden selbst miteinander nicht hinkriegen.
Es könnte sein, dass auch Maria und Martha schon länger miteinander im Clinch liegen. Nun ist die Gelegenheit günstig. Jesus ist da, und er soll sagen wie die Aufgaben zu verteilen sind.
Und die Frage schiebt sich nun doch wieder dazwischen: Was ist denn nun wichtiger, Hören oder Handeln?
Glaube oder Werke? Meditieren oder helfen? Beten oder Sozialarbeit?
Trotzdem, wenn man es so zuspitzt, merkt man vielleicht, wie komisch es klingt, dieses Entweder-Oder.
Der Evangelist Lukas erzählt die Geschichte übrigens an einer interessanten Stelle in seinem Büchlein: Zuerst lesen wir (im 10. Kapitel), dass ein Schriftgelehrter zu Jesus kommt und ihn fragt: „Was muss ich tun, um das ewige Leben zu haben?“ Und Jesus fragt zurück: „Was liest du denn? Was steht im Gesetz?“ Das weiß der Schriftgelehrte gut, er hat es lange studiert und kann es auswendig aufsagen, das Doppelgebot der Liebe: „Du sollst Gott deinen Herrn lieben von ganzem Herzen, mit ganzer Seele und mit all deinem Gemüt – und deinen Nächsten wie dich selbst.“
Und als Beispiel erzählt Jesus die Geschichte vom Barmherzigen Samariter!
Der hatte das verstanden: als er den halbtoten Mann an der Straße liegen sieht, kommt’s drauf an, zuzupacken und zu helfen, und nicht vorbeizugehen wie die andern vor ihm. Anschließend erzählt Lukas die Geschichte von Martha und Maria! Und nun kann man verstehen: Lukas will sagen: Beides ist wichtig! Beides hat seine Zeit!
Beten und Handeln lässt sich gerade nicht gegeneinander ausspielen!
Das wird mir besonders deutlich, wenn ich an die Krisengebiete unserer Erde denke, an hungernde, in Kriegen traumatisierte Kinder, die ganz sicher unsere praktische Hilfe brauchen. Aber eben auch unsere Gebete und unser Nachdenken und Stellung nehmen zu Fragen des Friedens und der Gerechtigkeit.
Schade, dass Lukas die Geschichte nicht noch weitererzählt!
So wissen wir nicht, ob Martha anschließend vielleicht auch bei Maria und den Männern stehen geblieben ist – noch in der Schürze, den Kochlöffel noch in der Hand...
Ich stelle mir die Szene vor. Hoffentlich hat sie, die immer gewöhnt war für andere zu sorgen, gelernt, einmal einen anderen für sich sorgen zu lassen. Dann können die Worte Jesu, seine Geschichten sie berühren und ihre Seele aufleben lassen!
Und dann später, als sie hungrig wurden, könnten sie alle zusammen in die Küche gegangen sein, um das Abendmahl vorzubereiten! Sie hatten verstanden: Nicht nur das Zupacken zählt, aber auch nicht nur das Zuhören. Und jede hat ein Recht, gesehen und ernst genommen zu werden in dem, was ihr jetzt gerade wichtiger ist.
Amen.
1. Welche Predigtsituation steht Ihnen vor Augen?
Ich habe die Inselkirchengemeinde auf Juist in ihrer Mischung von Einheimischen und Gästen vor Augen. Erfahrungsgemäß werden an diesem Wochenende viele so genannte „Karnevalsflüchtlinge“ auf der Insel sein.
2. Was hat Sie bei der Predigtvorbereitung beflügelt?
Es war anregend, über die jeweiligen Rollen der beiden Schwestern nachzudenken.
3. Welche Entdeckung wird Sie weiter begleiten?
Mich wird die Frage weiter beschäftigen, inwieweit heutige Auslegungen in Gefahr stehen, Fragen an einen Text zu stellen, die dieser vielleicht gar nicht beantworten kann.
4. Was verdankt diese Predigt der abschließenden Bearbeitung?
Etliche sprachliche Veränderungen sind erfolgt. Der Hinweis meines Coaches auf eine negative Formulierung hat mich darauf aufmerksam gemacht, dass ich zu Negationen neige, und habe versucht, mehrere solcher Formulierungen zu verändern.