Gründonnerstag
Gründonnerstag. Grüner Donnerstag! Hört sich nach Frühling an. Die Natur bricht auf. Die Lebensgeister kommen aus ihren Löchern. Tatsächlich steckt ein bisschen davon im Namen des Tages. Morgen ist Karfreitag. Dann kommt Ostern. Grüner Donnerstag! Ein Tag der Hoffnung.
Gründonnerstag ist der Tag, an dem Jesus mit seinen Jüngern, mit Sündern, das Abendmahl feiert! Sündern hat er sein Gedächtnis aufgetragen! Schauen wir uns seine Jünger doch einmal an! In Gethsemane schlafen sie ein. Dann verrät ihn Judas mit einem Kuss. In einem Hinterhof leugnet Petrus, Jesus überhaupt zu kennen. Alle Jünger hauen ab. Alle. Nur Johannes, so wird erzählt, steht unter dem Kreuz Jesu. Mit Maria. Am Tag danach.
Jesus hat mir seinen Jüngern Brot und Wein geteilt, mit ihnen das Passahfest gefeiert: das Fest des „Auszugs“, das Fest der Zukunft. Damals ist das Volk Israel aus Ägypten, dem „Sklavenhaus“, wie es hieß, aufgebrochen. Es musste aufbrechen, Altes und Vertrautes zurücklassen, Neues und Unbekanntes wagen. Alte und junge Menschen haben sich auf eine weite Reise begeben. Durch Wüstenlandschaften, durch Bergwelten. Durch kalte Nächte und erhitzte Diskussionen. Durch Einsamkeit und stumpfer Ergebenheit. Gott war zwar immer da, manchmal aber wie ein Fremder. In der Rückschau erzählen die Menschen, wie beschwerlich die Wege waren. Mit Verzagtheit, Kleinmut – aber auch mit überbordender oder wütender Hoffnung. Das Wort dafür heißt: Exodus. Exodus heißt „Gehen wir“ – ganz kurz übersetzt.
Gehen wir in das Leben!
Schon seit längerer Zeit macht sich in unserer Gesellschaft Zukunftsangst breit. Viele Menschen spüren das, ohne die Worte dafür zu finden. Das Wort „Zeitenwende“ geistert durch Landschaften, Gespräche und Reden. „Zeitenwende“ meint aber, das eine alte Zeit vergeht, eine neue aber – noch – nicht auszumachen ist. Ein Niemandsland liegt vor uns. Mit Gespenstern, bösen Blicken und harten Worten. Doch, wenn das alles ist, gehen wir unter. Brechen wir auf!
Gehen wir in das Leben!
Viele Menschen erleben in ihrer kleinen Welt die Zerreißproben zwischen politischen Meinungen, gesellschaftlichen Entwicklungen und aufgeplusterten Machtspielen. An vielen Stellen brechen Trennungen auf, ohne noch die Brücken zu kennen, die Ufer verbinden. Menschen stehen gegeneinander auf. Manchmal laut und aggressiv, manchmal traurig und ohne Stimme. Doch, wenn das alles ist, gehen wir unter. Brechen wir auf!
Gründonnerstag. Grüner Donnerstag! Hört sich nach Frühling an. Die Natur bricht auf. Die Lebensgeister kommen aus ihren Löchern. Tatsächlich steckt ein bisschen davon im Namen des Tages. Gehen wir in das Leben.
Korinth
Wir feiern heute den Gründonnerstag. Es ist Abend geworden.
Eine Geschichte von Trennungen, Spaltungen und aufgekündigter Gemeinschaft hören wir heute auch. Unser Predigttext! Ein Abschnitt aus dem 1. Brief des Apostels Paulus an die Gemeinde zu Korinth
(Lesung des Predigttextes)
Diese Sätze haben es in sich! Trennungen, Spaltungen und aufgekündigte Gemeinschaft – jetzt ganz anders! Nicht einmal fromm verbrämt. In Korinth sind viele Platzhirsche unterwegs. Einer klüger als der andere. In großen Reden übertreffen sie sich. Die Weisheit quillt förmlich über. Als Hafenstadt, wirtschaftlich bestens aufgestellt, bietet Korinth großartige Möglichkeiten für eine junge, aufstrebende christliche Gemeinde. Jeden Tag kommen die neuesten Nachrichten aus aller Welt an. Geschichten und Waren. Gerüche und Träume. Stille Post ist auch dabei.
Traditionen gab es in der noch jungen Gemeinde nicht, heilige Kühe auch noch nicht und die Leichen im Keller – sie fehlten noch. Dafür wurde viel debattiert und – entschuldigen Sie bitte – übereinander hergezogen. „Was richtiger Glaube sei, ließe sich doch leicht entscheiden – wenn ihr mir folgt," sagen die einen. „Wenn ihr das macht, verratet ihr das Evangelium," sagen die anderen. Die Grautöne dazwischen sind mühsam auszumachen. Irgendwann wird es langweilig. Die – ihr – wir. Die – ihr – wir.
Trotzdem haben die Christen in Korinth gemeinsam gegessen und das Mahl Jesu gefeiert. An einem normalen Abend. Den Gottesdienst, wie wir ihn kennen, gibt es noch nicht. Kein Pfarrer steht vorne, kein Organist spielt die Orgel, kein Regelwerk ordnet die Abläufe. Es war ein ganz normales Essen für alle in der Gemeinde, die im Namen Jesu zusammen kommen.
Die Platzhirsche sind da, die gutsituierten und hochgebildeten Menschen – und die einfachen Menschen, die sich in der Gemeinde in Korinth regelmäßig treffen. Sie freuen sich, Gemeinde Jesu zu sein. In Korinth. Unter ihnen sind auch Sklaven. Auf jeden Fall Menschen, die den ganzen Tag über hart arbeiteten müssen. Nach getaner Arbeit kommen sie dazu – und blieben doch draußen. Der Katzentisch ist für sie. Sie gehören nicht wirklich dazu. Zum Essen ist nicht mehr viel da – Reste. Auf ihre Erzählungen wartet auch kein Mensch. Sie haben nichts zu sagen. Die, die das Sagen haben, haben alles gesagt.
Paulus spricht das offen an. So richtig beliebt ist Paulus nicht. Er ist vielen nicht klug genug. Mit seiner leisen Stimme und seiner kleinen Figur wird er übersehen. Aber Paulus lässt sich nicht beirren. Wenn die, die zuletzt kommen, nicht mehr satt werden, weil die Tische „abgegessen“ sind – dann wird das Mahl Jesu missbraucht. Wenn die, die nicht früher kommen konnten, in keine Unterhaltung mehr eingebunden werden (weil die großen Reden geschwungen sind) – dann wird das Mahl Jesu missbraucht.
Ungeachtet aller Einwände wirft Paulus ein: ICH habe von dem Herrn empfangen, was ICH EUCH weitergegeben habe:
Der Herr Jesus, in der Nacht, da er verraten ward, nahm er das Brot, dankte und brach’s und sprach: Das ist mein Leib für euch; das tut zu meinem Gedächtnis. Desgleichen nahm er auch den Kelch nach dem Mahl und sprach: Dieser Kelch ist der neue Bund in meinem Blut; das tut, sooft ihr daraus trinkt, zu meinem Gedächtnis.
Und alles andere als beiläufig der krönende Abschluss:
Denn sooft ihr von diesem Brot esst und von dem Kelch trinkt, verkündigt ihr den Tod des Herrn, bis er kommt.
Der Tod des Herrn
Paulus hat als Erster die Abendmahlsworte Jesu überliefert, lange bevor es die Evangelisten Markus, Matthäus und Lukas taten. Paulus hat aber auch als Erster über Trennungen, Spaltungen und aufgekündigter Gemeinschaft in seinem Brief geschrieben.
„Denn ich hielt es für richtig, unter euch nichts zu wissen als allein Jesus Christus, den Gekreuzigten. Und ich war bei euch in Schwachheit und in Furcht und mit großem Zittern; und mein Wort und meine Predigt geschahen nicht mit überredenden Worten menschlicher Weisheit, sondern in Erweisung des Geistes und der Kraft, damit euer Glaube nicht stehe auf Menschenweisheit, sondern auf Gottes Kraft“ (2,2-5).
Wer das Gedächtnis Jesu begeht, wer sein Mahl feiert, hört, schmeckt das Wort vom Kreuz! Die Liebe Gottes kann sich kein Mensch verdienen. Weder mit Weisheit noch mit Wissen. Was bedeutet es, gemeinsam das Mahl Jesu zu feiern – und sich doch zu trennen, voneinander abzuheben und dem Bruder, der Schwester nichts mehr zu lassen?
„Wenn ich mit Menschen- und mit Engelzungen redete und hätte die Liebe nicht, so wäre ich ein tönendes Stück Blech, eine klingende Schelle.
Wenn ich prophetisch reden könnte und wüsste alle Geheimnisse und hätte alle Erkenntnis und hätte allen Glauben, so dass ich Berge versetzen könnte, und hätte die Liebe nicht, so wäre ich – nichts!
Und wenn ich alle meine Habe den Armen gäbe und ließe meinen Leib verbrennen für meinen Ruhm, und hätte die Liebe nicht, so wäre mir’s nichts nütze.“
So steht es im hohen Lied der Liebe – 1. Korinther 13.
Den Tod des Herrn verkündigen, bis er kommt: das ist das Lied der Liebe. Paulus weiß sehr viel über den Tod des Herrn zu sagen: Jesus hat die Feindschaft zwischen Menschen, auch die Feindschaft zwischen Menschen und Gott, auf sich genommen. Er hat Schuldzuweisungen, die einem Menschen die Luft zum Atmen nehmen, weggenommen. Er hat die Begriffe „arm“ und „reich“, „weise“ und „klug“, „bedeutend“ und „einfach“ ganz neu geordnet. Glücklich ist der Mensch, der sich auf Gott verlässt!
Wenn wir Jesu Mahl feiern, sein Gedächtnis, werden wir selbst zu Brot und Wein: Menschen werden satt, Menschen freuen sich, Menschen verwandeln die Welt.
Das Gedächtnis seiner Wunder
Heute Abend feiern wir das Abendmahl! Viele von uns haben den Tag über gearbeitet und freuen sich auf ein paar freie Tage. So manche Anstrengung steckt uns noch in den Knochen. Andere bringen Sorgen und Ängste mit, die sie schon länger nur mit sich ausmachen. Manches gelingt im Leben nicht. Vertraute Menschen können fremd werden, Hoffnungen sich in Luft auflösen, Trennungen ihren Lauf nehmen.
Anders als in Korinth gibt es keine Katzentische, doch das Gefühl, nicht wirklich dazu zu gehören, selbst in einem vertrauten Kreis fremd zu sein, gibt es auch unter uns.
Ich wünsche mir, dass wir uns zusammensetzen, über unsere Ängste und Hoffnungen reden, den Alltag Revue passieren lassen und miteinander lachen: mit – geteiltem – Brot, mit – geteiltem - Wein.
Ich wünsche mir, dass wir die Bankreihen und unsere Lieblingssitze verlassen, um einander anzuschauen.
Ich wünsche mir, für einander „ganz Ohr“ zu sein mit Geschichten, die ganz leicht werden, wenn sie erzählt werden können.
Er, der Herr, ist in unserer Mitte. Sein Gedächtnis wird zu einem Lobpreis. Wir verkünden den Tod des Herrn, bis er kommt!
Sogar die Engel gesellen sich dazu: Heilig, heilig, heilig – die Erde ist voll von seiner Herrlichkeit.
Übrigens: der Evangelist Johannes hat eine eigene Abendmahlsgeschichte erzählt. Die uns vertraute hört sich da ganz anders an. Die Geschichte von der Fußwaschung. Jesus wäscht seinen Jüngern die staubigen und müden Füße. Sie kommen zur Ruhe. Sie werden erquickt. Es war die Aufgabe der Sklaven, Füße zu waschen – jetzt hat Jesus diese Rolle übernommen, um uns in das Leben zu schicken. Köpfe wäscht er nicht. Seine Liebe erfrischt unsere Füße. Sie tragen uns in die Zukunft Gottes. Durch Wüstenlandschaften, durch Bergwelten. Durch Nachrichtendschungel und Internethöhlen. Durch Krankheit und Tod.
Grüner Donnerstag! Hört sich nach Frühling an. Die Natur bricht auf. Tatsächlich steckt ein bisschen davon im Namen des Tages. Zu Gründonnerstag konnten einst auch die öffentlich verurteilen Sünder wieder in die Gemeinschaft zurückkehren und ihren Platz einnehmen.
Tatsächlich: Dürres, vertrocknetes, abgelagertes Holz fängt wieder zu leben an. Grüner Donnerstag!
1. Welche Predigtsituation steht Ihnen vor Augen?
Harmonisch sind die Zeiten nicht (falls sie es jemals waren). Viele Trennlinien gehen durch Gesellschaft und Kirche, durch Familien und Arbeitsverhältnisse. Die Möglichkeiten, darüber zu reden, sind begrenzt. Vieles wird in „Blasen“ ausgemacht und verfestigt. Dass es einen Tisch gibt, an dem das Leben und die Zukunft gefeiert werden können, ist mehr als ein Wunsch. Das „Abendmahl“ lädt ein, neu entdeckt zu werden.
2. Was hat Sie bei der Predigtvorbereitung beflügelt?
Die älteste Abendmahlsüberlieferung! Die Gemeinde in Korinth! Einerseits tragen (bei uns) die alten Formen nicht mehr, andererseits bieten sie die einzigartige Chance, die ursprüngliche Form wieder zu finden. Die sozialen Aspekte des Abendmahls sind in Korinth ausgeprägter als die „soteriologischen“ (obwohl es hier keinen Gegensatz gibt).
3. Welche Entdeckung wird Sie weiter begleiten?
Ich möchte den Zusammenhang der Überlieferungen weiter verfolgen: Hier die erste Abendmahlsüberlieferung in Korinth, dort die „Fußwaschung“ im Johannesevangelium als dem (zeitlich) letzten Evangelium. Ein Augenmerk liegt auf der Kirchenmitgliedschaftsuntersuchung. In ihr sind Wünsche und Erwartungen zusammengetragen. An einem Tisch lassen sich auch Konflikt- und Trennungsgeschichten erzählen, um dann gemeinsam zu feiern. Brot und Wein. Wie können Menschen Leben teilen und wo?
4. Was verdankt diese Predigt der abschließenden Bearbeitung?
Danke meiner Erstleserin! Sie hat kluge Rückfragen gestellt und „Lese“eindrücke formuliert. Schade, dass es nicht immer so sein kann. Die abschließende Bearbeitung hat manche Ecke gerundet und manche Formulierung geschärft.