Der ZDF-Fernsehgottesdienst am 13. Juli 2014 kam vom Hofgut Oberfeld bei Darmstadt. Das Hofgut Oberfeld ist ein Bauernhof "zum Anfassen". Getreidefelder besichtigen, Korn mahlen, Brot backen: Hier können Kinder und Erwachsene mit Kopf, Herz und Hand erfahren, wie Lebensmittel entstehen. Oder sie geben umgekehrt eigene Erfahrungen weiter, denn das Hofgut ist eine Stiftung und als solche ein Ort, an dem sich viele Darmstädter Bürger ehrenamtlich für einen achtsamen Umgang mit der Schöpfung engagieren. Der ZDF-Gottesdienst fand zur Getreideernte statt und beschäftigte sich mit der Frage, was ein Leben wirklich "reich" macht.
Liebe Gemeinde,
Frau Reder macht sich gerne mal die Hände dreckig. Hier auf dem Oberfeld. Da hat sie ein eigenes Beet. Dreimal in der Woche kommt sie zum Pflanzen und Gießen mit dem Fahrrad aus Darmstadt hierher. Ihre Kinder radeln mit. Denn sie finden ihre eigenen Karotten richtig lecker. Und sind immer ganz gespannt, was wieder Neues aus ihrem Beet zum Vorschein kommt.
Und Frau Becker parkt neuerdings viel vorsichtiger ein. Jedenfalls wenn sie ihr Auto vor ihrem Haus in Andernach abstellt. Denn am Rand der Parkbucht in ihrer Straße wachsen Zucchini. Andernach ist zur sogenannten „essbaren Stadt“ geworden. Die Bewohner dürfen und sollen alle Grünflächen der Stadt zum säen, pflanzen und - natürlich - selber ernten nutzen.
Herr Karl aus Berlin dagegen mag seinen Garten lieber beweglich. Als Beet nutzt er einen Laubsack. Er hat Erde hinein gefüllt. Der steht auf dem ehemaligen Flughafen in Berlin-Tempelhof. Mitten in der Stadt ist dort ein Gartenprojekt entstanden, bei dem er von Anfang dabei ist. Jetzt ranken sich die Erbsenschoten hoch - bald ist Erntezeit.
Alle diese Leute sehnen sich nach intakter Natur: Nach Blüten und Grün am Straßenrand. Und nach dem Gefühl, stolz und staunend das erste eigene Gemüse zu ernten. Von dem sie wissen, was drin steckt.
Aber solch ein Beet in einem Stadt- oder Saisongarten reicht nicht für Frühstück, Mittag-, Abendessen. Und schon gar nicht für das tägliche Brot. Denn Getreide braucht viel Platz. Da kommt man mit einem Beet nicht weit. Um eine ganze Stadt zu ernähren, sind große Felder nötig. Und die Bauern, die dort säen, pflügen und mähen. Im Schweiße ihres Angesichts. Während der Ernte fast rund um die Uhr. Manchmal ohne Sonntagspause.
Sicher, Landwirtschaft ist eine schöne Aufgabe, so direkt im Kontakt mit der Natur. Aber sie ist auch hart. Und macht manchmal richtig Kopfzerbrechen: Immer abhängig vom Wetter sein. Hoffen, dass kein Ungeziefer Schaden anrichtet. Und dazu noch der Papierkram. Versicherungen, Genehmigungen, die Anträge an die EU.
Darum möchte ich den Bauern aus unserem Gleichnis erst mal in Schutz nehmen. Er hat eine große Ernte eingefahren und führt daraufhin ein begeistertes Selbstgespräch: „Ich habe so gut geerntet! Ich will mir größere Scheunen bauen und darin all mein Korn und meine Vorräte sammeln!" sagt er sich. Das ist vernünftig, verantwortlich und vorausschauend. Aber doch keine Habsucht, wie diesem Bauern oft unterstellt wird!
Was also kritisiert Jesus an ihm?
Der zweite Teil seines Selbstgespräches verrät es. Da kreist der Bauer in seinen Gedanken immer nur um sich selbst. „Ich habe nun ausgesorgt“ sagt er sich, und „jetzt hat meine Seele Ruh“.
An andere denkt er nicht, nur an sich. Er übersieht seine Mitarbeiter, die monatelang für ihn auf den Feldern geschuftet haben. Mit krummen Rücken unter sengender Sonne.
Er übersieht die verwitwete Nachbarin, die kaum über die Runden kommt und manchmal, wenn es dämmert, um die Felder schleicht. Weil sie hofft, dort noch etwas Essbares zu finden, was andere weggeworfen haben.
Nicht einmal seine Kinder hat er im Blick, obwohl er für sie verantwortlich ist. Mit seiner guten Ernte könnte er sie schon heute davon befreien, von der Hand in den Mund zu leben. Oder er könnte wenigstens dafür sorgen, dass sie später ihr Auskommen haben, indem er das Erbe regelt. Denn wie oft geht ein Vermögen durch Erbstreitigkeiten verloren!
An diese Möglichkeiten denkt der Bauer nicht. Das ist kurzsichtig und dumm. Denn in all seinem Glück über seinen Besitz vergisst er, dass sein Leben begrenzt ist. Wenn ihn noch heute Nacht der Tod ereilt, steht er mit leeren Händen vor Gott. Sein ganzer Reichtum wird ihm nicht helfen, eine gute Lebensbilanz zu ziehen.
Doch dazu ist der Bauern noch nicht fähig. Denn er ist mit niemandem im Kontakt. Nicht mit den Menschen. Und nicht mit Gott. Er glaubt, so wie sein Besitz gehöre ihm auch seine Seele. Aber die gehört seinem Schöpfer. Gott, der ihn eines Tages ins Leben gerufen hat und eines anderen Tages sein irdisches Leben beenden wird.
Wie der Bauer auf diese harte Ansage reagiert hat, wissen wir nicht. Wahrscheinlich war er ziemlich geschockt und hat zu seiner Frau gesagt: „ Ich muss mal raus, etwas Luft schnappen.“ Und dann sehe ich ihn, wie er ratlos vor seiner Haustür steht, den Kopf schüttelt und traurig auf seine Scheunen guckt. Ich stelle mir vor, dass ich dort leise neben ihn trete und ihn frage, ob ich ihn auf andere Gedanken bringen darf. Indem ich ihn zu uns einlade, hierher auf das Hofgut. „Ich hab ohnehin nichts mehr zu verlieren“, sagt er vielleicht und kommt zögernd mit.
Hier auf dem Hofgut ist wie immer reges Leben und Treiben. Frau Reder und ihre Kinder sind da, weil sie nach ihren Beeten sehen wollen. Ich mache den Bauern mit ihr bekannt. Die beiden beginnen bald, zu fachsimpeln. Dabei hört er verwundert, dass nur wenige Kinder heute noch erleben, wie Lebensmittel entstehen. Und es ihnen darum soviel Freude macht, ihre eigenen Möhren zu ziehen.
Einige Meter weiter begegnet er vielleicht einem Kollegen von Herrn Goebel. Und erfährt von ihm, dass es heutzutage als Bauer viel einfacher ist, volle Scheunen zu bekommen. Große Maschinen und Düngemittel machen das möglich. Das ist auch nötig. Denn mit immer weniger Fläche müssen immer mehr Menschen ernährt werden. Landwirte sind darum heute meist wissenschaftlich ausgebildet. Sie nehmen regelmäßig Bodenproben, um den Nährstoffgehalt zu überprüfen. So kann der Boden ganz gezielt verbessert werden.
Aber dieser Fortschritt hat auch seine Schattenseiten. Der Lebensmittelhandel nimmt den Bauern nur noch beste Qualität ab, nach klaren Vorgaben. So darf eine Kartoffel nur eine bestimmte Größe haben, sie darf nicht den kleinsten Fleck aufweisen, sonst wird sie nicht gekauft. Das wirtschaftliche Risiko trägt der Landwirt. Viele Bauern sagen: Letztlich sind Lebensmittel hier zu billig.
Trotzdem wird es vielen Landwirten inzwischen immer wichtiger, „nachhaltig“ zu wirtschaften. Sie verbieten sich, das Letzte aus dem Boden oder ihrem Vieh herauszuholen. Weil Wasser, Boden und Tiere Gottes Schöpfung sind. Gott hat sie dem Menschen nicht überlassen, um damit Raubbau zu betreiben, sondern um sie zu hegen und bewahren. Diese Bauern schlagen im Wald nicht mehr Holz, als nachwächst. Entnehmen dem Boden nicht mehr Nährstoffe, als ihm zurückgegeben werden kann. Und halten ihre Hühner so, dass sie genug Licht und Luft und Platz haben. Maßhalten statt volle Scheunen um jeden Preis ist ihr Grundsatz. Maßhalten, an die nachkommenden Generationen denken und dabei trotzdem auch selbst sein Auskommen haben – ein anstrengendes und lohnenswertes Ziel, das manche Tage zur großen Herausforderung wird.
Nicht nur für die Landwirte. Auch für Verbraucher wie Herrn Kalbfuss und Frau Jourdan, die unser Bauer später im Café trifft. Sie erzählen ihm vielleicht, wie gerne sie hierher kommen. Weil dieser Ort ein kleines Paradies ist, in dem sie sich sehr wohl fühlen. Wo sie aber zugleich immer wieder merken, wie schwer es ist, zuhause in ihrem Alltag konsequent zu leben.
Maß zu halten, damit sich Gottes Schöpfung nicht erschöpft. Weil Lebensmittel viel zu aufwändig verpackt sind und dadurch so viel Plastikmüll entsteht. Weil es oft soviel bequemer ist, mal eben mit dem Auto zum Einkaufen zu fahren, als zu Fuß zu gehen. Und wir den Kaffeebauern in Guatemala nicht persönlich kennen, von dem wir Kaffee zu fairen Preisen bekommen könnten. Sicher wären wir schneller bereit, einen höheren Preis zu zahlen, wenn er mit uns an einem Tisch säße und aus seinem Leben erzählen könnte. Aber er ist weit weg und wir vergessen schnell, welche Menschen und welche Arbeit hinter den Dingen liegt, die wir verzehren.
Wir haben viel zu wenig Kontakt zu dem, was wir nutzen. Darum ziehen uns Orte wie dieser so an. Denn hier können wir erleben, was uns woanders fehlt: Jetzt gerade zum Beispiel Herrn Deist mit den Kindern drüben in der Backstube. Da backen sie ihre Brezeln und Brötchen fertig. Mit glühenden Wangen und leuchtenden Augen. Weil es am Ofen heiß ist. Aber vor allem, weil es soviel Freude macht, etwas selbst herzustellen. Oder der nächsten und übernächsten Generation eigene Erfahrungen weiter zu geben.
Nach diesem Rundgang über den Hof würde ich unseren Bauern natürlich gerne auch zu unserem Gottesdienst einladen. Auf dem Weg dahin könnte er im Blumenfeld schnuppern, an diesen Blüten, die einfach so da sind, schön und bunt, ohne Nutzen, Gottesgeschenk und Augenschmaus.
Diese Pracht vor Augen und dazu das Lebensglück all derer, die sich vergnügt in Gottes Schöpfung tummeln, lässt ihn vielleicht jetzt doch mit Gott Kontakt aufnehmen und dankbar einstimmen, wenn wir die alten Psalmworte wiederholen: Lobe den Herrn meine Seele und vergiss nicht, was er dir Gutes getan hat. Herr mein Gott, die bist herrlich. Du machst das Land voll Früchte, lässest Gras wachsen für das Vieh und Saat zu Nutz den Menschen. Dass Du Brot aus der Erde hervorbringst und es des Menschen Herz stärke.
Heute Nachmittag käme dann irgendwann der Zeitpunkt, Abschied zu nehmen. Ich stelle mir vor, wie der reiche Kornbauer wieder nach Hause geht. Immer noch nachdenklich, aber nicht mehr mit eingezogenen Schultern.
Bevor er am Horizont verschwindet, nehme ich mir vor, ihn zu besuchen. In einem Jahr um die gleiche Zeit. Ich bin mir sicher, dass er dann noch lebt.
Denn Jesus wollte ihn und uns mit ihm bestimmt nur aufrütteln. Damit wir unsere Lebenszeit nutzen für das, was uns wirklich reich macht:
In Liebe und Freundschaft mit anderen zu leben. Teilen, was wir haben mit denen, die Mangel leiden. Staunend und achtsam empfangen, welche Wunder Gottes Schöpfung hervorbringt. Behutsam an die nächste Generation weiter geben, was uns anvertraut ist. Und Gott danken für das, was er uns täglich schenkt. Amen.