23. 11. 2014, Bad Kissingen: Zuversicht stärken
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Predigt Teil I

Gnade sei mit euch und Friede von dem, der da ist und der da war und der da kommt! Amen.

Liebe Gemeinde,

Sollte man sein Todesdatum kennen? Sicher, für die meisten von uns ist das eine theoretische Frage.

Für einige ist sie jedoch ganz real. Wolfgang Herrndorf zum Beispiel. Als der Schriftsteller an einem unheilbaren Hirntumor erkrankte, entschloss er sich, dem Tod so viel Leben wie möglich abzutrotzen. Und schrieb in kürzester Zeit mehrere Bücher; darunter ein digitales Tagebuch . Darin schildert er sein Leben mit der tödlichen Krankheit. Und notiert an einer Stelle, es sei „wünschenswert“, ja sogar „ein Segen“, das eigene Todesdatum zu kennen. „Könnte man sich viel Quatsch ersparen“, sagt er (zitiert aus Arbeit und Struktur, 3. Auflage, Berlin 2013, S. 286.).

Aber nicht jeder hat seine Courage, dem Tod ins Auge zu sehen. Und seine Kraft, sich ihm entgegen zu stemmen. Ich habe als Klinikseelsorger Menschen erlebt, die einfach weiter gelebt haben, als sei nichts gewesen. Andere haben eine große Reise geplant. Wieder andere haben ihre Beziehungen geordnet.

Manche wurden depressiv, andere ängstlich oder wütend. Oft war in einem Menschen alles gemeinsam da: Tränen voller Trauer und Zorn.

Wie stehen Sie zu dieser Frage? Und was würden Sie tun in der verbleibenden, kostbaren Zeit? Denken wir einen Moment darüber nach.

Wie ich zu meinem Todesdatum stehe, hängt davon ab, wie ich den Tod bewerte: Als Ende meines Lebens: Schluss. Aus. Vorbei. Oder als Zwischenstation auf dem Weg in eine andere Welt?

Johannes, der Prophet, vertrat Letzteres. Wir haben eben seine Vision gehört: Es wird eine neue Welt kommen, jenseits der Todesgrenze. Schmerz und Tränen werden sich dort auflösen. Sogar der Tod verschwindet.

Eine billige Vertröstung?  Oder gar Flucht aus der Wirklichkeit ? Manche mögen das so sehen.

Eine meiner Patientinnen hätte Johannes dagegen sicher zugestimmt: Wie andere auch in dieser Klinik war sie schwer krank. Eines Tages erzählte sie mir von ihrem Leidensweg. Mit einem Satz, der mich sehr verblüffte: „Herr Pfarrer, sagte sie, Sterben ist schön. Ich habe es selbst erlebt. Sterben ist schön!“  Dabei hatte sie ein fast unwirkliches Strahlen im Gesicht.
Offenbar hatte sie eine „Nahtoderfahrung“ gemacht. Mit den Umrissen des neuen Himmels und der neuen Erde vor Augen. Durch dieses Erlebnis  stellte sich in ihr die tiefe Gewissheit ein, allezeit in Gottes Hand zu bleiben. Ja, mehr noch: Sie spürte, dass das Schönste und Beste erst noch kommt. Sie gewann die Gewissheit, dass Gott überall ist.

Mit Johannes gesprochen: Mitten unter den Menschen in der neuen Welt, im himmlischen Jerusalem. Und mitten unter uns Menschen im Hier und Jetzt. Weil Gott uns aus der Zukunft entgegen kommt.

Denn der, der in der Vision des Johannes auf dem himmlischen Thron sitzt, ist ja der derselbe, der unseren Boden berührt hat. Der unsere Luft atmete. Und unseren Schmerz ertrug: Jesus Christus.

Wie Christus Himmel und Erde, Diesseits und Jenseits auch heute verbindet, wird auf eindrückliche Weise an dieser Bronzeplastik sichtbar:

Astrid Wilde: Vorstellung der Plastik

1980 hat unsere Gemeinde diese Bronzeplastik des Künstlers Heinz Heiber bekommen. Sie trägt den Namen „Erlöser“. Damit ist Jesus gemeint.

Schauen Sie, wie er sich nach unten neigt, zur Erde, zum Boden hin. Als beuge er sich vor dem, der vor ihm steht, demütig und mitfühlend. Eine respektvolle Geste. Jesus würdigt unser Schicksal.

Zugleich streckt er uns die offenen Hände entgegen. Wie um zu halten oder zu trösten. Oder zu sagen: „Siehe, ich bin bei dir – ich trage das Leid mit dir.“  Sein Umhang ist wie eine Schale geöffnet, verleiht Schutz und Geborgenheit.

Gleichzeitig ist da diese Aufwärtsbewegung. Die Befreiung von all dem Bedrückenden. Sie deutet Erlösung vom Tod, Auferstehung an. Wie auch der senkrechte Kreuzesbalken die Erde mit dem Himmel verbindet.

So vereinigt diese Plastik Tod und Leben. Jesus beugt sich nieder, gibt sich hin bis in den Tod. Und zieht uns hinauf. In das neue Leben. Das gibt uns jetzt schon Zuversicht, Halt und Trost.

So spiegelt diese Plastik, was Menschen in dieser Kirche suchen und finden können: Erlösung. Darum haben wir sie „Erlöserkirche“ genannt.

Pfarrer Wolfgang Ott, Predigt Teil II

Christus, der Erlöser, hat den Tod überwunden. Er ermutigt mich, den Tod nicht ernster zu nehmen als er ist. Denn der Tod hat nicht das letzte Wort. Am Ende warten ein neuer Himmel und eine neue Erde auf mich. Dorthin holt er mich ab. Lädt mich mit offenen Armen und ausgestreckten Händen ein, der Ewigkeit ohne Furcht entgegen zu gehen.

Christus und Gottes neue Welt vor Augen macht hoffnungsvolles Leben möglich – auch wenn ich um mein Todesdatum weiß. So kann sogar in schweren Stunden vielleicht wieder ein Lächeln erblühen. Oder es gelingt, ganz im Augenblick zu leben und alles Planen und Organisieren einmal sein zu lassen. Die angestauten Tränen dürfen freien Lauf bekommen, während gleichzeitig grenzenloser Lebensmut wächst.

Mit Christus und der neuen Welt vor Augen können wir unser Leben an der „Nachbarschaft des Ewigen“  ausrichten, wie Romano Guardini einmal schrieb. Und wieder aufmerksam werden, was uns bereits hier auf Erden an schönen und wertvollen Dingen widerfährt.

Manchmal sind es gerade die kleinen Gesten, die Zuversicht und Lebensmut stärken:

Christel Schulte, Statement

Schon immer sehe ich auf Hände bei Menschen, um etwas über sie zu erfahren. Wenn jemand zu mir ins Krankenhaus kam, als es mir sehr schlecht ging, da habe ich immer sofort die Hände ergriffen.

Ich wusste später, wer mich besucht hatte, obwohl ich zum Zeitpunkt des Besuchs gar nicht bei Bewusstsein war. Ich wusste es allein deshalb, weil ich Kontakt mit den Händen hatte.

Mein Bruder, meine Nichte, meine Freundinnen, die Seelsorgerin, alle habe ich an den Händen erkannt. Und da waren die Hände des Pflegepersonals.

Auch sie stehen für mich für Halt und Trost, für all das, was man in Krankheitszeiten am meisten braucht. Menschliche Hände, die mich gehalten und getröstet haben, wurden mir so auch zum Zeichen. Für Gottes Nähe.

Pfarrer Wolfgang Ott, Predigt Teil III

Menschliche Hände werden zum Zeichen für Gottes Nähe. Wie wohltuend und heilsam können solche Begegnungen sein! Man muss dafür nicht immer topfit sein wie das Pflegepersonal. Zeichen für Gottes Nähe geben auch Menschen wie Herr Rausch. Er begleitet Menschen in der Klinik, die ähnlich wie er damals, kraftlos und erschöpft sind. Frau Sattes-Müller spricht Worte und Gebete für jene, denen die Krankheit ihre Sprache verschlagen hat. Und Frau Schultes besucht Menschen, die wie sie im Rollstuhl sitzen, und spricht mit ihnen auf Augenhöhe.

Bei vielen Patienten stellt sich das Leben wieder ein. Sie genesen von ihrer Krankheit. Oder es geht ihnen wenigstens besser, wenn sie die Klinik verlassen. Vielleicht sogar mit einer anderen Einstellung zu ihren persönlichen Grenzen und zum Tod.

Andere werden jedoch nicht mehr gesund. Aber bei manchen von ihnen wird ihre Seele heil. Und sie können trotz ihres nahen Todes zuversichtlich in die Zukunft schauen. Und dankbar auf ihr Leben zurück.

Darin erinnern sie mich an meine Mutter. Heute vor genau 16 Jahren ist sie viel zu früh verstorben. Ich stelle mir vor, wie sie vom neuen Himmel aus auf uns und unsere Erde blickt, erlöst und friedvoll. Ihr oft verhärmtes Gesicht konnte hoffnungsvoll strahlen, wenn sie eines ihrer liebsten Kirchenlieder sang: „In dir ist Freude in allem Leide, o du süßer Jesu Christ.

Schauen Sie auf Christus. Denken Sie an sein Versprechen und stimmen Sie mit uns ein, wenn wir dieses Lied nun singen.
Amen.

Perikope