Am Anfang … - Predigt zu Johannes 1,1-5,9-14 von Bernd Giehl
1,1-5,9-14

Am Anfang … - Predigt zu Johannes 1,1-5,9-14 von Bernd Giehl

Ja, was war denn nun am Anfang. Muss wohl mal nachdenken. Ach ja, richtig: Am Anfang schuf Gott Himmel und Erde.  Quatschkopf. Heute ist doch Weihnachten. Da geht es doch nicht um die Erschaffung von Himmel und Erde. Darüber kannst du an irgendeinem Sonntag nach Trinitatis predigen. Aber doch nicht heute.  Heute geht es um … Das weiß ich doch selbst. Du brauchst es mir nicht zu sagen.  Heute geht es um die Geburt Jesu.  Du hast recht. Das war ein Anfang. Na siehst du.  Aber da steht nicht: Am Anfang war die Geburt Jesu. Da steht: Am Anfang war das Wort.  Ja und?  Meinst du nicht, dass der, der das geschrieben hat, sich auf die Schöpfungsgeschichte bezieht?  Natürlich hat der das. Worauf hätte der sich denn sonst beziehen sollen?  Du sprichst in Rätseln, lieber Freund. Das musst du mir bei Gelegenheit mal erklären

Ich hoffe, ich habe Sie jetzt nicht befremdet. Manchmal rede ich mit mir selbst. Das kommt vor. Und hin und wieder führt das sogar weiter.

Fangen wir doch mal mit dem Rätsel an. Dieser Predigttext ist ein Rätsel, auch wenn er sich vielleicht nicht so anhört. Womöglich haben Sie ihn schon viele Male gehört. Kennen ihn zum Teil wohl auch auswendig. „Am Anfang war das Wort und das Wort war bei Gott und Gott war das Wort.“ Alles klar? Natürlich nicht. Sind damit die banalen Sprüche gemeint, die wir jeden Tag machen? „Schönes Wetter heute.“ „Na ja, könnte besser sein. Wie geht’s Ihnen?“ „Soweit ganz gut. Und selbst?“

Nein, das ist es nicht. Und hier beginnt schon die Reise, die man unternehmen muss, um diesen Text zu verstehen. Das hier ist nicht der gemütliche Stall von Bethlehem, in dem man sich gleich wohlfühlt, weil wir die Menschen kennen, die sich darin befinden. Weil Maria da ist, der stille Josef und die Hirten, die nun auch still geworden sind, weil sie ehrfürchtig vor dem Kind in der Krippe knien. Da kann man nicht viel falsch machen. Da stellt man sich dazu und genießt die feierliche Atmosphäre und wenn man wieder geht, schwingt das alles noch lange nach. Sicher ist uns auch der Johannestext vertraut, weil wir ihn schon so oft gehört haben. Aber diese Vertrautheit ist anders. Unter der Oberfläche des Bekannten und Gewohnten mischt sich eine gewisse Befremdung hinein, weil er so groß ist, groß und voller Rätsel. Er ist wie ein großes Gedicht, das sich ja auch nicht gleich beim ersten Lesen erschließt.  Vielleicht auch nicht beim zweiten oder dritten Mal.

Aber von Gedichten rede ich hier besser nicht. Sie haben den Ruf, esoterisch zu sein. Vergleichen wir ihn besser mit einer Kathedrale. Die sehen wir schon von weitem. Sie ragt aus der Stadt empor, ein Wahrzeichen; man kann sich an ihr orientieren. Sie hat mehrere Türme; sagen wir zwei; manchmal auch mehr. Wir kommen näher, wir sehen die filigranen Formen, die verzierten Fenster, manche mit Glas, manche ohne. Wir sehen die Rosette über dem Eingang, die Wasserspeier mit den Dämonenfratzen am Dach, das Portal mit den Figuren im Halbrelief, die vielen Verzierungen an der Außenfassade. Das alles erschließt sich dem Betrachter nicht sofort, aber es ist schön. Vielleicht machen wir Fotos, um uns später die Einzelheiten noch einmal genauer ansehen zu können. Dann gehen wir hinein. Wir sehen die bunten Fenster, die uns die biblischen Geschichten erzählen, die Säulen, kompakt und doch in sich gegliedert, die das Gewölbe tragen und den Raum teilen, das netzwerkartige Gewölbe mit den Schlusssteinen und vorne den mit filigranen Formen umspielten Hochaltar, dessen Zentrum die Bilder sind.  Aber das Eigentliche lässt sich nur schwer beschreiben. Es ist dieses Gefühl von Überwältigung, das sich einstellt. Der Eindruck von Schönheit in diesem riesigen Raum. Was diese Schönheit ausmacht, das können wir erst einmal gar nicht ausdrücken. Vielleicht ist es die Harmonie, die, wenn sie klingen würde, wie die Musik der Engel klänge. Man würde sich ja wirklich nicht wundern, wenn gleich ein himmlischer Chor anfinge zu singen. Natürlich ist dieses Gebäude auf Überwältigung ausgelegt, und es preist ja nicht nur die Größe und Erhabenheit Gottes, sondern ein Abglanz dieser Größe soll auch auf die Kirche und ihren Bischof fallen, der hier residiert. Aber eigentlich macht das auch nichts. Es ist in Ordnung so.

Vermutlich fragen Sie sich was unser Text mit einer Kathedrale zu tun hat. Es ist ganz einfach. Er hat so viele Facetten wie ein gotischer Dom. Und er hat auch die Schönheit einer solchen Kathedrale. Man muss nicht alles begreifen. Aber hin und wieder versteht man eben doch etwas.  Jedes Mal, wenn ich mich mit ihm beschäftige, erschließt sich mir ein anderer Aspekt. Es ist auch nicht ausgeschlossen, dass ich mich in ihm verliere.

Beginnen wir mit dem ersten Vers. „Im Anfang war das Wort.“ Ausnahmsweise will ich einmal den griechischen Urtext hinzunehmen: „Im Anfang war der Logos.“ Logos bedeutet nicht nur „Wort“, sondern auch „Sinn“, „Verstand“, „Geist“ und man erinnert sich nicht nur daran, dass Gott in der Schöpfungsgeschichte die Welt mit seinem Wort schafft, sondern auch, dass am Anfang dieser Geschichte Gottes Geist über den Wassern schwebt. Das ist so ziemlich genau das Gegenteil dessen, was die derzeit gängige Theorie von der Entstehung der Welt behauptet, dass nämlich die Welt und das Leben in ihr durch Zufall entstanden sei. Dieser Vers sagt – jedenfalls nach meinem Verständnis – dass Gott die Welt mit Sinn versehen habe und dass dieser Sinn in allem waltet.

Und dann verwandelt sich dieser Logos. Oder sagen wir vielleicht besser: Er enthüllt sich. Dieser Logos war und ist nicht nur ein Teil Gottes, sondern er bekommt jetzt auch einen Namen. Er heißt Jesus Christus und er machte sich den Menschen bekannt in der Person des Jesus von Nazareth. Oder mit den Worten des Johannesevangeliums: „Das Wort ward Fleisch und wohnte unter uns und wir sahen seine Herrlichkeit.“

Kann man das begreifen? Ich glaube nicht. Nicht mit dem Verstand. An irgendeiner Stelle gerät man unweigerlich in die Spekulation von den zwei Naturen und den zwei Willen; man gerät auf den Weg, den die alte Kirche des 4. und 5. Jahrhunderts gegangen ist, die immer mehr hinter die Geheimnisse Gottes kommen wollte und jeden zum Ketzer erklärte, der es anders sah. Vielleicht bin ich ja auch einer, aber diesen Weg halte ich immer noch für einen Irrweg.

Und so glaube ich auch nicht, dass der Evangelist Johannes über das Wesen Gottes spekulieren wollte. Ich glaube vielmehr, dass er Gott und Mensch noch einmal ganz nah zusammenbringen wollte. Dass er einen Anfang setzen wollte, der die Trennung überwindet. Ungefähr so wie in der Paradieserzählung vor dem Sündenfall, nur dass er den umgekehrten Weg einschlagen will: nicht weg von Gott, sondern hin zu ihm. Man kann Gott sehen, sagt er, weil Gott Mensch wurde. Weil Jesus zugleich wahrer Mensch und wahrer Gott war.

Fragt sich natürlich gleich: Können wir das auch? Können wir das verstehen, dieses Bild vom wahren Gott und wahrem Mensch, das im Lauf der Jahrtausende immer mehr zur Formel geraten ist, die man nicht hinterfragen durfte? Schließlich leben wir ja nicht mehr zur Zeit Jesu. Johannes würde darauf antworten: Deine Frage zeigt schon, dass du etwas grundsätzlich missverstanden hast. Es geht nicht um den Jesus, der damals über die Straßen Palästinas lief, predigte und Wunder tat. Oder jedenfalls nicht in erster Linie. Es geht darum, ihn mit den Augen des Herzens zu sehen.

In der Folge wird Johannes sogar vom „Erkennen“ reden. Das passiert schon in Vers 10, wo es heißt: „Er war in der Welt, und die Welt ist durch ihn gemacht, aber die Welt erkannte ihn nicht.“  Derselbe Stoff aus dem Gott, Logos, Welt und Mensch sind und eigentlich müsste das Erkennen ganz automatisch funktionieren, aber das tut es nicht. Falls Sie jetzt an den Vers aus der Geschichte vom Sündenfall denken, der vom Mann und seiner Frau redet, die sich „erkennen“ und dabei für einen Moment eins werden, dann liegen Sie nicht verkehrt.  Johannes scheint hier ganz nah bei den Mystikern zu sein, die ja auch von der Vereinigung des Menschen mit Gott redeten, und darin das höchste Ziel menschlicher Existenz sahen.

Schwierig, das alles. Ob man das auch noch einfacher sagen kann? Versuchen wir’s mal. Vielleicht mit der Fortsetzung des Dialogs vom Anfang. Ja, was war denn nun am Anfang? Das hast du mir immer noch nicht erzählt. Also, das ist doch ganz einfach. Am Anfang war Gott. Nur Gott. Gott allein. Er ganz allein? War ihm da nicht langweilig?  Vermutlich schon. Deshalb schuf er ja die Welt. Und die Menschen.  Die auch. Und alldem gab er seinen Geist ein. Alles war erfüllt mit Sinn. Mit Schönheit. Alles war wohlgeordnet.  Aber dann kam der Sündenfall dazwischen. Und Gott und Mensch waren getrennt.  Stimmt.

Das war traurig. Aber dann machte Gott einen neuen Anfang. Er kam selbst in die Welt. Verborgen in der Gestalt eines Menschen. Aber durch den Menschen hindurch schimmerte etwas Göttliches. Nicht jeder konnte es sehen. Nur wer sich auf ihn einließ. So wie die Hirten in der Weihnachtsgeschichte? Die haben es zuerst begriffen. Aber denen erschienen ja auch die Engel vom Himmel. Auch das ist richtig. Aber wie sollen wir ihn dann  begreifen? Uns erscheinen doch keine Engel mehr. Oder doch? In gewisser Weise hast du recht. Aber manchmal, weißt du, braucht es keine Engel. Sondern was?Einfach nur ein bisschen Zeit. Zeit, in der man ganz still wird. Und dann findet man ihn?  

Dann findet man ihn.