Gehe aus deinem Haus und deiner Verwandtschaft in ein Land, das ich dir zeigen will. Jugendliche spricht diese Geschichte immer wieder an. Das Lied „Geh, Abraham geh“ ist ein alter Hit in der Jugendarbeit. Leute ziehen in die Ferne hinaus, weg von zuhause. So etwas wird ja eher Jugendlichen zugeschrieben dass sie die Welt erobern, dass sie Ideale im Kopf haben und leben, Alternative suchen. Abraham und Sara – etwas für junge Leute?
Wenig später wird erzählt, wie alt Abraham und Sara gewesen sein sollen, als diese Story begann: 75 und 65 Jahre! Stellen Sie sich das heute vor, bei Leuten aus Ihrer Umgebung, bei einem älteren Herrn über 70, bei einer Dame Mitte 60. Die werden plötzlich mobil, brechen alle Brücken hinter sich ab, fangen etwas Ungewöhnliches an. Sie fühlen sich berufen, in ihrem Alter mit Sack und Pack durch die Weltgeschichte loszuzotteln. Was würden wohl die Nachbarsleute tratschen, wie würde die Verwandtschaft den Kopf schütteln und sagen: und das in ihrem Alter!
So bekommt die Geschichte einen ganz anderen Klang, als wir sie sonst hören, etwas Verwirrendes und Befremdendes. Zwei ältere Menschen steigen aus und neu ein. Das ist etwas, wo manche nicht genau wissen: Ist das etwas Beispielhaftes, etwas Vorbildliches, etwas zum Nachahmen, was Sie Ihren Bekannten empfehlen würden – oder ist das ein abschreckendes Beispiel, übergeschnappt, verdreht und verwirrt.
Dass junge Leute wegziehen und ihre eigenen Wege gehen, dass sie ausbrechen, das verstehen wir, auch wenn es oft auch schmerzt. Junge Leute müssen raus aus dem Haus, das ist allen klar. Dass jedoch ältere, dass alte Menschen so ausbrechen, dass sie mit Sitte und Tradition brechen, das ist uns höchst ungewöhnlich und fremd, vielleicht sogar ein wenig unheimlich.
Abraham und Sara werden klar als ältere Leute geschildert. Anders als heute waren 75- oder 65-jährige in biblischen Zeiten Greise, die völlig auf Unterstützung angewiesen waren. Die Zahl der Jahre soll in der Bibel weniger das genaue Alter ausdrücken. Denn es wird von dem Paar noch vieles mehr berichtet. Und all diese Geschichten sind darüber hinaus Jahrhunderte hindurch mündlich weitererzählt worden, bis sie aufgeschrieben wurden. Aber was heißt „genaues Alter“? Wir sollen wissen: Abraham und Sara waren nicht mehr die Jüngsten. Sie waren in der Lebensphase angelangt, in der Menschen sich zur Ruhe setzen mit ihren Kräften, mit ihrer Gesundheit, ihrer Aktivität und Beweglichkeit. Sie erwarten nichts umwerfend Neues mehr, haben keine Illusionen mehr, sie brauchen keine Bäume mehr auszureißen. Vielleicht werden sie auch ein wenig träge und bequem, innerlich und äußerlich. Solche waren Abraham und Sara, das will uns die Bibel erzählen.
An solche Leute wendet sich Gott: Zieht fort. Beginnt etwas Neues. Ihr, die ihr euch bequem einrichtet, kommt in Bewegung. Ich will euren Horizont erweitern. Ich will, dass ihr losgeht auf eure alten Tage. Ich will, dass mit euch etwas losgeht in eurem Leben.
Abraham und Sara lässt dieser Gedanke nicht los. So können wir es uns vielleicht vorstellen, dass Gott die beiden ansprach. Ein Gedanke, der weiß ich woher kam, arbeitet in ihnen. Er lässt sie nicht mehr zur Ruhe kommen. Er macht sie unruhig und hippelig.
Dann werden sie miteinander hin- und herüberlegt haben. Anders kann ich es mir nicht vorstellen, auch wenn die Bibel darüber schweigt und selbst wenn die Männer von damals als Patriarchen gelten. Aber könnte ein Abraham glaub-würdig und Glaubens-Vorbild sein, wenn es ihn überhaupt nicht interessierte und juckte, was Sara dachte? Und hätte Sara zur Mutter der Glaubenden werden können, wenn sie nur so etwas wie ein blasser und stummer Schatten von Abraham gewesen wäre? Sie werden gemeinsam sinniert und diskutiert haben.
So könnten ihre Gedanken ausgesehen haben: Was stellen wir hier eigentlich an, wir, in unserem Alter? Ist es nicht unklug, dumm und gefährlich, wenn wir alles über Bord werfen, unsere eigenen Erfahrungen und die unserer Eltern und Vorfahren, all das, was sich gehört, was Sitte ist bei uns und was immer so war? Ist es nicht waghalsig, alle Sicherheiten aufzugeben, gerade jetzt, wo wir eher Hilfe benötigen? Ist das nicht ein zu großes Risiko?
Das werden ihnen sicher auch ihre Verwandten und Nachbarn gesagt haben. Das macht man doch nicht. Das ist noch nie da gewesen. Dieser Satz. Da ist förmlich zu spüren, wie Köpfe geschüttelt werden. So wird es auch Abraham und Sara gegangen sein. Niemand konnte, niemand wollte sie verstehen. Selbst enge Beziehungen bekamen einen Riss aus Unverständnis. Und es wird sie geschmerzt haben, dass sie nun so allein da standen.
Vielleicht haben sie sich sogar ausgemalt, ob es nicht wieder so werden könnte wie früher, wenn sie nur ihre Gedanken – Gottes Ruf –wie eine spinnerte Idee beiseite legten und darüber lachten und gemeinsam mit den anderen den Kopf schüttelten: So ein verrückter Einfall!
So wird es bei ihnen hin und her gegangen sein, bis sie sich entschieden haben zu gehen. Kommt es daher, dass sie schon immer offen waren für Neues und gelernt haben, Ungewöhnlichem mit Neugier zu begegnen? Oder ist es schon selbst ein Geschenk, eine Gnade Gottes, wenn Gott Menschen offen macht?
Jedenfalls –sie haben’s gewagt und sind losgezogen. Und am Ende haben sie noch unwahrscheinlich viel erlebt. Für sie, die sich zur Ruhe setzen sollten, hatten noch einmal etwas Neues begonnen. Das hat ihr Leben so bestimmt, verändert und geprägt, dass in der Bibel nur noch davon die Rede ist und nicht von dem, was vorher mit ihnen war. Am Ende waren ihre alten Tage und Jahre erstaunlich reich und bewegt und spannend.
So etwas kann Gott mit alten Menschen vorhaben. So kann Gott Leute auf ihre alten Tage neu machen und ihnen neue Horizonte eröffnen.
Ich finde es spannend, die Geschichte von Abraham und Sara einmal aus dem Blickwinkel des Älterwerdens zu betrachten. Das hilft zu vertrauen, dass Gott in jedem Lebensabschnitt, auch im Alter, Besonderes mit uns vorhat und Wandlungen bereithält. Wenn wir spüren: ich werde älter – kann Gott uns nicht gerade dann neue Horizonte eröffnen? Es macht Mut, dass Gott ausgerechnet ältere Leute wie Abraham und Sara losschickt, und aus dem Aufbruch der beiden Alten erwächst sogar Zukunft für ein ganzes Volk.
Sicher zeichnen sich die Jahrzehnte in unseren Körpern ein; vieles fällt schwerer und dauert länger. Abraham und Sara können heute anregen, dass ich Neues an mir entdecke und merke: ich kann mich wandeln, statt zu klagen: „Es wird alles schlechter, es ist sowieso nichts mehr los“. Als die beiden älter wurden, stagnierte es gerade nicht. Es ging nicht rückwärts mit ihnen oder wurde weniger und schlechter. Sondern Gott hat ihnen eine neue Zukunft, eine neue Aufgabe gezeigt.
Das gilt für jedes Lebensalter. Gott ruft immer wieder heraus aus dem, wie es ist, aus einem verklärten Blick auf die Vergangenheit. Gott lockt weg von dem, wie es früher war, was schon immer so gewesen ist, wie es jetzt üblich ist oder wie es jetzt so geht. Das ist vorbei. Gott richtet den Blick nach vorn. Abraham und Sara waren dafür offen. Sie können ihren Blick auf die Zukunft wenden und ihre Schritte, ihre Kraft darauf richten. Ich wünsche uns, dass wir, jung und alt, mit dem Pfund der Offenheit wuchern und Gottes Wege nach vorn gehen, so ungewöhnlich sie sein mögen.