Bilder gelingenden Lebens - Predigt zu Matthäus 5,1-10 von Søren Schwesig
5,1-10

Bilder gelingenden Lebens

Liebe Gemeinde,

der deutsche Protestantismus ist gegenwärtig gefragt in den Medien. Zweierlei Themen sind es, die Menschen gegenwärtig in unserem Land umtreiben und bei denen auch die Meinung der Kirche gefragt ist.
Zum einen die Diskussion um die Sterbehilfe. Wie sollen Christen in der Debatte um ein menschenwürdiges Lebensende entscheiden? Was sagt die Kirche? Die Mehrheit der Theologen spricht sich gegen einen ärztlich assistierten Suizid aus. Allerdings zeigt der Fall des EKD-Ratsvorsitzenden Nikolaus Schneider das Dilemma auf, in dem Menschen stecken können. Schneiders Frau ist an Krebs erkrankt. Deswegen beschloss er sein Amt als Ratsvorsitzender der EKD niederzulegen. In einem Interview sagte Schneider, er würde, falls seine Frau den assistierten Suizid wünsche, sie auf diesem Weg begleiten. „Aus Liebe“, auch wenn er damit gegen seine Überzeugung handeln würde.

Das andere Thema: Sollen Waffen an Kurden geliefert werden zur Abwehr der Terrororganisation „Islamischer Staat“? In der EKD ist man über diese Frage gespalten. Als Beispiel dienen zwei ehemalige EKD-Ratsvorsitzende. Margot Käßmann spricht sich als Pazifistin gegen Waffenlieferungen aus. Deutschland solle Frieden statt Waffen exportieren, erklärt sie in einem Interview. Wolfgang Huber dagegen fordert ein klares Bekenntnis zum Eingreifen im Nordirak. Die Menschen, die dort ihrer elementaren Rechte beraubt und auf grausame Weise umgebracht werden, müssen in ihrem Leben und ihren elementaren Rechten geschützt werden. So Huber.
Ja wirklich: Der deutsche Protestantismus ist gegenwärtig gefragt.

Aber nicht wegen dieser Themen sind wir heute hier. Heute ist Reformationstag. Heute erinnern wir uns an die alte Ge­schichte von Martin Luther, der sich im Klos­ter Tag und Nacht fragt: „Was muss ich tun, um selig zu werden? Was muss ich tun, um es Gott recht zu machen?“ Luther versucht alles, was ein frommer Mensch nach den dama­ligen Maßstäben tun kann: Er fastet, beichtet, kasteit sich, gibt sein Bestes. Aber das, was er sucht, einen gnädi­gen Gott, findet er nicht.
Bis er den Römerbrief liest – vor allem diesen Satz: „Die Gerechtigkeit von Gott kommt allein aus dem Glauben...“ Luther hört die Worte, sieht sie vor sich und weiß: Das ist es. Darum geht es. Sich Gnade zu­sagen lassen. Sich von Gott sagen lassen: „Du bist mir recht, bist mir lieb.“ Sich gerecht füh­len. Allein aus Glauben. Das ist es!

Heute hören wir ähnliche Worte wie dieses „Du bist mir recht.“ Ich lese aus der Bergpredigt Jesu die Seligpreisungen, Verse aus Mt 5:
1 Als er aber das Volk sah, ging er auf einen Berg und setzte sich; und seine Jünger traten zu ihm. 2 Und er tat seinen Mund auf, lehrte sie und sprach: 3 Selig sind, die da geistlich arm sind; denn ihrer ist das Himmel­reich. 4 Selig sind, die da Leid tragen; denn sie sollen getröstet werden. 5 Selig sind die Sanftmütigen; denn sie werden das Erdreich besitzen. 6 Selig sind, die da hungert und dürstet nach der Gerechtig­keit; denn sie sollen satt werden. 7 Selig sind die Barmherzigen; denn sie werden Barmherzig­keit erlangen. 8 Selig sind, die reinen Herzens sind; denn sie werden Gott schauen. 9 Selig sind die Friedfertigen; denn sie werden Gottes Kinder heißen. 10 Selig sind, die um der Gerechtigkeit willen verfolgt werden; denn ihrer ist das Himmel­reich.

Jesus malt uns in diesen Seligpreisungen großartige Bilder von gelin­gen­dem Leben vor Augen. Bilder von einem anderen, besseren, glückli­chen Leben. Einem Leben, wie Gott es will und wie es Jesus in der Bergpredigt und in seinen Gleichnissen beschreibt.

Aber entspricht unser Leben dem, was wir in den Seligpreisungen hö­ren? Doch eher nicht. Unser Leben war nie so voller Sanftmut und Barmherzig­keit. Unser Leben war nie so angefüllt mit brennender Sehnsucht nach Gerechtigkeit, nie so voller Hingabe für den Frie­den.
So schön die Bilder der Seligpreisungen auch sind – sie bleiben Bil­der. Bilder, denen wir nicht entsprechen und denen auch die Menschen vor uns nicht entsprochen haben. Dennoch sehnen wir uns nach einem gelin­gendem Leben.

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Woher kommt diese Sehnsucht? Vielleicht daher, dass wir spüren, dass unsere Welt nicht so ist, wie Gott sie will. Eine Welt, in der es oft hart und erbarmungslos zugeht. Eine Welt, in der die einen zurechtkommen, andere aber auf der Strecke blei­ben. Eine oft menschenfeindliche Welt, die einer mal so umschrieben hat: Verraten sind die Armen, denn sie haben nichts einzubringen. Verraten sind die Leidtragenden, denn sie sind ausgeschlossen aus der Gesell­schaft. Verraten sind die Sanftmütigen, denn sie werden an die Wand gedrückt. Verraten sind, die hungern und dürsten nach der Gerechtig­keit, denn Macht geht vor Recht und Geld regiert die Welt. Verraten sind die Barm­herzigen, denn Undank ist der Welt Lohn. Verraten sind die, die reinen Herzens sind, denn sie werden übers Ohr gehauen. Ver­raten sind die Friedfertigen, denn sie werden zwischen die Fronten ge­raten. Verraten sind, die um der Gerechtigkeit willen verfolgt werden, denn am Ende ist alles umsonst.
Harte Worte. Aber sie geben wieder, was unzähligen Menschen täg­lich auf dieser Welt widerfährt.

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Aber inmitten dieser oft menschenfeindlichen Welt beschreibt Jesus in seinen Se­ligpreisungen, was für ihn gelingendes Leben ist. Gelingendes Leben ist für Jesus, wenn wir angesichts dieser Welt nicht resigniert sagen: `Das war schon immer so, da kann man nichts machen!´- son­dern wenn wir dieser Welt entgegentreten und dabei nicht auf unsere eigene Kraft vertrauen, sondern alles von Gott erwarten. Das ist für Jesus gelingendes Leben. Und er malt uns für dieses gelingende Leben Vorbilder vor Augen. Aber was für Vorbilder! Es sind sämtlich Men­schen, die nach den Maßstäben dieser Welt alles andere als Siegerty­pen sind.
 
Da sind die Armen. Armut ist eine Geißel der Menschheit und zugleich ihr ständiger Begleiter. Zwar nimmt die Zahl der Armen weltweit ab, aber man ist weit weg vom sogenannten Milleniumsziel der Vereinten Nationen, die bis zum Jahr 2015 die Zahl der Armen halbieren wollte. Armut gibt es auch bei uns in Deutschland. Die Diakonie gibt die Zahl der Straßenkinder in der Region Stuttgart mit 700 an. Kinder und Jugendliche, die aufgrund von Schlägen, Missbrauch, Kinderheim oder anderer Hintergründe auf der Straße gelandet sind. Arme tauchen bei uns in der Kirche kaum auf, höchstens in der Vesperkirche. Jesus richtet seinen Blick auf sie und sagt: Das Himmelreich ist ihrer. Es kommt eine Zeit, da wird es ihnen an nichts fehlen.

Dann die, die Leid tragen. Übergroß ist das Leid, das uns in den Ereignissen dieses Jahres begegnen. Wir starren wie paralysiert auf die Ereignisse im Irak und in Syrien. Fassungslos nehmen wir die Kämpfe in der Ukraine wahr und erleben, wie gefährlich rasch die Beziehungen zwischen Europa und Russland drohen sich in Richtung einer neuen Eiszeit zu bewegen. Und dann die Ebola-Katastrophe in Westafrika. „Es ist, als ob die Welt aus den Fugen gerät“, hat unser Außenminister angesichts dieser Ereignisse gesagt.
Im Leid verlieren Menschen vieles, manchmal alles, manche sogar sich selbst. Jesus sagt: Ihr sollt getröstet werden. Es wird eine Zeit kommen, da euer Lebensmut zurückkehren wird.

Die Sanftmütigen. Sanftmütig wird oft mit Schwäche verwechselt. Aber sanftmütige Menschen sind kostbar. Sie öffnen uns mit ihrem Tun unseren Horizont. Sie öffnen mit ihrem Tun für uns ein Fenster, durch das wir schauen und erahnen können, wie das Leben auch sein könnte. Unsere Welt braucht die, die darauf verzichten, ihre Ellbogen zu benutzen. Die sich weigern, anderen zu schaden. Jesus sagt: Ihr werdet das Erdreich besitzen. Ihr werdet die Welt bebauen und bewah­ren.

Dann die, die hungern nach Gerechtigkeit. Der Hunger nach Gerechtig­keit ist wesentlicher Bestandteil unseres Glaubens. Dass ein Christ für das Recht, Leben und Würde des Anderen eintritt, ist nicht sein persönliches Hobby. Der Hunger nach Gerechtigkeit ist Kernstück unseres Glaubens. Mit unseren Gaben für Brot für die Welt und andere Hilfsorganisationen versuchen wir diesen Hunger zu stillen. Manchmal aber verlieren wir den Kampf um Gerechtigkeit wieder aus den Augen. Möge es uns gelingen, dass wir den Hunger nach Gerechtigkeit in uns wachhalten. Jesus sagt: Wer so hungert, wird satt werden.

Die Barmherzigen. Scheinbar ist uns der Begriff `unbarmherzig´ viel geläufiger ist als das Wort ´barmherzig´, weil Unbarmherziges in unserer Welt so oft vorkommt. In der Bibel aber spielt `Barmherzigkeit´ eine bedeutende Rolle. Das Alte Testament nennt vor allem Gott selbst barmherzig, weil er seinem Volk hilft und vergibt, ohne daran Bedingungen zu knüpfen. Tun wir es ihm nach. Wenden wir uns dem Mitmenschen zu. Wenn wir in die Gesichter der Menschen schauen, werden wir das Ebenbild Gottes erkennen. Jesus sagt: Wer solches tut, wird Barm­herzigkeit erlan­gen.

Die reinen Herzens sind. Das Herz ist das Innerste eines Menschen. Vielleicht ist das reine Herz die größte aller Sehnsüchte. Vielleicht beten Menschen deshalb bis heute: "Schaffe in mir, Gott, ein reines Herz." Wer ein reines Herz hat, sieht die Welt und die Menschen anders. Wer ein reines Herz hat, sieht die Welt und die Menschen als von Gott geschenkt. Wer so sehen kann, kann dann auch seine Verantwortung erkennen. Jesus sagt: Die reinen Herzens sind werden Gott schauen. Dann wird alles licht sein und gut.

Die Friedensstifter. Menschen, die Frieden im Alltag schaffen, so dass Menschen wieder miteinander reden und leben und einander in die Augen schauen können. Das geschieht manchmal unspektakulär im Alltag oder auch durch einen Schritt, der Völker und Kulturen und Reli­gionen einander näher bringt und das Kriegsbeil begräbt. Jesus adelt sie und sagt: Sie wer­den Gottes Töchter und Söhne heißen.

Zuletzt die um der Gerechtigkeit willen Verfolgten. Menschen, die oft vergessen sind. Die für ihre Überzeugungen in Verließen und Gefäng­nis­sen sitzen. Jesus sagt: Die Verfolgten, aber auch die, die sich für sie einset­zen - ihnen gehört das Himmelreich.

Nach den Maßstäben dieser Welt alles keine Siegertypen. Aber für Je­sus sind sie Vorbilder gelingendes Leben: Weil sie vor der Welt nicht resignieren, sondern ihr entgegentreten und dabei nicht auf ihre eigene Kraft vertrauen, sondern alles von Gott erwarten.

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Jesus verkündet sein gelingendes Leben im Horizont des Reiches Got­tes. In der Erwartung, dass diese Welt nicht Gottes letzte Wort ist, sondern dass er ihr ein Ende setzen und sein Reich aufrichten wird. Ein Reich, in dem Menschen einander kein Leid mehr zufügen, weil sie sich von Gottes Geboten leiten lassen. Ein Reich, in der man keinen Hass mehr kennt und das Unrecht keinen Platz mehr hat. Ein Reich des Friedens und der Gerechtigkeit, der Barmherzigkeit und der Liebe.

Zwar sind die Seligpreisungen gesprochen im Horizont des kommenden Reiches Gottes, sie sind aber keine Vertröstungen auf eine kom­mende Welt – im Sinne von: „Haltet aus, dann wird es euch besser gehen und ihr belohnt werden!“ Vielmehr reden sie davon, dass Gottes Kraft oft genug ausgerechnet in den Schwachen mächtig ist. Diese Schwachen preist Jesus glücklich. Denn Gottes Kraft soll sie zu einem eigentlich paradoxen Verhalten befähigen: Sie sollen in aller Schwachheit den Aufstand wagen. Sie, die Armen, die Barmherzigen, die Friedfertigen – sie sollen den Aufstand wagen gegen eine gott- und menschenfeind­liche Welt.

Dieser Aufstand beginnt oft ganz im Kleinen, im Gebet oder im muti­gen Bekennen der eigenen Überzeugung. Auch Luther wusste im Jahre 1517 nicht, welchen Orkan seine 95 Thesen auslösen wür­den. Aber als später die mächtige Papstkirche ihn, den kleinen Mönch aus Wit­ten­berg, bedrohte, erwartete er alles von Gott - bis hin zu seinem berühm­ten Satz vor Kaiser und Reich: „Hier stehe ich und kann nicht anders. Gott helfe mir.“

In dieser Nachfolge feiern wir heute den Reformationstag. Wir wollen ihn feiern als solche, die wir angesichts mancher Realitäten in dieser nicht Welt resig­nieren, sondern die sich diesen Realitäten entgegenstellen und dabei nicht auf ihre eigene Kraft vertrauen, sondern alles von Gott erwarten. Von ihm, der in den Schwachen mächtig ist. Von ihm, der sagt: „Ihr Armen, die Barmherzigen, die Friedfertigen – selig seid ihr!“
Amen.
 

Perikope
31.10.2014
5,1-10