Das Abenteuer Vertrauen wagen - Predigt zu Johannes 5, 39-47 von Anke Fasse
Die Gnade unseres Herrn Jesus Christus und die Liebe Gottes und die Gemeinschaft des Heiligen Geistes sei mit uns allen. Amen.
Liebe Gemeinde,
was für ein Vertrauen – unter diesem Motto haben sich in den letzten Tagen zehntausende ganz unterschiedliche Menschen in Dortmund zum Evangelischen Kirchentag getroffen. Sie haben miteinander und mit vielen Menschen aus Politik, Wirtschaft, Kultur und Kirche über verschiedenste aktuelle Themen diskutiert. Sie haben miteinander gefeiert, gesungen und gebetet. Jetzt gerade, während wir hier miteinander Gottesdienst feiern, feiern in Dortmund rund 100000 Menschen, darunter viele Jugendliche, an der Seebühne im Westfalenpark den Abschlussgottesdienst der kirchlichen Großveranstaltung.
Was für ein Vertrauen! Was für ein Vertrauen? Haben all diese Menschen denn nichts gehört vom gewaltigen Mitglieder– und Bedeutungsverlust der Kirche? Haben Sie nicht wahrgenommen, dass es nur noch bei einer kleinen Zahl dazu gehört, sich konfirmieren zu lassen, sich aktiv in der Kirche einzubringen? Irgendwie nicht mehr so recht zeitgemäß...
Und dann so etwas: 100000 kommen zusammen, um dort heute miteinander öffentlich Gottesdienst zu feiern. Was für ein Vertrauen!
Und wie ist es mit unserem Glauben? Mit unserem Vertrauen?
„Ich könnte glauben, wenn ich doch nur ein paar mehr Anhaltspunkte hätte, dass es Gott wirklich gibt. Aber was ich jeden Tag in der Zeitung lese, das bringt mich dem Glauben wirklich nicht näher.“ Diesen Eintrag fand ich in unserem offenen Buch, das in der Krankenhauskapelle ausliegt. Und darunter schrieb ein anderer: „Ich würde ja vertrauen, aber was, wenn ich doch falle?“
Ich muss tief durchatmen, als ich das las. Viele verschiedene Bibelworte kommen mir in den Sinn. Der Herr ist mein Hirte – wie oft habe ich allein in den letzten Wochen diesen alten, vielen so vertrauten, Psalm gesprochen und gespürt, wie er Menschen in Extremsituationen Halt und festen Boden unter den Füßen gibt.
Und gestern erst sagte eine Ehrenamtliche zu mir: „Ich habe ja den Herrn Jesus. Dem gebe ich alles ab, was ich im Krankenhaus an Schwerem höre. Der wird das schon machen.“ Ja, wir haben Jesus, das möchte ich am liebsten dem Schreiber dieser Worte sagen. Er hat gelebt auf dieser Erde, so wie du und ich. Er ist Vorbild und Richtschnur für viele. Er ist Gott auf Erden. Hoffnung über den Tod hinaus. Ja und dann: Nun aber bleiben Glaube, Liebe, Hoffnung, diese drei, aber die Liebe ist die Größte unter ihnen. Das haben Menschen über die Jahrhunderte hinweg erlebt, geglaubt, erfahren – immer wieder neu und anders. Was brauchen wir denn noch mehr um zu glauben, zu vertrauen?
Sie ist sechzehn Jahre alt und beeindruckt weltweit Viele mit ihrem Engagement. Klein und unscheinbar begann sie. Irgendwo in Schweden. Beharrlich. Standfest. Voller Überzeugung und Vertrauen. So lange schon weisen verschiedenste Forscher auf die gravierenden, unumkehrbaren Folgen des Klimawandels hin. Warnen die Weltgemeinschaft nicht so fortzufahren mit dem Konsum, mit dem Verbrauch der Energien. Abkommen werden geschlossen. Und doch schreitet die Zeit immer weiter voran – ohne dass viel passiert. Die Warnungen scheinen zu verhallen. Für die junge Greta aus Schweden ist dies nicht zu ertragen. Aus dem Engagement einer einzelnen entwickelt sich eine weltweite Bewegung junger Menschen. Fridays for future ist mehr als ein Begriff. Es ist eine Bewegung, die anders und neu hinterfragt, weltweit. Ich bin fasziniert von der Beharrlichkeit und dem Engagement dieses Mädchens und der vielen jungen Menschen, die sie in Bewegung versetzt hat. Und ich bin berührt davon, dass sie darauf drängen, dass all die Warnungen endlich ernst genommen werden und ihnen Umdenken und Taten folgen. Niemand kann sagen, wir hätten es nicht gewusst, welche Folgen der Klimawandel hat und wir hätten keine Zeit gehabt, etwas zu verändern.
Jesus selbst begegnet dies „Problem“ mit dem Nicht-Glauben können oder Nicht-Glauben wollen. Er selbst erlebt, wie schwer es für Menschen ist, eine Haltung zu verändern. Scheinbar müsste alles klar sein, schwarz auf weiß ist es in den Schriften festgehalten, Mose etwa verweist auf ihn – aber die Gemeinde vertraut und glaubt ihm nicht. Ihr geht es um das, was vor Augen ist, um die Anerkennung bei anderen Menschen und nicht um Gott. Darum geht es im Predigtwort für den heutigen Sonntag. Ich lese aus dem 5. Kapitel des Johannesevangeliums.
Ihr forscht doch in den Heiligen Schriften und seid überzeugt, in ihnen das ewige Leben zu finden – und gerade sie weisen auf mich hin. Aber ihr seid nicht bereit, zu mir zu kommen und so das ewige Leben zu haben. Ich bin nicht darauf aus, von Menschen geehrt zu werden. Außerdem kenne ich euch; ich weiß, dass in euren Herzen keine Liebe zu Gott ist. Ich bin im Auftrag meines Vaters gekommen, doch ihr weist mich ab. Wenn aber jemand in seinem eigenen Auftrag kommt, werdet ihr ihn aufnehmen. Wie könntet ihr denn auch zum Glauben an mich kommen? Ihr legt ja nur Wert darauf, einer vom andern bestätigt zu werden. Aber die Anerkennung bei Gott, dem Einen, zu dem ihr euch bekennt, die sucht ihr nicht. Ihr braucht aber nicht zu denken, dass ich euch bei meinem Vater verklagen werde. Mose klagt euch an, derselbe Mose, auf dessen Fürsprache ihr hofft. Wenn ihr Mose wirklich glaubtet, dann würdet ihr auch mir glauben; denn er hat über mich geschrieben Da ihr aber seinen geschriebenen Worten nicht glaubt, wie könnt ihr dann meinen gesprochenen glauben. (Joh 5, 39-17)
Was macht es so schwer mit dem Glauben und mit dem Vertrauen, damals und heute? Die Gemeinde, zu der Johannes schreibt, war wohl sehr klein. Das Christentum war jung und vielen kritischen Stimmen ausgesetzt. Die christliche Gemeinde war umgeben von der traditionsreichen jüdischen Gemeinde, eine Minderheit also. Und Jesus versucht, sie zu überzeugen, indem er auf die gemeinsamen Schriften, auf die hebräische Bibel verweist. „Wenn ihr Mose glaubtet, so glaubtet ihr auch mir, denn er hat von mir geschrieben.“ Viel mehr Autorität gibt es nicht. Und doch ist und bleibt es schwierig mit dem Glauben.
Ich versuche eine Verbindung in die heutige Zeit zu ziehen. Die Kirchenmitgliedschaft sinkt. Die Bedeutung der Kirche nimmt ab, das wird immer wieder gesagt, berichtet, geschrieben. Und heute: 100000 Menschen feiern Gottesdienst, nicht in einer Kirche, sondern draußen im Westfalenpark und wieviel mehr mögen es an den vielen anderen Orten sein – und wir gehören dazu. Und das alles 2000 Jahre nachdem es so zaghaft anfing mit dem Christentum, belächelt und verfolgt wurde. Welch Vertrauen haben Menschen doch immer wieder besessen. Welch Vertrauen, welche Beharrlichkeit, welcher Glaube wurde ihnen geschenkt, haben sie gewagt - und so etwas bewegt.
Hätte mir nicht jemand sagen können, wie schnell die Zeit vergeht?“, das sagt mir mit einem verschmitzten, nachdenklichen Lächeln eine ältere Frau im Krankenhaus. „Dann hätte ich doch manches anders gemacht und vor allem, die Prioritäten anders gesetzt. Ob die Fenster nun sauber oder schmutzig sind, das spielt doch keine Rolle,“ meinte sie, „aber die Zeit mit den Kindern, oder das einfach mal in der Sonne sitzen und genießen – das hätte ich mal mehr machen sollen. Aber“ – nach einer Pause fügt sie hinzu – „wenn ich ehrlich bin, hat mir das meine Mutter noch kurz vor ihrem Tod gesagt: Mädchen, hat sie gesagt, je älter du wirst, je schneller vergeht die Zeit. Nutze sie! Ja, das hat sie gesagt. Aber, ich frage mich, warum ist es so schwer, das umzusetzen? Niemand kann sagen, ich hätte es nicht gewusst.“ Nachdenklich gehe ich von diesem Gespräch zurück in mein Büro und denke immer wieder daran.
Warum ist es manchmal so schwer, Weisheiten, Warnungen, Erkenntnisse nicht nur zu hören, sondern sie umzusetzen im eigenen Leben mit Wort und Tat?
Und so wie es mir schwerfällt wirklich etwa so umweltbewusst einzukaufen, wie ich es eigentlich möchte oder meine Prioritäten wirklich bewusst im Leben zu setzen, weil ich weiß, dass meine Zeit begrenzt ist – so schwer, wie es für mich persönlich ist, so schwer und noch viel schwerer ist es für die großen Zusammenhänge dieser Welt.
Und auf der anderen Seite, erleben wir dies Vertrauen all der Menschen, die gerade jetzt beim Kirchentag einen lebendigen Gottesdienst feiern. Wir erleben, dass das Engagement einer einzelnen Jugendlichen etwas bewegen kann.
Liebe Gemeinde, immer wieder mag es gute Gründe geben, nicht zu glauben oder nicht zu vertrauen. Aber genauso viele Gründe gibt es der Einladung zum Glauben zu folgen und es zu wagen mit Körper, Geist und Seele, es auszuprobieren, immer wieder neu, gegen den Strom zu schwimmen, zaghaft, beharrlich – und darauf zu vertrauen, dass ER da ist mit seiner Verheißung für Dich und mich und unsere Welt.
Amen