Das bedeutsame Familienfest
2,1-21

Liebe Gemeinde,

waren Sie schon mal die Maria? Oder der Josef? In der Schule oder in der Kirche beim Krippenspiel? Ich erinnere mich, dass die Rollen der Maria und des Josef immer leicht zu besetzen waren. Aber wenn die Proben dann losgingen, gab es regelmäßig ein Problem für die beiden: Wie macht man das eigentlich, ein Paar spielen? So wie zuhause? Oder lieber anders? Eines war schon klar: Es durfte nicht gestritten werden! Man war ja schließlich die Heilige Familie!  Da musste es ordentlich und friedlich zugehen.

Die heilige Familie gab lange Zeit gleichsam das Vorbild für bürgerliche Familien ab. Dann musste die heilige Familie herhalten als Vorbild für die heile Familie. Vater, Mutter, Kind. Alles einträchtig beieinander, in wohlgeordneten Verhältnissen.

Und wenn man dann mit einem Weihnachtslied singt „ich sehe dich mit Freuden an und kann mich nicht satt sehen“, dann ist das, als wollte man dieses Heil-Sein der heiligen Familie in höchsten Tönen loben.

Ich glaube, dass sich tatsächlich viele Menschen nicht satt sehen können am Heiligen-Schein, am Heil-Sein dieser Familie. Das ist der Traum von Weihnachten: Wenigstens einmal im Jahr ahnen, wie es auch sein könnte. Heil. Friedlich. Geborgen.

Denn das Leben ist nicht immer heil. Auch unsere Familienverhältnisse nicht. Aber was an 364 Tagen im Jahr nicht oder nicht immer glückt in der Heiligen Nacht soll es doch gelingen. Denn diese Nacht ist eine besondere Nacht. Heilig und still.

„Nur das traute, hoch heilige Paar“ wacht einsam in dieser besonderen Nacht. Die Mutter, Maria, und Josef, der Vater.

Vor allem Maria ist im Blick: Die schöne junge Mutter, die fast jedes Mädchen gerne spielen will. Leise lächelnd. Mit fast schon überirdischem Leuchten im Gesicht.

Die Spur des Josef hingegen verliert sich. Dabei ist er so wichtig für das Jesuskind! Durch Josef bekommt es eine Reihe berühmter Vorfahren. Die Erzväter des Gottesvolkes sind dabei: Abraham, Isaak und Jakob, dazu die Könige David und Salomo – eine prominente Ahnengalerie, mit der Josef da aufwarten kann. Er bürgt für die königliche Abstammung des Jesuskindes. Nicht Maria.

Doch seine Rolle in der Heiligen Familie wurde lange übersehen. Eine Erfahrung, die er mit manchen Familienvätern heute teilt.

Christiane Schaaf-Saulin, Statement: Weihnachten, da geht es auch um eine Familiengründung. Eine Mutter und um ein Vater, die sich auf ein Kind freuen. Ein Vater, der nicht der leibliche Vater des Kindes ist, übernimmt Verantwortung, steht an der Seite seiner Frau, verdrückt sich nicht, haut nicht ab.

Superintendent Andreas Lange: Das macht mir diesen biblischen Joseph sympathisch, für mich ist er ein wunderbares Vorbild.

Und dann dieses Weihnachtsbild hier in unserer Kirche. Wenn ich es genauer betrachte, bin ich irritiert, verstört - ja, auch betroffen. Wir sehen keine Familienidylle.

Es zeigt eine jubelnde Mutter - Maria, die ihr Kind in den Händen trägt und einen ins Abseits gestellten Vater - Joseph unters Bett geschoben.

Das ist nah dran, wie es Menschen auch heute oft geht.

Ja, manche Männer heute fühlen sich in ihrer Familie als Verlierer. Wie Josef damals? Stand der etwa auch in Marias Schatten?

Oder wie soll man das Bild hier in der Kirche deuten mit dem Josef, klein mit Hut unterm Bett? Wir haben uns in der Vorbereitung lange mit diesem Bild beschäftigt. Wir wollten verstehen, wie dieses Bild eigentlich gemeint ist. Dann haben wir es abfotografiert und vergrößert. Wir haben entdeckt:

Es geht in diesem Bild nicht darum, den Josef klein zu machen. Sondern es geht darum, das Kind groß zu machen. So wie Maria es auf dem Bett liegend in die Höhe hält, soll gesagt werden: Schaut hin. Dieses Kind ist etwas ganz Besonderes. Es ist Gott und Mensch zugleich. Es ist geboren wie jedes Menschenkind von einer Frau, doch es kommt von woanders her. Es ist von göttlicher Herkunft.

Gott bleibt nicht fern im Himmel, sondern er kommt zur Welt. Er verbindet sich ganz und gar mit uns Menschen.

Lange Zeit hat Josef in der Kunst daher überhaupt keine Rolle gespielt. Maria als Mutter Gottes und das Kind saßen das ganze Mittelalter hindurch im Zentrum vieler Weihnachtsbilder. Josef war höchstens schmückendes Beiwerk. Ochs und Esel standen dem Christuskind näher als ausgerechnet er.

Später änderte sich das. Die Künstler malten auf einmal auch den Vater dazu. Aus der Zweisamkeit von Maria mit dem Jesuskind wurde die Heilige Familie. Mit Josef als einer Art „Hausmann“: er macht Feuer, er kocht Suppe, er wäscht die Windeln. Ganz schön fortschrittlich.

Damit wird er zum Vorbild für alle Väter, die ihre Rolle erst finden müssen. Und vielleicht manches in ihrem Familienleben schmerzlich ungereimt finden.

Arne Heger, Statement: Ich selbst bin ein Scheidungskind. Und ich bin über diesen Josef da unten überhaupt nicht verstört. Ich habe nämlich meine eigene Geschichte mit Weihnachten.Schon als Jugendlicher habe ich Weihnachten immer unter zwei Tannenbäumen feiern müssen. Beide Eltern unter einem Baum, das gab es für mich nicht mehr.

Vor fünf Jahren bin ich Vater geworden. Familie? Leider Fehlanzeige. Seit rund vier Jahren fahre ich jeden Monat 2.500 Kilometer Auto, um meinen Sohn zu sehen.

Als das erste Weihnachtsfest ohne ihn anstand, war ich furchtbar wütend. Wütend  darüber, dass ich generell daran gehindert wurde, Vater sein zu dürfen. Darüber habe ich viel nachgedacht und aus Gesprächen mit Freunden wuchs ein Gedanke: Ich bin Vater und das kann mir niemand nehmen.

Als mein Sohn und ich unser erstes Weihnachtsfest bei mir zuhause gefeiert haben, habe ich durch ihn Weihnachten neu entdeckt: seine leuchtenden Augen, seine Ungeduld, sein Lachen… das hat mich mit Weihnachten versöhnt.

Es ist auch für mich zum Fest der Familie geworden. Nicht im klassischen Sinne: Vater, Mutter, Kind unter dem Weihnachtsbaum. Eher unterteilt in viele kleine Augenblicke, mit mir lieben Menschen.

Superintendent Andreas Lange: Vater, Mutter, Kind, alles in geordneten Verhältnissen − so kann es sein. Das wünscht sich auch weiterhin ein großer Teil unserer Gesellschaft. Und es ist schön, wenn es so ist. Aber es kann auch anders kommen.

Gott hätte es ja auch ganz anders machen können: Vater, Mutter, Kind, mit Ehering und Einbauküche. - So hätte es sein können, so war es aber nicht. - Doch genau deswegen wächst mir diese Heilige Familie ans Herz.

„Macht denn nur das Blut den Vater?“, fragt Lessing in „Nathan der Weise“. Vater-Sein, Mutter-Sein und Familie-Sein ist auch und vielleicht vor allem: Dass Menschen finden, was sie leben lässt und worauf es wirklich ankommt. Niemand soll daran zerbrechen, dass er oder sie die Idealbilder einer ach so Heiligen Familie nicht erfüllen kann.

Gott überlässt die kleine und große Welt nicht uns selbst. Er kommt uns nahe und macht unser Leben leicht, legt gleichsam sein Gold über unsere Brüche. Damit Wunden heilen und Friede wird.

Familie ist dort, wo Menschen spüren: Wir nehmen einander an wie Gott es auch tut. Wir brauchen nicht Maria oder Josef zu „spielen“. Wir gehören in die Weihnachtsgeschichte hinein. Und mit uns geht sie weiter.

Amen.


 

Perikope
24.12.2014
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