Das große Projekt „eines Sinnes“ zu sein vs. unsere Befindlichkeiten - Predigt zu Philipper 2, 1-4 von Thomas Volk
2, 1-4

Das große Projekt „eines Sinnes“ zu sein vs. unsere Befindlichkeiten - Predigt zu Philipper 2, 1-4 von Thomas Volk

Liebe Gemeinde,

stellen Sie sich vor, Sie würden in einem Liegestuhl liegen und könnten sich dabei so richtig entspannen, weil die letzten Wochen vor der Sommerpause Ihnen einfach viel abverlangt haben.

Die eigene Befindlichkeit auf die Probe gestellt

Wie auch immer Sie sich im Liegestuhl vorfinden - den Zustand, in dem man sich “findet”, nennt man auch Befindlichkeit. Unsere Befindlichkeit gewinnen wir - und nur wir selbst - durch unsere innere Wahrnehmung, aus unserem Empfinden, auch aus unserem Gefühl.

Man kann sich gut fühlen, entspannt, froh und heiter. Man kann aber auch spüren, dass da noch etwas ist, was unsere gute Stimmung erheblich dämpft.

Ich kenne kaum einen Menschen, dessen Befindlichkeit gerade in den Wochen vor der großen Sommerruhe nicht auf eine große Probe gestellt wird.

Was war das für ein Gezänk bei der letzten Mitarbeitersitzung vor den Ferien? Eigentlich wollten wir uns nur austauschen, wie das letzte halbe Jahr gelaufen ist, aber dann ist das eine zum anderen gekommen und am Schluss gab es wieder die Grabenkämpfe.

Beim Gemeindefest haben wieder nur dieselben mitgemacht und die anderen haben nur gemosert, dass nichts Neues angeboten worden ist.

Und zu Hause haben sich alle wieder auf Sie verlassen und niemand kam auf die Idee, dass das alles zu viel für Sie sein könnte.

Wer dankt mir, dass ich meine Zeit und Kraft gegeben habe? In der Kirchengemeinde, in der Familie, im Verein oder im Beruf?

Kein Wunder, dass viele vor den Sommerferien entgegnen: „Ich möchte am liebsten nichts mehr hören und sehen. Sollen die anderen machen, was sie wollen. Ich will nicht mehr. Ich brauche Zeit für mich. Abschalten. Entspannen. Erholen. Im Liegestuhl oder an einem anderen Lieblingsplatz.“

Worte mit Weitblick

Beim heutigen Bibelabschnitt könnte man den Eindruck haben, als ob unsere Befindlichkeiten keine Rolle spielen und wir unentwegt ehrenamtlich tätig sein müssten. Aber darum geht es dem Apostel Paulus, von dem die folgenden Verse stammen, gerade nicht.

Wir brauchen eine Auszeit! Wir haben uns erholsame Tage im Liegestuhl verdient! Und es ist schön, wenn man den Hochsommer mit seiner Wärme und der schönen „Garten Zier“ (EG 503,1), genießen kann.

Aber dann - so verstehe ich die Worte aus dem 2. Kapitel des Philipperbriefes - sind wir wieder eingeladen aus unserer Komfortzone herauskommen und uns froh den Menschen und der Welt zuwenden.

Paulus schreibt:

1 Ist nun bei euch Ermahnung in Christus, ist Trost der Liebe, ist Gemeinschaft des Geistes, ist herzliche Liebe und Barmherzigkeit,

2 so macht meine Freude dadurch vollkommen, dass ihr eines Sinnes seid, gleiche Liebe habt, einmütig und einträchtig seid.

3 Tut nichts aus Eigennutz oder um eitler Ehre willen, sondern in Demut achte einer den andern höher als sich selbst,

4 und ein jeder sehe nicht auf das Seine, sondern auch auf das, was dem andern dient.

Der große Traum des Paulus

Die wenigstens Menschen, die diese Worte als erste gehört haben, wurden nach ihren Befindlichkeiten gefragt. Philippi war eine römische Militärkolonie. Der Alltag bestand darin, dass die einen Befehle gegeben und die anderen gehorcht haben.

Wie wohltuend ist da die christliche Botschaft gewesen, die der Apostel Paulus den Philippern gebracht hat: Nicht mehr: „Alles hört auf mein Kommando!“ Sondern: „Seid eines Sinnes“ (V.2).

„Eines Sinnes“ zu sein meint ja gerade nicht, sich an einem Befehl zu orientieren oder einem bestimmten Fraktionszwang zu unterliegen.

„Eines Sinnes“ zu sein - das hat für Paulus mit Christus zu tun. Christus hat sein Leben nicht in der göttlichen Komfortzone - fernab der Welt - gelebt, sondern ist da hingegangen, wo Menschen in ihrem Alltag kaum über die Runden gekommen sind und auch nicht groß gefragt wurden, wie es Ihnen gerade geht und ob nicht dieses oder jenes zu viel sein könnte.

Paulus führt das in den Versen nach unserem Abschnitt noch weiter aus, dass Christus sein Leben „oben im Himmel“ zugunsten eines Lebens „unten auf der Erde“ für andere aufgegeben hat (vgl. Philipper 2,5-11).

Wenn Paulus schreibt: „Seid eines Sinnes“ und: „… ein jeder sehe nicht auf das Seine, sondern auch auf das, was dem andern dient“ (V.4), dann hat er Christus vor Augen. An seinem Vorbild sollen sich Christen orientieren. Deshalb ist der Aufruf des Apostels zu einem gemeinsamen Sinn kein Ruf in die Einförmigkeit, sondern der Ruf in die Gemeinschaft.

Wir können uns heute eigentlich gar nicht mehr vorstellen, was das für eine ungeheure neue und gleichzeitig wohltuende, befreiende Botschaft für die Menschen damals gewesen ist. Denn wie anders sind die griechischen Götter gewesen. Sie wollten von den Menschen verehrt werden, waren aber alles andere als Vorbilder. Und so macht Paulus den Christen in Philippi, der ersten christlichen Gemeinde auf europäischem Boden, Mut, an diesem neuen großen Projekt weiterzumachen. Weil es so möglich wird, dass Menschen sich das Leben leichter machen, indem sie ihre Sorgen teilen und einander helfen, den Alltag zu bestehen.

An diesem Traum mitarbeiten

Gerade das hat doch Christen in den all den Jahrhunderten ausgezeichnet. Nicht nur die eigenen Bedürfnisse in den Vordergrund zu stellen oder das Meiste für sich herauszuholen, sondern auch den Blick auf die anderen einzuüben (vgl. V.4).

Es ist der große Wunsch des Apostels, dass auch wir heute an diesem Traum mitarbeiten.

Und vielleicht kommen uns ja heute Nachmittag, wenn wir vielleicht im Liegestuhl liegen, auch diese Gedanken: Unsere Sitzungen waren nicht nur anstrengend. In unseren Sitzungen hat es nicht nur Befindlichkeiten gegeben. Wir haben auch etwas geschafft, bewegt, erreicht. Für unsere Kirchengemeinde. Für die Menschen, die in Not gewesen sind. Wir haben ein Stück Hoffnung gegeben. Wir haben Zeit geschenkt. Wir haben andere für eine kurze Zeit aus ihrer Einsamkeit herausgeholt.

Und uns selbst hat es auch gut getan, dass wir gefordert waren und dass wir diese eine Sache zu einem guten Ende gebracht haben. Und nebenbei haben wir vielleicht die eine oder andere Person aus unserer Gemeinde ein Stück näher kennengelernt und Freundschaft geschlossen. Das haben wir nur geschafft, weil wir „eines Sinnes“ gewesen sind.

Auch wenn wir im Moment einfach nicht mehr können und unbedingt eine Pause brauchen: Wir gehören dieser Gemeinschaft an, ohne die christliches Leben heute nicht zu denken ist. Wir sind ein Teil des Ganzen. Auf uns kommt es an. Auf uns, denen Christus und nicht das Gerede der anderen wichtig ist.

Wenn wir weiter überlegen, dann kommt uns sicher auch in den Sinn, dass wir nicht nur gegeben, sondern auch etwas bekommen haben: Wer hat uns nicht alles gedankt? Auch unser Selbstbewusstsein ist gewachsen, weil wir etwas organisiert und in die Wege geleitet haben. Wir haben uns mit anderen Menschen verbunden gefühlt und richtig gespürt, dass wir „eines Sinnes“ gewesen sind, „gleiche Liebe“ hatten, „einmütig und einträchtig“ gewesen sind (vgl. V.2)

Nichts aus Eigennutz oder um eitler Ehre willen tun

Und wer von uns meint, alles hinwerfen zu müssen oder wer denkt, nicht genügend bedacht worden zu sein, dem hat Paulus schon damals vor Augen gehalten: „Tut nichts aus Eigennutz oder um eitler Ehre willen, sondern in Demut achte einer den andern höher als sich selbst“ (V.3).

Wir helfen doch aus christlicher Überzeugung und nicht etwa um vor anderen groß dazustehen oder um uns selbst in den Mittelpunkt zu stellen. Und wir wollen an diesem großen Gemeinschafts-Projekt mitarbeiten, das ein absoluter Gegenentwurf zu unserer „Immer größer, immer weiter, immer reicher“ Mentalität ist.

Und dann gibt es unter Christen immer noch das große Zauberwort, das alles andere toppt: „Es heißt: „Miteinander reden!“ Menschen, die „gleichen Sinnes“ sind, können das: Miteinander reden. Befindlichkeiten ansprechen. Unstimmigkeiten ausräumen. Und spüren, wie befreiend es sein kann, wenn man eine Meinungsverschiedenheit geklärt hat. Das ist nichts anderes als eine konkrete Umsetzung der Worte: „dass ihr eines Sinnes seid, gleiche Liebe habt, einmütig und einträchtig seid“ (V.2).

Und haben Sie gewusst? Viele Brautpaare wünschen sich in den letzten Jahren gerade diesen Vers als ihren Trauspruch, weil sie sich eben das vornehmen. Ich möchte immer meine Frau / meinen Mann im Blick haben, und gerade nicht meine Bedürfnisse in den Vordergrund stellen. Und wenn das der / die andere ebenso tut, dann ist es wunderbar zu erleben, wie eine Atmosphäre geschaffen wird, in der man sich wohlfühlen und aufblühen kann. Immer wieder neu.

Raus aus der Komfortzone

Ob wir uns entspannt im Liegestuhl sehen oder angespannt - es ist der große Wunsch des Apostels, dass wir nach der Sommerpause wieder raus kommen aus unserer Komfortzone.

Zum einen, weil das Sozialgefüge in unserem Land immer mehr in Schieflage gerät, wenn die, die etwas geben können, es einfach nicht tun.

Zum anderen, weil es längst an der Zeit ist, mit einem Bild von Kirche aufzuräumen, das immer noch in den Köpfen mancher Zeitgenossen herumschwirrt: Kirche ist nicht die Gemeinschaft der Menschen, die nach außen so perfekt und fehlerlos wirken, so moralisch und „edel, hilfreich und gut“ sind, aber nach innen sich in Grabenkämpfe verstricken oder niemand anderen neben sich gelten lassen.

Kirche ist - heute wichtiger als je - eine Gemeinschaft, die etwas eint, nämlich Christus. Die sein Anliegen, dass alle, die sich auf seinen Namen berufen auch „Licht der Welt“ und „Salz der Erde“ (Matthäus 5,13) sind. Kirche ist heute mehr denn je als „Sozialraum“ zu verstehen, der anderen Menschen wieder ein Stück Heimat gibt und in dem dann vielleicht auch andere wieder mitmachen.

Deshalb: Die Zeit im Sommer im Liegestuhl ist eine wunderbare Zeit. Und ebenso wunderbar ist es, wenn diese Wochen uns so zu neuen Kräften verhelfen, dass wir alle Liegestühle dann wieder gerne zusammenklappen und verstauen, weil wir sie nicht mehr brauchen. Nicht weil es draußen kälter geworden ist, sondern weil wir uns auf die Aufgaben freuen, bei denen wir gebraucht werden.

Der Gott der Hoffnung aber erfülle euch mit aller Freude und Frieden im Glauben, dass ihr immer reicher werdet an Hoffnung durch die Kraft des Heiligen Geistes.

Amen.