Der erfundene Wirt - Predigt zu Lukas 2,1-7 von Margot Runge
2,1-7

Liebe Gemeinde,
wenn Maria und Josef in Bethlehem angekommen sind, hat der Wirt im Krippenspiel seinen Auftritt. Er steckt seinen Kopf  aus der Tür. Kein Platz bei uns, weist er die beiden ab, trotz flehentlicher Bitten. Erst in der letzten Herberge finden sie Aufnahme. Manchmal ist es die Wirtsfrau, die ihrem Mann gut zuredet und den beiden einen Platz im Stall zuweist. So wird Jesus geboren.
Kaum ein Krippenspiel ohne den Wirt – dabei kommt er in der Weihnachtsgeschichte überhaupt nicht vor. In der Bibel heißt es: Maria gebar ihren ersten Sohn, wickelte ihn in Windeln und legte ihn in eine Futterkrippe, einen Futtertrog, denn sie hatten keine Unterkunft. Martin Luther hat aus dem Griechischen übersetzt: sie hatten keinen Raum in der Herberge. Heutige Übersetzungen sagen: sie hatten keine Unterkunft. Jedenfalls: vom Wirt keine Spur in der Bibel.
Die Kinder wären enttäuscht, wenn sie ein Krippenspiel ohne Wirt einüben sollten, der, mit Grillschürze und Schiebermütze ausstaffiert, Maria und Josef die Tür energisch vor der Nase zuschlägt. Es würde irgendwie etwas fehlen.
Wieso ist der Wirt für uns so wichtig, daß wir ihn erfinden müssen?

Das Mädchen mit den Schwefelhölzern, Charles Dickens Weihnachtsmärchen, Maria und Josef – zu Weihnachten erzählen wir uns gern Geschichten von herzzerreißender Not, die am Ende gut ausgehen. Das fremde Kind findet Obdach, die hungrige Alte wärmt die erfrorenen Hände am blubbernden Ofen und wir atmen erleichtert auf.
Nur im wirklichen Leben, da ist’s oft nicht so. Da verwirrt es eher, wenn abgerissene Gestalten durch die Gegend irren.  Ist’s eine Notsituation? Sind es gescheiterte Existenzen? Und wenn ihnen himmelschreiendes Unrecht widerfahren ist?
Draußen vor der Tür stehen, betteln müssen, auf Wohlwollen und Beistand angewiesen sein, das macht niemand gern. Es tut weh, es ist demütigend genug. Maria und Josef müssen nicht nur an fremden Türen klopfen. Der Wirt weist sie auch noch ab, eine doppelte Entwürdigung. Er verkörpert die Herzlosigkeit, die Leuten wie Maria und Josef entgegenschlägt, damals wie heute.

Die Geschichte rührt das Gefühl in uns an, selbst dieses kleine, hilflose Kind, diese arme Familie zu sein und abgewiesen zu werden. Sie rührt an die Angst, daß wir herzlos behandelt und ausgeliefert sind, als Kind, auf der Arbeit oder dem Amt, in der Familie, und daß wir ohnmächtig und verletzt zurückbleiben.
Brauchen wir den Wirt in der Weihnachtsgeschichte deshalb, um diese ganze Herzlosigkeit zu spüren – und gleichzeitig den erlösenden Zipfel Menschlichkeit am Ende? Ein Herz läßt sich erweichen. Wir hoffen nicht umsonst. Die Tür zum Stall von Bethlehem öffnet sich. Auch für uns. Jesus wird geboren, das göttliche Kind.

Der Wirt gehört zu den Eingesessenen. Maria und Josef sind fremd. Sie sind arm dran. Sie haben nichts vorzuweisen, haben nichts zu sagen. Sie haben nur sich selbst. Und Gott. Und das reicht. Es reicht, um im Herz des Wirtes etwas anzurühren, soviel, daß er die beiden hineinläßt. So schildern es die Krippenspiele. Letztendlich öffnet Menschlichkeit die Türen. Gottes Menschlichkeit.
Maria gebärt ihr Kind. Die Bettelleute werden zur heiligen Familie und wenig später zur Flüchtlingsfamilie.

Wenn Maria und Josef in Sangerhausen angekommen sind, heißen sie Ahmed und Zahira, sie kommen aus Syrien, dem Irak, aus Nigeria und Indien - 530 im Raum Sangerhausen im nächsten Jahr. Ein Dach über dem Kopf brauchen sie. Aber wir haben ja eher zu viele Häuser, die leer stehen, und wir warten auf Kinder, die in unsere Schulen gehen, damit sie nicht geschlossen werden.
Mehr noch brauchen sie Freundlichkeit, ein nettes Wort, ein Augenzwinkern, Schutz vor Anfeindungen und übler Nachrede. Sie brauchen Einheimische, die mit ihnen sprechen, damit sie die Sprache hier lernen. Sie brauchen Leute aus der Gegend, die ein bißchen Zeit mit ihnen teilen und ihnen helfen, damit sie sich in diesem fremden Land zurechtfinden.

Wenn also Maria und Josef, Ahmed und Zahira in Sangerhausen angekommen sind, hat der Wirt seinen Auftritt. Eine Oase gibt es schon, zwei Räume zum Begegnen in einem ehemaligen Café auf dem Markt. Wir müssen uns also nicht einmal auf Herbergssuche begeben.
Vielleicht ändern sich dann die Rollen. Der Wirt wird neu erfunden, das Drehbuch neu geschrieben. Der Wirt muss nicht mehr grimmig dreinschauen, sondern wedelt aufgekratzt mit den Armen und bekommt viele Kolleginnen und Kollegen. Maria und Jusuf, Ahmed und Zahira brauchen sich nicht mehr wie Fremde vorzukommen, sondern können zeigen, was in ihnen steckt. Sie bringen einen Hauch von Bethlehem und Jerusalem und weiß ich was nach Sangerhausen. So werden wir die Beschenkten.
Vielleicht ändern sich so die Rollen. Aber das wäre im Grunde genau der Rollentausch, von dem die Weihnachtsgeschichte der Bibel erzählt: Gott wird Mensch, göttlicher Glanz verwandelt die Menschen. Oder im Lied heißt es: „Er wechselt mit uns wunderlich: Fleisch und Blut nimmt er an und gibt uns in seins Vaters Reich die klare Gottheit dran. Er wird ein Knecht und ich ein Herr, das mag ein Wechsel sein! Wie könnt es doch sein freundlicher, das herze Jesulein!“ (EG 27, 4+5)

 

Perikope
24.12.2014
2,1-7