Der Himmel ist leer, Gott ist auf die Erde gezogen - Predigt zu Titus 3,4-7 von Margot Runge
3,4-7

Der Himmel ist leer, Gott ist auf die Erde gezogen - Predigt zu Titus 3,4-7 von Margot Runge

Weihnachten: Der Himmel ist leer, Gott ist auf die Erde gezogen

I

Unendlich weit spannt sich der Himmel. Die Sterne funkeln. Das Universum dehnt sich weiter aus, blitzschnell, oder es pulsiert, so wie das Blut in uns. Galaxien, deren Größe wir nur in Lichtjahren bemessen können, ziehen genauso auf ihren Bahnen wie all die winzigen Teile, die nur unser Gehirn zu erfassen mag, niemals unsere Augen: Elektronen, Neutronen und Neutrinos. Atome, die Hunderte von Jahren ihre Strahlung aussenden, bis sie zerfallen, und winzige Teilchen wie die Higgs, deren Existenz vor nicht einmal 2 Wochen im Europäischen Kernforschungszentrum in Genf bekanntgemacht wurden – jene Higgs, die dafür sorgten, daß das Universum zu Materie wurde, damals, als die Zeit geboren wurde. Wenn das Rauschen jenes Knalls vor 14 Milliarden Jahren noch zu hören ist, dann ist auch kein Laut verloren, den je ein Mensch von sich gegeben hat, weder das Wimmern eines Kindes noch die begeisterten Schreie der jungen Leute von Lust und Freude.

Weit ist der Himmel und unendliche schön. Wo ist Gott? Hier steht kein Thron, kein Richterstuhl. Kein göttlicher Glanz, kein Halleluja, keine Engel, weder die mit Harfen noch solche winzigen, die mit Pausbacken und wehendem Hemd. Nichts von alledem, was sich Leute so unter „Himmel“ vorstellen.

Der Himmel ist leer. Gott ist auf die Erde gezogen.
Chor: Schaut hin, dort liegt im finstern Stall

II

Wie erlebt das Baby die Geburt? Es wird eng, immer enger. Und dann dehnt sich die Welt ins Endlose, sie explodiert gleichsam in Zeitlupe und bietet keinen Halt mehr.

Wo es vorher ein schützender Leib umgab, Berührung von allen Seiten und sanfter Druck, ist nun – nichts! Mit Kopf, mit Rücken und Po wird es aufgefangen von etwas, das sich später als Hand herausstellen wird, aber sonst ist endloses Nichts. Bodenlose Weite. Die Arme und Beine rudern im Leeren, aber sie finden nirgendwo Halt.

Wo ist die Hülle, die warme, runde Wand, durch die es rötlich schimmerte? Wo ist das samtene Wasser, in dem es sonst immer schwimmt, warm, glucksend und durchaus trinkbar? Über die Haut streicht jetzt etwas Kaltes, Schneidendes, von allen Seiten. Es zieht auf dem feuchten Körper. Das soll Luft sein?? Bis jetzt war es ein Geschöpf des Wassers. Fortan würde es ein Luftwesen sein und ein Kind der Erde, die es freilich noch nicht kannte.

Überhaupt ist es schwer, sich zu bewegen. Wie mühelos ließen sich doch Arme und Beine in der warmen, elastischen Hülle strecken und drehen. Doch jetzt lässt sich nicht einmal der Kopf heben, so bleischwer hängt er nach unten.

Und laut ist es. Es knistert und raschelt, es ratscht, klappert und plätschert. Die Stimmen klingen so direkt, so knallig. Wie gedämpft waren sie doch vorher! Zum Glück ist noch das Pochen zu hören, das gleichmäßige Klopfen, das immer da war, 9 Monate lang. Es pulsiert durch das blutrote Band und beruhigt.

Doch plötzlich hört es auf. Sie haben die Nabelschnur abgeschnitten! Es schwindelt im Kopf es wird eng in der Brust. Den Mund aufmachen. Saugen. Vorsichtig, damit es nicht wehtut. Diese fremde, neuartige Luft, sie lässt sich tatsächlich einsaugen. Beim zweiten Mal tut es schon ganz gut. Jeder neue Atemzug geht ein bisschen leichter und ein bisschen tiefer und ist erfrischend. Nach einer Weile ertastet der Mund etwas Warmes, Festes. Hier lässt sich auch saugen. Es lässt sich schlucken wie das Fruchtwasser, doch es schmeckt viel süßer und verlockender. Jetzt erwacht der Hunger – und dann das Wohlbehagen. Es saugt und schluckt, schmatzt und zutscht. Das gleichmäßige Pochen ist wieder hören. Allmählich schwindet die Aufregung. Die vielen neuen Eindrücke vernebeln die Sinne.
So ist es das also, geboren werden, dachte Gott benommen und aufgekratzt zugleich. Jetzt gibt es kein Zurück mehr. Ich bin ein Mensch.

Chor: Ach mein herzliebes Jesulein

Zwischenruf. Aus einer Predigt von Fulbert Steffensky
„In Christus hat Gott gelernt, wohin er gehört, zu jenem Lumpengesindel, das ihn braucht und das ihn erkennt. Gott hat sich mitgeteilt. Er duldet keine Apartheid, auch nicht die zwischen sich selbst und seinen Geschöpfen… Alles ist wichtig … Ob Menschen in Ruhe und im Glück leben oder nicht; ob Menschen Brot haben oder nicht; ob Menschen Arbeit haben oder nicht – das alles ist eine spirituelle Angelegenheit geworden, seit Gott sich in unseren Wunden und in unserem Glück versteckt. … [Wir können ] sein Bild in den Menschenbildern lesen.“
Dieses „ Kind wird weder Held noch Fürst noch erbt es einen Thron, und später wird es seinen ratlosen Tod sterben. Und doch heißt es von ihm, dass es das aufgedeckte Antlitz Gottes ist.“ [Fulbert Steffensky, Predigt zu Jes 9,1-6 . In: Im Namen Gottes. Kanzelreden IV, Stuttgart 2011, 48 f.]

Chor: Brich an, o schönes Morgenlicht

III

Der Himmel ist leer. Gott ist auf die Erde gezogen, hat sich auf die Spur der Menschen gemacht und sich mit ihrem Schicksal verflochten. Schmiegt sich an die Brust einer Frau und trinkt sich satt. Beobachtet die Spatzen und das Gras beim Wachsen. Buchstabiert ihre Gesetze und lernt die Tora lieben. Diskutiert mit den Intellektuellen. Wohnt bei den Landstreichern. Kostet das Glück der Menschen und weint ihre Tränen, erschrickt sich über ihre Arroganz, empört sich über das Unrecht, wird verjagt und rückt ihnen immer wieder auf die Pelle.

Gott hat sich verliebt in die Erde und die Menschen, läuft ihnen hinterher wie ein Narr, liefert sich ihnen aus auf Gedeih und Verderb. Es gibt kein Zurück. Lieber lässt er sich halbtot prügeln. Das machen sie auch. Und trotzdem bleiben sie seine Hoffnung und er die ihre.

Der Himmel ist leer. Gott ist auf die Erde gezogen und sagt: Das Himmelreich ist mitten unter euch.

EG 27 Lobt Gott, ihr Christen alle gleich