Der sich in die Dornen setzt – Predigt zu Exodus 3,1-14 von Tom Mindemann
3,1-14

Mose aber hütete die Schafe Jitros, seines Schwiegervaters, des Priesters in Midian, und trieb die Schafe über die Wüste hinaus und kam an den Berg Gottes, den Horeb. Und der Engel des Herrn erschien ihm in einer feurigen Flamme aus dem Dornbusch. Und er sah, dass der Busch im Feuer brannte und doch nicht verzehrt wurde. Da sprach er: Ich will hingehen und diese wundersame Erscheinung besehen, warum der Busch nicht verbrennt. Als aber der Herr sah, dass er hinging, um zu sehen, rief Gott ihn aus dem Busch und sprach: Mose, Mose! Er antwortete: Hier bin ich. Er sprach: Tritt nicht herzu, zieh deine Schuhe von deinen Füßen; denn der Ort, darauf du stehst, ist heiliges Land!
Und er sprach weiter: Ich bin der Gott deines Vaters, der Gott Abrahams, der Gott Isaaks und der Gott Jakobs. Und Mose verhüllte sein Angesicht; denn er fürchtete sich, Gott anzuschauen. Und der Herr sprach: Ich habe das Elend meines Volks in Ägypten gesehen, und ihr Geschrei über ihre Bedränger habe ich gehört; ich habe ihre Leiden erkannt. Und ich bin herniedergefahren, dass ich sie errette aus der Ägypter Hand und sie aus diesem Lande hinaufführe in ein gutes und weites Land, in ein Land, darin Milch und Honig fließt, in das Gebiet der Kanaaniter, Hetiter, Amoriter, Perisiter, Hiwiter und Jebusiter. Weil denn nun das Geschrei der Israeliten vor mich gekommen ist und ich dazu ihre Drangsal gesehen habe, wie die Ägypter sie bedrängen, so geh nun hin, ich will dich zum Pharao senden, damit du mein Volk, die Israeliten, aus Ägypten führst.
Mose sprach zu Gott: Wer bin ich, dass ich zum Pharao gehe und führe die Israeliten aus Ägypten? Er sprach: Ich will mit dir sein. Und das soll dir das Zeichen sein, dass ich dich gesandt habe: Wenn du mein Volk aus Ägypten geführt hast, werdet ihr Gott dienen auf diesem Berge.
Mose sprach zu Gott: Siehe, wenn ich zu den Israeliten komme und spreche zu ihnen: Der Gott eurer Väter hat mich zu euch gesandt!, und sie mir sagen werden: Wie ist sein Name?, was soll ich ihnen sagen? Gott sprach zu Mose: Ich werde sein, der ich sein werde. Und sprach: So sollst du zu den Israeliten sagen: »Ich werde sein«, der hat mich zu euch gesandt.


Mose
Mose hütete die Schafe.
Unrasiert und fern der Heimat, getrennt von seinen Leuten,versuchte er sich eine neue Existenz aufzubauen.

Er trieb die Herde seines Schwiegervaters durch die Wüste und darüber hinaus.
Helfen konnte er so seinem Volk nicht. Er war zu klein und zu weit weg und zu verfolgt, um etwas ausrichten zu können. Doch irgendwo da draußen war etwas im Busch.

Mose wusste noch nicht, was die Physik uns heute sagt. Er wusste nichts von der Äquivalenz von Masse und Energie: dass Holz oder Dornenbusch und Licht oder Wärme eigentlich das Gleiche sind, nur anders aussehen. Er wusste nichts vom Energieerhaltungssatz, dass Energie in einem geschlossenen System nicht verloren gehen oder erzeugt werden kann.
Mose sah nur, dass der Busch brannte, aber nicht verbrannte. Er wunderte sich und ging hin. Und Gott rief ihn.

 

Jesus
Ein anderer Rufer in der Wüste. „Bereitet dem HERRN den Weg!“
Und einer lässt sich taufen.

Einer hütet seine Herde. Seine Schafe, die er kennt und die ihn kennen. Nicht die Schafe seines Schwiegervaters oder eines anderen. Nein. Seine Herde. Und er lässt sein Leben für die Schafe.

Einer geht auf den Berg. Und sein Angesicht leuchtet wie die Sonne, und seine Kleider werden weiß wie das Licht. Und er redet mit dem, der einst am Dornbusch stand.

Einer hat die Dornenkrone auf sich genommen und hat sich verbrannt. Hat Reputation und Leib und Leben gegeben für die, die ihm nachfolgen. Auf das sie nicht in der Finsternis wandeln, sondern das Licht des Lebens haben.

Einer hat an heiligem Ort Tische umgeworfen, weil er eine Räuberhöhle vorfand, wo ein Bethaus sein sollte. Von dem hat der Gott der Väter gesagt: Dies ist mein lieber Sohn.

Einer sagt: Kommt her zu mir, die ihr mühselig und beladen seid. Und: das Reich Gottes ist herbeigekommen. Der hat nicht Milch und Honig versprochen, aber Brot und Wein gegeben. Und wartet nun darauf, mit uns davon zu trinken in seines Vaters Reich.

Einer sagt: Gehet hin und bietet den Pharaonen dieser Welt die Stirn. Lehret alle Völker: Taufet sie auf den Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes. Und siehe, ich bin bei euch alle Tage.

 

Gott
Gott kriegst du nicht zu packen. In Dornen greifst du nicht ungestraft, in brennende zumal.
Gott ist – im wahrsten Sinne – unbegreiflich.
Da machst du dir keinen Begriff von ihm. Du kannst ihn nicht definieren, nicht auf den Punkt bringen.

Gott entzieht sich aller Erklärungs- und Deutungsversuche.
„Ich bin, der ich bin.“ „Ich werde sein, der ich sein werde.“
Gott ist keine Formel, die sich nach x auflösen ließe. Du drehst dich nur selbst im Kreise beim Versuch, ihn mit Worten zu umzingeln.

Doch Gott umgibt dich von allen Seiten und hält seine Hand über dir. Er setzt sich zu dir in die Dornen – unrasiert und fern der Heimat – und ruft dich beim Namen. Der „Ich bin, der ich bin“ ist auch der „Ich bin da“.

 

Mit Händen und Lippen
Wo Gott Menschen in seinen Dienst ruft, wo Jesus Menschen in seine Nachfolge ruft, da bleibt er derselbe, gestern und heute und auch in Ewigkeit: „Ich werde sein, der ich sein werde.“

Wo Gott Menschen in seinen Dienst ruft, da kommt er ganz nah.
Da fließen Kraft und Energie von anderswo her. Da brechen geschlossene Systeme auf und nichts bleibt unmöglich, dem der da glaubt.

Da tritt Mose vor den Pharao mit nichts als einem Stab in der Hand und einem „Lass mein Volk ziehen“ auf den Lippen.
Da tritt einer vor den Hohen Rat mit nicht als gefesselten Händen und einem „Ich bin’s“ auf den Lippen.
Da treten Menschen auf die Straße mit nichts als Kerzen in den Händen und Gebeten auf den Lippen. Und Mauern fallen.

 

Stimme aus dem Stacheldraht
Es kommt die Zeit, da wird aus jedem Stacheldraht Gottes Stimme zu hören sein und man wird sich wundern, warum er immer noch nicht eingerissen und verbrannt ist.

Da wird sich Gott wieder in die Dornen setzen zu denen die unrasiert und fern der Heimat sind: in den Steppen und auf den Flughäfen, an den Küsten und auf den Booten, in den Auffanglagern Lampedusas und überall, an den Mauern und Zäunen zum Westjordanland und nach Mexiko.

Und Gott wird sagen: Tretet heran, denn der Ort darauf ihr steht, ist nicht unheiliger als andere. Denn die Erde und alles was darinnen ist, ist mein. Geht hin zu den Pharaonen dieser Welt, redet zu ihnen in ihrer Muttersprache, so dass sie es verstehen.

Führt die Völker hinaus in die Freiheit und hinein in den Frieden und zusammen als eine Familie, als Töchter und Söhne Gottes.

Kanaaniter, Hetiter, Amoriter, Perisiter, Hiwiter und Jebusiter. Parther und Meder und Elamiter und die da wohnen in Mesopotamien, Judäa und Kappadozien, Pontus und der Provinz Asia, Phrygien und Pamphylien, Ägypten und der Gegend von Kyrene in Libyen und Römer, die bei euch wohnen, Juden und Proselyten, Kreter und Araber: Lasst sie in ihren Sprachen die großen Taten Gottes hören.
Im Irak, in Syrien, in Libyen, Somalia, im Jemen, Sudan und Iran. In den USA und der Türkei, in Russland und der EU und an den Enden der Welt.

Und es werden Grenzen fallen und Stacheldrähte verbrennen.
Dornenbüsche und Absperrzäune werden überwunden werden.
Und das soll euch ein Zeichen sein, dass ich euch gesandt habe: Wenn ihr die Völker zusammengeführt habt, werdet ihr Gott dienen an diesen Grenzen. Ihr werdet Zäune einreißen und auf Mauern tanzen. Jeder wird meinen Namen kennen, und ich will bei euch sein.
Amen.

Perikope
05.02.2017
3,1-14