Der Traum der Drei Könige - Bildpredigt zu Matthäus 2,1-18 von Ruth Conrad
2,1-18

Der Traum der Drei Könige - Bildpredigt zu Matthäus 2,1-18 von Ruth Conrad

Der Traum der Drei Könige. Eine Bildpredigt zu einem Kapitell von Meister Gislebertus an der Kathedrale Saint-Lazare, Autun)

Liebe Gemeinde,

die Weihnachtsgeschichte ist eine brutale Geschichte.
Eine extrem brutale Geschichte.
Zumindest so wie Matthäus sie erzählt.
Da gibt es keine Engel, die am hellen Himmel ihr „Friede auf Erden“ singen.
Kein holder Knabe im lockigen Haar.
Keine Stallidylle und keine eiligen, weil ergriffenen Hirten.

Nein, da gibt es zunächst einmal und zentral einen eiskalten Machtpolitiker.
Herodes – ein gewiefter Taktiker der Macht mit einer klar nachvollziehbaren Logik: Ein neuer König – das ist einer zu viel.
Wer die Macht hat, will sie allein.
Herrsche und teile nicht.
Diese Devise ist nicht unklug.
Wer oben ist, will oben bleiben.
Dafür müssen unliebsame Konkurrenten beiseite geräumt werden – durch die Kunst der Intrige, durch gezielte Lügen, in größeren Kontexten durch Mord. Der Kindermord ist eine groteske Steigerung dessen, was alltäglich ist – Macht sichern, Machtpositionen ausbauen, Konkurrenten ausschalten.
Man kann das für sich selbst durchaus verantwortungsethisch untermauern:
Es kann nur einer herrschen.
Nur ich will das Beste.
Wer weiß, welche Absichten der andere hat.
Einen Machtkampf können wir uns nicht erlauben.
Wer wollte die Opfer verantworten?
Wer könnte den Ausgang garantieren?
Also: das Kind muss weg.
Und mit großer Finesse werden nun Andere für das eigene Anliegen instrumentalisiert:
die Hohenpriester und Schriftgelehrten,  sie müssen den Schriftbeweis führen,
das Gutachten erstellen.
Die Religion erweist sich als willfährige Stütze des politischen Systems.
Das gibt den hauptamtlichen Religionsagenten das Gefühl eigener Bedeutsamkeit.
Die drei Fremden aus dem Morgenland sollen den Weg bahnen,
den Konkurrenten ausfindig machen,
eine Anbetungsidylle inszenieren, wo dann eigentlich ganz andere Interesse walten.
Da werden Seilschaften gesponnen,
Abhängigkeiten geschaffen,
Gefälligkeiten ausgetauscht.

Macht und Lüge,
Macht und Intrige,
Macht und Gier,
Macht und Hinterhältigkeit – all das, was eine lange Tradition unter Menschen hat und gesättigtes Erfahrungswissen von uns allen ist, all das wird uns hier wie in einem Brennspiegel vor Augen geführt.
Es ist unsere Welt, die hier beschrieben wird.
Es sind unsere Erfahrungen, von denen hier erzählt wird.
Es sind unsere Taten, die hier benannt werden.
Denn oft ist eben nicht klar, wer wir sind – Täter oder Opfer,
Intrigant oder der, der hinters Licht geführt wird,
der, der die Macht hat oder der, der vor ihren Exzessen fliehen oder mindestens den geordneten Rückzug antreten muss.
Man muss da auch nicht immer so unschuldig und ahnungslos tun.
Oft sind wir verstrickter als uns lieb ist.
Und wer spielt nicht lieber mit als zu erleben, selbst zum Spielstein zu werden.
So also ist die Welt.

So ist das Leben.
Die Weihnachtsgeschichte ist eine Geschichte von unserem Leben und von unserer Welt.

Wo aber, liebe Gemeinde,
wo liegt dann die Hoffnung einer solchen Geschichte?
Wenn die biblischen Erzählungen nur unsere Erfahrungen abbilden würden,
wenn Sie nur erzählen würden, was wir sowieso schon kennen,
welchen Mehrwert hätten sie?
Wie käme dann Gott vor? Nur als Bestätigung unserer Erfahrung?
Was würde über unsere Welt und unsere Erfahrungen hinausweisen?
Wo also finden wir in dieser kalten und brutalen Geschichte einen Hinweis auf Erlösung, eine Geste der Hoffnung, etwas, das unsere Erfahrung ins Gute durchbricht.

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Hier ist sie,
die ersehnte Geste der Hoffnung,
der Hinweis auf Erlösung.
Der Traum der Drei Könige.
Drei gekrönte Häupter unter einer Decke.
Ein nächtliche Pause, bevor es zurückgeht ins Spiel der Macht.
Von Herodes kommen sie her,
angebetet haben sie das Kind,
zu Herodes sollen sie zurück.
Das ist der Deal.
Jetzt aber schlafen sie.
Ruhen sich aus.
Eingehüllt in eine Decke.
Schützend geborgen.
Und in unendlicher Sanftheit kommt ein Engel.
Lässt zwei der Könige weiterschlafen.
Gönnt ihnen die Ruhe.
Behutsam und leise weckt er den obersten König.
Nur er hat die Augen geöffnet.

Sanft berührt er, mit nur einem Finger, die einzig freie Hand, den Ringfinger.
Mit der anderen Hand weist er auf den Stern, der den rettenden Umweg zeigt.
Eine Berührung von unendlicher Sanftheit.
Nichts Lautes,
nichts Brutales,
keine brachiale Rettungsaktion,
kein Blitz,
kein Donner,
keine Rache für die Opfer.
Nein, der Engel bleibt diskret im Hintergrund.
Lässt alles in der Schwebe.
Aber gibt den rettenden Hinweis.
Weist in den Himmel und berührt sanft den Menschen.
So vermittelt der Engel zwischen Himmel und Erde,
zwischen Rettung und Intrige,
zwischen Erlösung und Kindermord.

So also denkt die Bibel göttliches Eingreifen in menschliches Machtgebalze:
Diskret,
im Hintergrund.
Gegen die Brachialität der Macht – die Sanftheit des Engels,
gegen das menschliche Machtgetöse am Tage – ein rettender Traum in der Ruhe der Nacht,
gegen die Verletzungen durch Intrigen und Gehässigkeiten – eine heilsame Berührung durch den himmlischen Boten.
Ein stilles Wecken und ein stummer Hinweis: Hier geht’s lang. Hier ist der rettende Ausweg.

Vielleicht,
liebe Gemeinde,
vielleicht ist uns das auf den ersten Blick zu wenig.
Vielleicht wäre es uns lieber, Gott hätte den drei Weisen den Auftrag gegeben, Herodes ultimativ um die Ecke zu bringen.
Oder Gott hätte zumindest den Kindermord durch direkte machtpolitische Intervention verhindert.
Manchmal hätte man das ja gerne: Dass Gott direkt eingreift.

Manchmal fragt man sich: Warum hat Gott das Böse nicht verhindert? Warum ist er dem Bösen nicht in die Arme gefallen?
Aber liefe eine solche Geschichte und ein solcher Ausgang nicht unserer Erfahrung stracks zu wider?
Wenn die Bibel von Gott erzählt, dann tut sie es eben so, dass wir zwar über unsere Erfahrungen hinausgewiesen werden. Aber uns wird nicht zugemutet, Dinge zu glauben, die wir gar nicht mit unserer Erfahrung verbinden können.
Und unsere Erfahrung lehrt uns: Gott greift nicht lautstark ins Weltgeschehen ein und überrennt den Menschen und das, was dieser tut, und sei dies noch so schlimm. Manchmal ist das nur schwer zu ertragen angesichts der Machtspiele und Hinterhältigkeiten des Bösen und all der Bösen.
Andererseits: wollten wir das wirklich – einen Gott, der sich aktiv in die Menschenpolitik einmischt, der nach Menschenart schaltet und waltet? So einfach ist das alles nicht. Große und befremdliche Fragen tauchen hier auf.
Aber dass Gott nicht lautstark und gewaltsam eingreift, heißt nun eben nicht, dass er abwesend ist. Kennen wir nicht vielmehr eine andere Erfahrung, nämlich die, von der diese Geschichte und dieses Bild erzählen:
Wenn Erlösung und Hoffnung in die Geschichten unserer Welt kommen,
dann kommen sie anders als erwartet,
leise,
sehr diskret,
zur Rettung des Einzelnen.
Man kann diese Erlösung und Rettung leicht übersehen,
die Berührung ignorieren,
sie für einen Traum halten,
weiterschlafen und am nächsten Morgen zur bekannten Tagesordnung übergehen.
Aber wer die zarte Berührung durch Gott selbst spürt,
nachts im Traum, wenn er nichts dazu tun kann,
schlafend, wo wir uns entzogen sind,
orientierend, wo wir uns verstrickt haben,
nichts vorschreibend, aber auf Rettung hinweisend,
ein solcher Mensch wacht auf,
entdeckt den rettenden Stern,
meidet die Machtspiele des Tages,
weicht aus,
geht behütet auf anderen Wegen durchs Leben.
Vielleicht auf Umwegen,
aber berührt und geweckt vom himmlischen Boten.

Liebe Gemeinde,
sehen können sie diese Szene in Autun in Burgund, an einem Säulenkapitell der Kathedrale Saint-Lazare.
Entstanden ist es im 12. Jahrhundert durch die Hand des Künstlers Gislebertus, einem der größten Bildhauer des Mittelalters.
Seit über 800 Jahren ist sie hier zu sehen.

Ganzjährig erinnert die Darstellung daran, dass Weihnachten so brutal ist wie das Leben. Dass aber Gott in unendlicher Zartheit eingreift, auch wenn die Welt noch so gottlos wirkt. Dass himmlische Boten unseren Gang durch diese Welt auf gute Wege lenken, ihn begleiten und uns bewahren.

Gott stärke uns auch im eben angebrochenen Jahr in dieser Hoffnung und mache uns wach und aufmerksam für die Stille und Sanftheit seines Seins und seiner Berührungen.
Amen

Eine Abbildung des Kapitells ist zugänglich über den Wikipedia-Artikel: Kathedrale von Autun (http://de.wikipedia.org/wiki/Kathedrale_von_Autun) oder über Google Bildersuche: Traum der drei Könige#Autun.
Ich schlage vor, Mt 2,1-18 als Schriftlesung zu verlesen.

Mögliche Predigtlieder: EG 19 O komm, o komm, du Morgenstern oder EG 20 Das Volk, das noch im Finstern wandelt