Die Rechnung, die nie aufgeht - Predigt zu Markus 12,1-12 von Thomas Volk
Die Rechnung, die nie aufgeht
Liebe Gemeinde,
„manchmal geht die Rechnung nicht auf!“
Nicht nur im Restaurant kann das einem passieren, wenn man die Aufstellung des Obers nachprüft und merkt, dass er zuviel aufgelistet hat. Es kann auch überall da geschehen, wo man meint alle Kosten bedacht zu haben und dann feststellen muss, dass man sich diese Wohnung einfach nicht leisten kann oder die Raten für das neue Auto doch nicht so ohne weiteres einhalten kann.
Und wer sich nach vielen langen Arbeitswochen auf ein freies Wochenende mit der Person, mit der man so gerne zusammen ist, freut, aber die Tage dann ganz anders verlaufen als gedacht, merkt, dass die eigenen Wünsche und die Wirklichkeit ganz unterschiedliche Währungen sind.
Es ist immer ärgerlich, wenn eine Rechnung nicht aufgeht, vor allem dann, wenn man mehr geben muss, als gedacht.
In dem Schriftwort für den heutigen Sonntag geht die Rechnung ebenfalls nicht auf. Hören Sie aus dem 12. Kapitel des Markusevangeliums, die Verse 1-12:
Und er fing an, zu ihnen in Gleichnissen zu reden: Ein Mensch pflanzte einen Weinberg und zog einen Zaun darum und grub eine Kelter und baute einen Turm und verpachtete ihn an Weingärtner und ging außer Landes.
Und er sandte, als die Zeit kam, einen Knecht zu den Weingärtnern, damit er von den Weingärtnern seinen Anteil an den Früchten des Weinbergs hole.
Sie nahmen ihn aber, schlugen ihn und schickten ihn mit leeren Händen fort.
Abermals sandte er zu ihnen einen andern Knecht; dem schlugen sie auf den Kopf und schmähten ihn.
Und er sandte noch einen andern, den töteten sie; und viele andere: die einen schlugen sie, die andern töteten sie.
Da hatte er noch einen, seinen geliebten Sohn; den sandte er als Letzten auch zu ihnen und sagte sich: Sie werden sich vor meinem Sohn scheuen.
Sie aber, die Weingärtner, sprachen untereinander: Dies ist der Erbe; kommt, lasst uns ihn töten, so wird das Erbe unser sein!
Und sie nahmen ihn und töteten ihn und warfen ihn hinaus vor den Weinberg.
Was wird nun der Herr des Weinbergs tun? Er wird kommen und die Weingärtner umbringen und den Weinberg andern geben.
Habt ihr denn nicht dieses Schriftwort gelesen (Psalm 118,22-23): »Der Stein, den die Bauleute verworfen haben, der ist zum Eckstein geworden.
Vom Herrn ist das geschehen und ist ein Wunder vor unsern Augen«?
Und sie trachteten danach, ihn zu ergreifen, und fürchteten sich doch vor dem Volk; denn sie verstanden, dass er auf sie hin dies Gleichnis gesagt hatte. Und sie ließen ihn und gingen davon.
Das hat sich der Weinbergsbesitzer ganz anders vorstellt, als er seinen Weinberg den Pächtern in Rechnung stellen wollte. Mit großer Liebe und Sorgfalt hat er ihn angelegt hat, ihn umgegraben, die schweren Bruchsteine aussortiert und weggeschleppt, edle Reben eingesetzt, einen Zaun gezogen als Schutz gegen das Zertreten und Abfressen durch Tiere. Er hat einen Keltertrog aus dem Felsen gemeißelt, in dem die Trauben zertreten werden, einen Turm gebaut, damit darin ein Wächter sein Lager aufschlagen kann, der die reifen Trauben gegen Diebe schützen soll. Und dann vertraut er nach vielen Mühen den Weinberg anderen an. Jetzt sollen sie gut damit umgehen, gewissenhaft darin arbeiten und die reifen Früchte ernten. Dann will er kommen und sich seinen Anteil holen.
Aber die Rechnung geht nicht auf. Die Boten werden angegriffen und geschlagen. Auch der eigene Sohn des Weinbergsbesitzers wird abgelehnt und sogar umgebracht.
Viele haben ähnliches erlebt wie dieser Weinbergsbesitzer und sprechen: „Ich investiere doch auch so viel und dann merke ich, dass die Rechnung nicht aufgeht.“
„Was habe ich in meinem Garten nicht alles unternommen, damit der Ertrag besser wird?“
„Was habe ich in das Haus hineingesteckt. Und als das Meiste abbezahlt war, da ging es schon los mit den ersten großen Reparaturen. Dann war es ohnehin schon zu groß, weil die Kinder schon nicht mehr da waren.“
„Überhaupt: Die eigenen Kinder. Was habe ich mich bemüht? Was haben sie an Zeit und Kraft gekostet. Die langen Fahrten an den Wochenende zu den Turnieren - die vielen Gespräche mit den Lehrerinnen und Lehren über die Noten, die nicht besser geworden sind - das endlose Diskutieren, wie lange sie im Internet surfen dürfen - und jetzt gehen sie ihre eigenen Wege und es ist noch nicht ganz klar, ob sie einmal dahin kommen, wo ich sie gerne hingebracht hätte.“
Unsere Rechnungen gehen oft nicht auf: Weil das, was wir in unsere eigene Ausbildung gesteckt haben, in keinem Verhältnis zu dem steht, was dabei heraus gekommen ist. Oder weil die vielen Bemühungen um eine gute Beziehung doch nichts gebracht haben.
In diesem Gleichnis geht es um noch mehr. Nicht nur, dass wir uns darin wiedererkennen können, sondern merken: Auch bei jemand anderem scheint ebenso eine Rechnung nicht aufzugehen. Die des Weinbergsbesitzers. Und damit ist in diesem Gleichnis niemand anderes als Gott gemeint.
Was hat er in seinen großen Weinberg, die Erde, investiert: Dass sie sich entfalten konnte. Dass sie nach vielen Millionen Jahren so geworden ist, dass Menschen darin Nahrung finden und satt werden. Dass diese die Fähigkeit erlangt haben, sie zu erforschen und zu bebauen. Dass sie eine Sprache entwickelt haben, die ihnen hilft, sich nicht nur untereinander zu verständigen, sondern auch ihn, Gott, für all das, was er ihnen gegeben hat, danken und ehren zu können.
Verständlich, dass der Weinbergsbesitzer kommt und sich am Ergebnis mitfreuen und seinen Pachtanteil holen will. Aber diese Rechnung geht gerade nicht auf. Ich lese aus dieser Geschichte auch heraus, dass Gott selbst der Verlierer in seiner eigenen Welt sein kann. Eigentlich müssten die Pächter doch voller Dankbarkeit den Boten das zurückgeben, was der Weinbergsbesitzer investiert hat. Aber stattdessen gibt es Ablehnung statt Liebe. Auch der letzte Versuch seiner Liebe und Barmherzigkeit geht nicht auf. Selbst den eigenen Sohn achten und ehren sie nicht.
Die Passionszeit erinnert uns daran, dass Gott diese Tragödie erlebt hat. Und diese Geschichte hat schon damals den Hörern deutlich vor Augen geführt, dass die Besessenheit nach „Immer-noch-mehr“ nicht nur die eigene Gier kaum befrieden kann, sondern auch Unfrieden und Zorn hinterlässt, der meistens nicht mehr gut gemacht werden kann.
Viele empören sich zu Recht über das, was die internationale Entwicklungsorganisation Oxfam kürzlich festgestellt hat: Im Jahr 2016 werden ein Prozent der Menschen weltweit werden so viel Vermögen angehäuft haben, wie die restlichen 99 Prozent der Weltbevölkerung zusammen. Anlässlich des Weltwirtschaftsforums in Davos vor einigen Wochen hat sie diese Zahlen veröffentlicht.
Weil nicht erste seit heute die einen immer mehr für sich herausholen wollen, weil die Rechnungen der Pächter damals wie heute nicht aufgehen und weil viel zu viele auf der Strecke bleiben, stellt Gott eine ganz andere Schlussrechnung auf: Mit einem alten biblischen Bild kündigt er sie an. „Der Stein, den die Bauleute verworfen haben, ist zum Eckstein geworden“ (V.10).
Der Eckstein ist der Schlussstein im Bau. Er hat die wichtigste Funktion. Er wird beim Bau eines Portals oder einer Kathedrale als letztes oben gesetzt. Es ist der Stein, der alles zusammenhält, der gleichzeitig auch alle Spannungen ausgleicht.
Das Gleichnis sagt: Ein solcher Eckstein ist Jesus für die Welt. Wenn dieser Eckstein nicht mehr da wäre, dann bricht alle Menschlichkeit zusammen, dann holen sich auch in Zeiten von Finanzkrisen die Superreichen immer noch mehr für sich heraus.
Dieser Eckstein sagt auch: Du bist arm dran, wenn du ein gesichertes Auskommen hast, aber immerzu auf mehr aus bist und immer noch nicht zufrieden bist mit dem vielen, was du bereits verdient hast.
Die Pächter in dem Gleichnis sind ja auch arm dran, weil ihre Rechnung nicht aufgeht. An ihrem Geld klebt Blut. Sie müssen damit leben, dass sie zur Rechenschaft gezogen werden und einen ganz anderen Lohn erhalten.
Weil so viele Rechnungen nicht aufgehen und weil wir uns häufig verkalkulieren, deshalb braucht es diesen einen Eckstein, der uns erinnert: Du hast alles im Leben nur gepachtet. Und auf deiner letzten Reise kannst du ohnehin nichts mitnehmen.
Eine unangenehme Erinnerung. Schon zurzeit Jesu hat sie nicht ins Konzept gepasst. So ein Eckstein stört. Das ist immer schon so gewesen.
Bereits die Propheten im Alten Testament haben gestört. Für manche waren sie allein deshalb unbequem, weil sie die Reichen immer wieder erinnert haben, dass man bei allem Wirtschaften den einen Weinbergsbesitzer nicht vergessen soll. Sonst stimmt so manche Rechnung nicht mehr. Das Ergebnis: Der Prophet Elia fast zu Tode gejagt, Jeremia war auf einmal verschollen, Sacharja wurde umgebracht und Johannes der Täufer hingerichtet. So ist es weiter gegangen bis zu Martin Luther King, dessen eindrückliches Leben gerade im Kino zu sehen ist.
Und „was würde Jesus dazu sagen?"
So hat übrigens immer wieder Pfarrer Martin Niemöller gefragt, dessen Todestag sich in der kommenden Woche zum 31.Mal jährt.
Er ist auch, wie Jesus und die Propheten des Alten Testaments höchst unbequem gewesen, was viele - auch in der Kirche - gestört hat.
Er gründete 1933 in der Auseinandersetzung mit den Deutschen Christen den Pfarrernotbund, aus dem sich bald die Bekennende Kirche entwickelte. Er war eine Symbolfigur des Widerstandes gegen die nationalsozialistische Vereinnahmung der Kirche. Als 1937 der Gegensatz zwischen Deutschen Christen und der Bekennenden Kirche neutralisiert wurde, hat der Staat alle Kirchenleitungsaufgaben in die Hände der sogenannten „Kirchenausschüsse“ gelegt. Die bekennende Kirche zerbricht daraufhin in einen gemäßigten Flügel, der mit den Kirchenausschüssen zusammenarbeitet und in einen kleinen „radikalen“ Flügel“ zu dem auch Martin Niemöller gehört. Er lässt sich nicht unterkriegen. Mit seiner Kritik gegen das Nazi-Regime steht er fast alleine da. Bald darauf kommt er ins Gefängnis. Von 1938-1945 ist er als persönlicher Gefangener Hitlers in den Konzentrationslagern Sachsenhausen und Dachau inhaftiert. Auch nach dem Krieg ist und bleibt er unbequem. Bis zum seinem Tod im Jahre 1984 setzte er sich für weltweite Abrüstung ein und ist vielen Politikern und auch Theologen ein Dorn im Auge.
Seit seinem neunten Lebensjahr ist diese Frage sein Kompass „Was würde Jesus dazu sagen?“ Sein Leben lang hat er sich an dieser einen Frage orientiert, egal in welche Bedrängnis er gekommen ist oder mit welchen Anfeindungen auch immer er kämpfen musste.
Was würde Jesus dazu sagen, wenn wir immer nur darauf aus sind, dass sich alles mindestens 1:1 rechnet?
Vielleicht würde er sagen: Wer in seinem Leben immer nur so auflistet, dass ein Gewinn herauskommen muss, der ist bedauernswert, weil er alles und jeden als eine Ware ansieht, die man dann entäußert, wenn man sie nicht mehr braucht.
Wo immer das Gefühl im Hintergrund mitschwebt, man könnte zuviel investieren, anderen mehr geben, die Mutter öfters im Wohnheim besucht haben als die Geschwister, sich mehr um den Verein gekümmert haben als die anderen im Vorstand, bekommt vor lauter Aufrechnen und Abwägen den Kopf nicht mehr frei für das, was gerade ansteht. Ganz abgesehen davon, dass solche Verpflichtungen, sowohl für die eigene Familie als auch in irgendeinem Ehrenamt, einem selbst viel geben können und das eigene Leben mit frohen Begegnungen erheblich bereichern.
Jesus würde außerdem sagen: Werde bloß kein Erbsenzähler. Solche Menschen sind ungenießbar, weil sie alles aufrechnen. Lass dich nicht verbittern, wenn etwas nicht so aufgeht, wie du es dir vorgestellt hast. Dazu ist das Leben viel zu schade.
Aus dem Gleichnis von dem Weinbergsbesitzer lese ich auch heraus: „Wenn du etwas auflisten willst, dann das, was du alles bekommst, einfach so“.
Aber noch besser: „Lass dich einfach beschenken. Mach dir bewusst, dass Gott eben nicht aufrechnet, nicht genau Buch führt, wo du ihm etwas vorenthalten, ihm nicht mit gleicher Münze zurückgezahlt hast. Du lebst von dem unermesslichen Vertrauen, das er dir entgegenbringt, weil du in seinen Augen einzigartig und wunderbar bist. Und du kannst dich auch noch entwickeln und es anders machen.
Deshalb: Lass dich beschenken mit dem Vertrauen, das Gott dir entgegenbringt. Auch wenn der Evangelist Markus am Schluss des Gleichnisses ankündigt: „Der Herr des Weinbergs hat die Weingärtner doch nicht umgebracht und den Weinberg anderen geben“ (vgl. V.10). Gott ist nicht in die Welt gekommen, damit er mit der gleichen Währung aufrechnet, mit der wir unsere alten Rechnungen begleichen.“
Vertrauen kann man ohnehin nicht aufrechnen und vergleichen. Vertrauen kann man nur geben oder es sein lassen. Gott hat sich für Ersteres entschieden. Und nun schau, wie du dieses Vertrauen von neuem in dir wirken lassen kannst und du im Rahmen deiner Möglichkeiten - aber auch nicht darunter - eine vertrauenswürdige Maßnahme wirst.
Und das Vertrauen Gottes, das umfangreicher und größer ist als alles menschliche Abwägen und Vergleichen, bewahre unsere Herzen und Sinne in Christus Jesus. Amen.