1. Jack kann es nicht glauben
Jack kann es nicht glauben. Sein Sohn Billy, 11 Jahre alt, will Balletttänzer werden.
Alle Männer der Familie Elliot haben boxen gelernt. Die Zeiten sind hart. In den 80er toben die Arbeitskämpfe in Durham. Die Zechen sollen geschlossen werden. Sie haben Angst um ihre Arbeitsplätze. Und darum streiken sie und haben eigentlich nichts, außer ein paar Cent. Aber boxen – das soll jeder Junge können. Schließlich wird einem nichts geschenkt und dann muss man sich wenigstens wehren können. Also geben die Väter von Durham ihre letzten 50 Cent, damit ihre Söhne in der Boxhalle trainieren können, so wie sie früher.
Eines Tages kommt eine Mrs Wilkinson zu Jack und bittet ihn, dass Billy die Royal Ballet School besuchen darf. Jack ist fassungslos.
Während Billys großer Bruder Tony von der Polizei zusammenschlagen wird, lernt Billy ausgerechnet: tanzen. Heimlich. Du hast dich um Grandma zu kümmern, während wir kämpfen – brüllt Jack seinen Sohn an. Und er tobt und schlägt um sich und seine Fäuste treffen Billy.
Jack kann nicht glauben, dass Billy ein Tänzer ist. Es passt nicht in sein Bild von Billy, es passt nicht zu dem, was sie als Familie durchmachen. Es passt nicht dazu, dass sie das von der toten Mutter geerbte Klavier zerhacken müssen, um Brennholz zu haben. Es passt nicht zur Brutalität der Polizei und nicht zur Dunkelheit der Zechen. Es passt nicht zum Ruß, der über Durham liegt, und den Schnee in ein matschiges Grau verwandelt.
(Aus dem Film: Billy Elliot – I will dance).
2. Thomas kann es nicht glauben
Thomas kann es nicht glauben. Jesus, der Freund, der Lehrer, soll leben. Die anderen Jünger und Jüngerinnen haben ihn angeblich gesehen. Der so elend am Kreuz starb und das vor allen Augen – der soll leben? Und er wurde doch dann in das Grab von Josef von Arimathäa gelegt… Das passt nicht. Es passt nicht in die Welt, die Thomas kennt. Es passt nicht zum unerbittlichen Handeln der römischen Soldaten. Es passt nicht zum Blut, zum Schmerz, zum Grau der Tage. Nicht zu den enttäuschten Gesichtern derer, die gehofft hatten, dass nun endlich alles anders wird. Und immer noch verkriechen sie sich hinter dicken Mauern. Dass Jesus leben soll, das passt nicht zu den Tränen der Frauen, die die ganze Zeit unter dem Kreuz waren. Nicht zu der Angst, die die Jesus-Freunde immer noch haben – dass es auch sie treffen könnte. Thomas ist kein Ungläubiger, auch wenn er oft so genannt wird. Und er ist auch kein Leichtgläubiger, kann nicht einfach so glauben, was seine Freunde ihm erzählen.
Ich verstehe Thomas gut. Jesus lebt? Da müsste doch die Welt auf dem Kopf stehen, alles anders sein. Die Angst verflogen – alle Türen offen. Die Tränen getrocknet. Kein Tod mehr. Kein Leid mehr. Aber die Welt ist weiterhin, wie sie ist. Die Türen sind und bleiben verschlossen. Wieso merke ich nichts davon, dass Jesus lebt?
3. Thomas begreift
Und plötzlich ist er da, der Auferstandene. Steht vor Thomas – so wie 8 Tage vorher bei den anderen. Steht vor ihm – offensichtlich können Mauern und verschlossene Türen ihn nicht draußen halten. Es gibt keine Grenzen mehr, kein drinnen und draußen, Himmel und Erde verschwimmen. Wunden und Wunder gehen ineinander über. Die Schwelle zwischen Tod und Leben überschritten. Die Welt, wie Thomas sie kannte, bröckelt.
Aber es reicht noch nicht. „Erst will ich selbst die Löcher von den Nägeln an seinen Händen sehen. Mit meinem Finger will ich sie fühlen. Und ich will meine Hand in die Wunde an seiner Seite legen.“
Zeigt mir seine Narben, sagt Thomas zu den anderen. Lasst mich begreifen, was geschehen ist. Lasst es mich spüren. Berühren. Fleisch und Blut, Haut und Haar. Kein Geist. Sondern Mensch. Sondern Jesus.
Und Jesus lässt es zu. Er zeigt Thomas seine Narben. Und das genügt. Jesus zeigt sich ungeschützt, mit all den Spuren, die das Leben hinterlassen hat. Zeigt sich, wie er ist. Unverstellt. Echt. Und das lässt Thomas glauben. Jesus ist kein Geist, der mit ihm nichts zu tun hat. Sondern vielleicht sogar mehr Mensch denn je und damit ganz nah.
4. Jack begreift
Und plötzlich ist er da. Billy, der 11jährige Junge, steht in der Boxerhalle vor seinem Vater. Beide haben nicht damit gerechnet, dass sie sich hier treffen. Draußen und drinnen verschwimmen. Sie sind erschrocken. Wird der Vater wieder prügeln?
Billy fängt an zu tanzen. Alles lässt er raus – seine Wut, seine Trauer, seine Angst, seine Tränen. Er tanzt wie noch nie. Und Jack begreift auf einmal, wen er da vor sich hat. Es ist Billy, den er doch von klein auf kennt und liebt und den er doch nun zum ersten Mal richtig sieht. Mit seinen Narben auf der Seele und seiner Wut im Bauch. Er lässt sich berühren, obwohl er nur zuschaut. Denn Billy hat sich gezeigt. Ohne Mauern. Ohne Panzer. Ungeschützt, unverstellt, echt.
5. Ein Mehr an Leben
Damit ist der Damm gebrochen. Jack erkennt, was Billy braucht. Und für die ganze Familie beginnt ein neues Leben. Immer noch voller Tränen und Zweifel. Nicht wissend, ob Billy es schaffen wird. Sie gehören zusammen und niemand kann sie auseinander treiben, noch nicht mal das Grau in Grau von Durham oder die gnadenlose Dunkelheit der Zechen. Billy wird ein großer Tänzer, der die Herzen berührt und seinem Vater die Tränen in die Augen treibt. Ja, sie beginnen zu glauben, dass es mehr gibt. Ein Mehr an Leben. Und obwohl so viel dagegen spricht: Das Leben lohnt sich und hat alle Liebe verdient.
Ein Mehr an Leben….
Auch Thomas beginnt zu glauben. Mein Herr und mein Gott – mehr kann ein Mensch nicht bekennen, wenn er Jesus begegnet. Mit seiner Geschichte macht er zahllosen anderen Mut. Mir jedenfalls ist Thomas sehr nahe. Wenn ich mich nicht einfach vertrösten lassen will, habe ich Thomas an meiner Seite. Wenn ich mich danach sehne, Jesus begreifen zu können, bin ich in den Spuren von Thomas. Wie er will ich mich berühren lassen und will berühren. Wie er brauche ich diesen lebendigen Jesus, der mir seine Narben zeigt. Dieser Jesus ermutigt mich dazu, selber meine Narben offenzulegen, echt zu sein, mich nicht zu verstellen. Auf Tuchfühlung zu gehen mit Menschen, die mich lieben und die ich liebe. Unsere Welt braucht es, dass die Grenzen zwischen Himmel und Erde, zwischen Tod und Leben fallen. Ein Mehr an Leben – und es lohnt sich, obwohl so viel dagegen spricht. Und ich möchte glauben, dass dies geschieht.
6. Ich glaube
Ich kann es glauben.
Ich glaube, dass ein boxender Junge Tänzer wird.
Ich möchte glauben, dass jeder Mensch frei leben kann – echt und unverstellt.
Ich klammere mich daran, dass das eines Tages geschieht.
Das Holz vom Klavier wird nicht zum Heizen gebraucht, sondern lässt Musik erklingen.
Die Arbeit laugt die Menschen nicht mehr aus.
Und alle tanzen auf der Straße mit Boxerstiefeln und Ballettschuhen.
Ich will glauben, dass die Welt nicht so bleiben muss, wie sie ist.
Ich möchte glauben, dass ein machtbesessener Präsident nicht einfach einen Krieg anzetteln kann, sondern Parlament und Ministerinnen ihn stoppen.
Ich möchte glauben, dass die Welt nicht auf eine Terroristenbande wie die Hamas hört, sondern auf misshandelten jungen Frauen, die einfach nur tanzen wollten.
Ich klammere mich daran, dass das eines Tages geschieht.
Und ich spüre meine Narben und sehe deine Wunden.
Und ich glaube, dass das wichtig ist.
Wir begreifen, dass wir Gottes Kinder sind und unser Leben hat alle Liebe verdient.
Lahme gehen, Blinde sehen, Tote stehen auf.
Und ja, Gottes Liebe zum Leben ist stärker als alles andere.
Das glaube ich. Und das hoffe ich – mit Billy und Jack und mit Thomas.
Amen.
(Hier könnte noch der Song „I believe“ von Stephen Gatley eingespielt werden: er ist im Abspann des Films zu hören und fasst den Film quasi zusammen….)
1. Welche Predigtsituation steht Ihnen vor Augen?
Eine Woche nach Ostern rückt die Frage mehr und mehr in den Vordergrund: Was ändert sich mit Ostern denn nun wirklich? Und zugleich ist da die Sehnsucht nach dem Neuanfang, dem wirklichen Neustart. In Baden-Württemberg gehen die Osterferien zu Ende. Das Gefühl, dass jetzt der Alltag wieder losgeht, macht sich breit. Wie geschieht Ostern denn nun im Alltag? Diese Fragen bewegen vielleicht die Predigthörer*innen…
2. Was hat Sie bei der Predigtvorbereitung beflügelt?
Die Parallelisierung mit der Geschichte von Billy Elliot („I will dance“), die als Film im Jahr 2000 heraus kam und mich schon immer sehr bewegt hat. Ich habe ihn erst vor kurzem wieder gesehen. Und da ging er mir nicht mehr aus dem Kopf. Insbesondere auf den Vater Jack habe ich nochmal ganz neu geachtet…
3. Welche Entdeckung wird Sie weiter begleiten?
Manchmal zündet eine Idee und gibt mir damit einen neuen Zugang zu einer altbekannten Geschichte. Genau so ging es mir mit Billy Elliot und der Begegnung von Jesus und Thomas.
4. Was verdankt diese Predigt der abschließenden Bearbeitung?
Meine Coach hat mich dazu ermutigt, noch stärker zu straffen und am Anfang die Dramatik mehr herauszuarbeiten. Wir waren uns nicht ganz einig, ob es den Teil 6 braucht. Ich habe ihn mal drinnen gelassen….. Ich bin aber dankbar, dass sie es in Frage gestellt hat, dadurch habe ich ihn deutlich überarbeitet und zugespitzt!