Erinnere uns an den Anfang - Predigt zu Apostelgeschichte 4,32-37 von Anne-Kathrin Kruse
4,32-37

Erinnere uns an den Anfang - Predigt zu Apostelgeschichte 4,32-37 von Anne-Kathrin Kruse

Ein Traum von Abi- Klasse

Weißt du noch? Wie frisch verliebt waren wir alle miteinander. Ein Herz und eine Seele.
Unsere kleine, feine Oberstufen-Klasse, Altsprachlicher Zweig. Gerademal zwölf waren wir noch. Sechs Schülerinnen, sechs Schüler. Ständig hingen wir zusammen. Konnten uns blind aufeinander verlassen. Eine verschworene Gemeinschaft.
Konkurrenz war ein Fremdwort, Strebertum undenkbar. Bewundert haben wir einander für das, was die Andere konnte. Stolz waren wir auf den Erfolg des Anderen.
Und eine genial funktionierende Arbeitsteilung: eine Stunde vor Unterrichtsbeginn verteilte der jeweilige Fachexperte die fertigen Hausaufgaben an den Rest der Klasse. Niemand behielt etwas für sich. Alles wurde geteilt. Täglich traf man sich nach der Schule bei Theo, dem Kneipenwirt um die Ecke. Teilten, was es gab. Weißt du noch, damals?

32 Die Menge der Gläubigen aber war ein Herz und eine Seele; auch nicht einer sagte von seinen Gütern, dass sie sein wären, sondern es war ihnen alles gemeinsam. 33 Und mit großer Kraft bezeugten die Apostel die Auferstehung des Herrn Jesus, und große Gnade war bei ihnen allen. 34 Es war auch keiner unter ihnen, der Mangel hatte; denn wer von ihnen Land oder Häuser hatte, verkaufte sie und brachte das Geld für das Verkaufte 35 und legte es den Aposteln zu Füßen; und man gab einem jeden, was er nötig hatte. 36 Josef aber, der von den Aposteln Barnabas genannt wurde – das heißt übersetzt: Sohn des Trostes –, ein Levit, aus Zypern gebürtig, 37 der hatte einen Acker und verkaufte ihn und brachte das Geld und legte es den Aposteln zu Füßen.

Erinnere uns an den Anfang.
Am Anfang, als Leben begann,
sprachst du zu uns: ihr seid willkommen,
hast du an die Hand uns genommen.

Erinnere uns an den Anfang,
an Ursprung und Werden, Vergehen,
damit wir das Leben verstehen,
damit wir klug werden. 

Ein Herz und eine Seele – damals in Jerusalem

Weißt du noch? Erinnerung an den Anfang. Als alles begann. So war es einmal – oder mag es gewesen sein… Ein Herz und eine Seele waren sie, diese kleine jüdische Gemeinde in Jerusalem, die an Jesus, ihren Messias, glaubte. Von seiner Auferstehung ging eine ungeheure Kraft aus. Niemand war dabei gewesen, und doch glaubten sie daran. Wie frisch verliebt! Ständig hingen sie zusammen, konnten sich blind aufeinander verlassen. Eine verschworene Gemeinschaft, zu der jeder das beitrug, was er konnte. Da gab es keine Konkurrenz, keinen Neid auf das, was die Nachbarn hatten. Auf Privatbesitz verzichteten sie, teilten, was es gab. Es war ihnen alles gemeinsam. Und das fiel nicht einfach vom Himmel… oder doch?!

Erinnerung an Gottes Weisung fürs Leben

Auch sie in der Jerusalemer Gemeinde erinnerten sich an den Anfang: Du weißt doch noch: Unsere Vorfahren damals in der Wüste Sinai! Weit und breit nichts als Sand und Steine. Und ein hoher felsiger Berg, den Gipfel in Wolken gehüllt. Mose war hinaufgestiegen, ganz allein. Um mit Gott zu reden. Mit Gott persönlich!
Nicht wohl war ihnen bei dem Gedanken. Wer wusste schon, ob er da heil wieder runter kam…
Gewartet haben sie, Stunde um Stunde. Als sie schon nicht mehr mit ihm gerechnet hatten und aufbrechen wollten, tauchte er plötzlich auf, ganz klein, kaum zu sehen in dieser gigantischen Felswand. Mit zwei Tafeln im Arm. Gottes Tora, seine Weisung. Sie hat unsere Vorfahren und auch uns selbst begleitet, und soll das auch weiterhin tun. Jesus hat uns darin immer wieder bestärkt, Gottes Weisung wie einen Schatz hochzuhalten, dass sie uns Orientierung gibt, hilft, tröstet - fürs Leben.
Und du weißt doch: das wichtigste Gebot in der Tora heißt: „Höre, Israel, der Herr ist unser Gott, der Herr allein. Darum sollst du den Herrn, deinen Gott, lieben mit ganzem Herzen, mit ganzer Seele und mit ganzer Kraft.“ Mit ganzem Herzen, mit ganzer Seele – Gott lieben und den Nächsten. Darin sind wir eins. Ein Herz und eine Seele.

Das Land gehört uns nicht

Auch nicht einer von uns sagt von seinen Gütern, dass sie ihm gehören, sondern es ist uns alles gemeinsam. Auch das haben wir uns in unserer kleinen jüdischen Gemeinde in Jerusalem nicht ausgedacht. Erinnerst du dich? Denn Gott sagte schon unseren Vorfahren in seiner Tora: Ihr sollt das Land nicht auf Dauer verkaufen, denn es ist mein Land, ihr sei meine Gäste.
Das Land gehört uns nicht.
Immobilien bergen die Gefahr, andere abhängig zu machen. Aber: Reichtum verpflichtet – nämlich dazu, dass es niemanden geben soll, der verarmt. Deswegen wird bei uns alles verkauft und der Erlös der Gemeindeleitung übergeben. Damit keiner unter ihnen ist, der Mangel hat.

Erinnere uns an das Staunen.
mit staunendem offenen Blick
hast du uns als Kinder gesegnet,
sind wir allem Neuen begegnet.
 

Erinnere uns an den Anfang,
an Ursprung und Werden, Vergehen,
damit wir das Leben verstehen,
damit wir klug werden. 

So viel haben, wie jede und jeder braucht

Und noch etwas, woran sich die kleine jüdische Gemeinde, die an ihren Messias Jesus glaubte, gehalten hat: Man gab einem jeden, so viel er brauchte.
Zurück zu den Vorfahren in der Wüste. Jeden Tag dieser Sand! Er knirscht zwischen den Zähnen. Verstopft die Ohren. Außerdem haben sie Hunger. Und schlechte Laune. Dabei hatte Gott ihnen ein Land versprochen, in dem nicht nur wenige mehr als genug haben und der Rest leidet Hunger, sondern alle sind glücklich. In dem jede und jeder so viel hat, wie er und sie braucht. Zuneigung. Brot. Frieden.
Plötzlich fängst es an zu knistern. Es regnet… es regnet Krümel, die süß schmecken. Manna.
Nimm, so viel, wie du brauchst, sagt Gott. Nicht: Nimm, so viel Du kriegen kannst. Dann nehmen die einen viel, und für die anderen bleibt nichts übrig. Darum beten wir: Unser täglich Brot gib uns heute…täglich neu, so viel, dass alle genug haben, und die Preise durch Warentermingeschäfte nicht künstlich hoch gehalten werden. Das, was zu viel ist, verdirbt - auch den Charakter.
Deshalb das, was du wirklich brauchst, gibt Gott uns täglich neu – Himmelsbrot – Brot und Himmel, Güte und Segen, Wasser und Liebe. Alles, was ich nicht festhalten kann. Denn festhalten verdirbt. Bringt aus dem Gleichgewicht. Den Körper, die Seele, die Liebe. Ja, auch die ganze Erde. So viel Müll. So viel Ungerechtigkeit. So viel Gezocke. So viel Gewissenlosigkeit.

Dabei ist doch genug da! Das Himmelsbrot – leise fällt es uns in die Hand. Nähe, die wärmt. Arbeit, die satt macht.
(Nach Anregungen von Kirsten Fehrs, Predigt zur Kirchentagslosung Ex 16 im Eröffnungsgottesdienst zum Hamburger Kirchentag 2013)

Erinnere uns an Erfahrung.
Erfahrung, die uns heute prägt,
hat uns auch durch Trauer geleitet,
hat unseren Glauben geweitet. 

Erinnere uns an den Anfang,
an Ursprung und Werden, Vergehen,
damit wir das Leben verstehen,
damit wir klug werden. 

Wann werden wir endlich so, wie wir nie waren? (nach J.M. Modeß, GPM 74, S.332)

Das Leben Israels in der Wüste, Gottes gute Gebote, die zum Leben in Gerechtigkeit helfen, das Leben der kleinen Gemeinde in Jerusalem, die an ihren Messias Jesus glaubte und alles miteinander teilte…War das alles nur ein Traum? Eine Utopie, die sowieso nicht funktioniert?
Damals – wie frisch verliebt? Es gab ja auch das Murren, die Sehnsucht zurück in die Sklaverei an den Fleischtöpfen Ägyptens. Vielleicht waren sie nie ein Herz und eine Seele.
Umso drängender die Frage: Wann werden wir endlich so, wie wir nie waren? Wann verlernen wir das Festhalten, und lernen abzugeben? Wann werden wir endlich so gerecht, wie wir nie waren?
Und zwar so, dass alle etwas einzubringen haben. Dass wir Güter und Lasten, Schulden und Ideen nicht für uns behalten, sondern teilen. Wahrscheinlich wohl nie.
Die Corona-Krise hat uns überdeutlich gezeigt, wo unser Zusammenleben im Argen liegt. Dass wieder einmal die Ärmsten der Armen besonders gefährdet sind, auch in Deutschland. Und die Berufsgruppen, die am dringendsten gebraucht wurden - die Pflegekräfte, die Verkäuferinnen, die Leiharbeiter – mit am schlechtesten bezahlt werden.

Aber ohne die Sehnsucht nach einer gerechten Welt gäbe es die vielen kleinen Schritte nicht, die es jetzt schon gibt: In neue Technologien investieren, die unser Klima nicht weiter zerstören. Klimaziele verfolgen, die verhindern, dass die schweren Klimaveränderungen zuerst die Armen der Ärmsten treffen…Arbeit und Brot teilen, soviel jeder und jede braucht. Ganz kleine Schritte hin zu einer gerechten Welt, wie Gott sie gewollt hat. Dazu gehört hinzuschauen, mitzufühlen, aufstehen gegen den Hass und die Hetze - Himmelsbrot, gerecht geteilt, denn es ist genug da, aber es lässt sich nicht festhalten.

Erinnere uns an das Ende,
ans Ende, wenn du zu uns sprichst:
Willkommen seid ihr. Euer Bangen
Ist gänzlich in Liebe umfangen. 

Erinnere uns an den Anfang,
an Ursprung und Werden, Vergehen,
damit wir das Leben verstehen,
damit wir klug werden. 

Verliebt in die Zukunft

Weißt du noch? 40 Jahre ist das Abi her. Eine lange Zeit – so lange wie Israel nach seiner Befreiung durch die Wüste gezogen ist. Kaum erkennen wir uns wieder. Ergraut, beleibt. Nach und nach entdecken wir altvertraute Gesichtszüge, ein bekanntes schelmisches Lächeln blitzt auf, immer noch strahlende Augen. Neugierig aufeinander, entdecken wir uns wieder.
War eigentlich wirklich alles so traumhaft? Was ist aus uns geworden? Die kleine Fachwerkstadt bleibt uns. Noch immer sind wir verliebt, aber nicht mehr in die Vergangenheit. Frisch verliebt in die Zukunft! Denn die Verheißung bleibt. Macht Lust auf neues Leben, auch wenn wir nicht mehr taufrisch sind. Die Verheißung, sich an Gottes Wort als Weisung zum Leben zu halten. In der Gemeinschaft zu bleiben. Himmelbrot zu teilen mit denen, denen es nicht so gutgeht wie uns. Gott zu loben. Gesicht zu zeigen.

Erinnere uns an den Anfang,
an Ursprung und Werden, Vergehen,
damit wir das Leben verstehen,
damit wir klug werden. 

So soll es sein. Das heißt: Amen.

Das Kirchentagslied „Erinnere uns an den Anfang“ kann zwischen den Abschnitten gesungen bzw.in Coronazeit gespielt und mitgelesen werden.

Vier Fragen zur Predigtvorbereitung an Anne-Kathrin Kruse: 

1. Welche Predigtsituation steht Ihnen vor Augen?
Die St. Michaelskirche in Schwäbisch Hall gilt unter den selbstbewussten Haller Bürger*innen als ihr „Wohnzimmer“, vorzugsweise zu den Hoch-Zeiten städtischer Events. Während die Gottesdienstgemeinde sich sonst aus der ganzen Region einschließlich der Tagestouristen zusammensetzt, hat sich seit der Coronazeit ein neues Gemeinschaftsgefühl etabliert. Man schaut nacheinander und freut sich, sich wieder zu sehen.

2. Was hat Sie bei der Predigtvorbereitung beflügelt?
Menschen tauschen Erinnerungen aus und verklären diese mitunter kräftig. Gleichwohl verraten diese Verklärungen etwas von der Verheißung und den daraus resultierenden Hoffnungen, von denen der Glaube lebt. Diese Hoffnungen, Träume, Visionen von einer gerechten Welt im Sinne von Gottes Gerechtigkeit, die eben nicht blind ist, möchte ich stark machen. Denn sie machen uns lebendig. 

3. Welche Entdeckung wird Sie weiter begleiten?
Besondere Freude haben mir die Entdeckungen im Text gemacht, die sich auf Quellen und Parallelen im Alten Testament rückbeziehen und mir dadurch den Zugang zum Text wie zu heutiger Lebenswirklichkeit erleichtert haben. Sie helfen mir auch, biblische Texte nicht vorschnell zu individualisieren oder zu spiritualisieren. 

4. Was verdankt diese Predigt der abschließenden Bearbeitung?
Monika Hautzinger hat mir wichtige Hinweise v.a. zu Predigtstruktur und Perspektiv-wechseln gegeben – vielen Dank! 

Perikope
Datum 14.06.2020
Bibelbuch: Apostelgeschichte
Kapitel / Verse: 4,32-37