Liebe Gemeinde,
Ostern, das ist Freude. Jubel. Ausgelassenes Feiern. Sogar Tanzen, wie wir es bei unseren äthiopischen Mitchristen eben gesehen haben. Ostern macht aber auch skeptisch. Die Behauptung "Jesus ist auferstanden" ist eine intellektuelle Herausforderung sondergleichen. Eine echte Zumutung für uns aufgeklärte Zeitgenossen. Ein Toter kommt zurück ins Leben? Wie soll das bitte gehen? Tot ist tot. Wer etwas anderes behauptet, stellt unsere Lebenserfahrung und unser Weltbild auf den Kopf. Wenn nicht einmal der Tod totsicher sein soll – worauf kann man sich denn dann noch verlassen?
Ostern hat darum immer schon irritiert. Und auch verunsichert. Manchen sogar richtig Angst eingejagt. Etwa den Frauen am Grab, denen der Engel sagte: Jesus ist nicht hier! Er ist auferstanden! Diese Nachricht fuhr ihnen durch Mark und Bein. Johannes, einem der Jünger Jesu, ging es ähnlich. Das letzte Buch der Bibel beschreibt sein ganz persönliches Ostern. Da sieht Johannes Jesus, den Auferstandenen, in einer Vision. Dieser Anblick wirft Johannes um. Da ist keine Spur von Freude. Nur großes Erschrecken. Was hat ihn so überwältigt?
Wahrscheinlich war es seine eigene Erwartung. Dass Jesus ihm jetzt mit unbestechlicher Miene die Leviten liest. Doch seine Befürchtungen treten nicht ein. Stattdessen streckt Jesus seine Hand nach Johannes aus. Berührt ihn liebevoll und richtet ihn auf. Wie eine Mutter, die ihren Arm um ihr Kind legt und es tröstet, ihm zuhört, ihm Mut macht. Wie ein Vater, der sein Kind auffängt, ihm versichert, dass er es liebt.
Und dann spricht Jesus mit ihm. "Fürchte dich nicht!" sagt er. Kein Vorwurf? Kein vernichtendes Urteil? Nur dieser eine liebevolle Satz bleibt: "Fürchte dich nicht!" Scheitern, Versagen, Schuld lösen sich auf.
"Fürchte dich nicht!" Dieser Satz aus Jesu Mund kann alles in uns verändern. Wie oft hat mich das Urteil eines anderen Menschen verletzt! Wie schnell sind meine Zukunftsträume wie Seifenblasen geplatzt. Wie stark kann eine ärztliche Diagnose meinem Lebensmut die Flügel beschneiden. Doch Jesus sagt: Fürchte dich nicht!
Ein Satz, der Leben verwandelt. Ein Satz, der heil macht. Das haben die Menschen zu biblischen Zeiten auf wundersame Weise erlebt. Darum kamen sie mit allem zu Jesus, was sie quälte und bedrückte. Sie ahnten: Jesus kann uns gesund machen. Gesund, an Leib und Seele. In ihm begegneten sie Gott. Und so suchten sie seine Nähe, seine Macht und sein befreiendes Wort. Damit er den Schatten des Todes, eine Krankheit zum Beispiel, aus ihrem Leben vertreibt. Das Neue Testament enthält viele solche Geschichten. Wie Jesus Menschen heil gemacht hat. Manche Menschen erleben dies auch heute.
Girma Kelboro: Mein Name ist Girma Kelboro. Ich bin in einem kleinen Dorf in Äthiopien geboren. In Äthiopien gibt es viele verschiedene Religionen. Viele Einwohner sind christlich orthodox oder muslimisch, andere gehören Naturreligionen an. Sie leben alle friedlich miteinander, auch sehr oft unter einem Dach. Meine Familie war ursprünglich muslimisch. Bis zu jenem Tag 1992, als in unserer Familie ein Wunder geschah: Damals war mein kleiner Bruder sehr krank. Er lag im Bett und hatte sehr starke Schmerzen. Keine Medizin hat ihm geholfen. Dann kamen Christen, die an Jesus Christus glaubten und haben für ihn gebetet. Ihr Gebet hat meinen Bruder geheilt. Diese Erfahrung überzeugte unsere Familien und wir entschieden uns, an den Namen Jesus Christus zu glauben. Meine ganze Familie hat Jesus Christus als ihren Retter und Heiland angenommen. Wir glauben, dass durch Jesus Christus alles möglich ist. Das macht uns bis heute sehr glücklich.
Pastor Andreas Fehler: Eine erstaunliche Geschichte. Eine "Spontanheilung", die medizinisch nicht erklärt werden kann. Bei einigen ruft sie sicherlich Kopfschütteln hervor. So etwas kann es doch nicht geben! Doch, nicht oft. Aber hin und wieder. Für Girma und seine Familie muss dieses Erlebnis nicht naturwissenschaftlich erklärt werden. Für sie ist klar: Gott hat ein Wunder getan. Jesus hat eingegriffen. Dies zu erleben und das Gebet der anderen hat Girma und seine Familie so überzeugt, dass auch sie ihr Leben Jesus Christus anvertraut haben. Lassen Sie uns mit einem alten Osterchoral in dieses Vertrauen einstimmen:
Lied: Jesus lebt, mit ihm auch ich! EG 115
Jesus lebt! Ich bin gewiss, nichts soll mich von Jesus scheiden,
keine Macht der Finsternis, keine Herrlichkeit, kein Leiden.
Seine Treue wanket nicht; dies ist meine Zuversicht.
Pastor Andreas Fehler: Keine Finsternis soll mich von Jesus scheiden! Und wenn doch? Was ist mit den vielen, die solch eine Heilung wie in Girmas Familie nicht erleben? Die sich Gesundheit wünschen und krank bleiben? Die darum gebetet haben – aber ihr Gebet wurde nicht erhört? Auch ihnen gilt Jesu Zuspruch "Fürchte dich nicht!" Aus gutem Grund. Denn das Gespräch zwischen Jesus und Johannes geht noch weiter. Jesus sagt zu ihm: "Ich bin der Erste und der Letzte und der Lebendige. Ich war tot und siehe, ich bin lebendig von Ewigkeit zu Ewigkeit und habe die Schlüssel des Todes und der Hölle." (Offenbarung 1,17b.18)
Dafür, liebe Gemeinde stehen diese beiden Buchstaben, A und O. Jesus sagt von sich, dass er A und O, Alpha und Omega, ist. Davor ist nichts. Und es kommt nichts mehr nach. Diese beiden Buchstaben rahmen Gottes große Liebeserklärung ein. Zuerst erging sie an sein Volk Israel. Durch Jesu Christus, Gottes Sohn, sind wir in diese Liebesgeschichte mit hineingenommen. Denn auch mit uns will Gott sich verbünden. Auch uns gilt sein Versprechen, dass wir leben sollen. Jesus ist konsequent dafür eingetreten, hat dafür sogar den Tod am Kreuz auf sich genommen. Und Gott hat ihn, seinen Sohn, neu ins Leben gerufen. Als ersten, der alle Verstorbenen nach sich zieht. Jesus Christus verkörpert Gottes Versprechen. Darum ist sein Wort so mächtig.
Es entkräftet alle anderen Worte. Weder Eltern, noch Lehrer, Arbeitgeber, Nachbarn, oder Ärzte sprechen das letzte Wort. Jesus spricht das letzte Wort. Die Sünde, der Tod, die teuflischen, lebenszerstörenden Mächte, die dieser Welt Hass und Schmerz bringen, wie gerade in der Ukraine und auf dem Meer vor Südkorea. Nachrichten wie über dieses Fährunglückerschrecken uns zutiefst. Und dennoch wissen wir: diese Gewalten entmachtet. Gewiss, wir sehen sie noch. Denn auf dieser Erde ist unser Leben immer begrenzt. Am Tod kommen wir nicht vorbei. Immer wieder wirft er seine Schatten auf uns. Aber er hat nicht das letzte Wort. Jesus hat die Gesetzmäßigkeiten dieser Erde ausgehebelt. Er besitzt die Schlüssel des Todes und der Hölle. Ein starkes, triumphierendes Bild: Jesus mit Schlüsselgewalt.
Wer dieser Botschaft vertraut, kann heil werden, selbst wenn er nicht gesund wird. Zugegeben, das klingt paradox. Doch gesund und heil sein sind zwei verschiedene Dinge. Das erlebe ich immer besonders intensiv, wenn ich Menschen auf ihrem letzten Weg begleite. Zum Beispiel auf einer Palliativstation oder im Hospiz. Dort ist der Tod allgegenwärtig. Und zugleich steht Jesu Satz "Fürchte dich nicht! Ich habe die Schlüssel des Todes" im Raum. Das gibt Sterbenden und ihren Angehörigen eine tiefe Hoffnung.
Ein väterlicher Freund, den wir im letzten Jahr verloren haben, hat diese Hoffnung sogar auf seinen Grabstein meißeln lassen. "Jesus lebt, mit ihm auch ich!" steht da. In trotzigem, frohen Glaubensmut. Diese Zeile stammt aus demselben Osterchoral, den wir gerade schon angestimmt haben. Lassen Sie uns die nächsten beiden Strophen singen:
Lied: Jesus lebt, mit ihm auch ich! EG 115
Jesus lebt, mit ihm auch ich! Tod, wo sind nun deine Schrecken?
Er, er lebt und wird auch mich von den Toten auferwecken.
Er verklärt mich in sein Licht; dies ist meine Zuversicht.
Jesus lebt! Nun ist der Tod mir der Eingang in das Leben.
Welchen Trost in Todesnot wird er meiner Seele geben,
wenn sie gläubig zu ihm spricht: "Herr, Herr, meine Zuversicht!"
Text: Christian Fürchtegott Gellert 1757,
Melodie: Johann Crüger; mehrstimmiger
Satz: Johannes Schmidt (*1988), 2014, nicht verlegt
Pastor Andreas Fehler: Weil Jesus lebt und auch uns das Leben blüht, hat der Tod für viele Menschen seinen letzten Schrecken verloren. Es ist, als würde Gott ihre Zukunft schon in ihre Gegenwart strahlen lassen:
Hans Diebel: Ich bin oft Menschen begegnet, die durch Worte gebunden waren. Solche Worte habe ich vorhin ja auch selbst gesagt, so etwa wie: Niemand kann Ihnen helfen, Sie müssen sterben. Aber das ist nur die eine Seite. Es gibt zum Glück auch andere, göttliche Worte in dieser Welt. Jesus sagt: "Ich bin die Auferstehung und das Leben. Wer an mich glaubt, wird leben, auch wenn er stirbt." Dieses Wort befreit. Bereits im Leben. Und sogar vom ewigen Tod. Unser Kreuz hier zeigt das sehr schön. Für mich ist es ein Sinnbild. Schauen wir zuerst auf diesen dunklen, horizontalen Balken.
Er zeigt mein Leben, mit allem, was da an Dunklem dazugehört. Aber: Das Dunkle ist durch den Glauben an Jesus vom goldenen Balken umschlungen! So werde ich jetzt schon durch Jesus gehalten und gleichsam ein Stück zu ihm nach oben gezogen. Trotzdem bleiben Schwäche, das Älterwerden, Krankheit und Tod Teil meines Lebens. Doch durch Jesus, der den Tod überwunden hat, wird es am Ende gut. Er spricht das letzte Wort über mich und sagt: Komm zu mir, denn ich habe auch für Dich den Tod überwunden!
Pastor Andreas Fehler: Ostern löst große Freude aus, aber auch nagenden Zweifel, so habe ich zu Beginn meiner Predigt gesagt. Das Wunder der Auferstehung lässt sich nicht beweisen. Das Gegenteil aber auch nicht. Ich bin überzeugt: Es macht wenig Sinn, mich mit meiner Vernunft an diesem Wunder aufzureiben.
Es erschließt sich mir viel mehr, wenn ich es als Gottes Liebesgeschichte betrachte. Als sein Versprechen, mir, seinem geliebten Geschöpf, die Treue zu halten. Durch Schwäche, Schuld und Scheitern hindurch. Für mich A und O zu sein. Darauf will ich mich immer wieder neu einlassen. Und wie das bei der Liebe so ist, lebt sie vom Vertrauen.
Nicht von der Rückversicherung oder der Wahrscheinlichkeitsberechnung. Darum beende ich meine Predigt mit der Frage: Was würden Sie Jesus antworten, wenn Sie Johannes wären und Jesu Worte hörten: "Ich bin das A und O. Fürchte dich nicht!?"
Amen.