Geheimnis des Glaubens – Aufbruch ins Neue - Predigt zu Lukas 5, 1-11 von Elisabeth Tobaben
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Geheimnis des Glaubens – Aufbruch ins Neue - Predigt zu Lukas 5, 1-11 von Elisabeth Tobaben

36 000 kleine Glasstücken haben die Schülerinnen und Schüler der Juister Inselschule bunt eingefärbt und daraus mit ihrem Kunsterzieher Herbert Gentzsch   den „Fischzug des Petrus“ zusammengesetzt. Über 60 Jahre ist das inzwischen her, heute hängt dieses Bild an der Altarwand der Inselkirche.

Das ganze Bild ist aus sechzig  30 x 30 cm großen Quadraten zusammengefügt,  die Glasstückchen mussten über Kopf und seitenverkehrt zusammengebaut werden, eine ganz schön knifflige Aufgabe! So manche Farb- und Linienbrüche sind dadurch entstanden.

Die Jugendlichen wollten sich mit dem Mosaik einen Brennofen finanzieren für ihre Tonarbeiten, doch als das Bild fertig war, interessierte sich niemand dafür, und es lag jahrelang auf dem Boden der Inselschule. Als  1964 die alte Inselkirche abgerissen und erweitert wieder aufgebaut wurde, kam das Mosaik als Geschenk der politischen Gemeinde in die neue Inselkirche.

Die Glasteilchen blinken und blitzen seitdem dort, besonders wenn  Sonnenstrahlen darauf fällen. Die hoch erhobene Jesus-Hand scheint  bis heute den Segen auf die versammelte Gemeinde zu legen. Und die erschüttert wirkenden Gesichter der Fischer scheinen uns zu fragen: Und ihr? Wärt ihr mitgegangen, damals? Einfach so?

In der Szene, die Jugendlichen sich ausgesucht haben, ist noch alles offen. Das Gedrängel am Seeufer liegt bereits hinter den Fischern, und auch die Predigt Jesu von Simons Boot aus, genauso der verrückte Auftrag: Fahrt noch mal raus!

Noch sitzt Simon in einem Boot mit den drei Fischerkollegen. Alles wie gehabt. Soweit noch: Alltag. Aber etwas ist schon anders als sonst:  Jesus sitzt mit im Boot. Segnend hat er die rechte Hand erhoben, sitzt hinter den Vieren – Rückendeckung.

Fünf Männer in einer schmalen Nussschale weit draußen auf dem unruhigen See Genezareth mit all seinen Unberechenbarkeiten, Tiefen und Strömungen, plötzlichen Böen und Stürmen. Bei hellem Tageslicht sollten sie zum Fischen hinausfahren, die Sonne steht hoch am Himmel. Kein erfahrener Fischer würde  unter normalen Umständen so etwas tun! Die Sonne wirft den Schatten des Bootes  durch das klare Wasser auf den Grund, warnt die Fische, das weiß doch jedes Kind, der erneute Misserfolg scheint vorprogrammiert.

„Auf dein Wort hin...“  sagt Simon „wollen wir die Netze noch einmal auswerfen. Weil du es sagst, wollen wir auch das Unmögliche probieren.“

Auf dein Wort? Diese Aufforderung Jesu, am helllichten Tag zu fischen, musste in den Ohren eines erfahrenen Fischers wie Simon doch ziemlich unkundig und überraschend klingen.  Sicher, Simon hätte ihm ohne weiteres einen langen, fachkundigen Vortrag halten können über die geeigneten Methoden des Fischfangs auf dem See Genezareth, damit kannte er sich schließlich aus. Aber offenbar war Simon zutiefst bewegt von den Worten, die er zuvor von Jesus gehört hatte, als er vom Schiff aus zu der Menge sprach. Offenbar war da schon eine Beziehung, ein Vertrauen gewachsen, das auch Zumutungen aushalten konnte. Kurzum, ich denke, es muss irgendetwas gegeben haben, was Simon an diesem Mann so fasziniert hat, dass es ihn jetzt sagen lässt: “Wir probieren es, und wenn es sämtlichen Erfahrungen widerspricht ...“

Dass durch die Begegnung mit Jesus Simons ganzes Leben durcheinander gewirbelt wird, hat trotzdem für mich etwas Geheimnisvolles. Es lässt sich nicht wirklich erklären, was diesen bodenständigen Fischer bewegt hat, aus freien Stücken  den Worten Jesu zu folgen: „Fahre hinaus, wo es tief ist, und werft eure Netze zum Fang aus!“ – und er tut es. „Folgt mir nach, ich will euch zu Menschenfischern machen“ – und Simon und seine Gefährten tun es, verlassen die Netze und folgen ihm nach.  Mag sein, dass bei Simon und den andern  eine Kleinigkeit im Text eine Rolle spielt: Es liegt ein Stück Wasser zwischen Jesus und der Menge am Land, zu der er spricht. Jesus guckt sich ein Boot aus, steigt einfach ein und bittet dann erst Simon, ein paar Meter auf den See hinaus zu fahren.  Ich habe bisher immer gedacht: Natürlich, er will vermeiden, dass jemand ins Wasser fällt, oder dass er womöglich selbst reingedrängt wird von der erwartungsvollen Menge. Oder er will einfach, dass man ihn besser hört, oder dass ihn alle gut sehen können.

Das alles sicherlich auch. Aber: dieser Abstand  hat  für mich –zumindest im Nachhinein- auch einen inhaltlichen Grund. Jesus bedrängt seine fasziniert lauschenden Zuhörerinnen und Zuhörer nicht. Er spricht über diese kurze Distanz hin so, dass das, was er sagt, in Ruhe wirken kann. Er erzählt Geschichten, ohne dass er damit jemandem zu nahe tritt, ihn oder sie überfährt oder mitreißt, ohne dass die Menschen die Freiheit der Entscheidung hätten.  Und so kann eine ganz neue Nähe zu den Menschen erwachsen.

In der Momentaufnahme des Juister Mosaikbildes zeichnet sich der Fischsegen bereits ab. Noch sind es gar nicht so viele Fische, und sie sind beinahe alle noch im Leben erhaltenden Wasser. Wenn man nicht zu genau hinguckt, sieht es aus, als würden sie fröhlich spielen, durch das grün-blaue Wasser gleiten, springen und sich wohlfühlen. Und doch zieht sich das Netz um sie herum bereits zu.

Simon kniet auf dem Bild vorn im Boot, versucht,  das Netz herauf zu ziehen, er probiert es in einer völlig steifen, unpraktischen Haltung, fast hat man Sorge, er könnte das Übergewicht kriegen und die nächste größere Welle könnte ihn über Bord reißen. Jedenfalls sieht man sofort: so wird das nichts.

Wo sollen sie auch hin mit dem gewaltigen Fischsegen in diesem winzigen Boot?

Das Gesicht des Petrus spricht Bände: Er scheint ganz weit weg zu sein mit den Gedanken, wie in einer anderen Welt. Die beiden Fischerkollegen direkt hinter ihm helfen ziehen, der dritte klammert sich verbissen an das Ruder, das er in der Hand hat und verschließt die Augen vor dem Geschehen.

Was für Gedanken mögen ihnen in diesem Moment durch den Kopf gehen? „Wie kann das angehen, so viele Fische im Netz, mitten am Tag?“ werden sie sich sicher gefragt haben. „Wo wir doch hochprofessionell und ausdauernd die ganze Nacht gearbeitet haben, gänzlich erfolglos, ohne einen einzigen Fisch zu fangen! Vielleicht gehen die Gedanken zurück zum frühen Morgen: Völlig deprimiert hatten sie angelegt im Hafen von Tiberias, voller Sorge um ihre Familien. Womit sollten sie ihre Kinder ernähren, wenn der Ertrag ausbleibt? Was, wenn das jetzt öfter passiert, steht eine Wirtschaftskrise bevor?

Für Rücklagen und Ersparnisse hatte es nie gereicht, schließlich mussten sie regelmäßig investieren, mal ein neues Netz, mal eine Reparatur am Boot.

Und jetzt? Was, wenn das Boot jetzt tatsächlich sinkt? Dann ist trotzdem der ganze schöne Fang wieder hin; Und was wird aus uns? Keiner von uns kann schwimmen. Würden die Kollegen aus dem andern Boot rechtzeitig da sein, um uns zu retten? Wer kümmert sich um unsere Frauen und Kinder, wenn wir jetzt alle ertrinken?“ Angespannte, erschrockene Gesichter haben die Männer im Boot. Das kann nicht sein, was sie da gerade erleben!

Haben sie in diesem Moment vielleicht an das gedacht, was sie vorhin von Jesus gehört hatten? An die Predigt von Simons Boot aus? An die Begeisterung der Menge? Und sie werden sich gefragt haben: „Was ist das bloß für einer, der da mit uns im Boot sitzt?“ Es sieht aus, als wagten sie gar nicht, sich nach ihm umzudrehen, ihn womöglich selbst zu fragen!

Gleich werden sie das andere Boot zu Hilfe rufen, die Kollegen bitten, ihnen ziehen zu helfen, gemeinsam gegen den drohenden Untergang zu kämpfen.

Und zuletzt – man weiß nicht so recht, ob schon wieder an Land - sicheren Boden unter den Füßen – oder noch auf den schwankenden Planken des Bootes -

Da wird sich Simon zu Boden werfen und diesen merkwürdigen und unerwarteten Satz sprechen: „Geh von mir hinaus, Herr, denn ich bin ein sündiger Mensch.“

Er hätte ja auch sagen können: „Wunderbar, tolle Erfahrung, Jesus, vielen Dank für den Tipp und den super Fang, meine Mitarbeiter machen dir noch gleich ein Fischpaket fürs  Abendbrot ... und wenn du mal wieder nach Tiberias kommst, guck doch mal rein.“

Genau das tut er aber nicht. Der Schreck sitzt zu tief, und er weiß: Irgend etwas muss sich ändern!

Was bewegt Menschen, die ihr Leben so gründlich ändern? Wie kommt es, dass eine Lebenserfahrung zu einer spirituellen Erfahrung wird? Ohne das Geheimnisvolle daran auflösen zu wollen,  interessiert mich diese Frage. Und ich beobachte: Es müssen gar nicht immer die überwältigenden, spektakulären Erlebnisse sein.

Über meinem Schreibtisch hängt ein kleines Aquarellbild, das mich an einen solchen Veränderungsprozess erinnert. Ein Kurgast  saß sehr oft  schweigend irgendwo ganz hinten in unserer Kirche, und war ganz schnell verschwunden, wenn er sich beobachtet fühlte oder man gar freundlich grüßte. Aber er kam immer wieder, irgendwann fiel er mir auch in einem Gottesdienst auf. Eines Tages schließlich  sprach er mich an, um sich zu verabschieden.

Seine Kur sei nun zu Ende sagte er, und er wollte sich schlicht bedanken.

Er ließ mich gar nicht zu Wort kommen und sagte auf meinen überraschten Blick:

Doch , hier in der Kirche sei etwas ganz Besonderes mit ihm passiert. Er habe unter einem enormen Druck gestanden, Anforderungen und Ansprüchen hätten ihn niedergedrückt und kleingekriegt, bis er schließlich krank geworden und zusammengebrochen sei.

"Immer sagten alle nur: „Du musst dich ändern, du musst alles anders machen, so kann es nicht weitergehen" erzählte er. Und natürlich hatten auch alle gute Ratschläge parat, das ging von strikter Tageseinteilung über Umschulung bis zu verschiedenen Therapieverfahren...

"Na ja, und ich, ich wollte es ja auch selbst mit allen Fasern, war ganz unzufrieden mit mir und meinem Leben. Ich strengte mich unheimlich an und bemühte mich immer mehr, anders zu werden, und irgendwann  ging dann gar nichts mehr. Ich konnte einfach nicht mehr, und schließlich bin ich hier in der Kurklinik gelandet. Als ich hier in der stillen Kirche saß, da hatte ich eigentlich resigniert," sagte er, "da wollte ich eigentlich gar nichts mehr. Und dann erst ging mir plötzlich auf: Zum ersten mal verlangt ja auch keiner etwas von mir! Ich konnte einfach hier sein, und wie umarmt habe ich mich gefühlt von ihm da vorn“, sagt er und zeigt auf den segnenden Christus.

Und dann schenkte er mir das kleines Landschaftsaquarell. Die Zeit in unserer Kirche hatte ihm geholfen, zum ersten mal nach langen quälenden und bedrückenden Jahren zum  Pinsel greifen können. Er konnte das  tun, was er sich vorher nie zugetraut hatte. Die Last seines Lebens war nicht einfach verschwunden, aber er hatte Zugang gefunden zu den Segenskräften, die ihm geholfen hatten, neue Schritte zu wagen.

Simon Petrus und seine Gefährten werden alles verlassen, die Boote auf den Strand ziehen, sich einlassen auf eine höchst ungewisse Zukunft. Wie wird es weiter gehen? Sie haben verstanden: Jesus nur zu vereinnahmen, ihn mit ins eigene Boot zu nehmen, das reicht offenbar nicht. Aber: „Menschen fangen?“

Das könnte heißen: Andere mitnehmen auf den Weg des Abenteuers mit Jesus, des neuen Anfangs, den Zuspruch im Rücken: „Fürchte dich nicht!“

Doch mit dem Entschluss, die Boote auf Land zu ziehen und mit Jesus zu gehen,  ist für Simon noch längst nicht einfach alles perfekt. Wenig später sehen wir den Simon, wie er im Wasser versinkt, über das er zu seinem Rabbi laufen wollte. Wir hören von ihm, dass er vollmundig sagt, bevor Jesus gefangen genommen wird:

„...und wenn ich mit dir sterben müsste, - niemals würde ich dich im Stich lassen!“ Und dann nicht zuletzt den, der auf die Frage einer Magd ruft: „ich kenne den Menschen nicht!“ und ihn  damit verleugnet. Es gibt eine Menge Brüche in seiner Biographie.

 

So ist es zutiefst nachdenkenswert, dass diese Szene gerade als Mosaik dargestellt ist, auch Jesus selbst, mit seinen weit geöffneten Armen und segnenden Händen.

Auch Zeichen dafür, dass er sich zerbrechen lässt;

Konsequent den Weg geht, der ihn schließlich ans Kreuz bringt.

Aber gerade weil er nicht heil und ganz, strahlend und unverletzbar über allem schwebt, kann ich ihm glauben, dass er den Weg mitgeht, auch durch die Bruchstellen meines Lebens. So kann ich ihm glauben, dass er auch den Bruchstücken meines Lebens eine sinnvolle Deutung geben kann. Dass es in ihm heil und ganz werden kann.

Zuletzt: es ist ein offenes Bild. Der Heiligenschein, der den Kopf Jesu umschließt,  ragt nach oben über das Bild hinaus, in den Himmel sozusagen. Und unten ist es das Netz, das ins Wasser hängt, und uns, die Betrachtenden mit hineinzieht in das Boot. Und so kommt durch die Jahrtausende hin Jesu Ruf auch zu uns:

„Komm, und folge mir nach!“

 

Amen.

Vier Fragen zur Predigtvorbereitung an Pastorin i. R. Elisabeth Tobaben: 

1.    Welche Predigtsituation steht Ihnen vor Augen?
Ich habe die Inselgemeinde auf Juist vor Augen, die in jedem Gottesdienst anders zu-sammengesetzt ist aus Gästen und Insulanerinnen und Insulanern. Die Gemeinde hat das Mosaik, das in der Predigt eine tragende Rolle spielt, an der Altarwand vor sich. Der Kunstlehrer, der  das Bild mit Schülerinnen und Schülern erarbeitet hat, wäre in diesem Jahr 111 Jahre alt geworden, und am 12. Juli 1964 wurde in der erst halbfertigen Kirche der erste Gottesdienst gefeiert.

2.    Was hat Sie bei der Predigtvorbereitung beflügelt?
Mich hat besonders der Gedanke beschäftigt, dass die Distanz zwischen Boot und Festland nicht nur praktische sondern auch inhaltliche Gründe haben könnte und die daraus resultierende Freiheit in der Begegnung mit Christus.  

3.    Welche Entdeckung wird Sie weiter begleiten?
Ich möchte weiter  über das Geheimnisvolle im Prozess der Entstehung oder Entde-ckung von Glauben nachdenken. Welche Möglichkeiten haben wir als Kirche /Gemeinde, in alles Freiheit Räume, Geschichten, Erfahrungen zur Verfügung zu stel-len, die hilfreich sein können?

4.    Was verdankt diese Predigt der abschließenden Bearbeitung?
Neben den sehr hilfreichen Beobachtungen des Coaches  fand ich es hilfreich, den Text der Predigt wiederholt laut zu lesen. Ich habe dabei etliche sprachliche Dubletten ent-deckt und verändert, aber auch einzelne Worte und Formulierungen immer wieder ausgetauscht, um auszuprobieren, was im Moment für mich stimmiger erscheint. 

Perikope
Datum 12.07.2020
Bibelbuch: Lukas
Kapitel / Verse: 5,1-11