Gehorsam
Ich möchte mit der Geschichte von zwei Juristen beginnen.
Bei einem damals jungen ehrgeizigen Juristen reichten die Noten des 2. Staatsexamens nicht ganz, um Richter zu werden, sein ursprünglicher Lebenstraum. Aber in einer Kanzlei, in der er seit seiner Studentenzeit gearbeitet hatte, hatte er auch Kontakte geknüpft, die ihm auf eine andere Weise beruflich weiterhalfen. Er machte nun Karriere in einer Firma. Zwar wusste der junge Jurist, dass die Geschäfte dieser Firma unseriös waren, aber er machte trotzdem mit. Er versuchte, an Kundengeld zu retten, was zu retten war. Diejenigen, die die Firma mit dem unseriösen Geschäftsmodell gegründet hatten, brachten vorsichtig ihr veruntreutes Kundengeld in Sicherheit und zogen sich allmählich zurück. Und als das ganze Unternehmen zahlungsunfähig war und die Staatsanwaltschaft vor der Tür stand, da stand der inzwischen nicht mehr junge Jurist ganz allein da. In den 15 Jahren bei der Firma hatte er allerdings nicht wenig verdient und folglich nicht schlecht gelebt.
Ein anderer Jurist hatte ein nicht ganz so gutes Examen und weniger Beziehungen. Trotzdem fand er eine Stelle als Jurist bei einem Unternehmen in einer anderen Stadt. Er hatte kein Einserexamen, aber er brauchte nicht lange, um zu kapieren, welche Art Geschäfte das Unternehmen machte und was von ihm erwartet wurde. Und er wollte da nicht mitmachen. Er kündigte wenige Wochen nach Antritt der Arbeitsstelle, packte seine Sachen und zog in seine Studentenbude zurück. Als die Staatsanwaltschaft vor der Tür stand, konnte sie ihm nichts vorwerfen, auf keinem belastenden Papier der Firma fand sich seine Unterschrift. Nun arbeitet er als selbständiger Anwalt. Er vertritt Kleinunternehmer bei ihren Streitigkeiten mit den Behörden -fast alles Fälle, die nicht viel Geld einbringen, weil der Streitwert gering ist.- Seine Anwaltspraxis liegt in einem Hinterhof im Souterrain. Es gibt kein schickes Vorzimmer und keine Rechtanwaltsgehilfin. Und das Geld für die Miete der Kanzlei und für seinen Lebensunterhalt erwirtschaftet er nicht durch die Kanzlei, sondern dadurch, dass er nachts Taxi fährt.
Übrigens, derjenige, der Karriere mit einem nicht ganz seriösen Geschäftsmodell gemacht hatte, wurde letztlich vor Gericht freigesprochen, und sein Haus konnte er auch retten. Der andere ist immer noch tagsüber Rechtsanwalt, nachts Taxifahrer. Wer von beiden ist nun ein tragischer Held, wer ein Versager? Was sagen Sie, was sagt die Mehrheit der Gesellschaft?
Der Predigttext:
Hebräer 5,7-9 Und er (sc. Jesus) hat in den Tagen seines irdischen Lebens Bitten und Flehen mit lautem Schreien und mit Tränen dem dargebracht, der ihn vom Tod erretten konnte; und er ist auch erhört worden, weil er Gott in Ehren hielt. So hat er, obwohl er Gottes Sohn war, doch an dem, was er litt, Gehorsam gelernt. Und als er vollendet war, ist er für alle, die ihm gehorsam sind, der Urheber des ewigen Heils geworden.
Heldentum und Märtyrertum werden bei uns meist nicht gewürdigt, wenn sie mit wirtschaftlichem oder sozialem Abstieg verbunden sind. Um wieviel weniger wird dann Gehorsam gegenüber Christus von irgendjemandem in der Welt geschätzt.
Und doch gibt es in diesem Land Tausende, die tun, was sie für ihre Pflicht halten, aus Gehorsam gegen über Jesus, oder, wenn sie weniger religiös sind, aus Gehorsam gegenüber der Pflicht, die sie verspüren, ohne Dank zu erwarten. Ich denke da zum Beispiel an viele der Helfer in Flüchtlingsheimen, von denen einige von ihrer Umgebung bestenfalls Unverständnis, schlimmstenfalls Spott und Bedrohung erfahren.
Albert Schweitzer erinnert sich an seine Jugendzeit: „Ein Jude aus einem Nachbardorfe, Mausche genannt, der Vieh- und Länderhandel trieb, kam mit seinem Eselskarren zuweilen durch Gimsbach. Da bei uns damals keine Juden wohnten, war dies jedesmal ein Ereignis für die Dorfjungen. Sie liefen ihm nach und verspotteten ihn. Um zu bekunden, daß ich anfing, mich als erwachsen zu fühlen, konnte ich nicht anders, als eines Tages auch mitzumachen, obwohl ich eigentlich nicht verstand, was das sollte. So lief ich mit den andern hinter ihm und seinem Esel her und schrie wie sie: « Mausche! Mausche! » Die Mutigsten falteten den Zipfel ihrer Schürze oder ihrer Jacke zu einem Schweinsohr zusammen und sprangen damit bis nahe an ihn heran. So verfolgten wir ihn vors Dorf hinaus bis an die Brücke. Mausche aber, mit seinen Sommersprossen und dem grauen Bart, ging so gelassen fürbaß wie sein Esel. Nur manchmal drehte er sich um und lächelte verlegen und gütig zu uns zurück. Dieses Lächeln überwältigte mich. Von Mausche habe ich zum ersten Male gelernt, was es heißt, in Verfolgung stille schweigen. Er ist ein großer Erzieher für mich geworden.
Von da an grüßte ich ihn ehrerbietig. Später, als Gymnasiast, nahm ich die Gewohnheit an, ihm die Hand zu geben und ein Stückchen Wegs mit ihm zu gehen. Aber nie hat er erfahren, was er für mich bedeutete. Es ging das Gerücht, er sei ein Wucherer und Güterzerstückler. Ich habe es nie nachgeprüft. Für mich ist er der Mausche mit dem verzeihenden Lächeln geblieben, der mich noch heute zur Geduld zwingt, wo ich zürnen und toben möchte.“ (Albert Schweitzer: Aus meiner Kindheit und Jugendzeit)
Albert Schweitzer ist selber für viele Vorbild geworden. Er hat mehr Anerkennung als Ablehnung erfahren. Aber viele andere haben nicht so viel Glück und tun trotzdem was sie tun müssen.
Ich denke, es ist besser, die Menschen an den Werten zu messen, für die sie einstehen, denn an ihren Erfolgen.
Liebe Gemeinde, in dem Text des Hebräerbriefes geht es nicht nur um Gehorsam und Leiden, sondern auch um Leiden und Gebetserhörung. „ Und er (sc. Jesus) hat in den Tagen seines irdischen Lebens Bitten und Flehen mit lautem Schreien und mit Tränen dem dargebracht, der ihn vom Tod erretten konnte; und er ist auch erhört worden, weil er Gott in Ehren hielt.“
Eine sehbehinderte Freundin sagt mir einmal, wenn sie in eine freikirchliche Kirchengemeinde komme, achte sie zunächst einmal darauf, wie denn der Umgang mit Behinderten in der Gemeinde sei.
In nicht wenigen Gemeinden wird versucht, kranke und behinderte Menschen durch Gebet und Handauflegung zu heilen. Wenn dies nicht möglich ist, sehen sie die Ursache in einer Sünde oder im mangelnden Glauben des Kranken oder Behinderten. Das heißt, wer unheilbar krank oder behindert ist, muss sich auch noch vorwerfen lassen, sündig oder kleingläubig zu sein. Liebe Gemeinde, nicht nur der Text des Hebräerbriefes, auch andere Bibelstellen besagen aber, dass Leiden zum Leben und auch zum christlichen Leben da zugehört.
Christentum ist nicht populär in dieser Zeit und an diesem Ort –auch wenn etliche gerne wieder den Begriff des christlichen Abendlandes im Mund führen-, und da gibt es Marketing- Experten, die sagen, das liege daran, dass in der Kirche oft die Sorge um Alte, Kranke Außenseiter, in Jugendsprache „Opfer“, in den Vordergrund gestellt werde und weniger „Siegertypen“ präsentiert würden. Nun, dass ist nun einmal so. Mose hat gestottert, und Paulus litt an einer unheilbaren Krankheit, möglicherweise Epilepsie. Jesus litt nicht an Krankheiten, aber er starb unschuldig den Tod eines Verbrechers am Kreuz. Mehr „Opfer“ sein geht gar nicht.
Liebe Gemeinde, leicht ist es nicht, was uns der Predigttext heute zumutet.
Gehorsam, Leiden und Demut, fallen auch mir nicht leicht.
Und dennoch haben wir Christen einen großen Vorteil: Wir müssen nicht vollkommen sein, nicht vollkommen in den Augen der Welt und auch nicht vollkommen in der Demut.
Christus ist ja gekommen um, uns zu erlösen. Wir sollen ihm nachfolgen, wir müssen aber nicht selber Christus sein. Christus ist gekommen, um uns unsere Sünden zu vergeben. Welchen Sinn hätte das, wenn wir Vergebung nicht, und nicht immer wieder neu, nötig hätten?