Gottesbegegnungen - Predigt zu 1. Mose 28, 10-17 von Dr. Margot Käßmann
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Gottesbegegnungen - Predigt zu 1. Mose 28, 10-17 von Dr. Margot Käßmann

Liebe Gemeinde,

das ist eine eindrückliche Gottesbegegnung, von der wir eben gehört haben. Jakob sieht im Traum eine Leiter zwischen Himmel und Erde. Und er hört die Zusage Gottes: „Ich bin mit dir und will dich behüten, wo du hinziehst und will dich wieder herbringen in dies Land.“

Es ist eine Gottesbegegnung, die Jakob tief bewegt. Er ist auf der Flucht vor seinem Bruder Esau, den er um sein Erbe betrogen hat. Und er weiß nicht, wohin ihn der Lebensweg führen wird. Aber es ist klar: Er muss aufbrechen, weitergehen. Den Ort dieser Begegnung nennt er Beth-El, Haus Gottes. Aber klar ist: Gott ist nicht allein an diesem Ort zu finden, sondern Gott sagt zu, mitzugehen, wohin der Weg Jakob führen wird. So ist es ein Aufbruch in unbekanntes Land, aber ein Aufbruch mit Gott. 

Vor 500 Jahren hat hier in Wittenberg Martin Luther Gott neu entdeckt. Er war voller Angst vor Gott, quälte sich, weil er fürchtete, für seine Sünden in Fegefeuer und Hölle bestraft zu werden. Als er begriff, dass Gott nicht ein strafender Gott ist, sondern dem Menschen in Liebe zugewandt ist, ihm Lebenssinn zusagt, konnte er aufbrechen aus mittelalterlicher Enge.

Luther hat die Praxis der Kirche seiner Zeit hinterfragt und damit auch die Welt, in der er lebte. Das führte zu einem Aufbruch aus der Angst, zu Auseinandersetzungen und Neuanfängen.

In diesem Reformationssommer 2017 hier in Wittenberg haben wir ähnliches erlebt. Es gab viele Begegnungen, große und kleine. Viele Veranstaltungen und Gespräche. Manchmal war das ganz dicht.

  • Ich denke an den Segensroboter BlessU-2, der so umstritten war. Da gab es heftige Diskussionen: Was ist Segen denn überhaupt? Kann eine Maschine das übernehmen? Mir ist noch einmal klar geworden, dass es für mich ein lebendiger Mensch sein muss, der mir Gottes Segen zusagt. Aber die Gespräche, die diese Maschine angeregt hat, fand ich gut!
  • Ich denke an eine Diskussion zwischen einer Theologieprofessorin und einem Imam. Erst schien so verschieden, was sie von ihrer Glaubenspraxis erzählten, aber als sie über das Beten sprachen und was es ihnen bedeutet, da entstand große Nähe – so unterschiedlich ist das ja gar nicht!
  • Oder der Erlebnisraum Taufe: Dort war Stille angesagt. Menschen haben einen Raum finden können, an dem sie sich an ihre eigene Taufe als Säugling erinnern. Und am Ende konnten sie vor dem alten Taufbecken einen Segen empfangen. Ein Mann hat geweint, als ich dort war, weil ihn das so sehr berührt hat.
  • Und auch als vor 10 Tagen Diana Patricia eine junge Mitarbeiterin aus Kolumbien bei einem Unfall hier in Wittenberg tödlich verunglückt ist, haben wir gespürt wie die Gemeinschaft auch Schreckliches miteinander tragen hilft. Wir haben miteinander für sie und ihre Familie, ihre Freundinnen und Freunde gebetet und werden sie nicht vergessen…

Das waren Begegnungen mit Menschen. Aber es waren auch Gottesbegegnungen. Die Tore der Freiheit in Wittenberg haben Räume eröffnet für Fragen, für neues Denken, für Spiritualität, Schweigen, Gottesdienst und Debatte. Wer das miterlebt hat, war begeistert. Und ja, wir hätten uns gewünscht, dass noch viel mehr Menschen das miterlebt hätten! Heute schließen die Tore der Weltausstellung.

Aber am Ende steht für mich ein Aufbruch. Diese Stadt Wittenberg hat sich so weltoffen und lebendig gezeigt. Wer hier war, konnte das erleben. Und wir haben Ansätze gesehen für eine Erneuerung unserer Kirche! Ich denke an einen Tag, an dem mehr als 4000 Pfadfinderinnen und Pfadfinder in der Stadt waren.

Das bringt noch heute ein Lächeln mit sich: So jung, so interessiert, so engagiert können Christinnen und Christen sein. Oder der Tag, als Pfarrerinnen und Bischöfinnen aus aller Welt sich im Hof der Schlosskirche fotografieren ließen: Da war eine Heiterkeit, ein Lachen, das mich ermutigt hat: Wir können die Kirche verändern.

Wittenberg im Reformationssommer 2017  - das war ein Signal zum Aufbruch. Und dieser Aufbruch ist ein Aufbruch mit Gott. Da höre ich die Zusage an Jakob: Ich will mit dir mitgehen. Wir müssen keine Angst haben vor Veränderungen. Ja, die Kirche der Reformation wird sich  verändern in Deutschland. Und sie hat sich ja auch schon verändert. 2017 haben wir nicht deutsch-national gefeiert, sondern international. Christinnen und Christen aus aller Welt waren hier. Schülerinnen aus Ruanda, Gemeinden aus den USA, Delegationen aus Korea und Indien, Referentinnen aus Brasilien und Prediger aus Neuseeland. Das ist eine historische Zäsur!

In einer Zeit, in der so manche in Europa, den USA und andernorts Nationalismus aus der Mottenkiste der Geschichte holen wollen, sagen wir: Nein! Wir sind eine Kirche über nationale Grenzen hinweg. Das kann in unserer Gesellschaft heute eine ganz besondere Zeitansage sein.

Und: Wir haben ökumenisch gefeiert. Was das heißt nach all den Auseinandersetzungen der Reformationszeit und ihren Folgen, kann gar nicht überschätzt werden. Kardinal Kasper hat auf der Weltausstellung einen Vortrag gehalten, bei dem er dargelegt hat, wie sich das ökumenische Gespräch zwischen Lutheranern und Katholiken seit 1999 und der gemeinsamen Erklärung zur Rechtfertigungslehre verändert hat. Dieser Erklärung sind die reformierten Kirchen hier in Mitteldeutschland in diesem Sommer beigetreten.

Das war die Grundlage für ein gemeinsames Feiern der Reformation 2017.

Dieses Feiern war nicht immer nur locker, leicht, voller unbändiger Freude. Feiern kann ja auch ernste, nachdenkliche Züge haben. Christinnen und Christen sind heute in der Lutherstadt Wittenberg eine kleine Minderheit. Viele fragen sich, wie es mit unserer Kirche weitergehen wird. Die Geschichte von Jakob, der die Himmelsleiter träumt, passt auch deshalb gut. Jakob befand sich ja in einer schwierigen Situation. Er fragte sich, ob es richtig war, Esau zu betrügen. Wohin die Flucht ihn führen würde, das war noch nicht so klar. Und mit einem Stein als Kopfkissen war er auch nicht gerade sanft gebettet. Gerade in dieser Situation aber hat er Gottes Präsenz erfahren. Für mich ist das wie eine Zusage für uns heute: Wir gehen zurück in unsere Gemeinden. Oh ja, es gibt die Mühen der Ebene in einem säkularer werdenden Land, in einem multireligösen Kontext, in einer Minderheitensituation. Aber die Zusage, dass Gott mit uns auf dem Weg ist auch in den dürren Zeiten des Lebens und im Leben unserer Kirche, die ist eine bleibende Ermutigung.

Deshalb konnten wir feiern, ohne dabei zu leugnen, vor welche Herausforderungen wir gestellt sind. Seid fröhlich in Hoffnung – diese Aufforderung des Apostels Paulus kam mir im Reformationssommer immer wieder in den Sinn. Denn genau diese Haltung haben wir hier umgesetzt in Wittenberg 2017. Wir haben sie als Zusage erlebt. Ja, unsere Kirche wird sich verändern. Aber davor müssen wir keine Angst haben, das gehört zum Kirchesein! Hier in Wittenberg kamen vor 500 Jahren Martin Luther, Katharina von Bora, Philip Melanchthon, Katharina Melanchthon, Martin Bucer zusammen. Sie haben die Kirche und die Welt hinterfragt und verändert.

500 Jahre später kamen Frauen und Männer aus verschiedenen Kirchen und Religionen aus aller Welt nach Wittenberg und haben Kirche und Welt hinterfragt. Hier fanden Begegnungen statt, die Menschen und die Welt verändern können. Hier wurden Fragen gestellt, Thesen vertreten, Kreativität ermöglicht, die uns ermutigen zum Aufbruch. Ja, wir gehen weiter nach diesen Begegnungen und vertrauen darauf, dass Gott uns behüten wird, wo immer wir hinziehen. Fröhlich werden wir diese Wegstrecke gehen, voller Hoffnung auf eine Zukunft unserer Kirche unter veränderten Bedingungen. Und voller Hoffnung, dass wir beitragen können zu Gerechtigkeit, Frieden und dem Erhalt der Schöpfung.

Tore zum Himmel haben wir gesehen. Lasst uns also fröhlich und ohne Angst aufbrechen. Gott wird uns behüten und begleiten. Amen.