Liebe Gemeinde,

als ich sechs war, zogen wir nach München. Für meine Eltern war jetzt dran, dass ich schwimmen lerne. Im Schwimmbad war mir jedoch nicht nur das tiefe Wasser unheimlich. Auch die bayerische Sprache, besonders vom Bademeister. Der fragte mich, damals noch mit blonden Locken: „Bist du a Bua oder a Madl?“ – Ich hab kein Wort verstanden. Schüchtern und ängstlich wie ich war, ging ich auf Nummer sicher: „Weiß ich nicht.“ Mein Bruder hat‘s gehört und später wurde die Geschichte oft in der Familie erzählt – ich aber hab mich arg geschämt.

Wenn die Verständigung unter Deutschen schon so schwierig ist – wie soll sie erst unter Deutschen und Syrern gelingen? Oder gar zwischen Christen und Muslimen?

Missverständnisse und Unsicherheit nehmen zu. Besonders seit den Terrorakten in diesem Sommer. Zugleich sagen 70% der Befragten einer aktuellen Studie (Skepsis oder Zuversicht? Erwartungen der Bevölkerung zur Aufnahme von Flüchtlingen zwischen November 2015 und August 2016, EKD, August 2016), dass sich die Evangelische Kirche weiterhin für Flüchtlinge und ihre Integration engagieren soll. Wie passt das zusammen?

Werfen wir mit dieser Frage einen Blick in die ersten christlichen Gemeinden. Da saß ein bunt gemischtes Volk im Gottesdienst. Und ging sich bei aller Liebe wahrscheinlich manchmal auch arg auf die Nerven.

Die Römer den anderen durch ihren herrischen Ton, die Sklaven durch den Dreck unter ihren Fingernägeln, die Griechen mit manchen altklugen Sprüchen, die Soldaten, weil sie ihre Waffen noch mit sich trugen und die Händler mit ihrem zur Schau gestellten Reichtum.

Wie fremd müssen sie sich gewesen sein und die enormen Missverständnisse, die da tagtäglich entstanden sind, kann ich aus unserem Miteinander von Siebenbürgen oder Menschen aus Kasachstan, Schlesien oder Westfalen, Franken oder Russland gut erahnen. Da wünschen sich manche Russlanddeutsche von den Hiesigen: Haltet in der Familie stärker zusammen, bringt den Alten Respekt entgegen und vergesst das Feiern miteinander nicht! Und manche Einheimische erwarten von den Spätaussiedlern: Zeigt euren Familienzusammenhalt doch auch außerhalb, in der Gesellschaft! Übernehmt Verantwortung für das Gemeinwesen, stellt euch zum Beispiel für den Kirchenvorstand auf oder den Stadtrat und gestaltet mit!

„Einspruch!“ hätte da wohl – der Apostel Paulus - gesagt. Erwartungen und Fremdheitsgefühle sollen uns nicht beherrschen!

Das schrieb er sinngemäß seiner Gemeinde in Galatien, der Gegend um das heutige Ankara, in einem Brief:

„Denn ihr seid alle durch den Glauben Gottes Kinder in Christus Jesus. Hier ist nicht Jude noch Grieche, hier ist nicht Sklave noch Freier, hier ist nicht Mann noch Frau; denn ihr seid allesamt einer in Christus Jesus."(Galaterbrief 3,26+28)

Der gemeinsame Glaube an Jesus Christus verbindet uns stärker als Herkunft, soziales Milieu und Geschlecht trennen können. Weil alle zusammen gemeinsam den Leib Christi bilden.

Das glauben und leben wir auch hier in Würzburg. Wenn beim großen Sommerfest gemeinsam die Bierbänke aufgestellt und die Vorführungen beklatscht werden. Wenn sich die Menschen im Seniorenkreis aus ihrer alten Heimat erzählen. Oder wenn in unseren Kitas die Kinder zusammen spielen und sich in vielen Sprachen verstehen.

Und doch spüren wir Spannungen, Unerfülltes, weil unsere Gemeinschaft noch nicht wirklich eins ist:

Ein Gefühl der Unsicherheit bleibt, manchmal treten sogar Ängste auf – obwohl wir uns als Leib Christi verstehen. Doch unsere Gemeinde lässt sich davon nicht beirren, sondern nimmt die Herausforderung an.

Als buntes Volk Gottes, das sich wie Ruth und Olga Kinderknecht auf den Weg macht, kommen wir in einem Zeltbau zusammen. Das Dach verjüngt sich und lässt den Himmel sehen. Vorne auf dem Altarbild erahne ich den betenden Jesus. Er betet mit, im Rund der Gemeinde. Als unser Bruder und Begleiter.

Wir gehören zu ihm und er hält uns zusammen. Wir können uns alle anschauen. Ohne unten und oben. Und eine Ahnung davon bekommen, was uns allen als Gottes Söhne und Töchter gemeinsam ist: Die Sehnsucht nach Heimat.

Hier findet jeder seinen Platz, ohne dass die Einheimischen den später dazu gekommenen einen Platz zuweisen. Nein, als wanderndes Gottesvolk sind wir alle gleichermaßen unterwegs und gestalten unsere zukünftige Heimat gemeinsam.

Für mich ist das ein Modell, ein Bild, das sich auch auf das Miteinander mit den Geflüchteten anderer Religionen beziehen lässt. Nicht die Unterschiede bestimmen unsere Beziehung, sondern das Verbindende. Besonders unsere große gemeinsame Sehnsucht nach Frieden.

Da steht nicht einer über dem anderen. Sondern da können sich Anne Hasenauer und Issam in die Augen schauen und fühlen: Du bist mein Mitmensch. Und wir haben gemeinsame Werte.

Natürlich braucht es dafür Zeit. Heute verstehe ich die Frage: Bist du a Bua oder a Madl? Sie hören es, sprechen kann ich sie aber immer noch nicht „richtig“. Trotzdem bin ich hier daheim. Und in meiner Familie können wir herzlich über diese Geschichte lachen. Die Scham und Unsicherheit haben schon längst einer humorvollen Leichtigkeit Platz gemacht.

Ich glaube, so eine Leichtigkeit, ja so ein Segen kann auch uns allen - mit Olga und Issam und vielen anderen geschenkt werden. Denn Heimat, die liegt vorne.

Amen.

Perikope
25.09.2016
3,26+28