Hoffnungsbilder - Predigt zu Jesaja 35, 4 – 6 von Walter Meyer-Roscher
35,4-6

Hoffnungsbilder - Predigt zu Jesaja 35, 4 – 6 von Walter Meyer-Roscher

Der Predigttext  lässt Bilder aufscheinen, die Hoffnung machen. Wir sehen  Bilder von der Verwandlung der Wüste in ein Land voller Leben; Bilder von der Heilung menschlicher Behinderungen und Gebrechen, von Begleitung und Geborgenheit in der Unwegsamkeit, von Freude, die Klage und Schmerz verbannt – Hoffnungsbilder.

Wir möchten uns ja gern, viel zu gern auf solche Bilder einlassen – schon gar in der Adventszeit, wenn das Licht der Kerzen die anderen Bilder, die uns das Jahr über bedrängen, ins Dunkel sinken lässt. Aber wirklich verdrängen können wir sie ja nicht. Sie kommen wieder – die Bilder von Unfrieden und Hass, Gewalt und Zerstörung, von Ungerechtigkeit, Hunger und Flüchtlingselend. Sie kommen wieder und bedrängen uns, verbreiten Angst, oft auch Resignation.

Sieht der Prophet sie nicht oder sieht er etwa über sie hinweg? Dann wären seine Hoffnungsbilder nur eine Illusion, ein Traum, der sich angesichts der rauen Wirklichkeit schnell wieder verflüchtigt. Nein, der Prophet hat sie durchaus vor Augen – die Bilder, die uns Angst machen. Er redet ja von müden Händen, wankenden Knien und von verzagten Herzen, die gestärkt und getröstet werden müssen.

Er redet in eine Zeit hinein, in der das Exil in Babylon nur noch ferne Erinnerung und die Hoffnung auf Heimkehr längst in Erfüllung gegangen ist. Aber diese Heimkehr ist nicht die erwartete große Wende in der Geschichte des Volkes Israel geworden. Die Hoffnung auf Gerechtigkeit und Frieden hat sich schnell wieder abgenutzt. Die Realität ist voll von Enttäuschungen.

 Der Wiederaufbau von Stadt und Tempel ist nur schleppend vorangekommen. Kümmerlich, müde und armselig sind die Stichworte für alle Lebensbereiche geworden. Diejenigen, die den Ton angeben, haben als Hoffnungsträger abgewirtschaftet und durch Machtbesessenheit und Anfälligkeit für die Faszination der Gewalt  jede aufkeimende Hoffnung verspielt.

Nein, der Prophet kennt die bedrängenden, angstmachenden Bilder viel zu gut. Deshalb erwartet er beim Entwerfen seiner Hoffnungsbilder das Entscheidende auch nicht von Menschen. Sie können mit ihren begrenzten Kräften und ihrem eingeschränkten Durchsetzungsvermögen nicht Begründer der Hoffnung sein. Sagt den verzagten Herzen, so beginnt seine Botschaft: Fürchtet euch nicht. Seht, da ist euer Gott, er kommt und wird euch helfen.

Wieder nur eine Illusion? Wieder nur ein Traum, der sich vor dem Ansturm der uns täglich verfolgenden Bilder verflüchtigen wird? Wo ist er denn zu sehen und zu erfahren, dieser Gott, der kommt, um uns zu helfen? Für viele ist dies doch der eigentliche Grund für alle Hoffnungslosigkeit und Resignation: Das dumpfe Gefühl, nicht nur von aller Hoffnung, sondern auch von Gott verlassen zu sein.  

Aber vielleicht suchen sie ihn ja gar nicht da, wo er zu finden wäre. Vielleicht erwarten sie ja auch einen ganz anderen Gott als den, der kommt, um uns zu helfen.

Der Prophet sieht in seiner Zeit nach vorn. Seine Zusage zielt in die Zukunft. Wenn wir Advent feiern und mit Advent die Ankunft Gottes meinen, dann können wir auch zurückblicken und uns erinnern. Wir können zurückdenken an die Adventsgeschichte von dem, der in Gottes Auftrag und in seinem Namen gekommen ist: Jesus von Nazareth.

Die Adventsgeschichte berichtet tatsächlich, dass er so ganz anders gekommen ist als der erwartete Erlöser – ohne Macht und Gewalt, auch nicht von oben, so dass alle zu ihm aufblicken oder sich vor ihm ducken mussten. Kein Triumphator, kein Helfer, wie sich viele einen allmächtigen Gott vorstellen.

Der Evangelist, der seine Ankunft beschreibt, hat die alte Verheißung des Propheten durchaus vor Augen: Fürchtet euch nicht. Seht, da ist euer Gott. Er kommt und wird euch helfen. Und dann erzählt er, wie dieser Helfer in Gottes Namen und in seinem Auftrag auf einem Esel in die Heilige Stadt eingezogen ist, auf dem Reit- und Lasttier der armen Leute. Und er fügt hinzu: sanftmütig ist er gekommen.

Eine neue, ungewohnte und ganz und gar nicht erwartete Eigenschaft für den ersehnten Erlöser: sanftmütig. Nicht mit Macht und Gewalt hat er eine bessere, eine schöne neue Welt schaffen wollen, auf die zu hoffen es sich lohnt. Nein, durch seine Worte und seine Taten, sein Verhalten und sein Leben hat er Menschen ansprechen, beeindrucken und verändern wollen.

Ihm ging es weniger um die Demonstration von Gottes Allmacht. Seine Barmherzigkeit und seine Menschenfreundlichkeit wollte er denen nahebringen, die unter eigener Schuld und eigenem Versagen litten, die sich vom Leben übergangen fühlten, und die Macht anderer schmerzlich zu spüren bekamen. So hat er Vergebung gegen Gnadenlosigkeit, Versöhnung gegen Hass, Mitmenschlichkeit gegen Egoismus und Durchsetzungsvermögen zur Geltung gebracht. Im Namen Gottes hat er sich auf die Seite der Opfer, der zu kurz Gekommenen gestellt. Ihre Menschenwürde hat er ihnen wiedergegeben.

Wo er sich Menschen zugewandt hat, haben sie neue Hoffnung geschöpft und wieder zu leben begonnen. Da haben sie sich auch von seinem Geist in Bewegung setzen lassen,  um selbst mitzuhelfen, verwundetes, behindertes Leben zu heilen, gefährdetes Leben zu schützen und für das Lebensrecht der Ohnmächtigen einzutreten. In seiner Nähe haben sie alle verstanden, dass da ein Versprechen eingelöst ist: Siehe, da ist euer Gott. Er kommt, um euch zu helfen.

Wir können uns erinnern, die Adventszeit ist auch eine Zeit der Erinnerung daran, wie die alte Verheißung in Erfüllung gegangen ist.

Die Erinnerung aber kann zu einer Einladung und zu einer Aufforderung werden, wenn wir uns in den Sog der Geschichte vom Kommen dieses Jesus von Nazareth hineinziehen, wenn wir uns von seinem Geist in Bewegung bringen lassen. Er hat ja auch gesagt: Ich werde den Menschen zu allen Zeiten begegnen, jeden Tag. In den geringsten meiner Menschengeschwister werde ich auf sie zukommen. In den Ohnmächtigen und Unterdrückten, in den Versagern und in den Leidenden werde ich ihnen begegnen. In ihren Gesichtern können sie, müssen sie mich erkennen und wissen: was sie ihnen im Bösen oder Guten antun werden, das tun sie mir an.

Das ist Einladung und Aufforderung zugleich: Ihr könnt Gottes Menschenfreundlichkeit erfahren als Vergebung von Schuld, als Anerkennung von Menschenwürde und als Mut zum Leben, zu neuen Anfängen, zu Nächstenliebe und Mitmenschlichkeit. Da wird aus der Erinnerung an die alte Verheißung vorwärtsweisende Gegenwart: Seht, da ist euer Gott. Er kommt, um euch zu helfen.

Da schieben sich tatsächlich vor die Bilder, die uns verfolgen, die Bilder von Verwundung, Behinderung und Vernichtung menschlichen Lebens, von gestörtem und zerstörtem Zusammenleben andere Bilder, Hoffnungsbilder: Menschen, die blind sind für die eigenen Möglichkeiten und für die Nöte anderer gehen plötzlich die Augen auf. Andere, die ihre Ohren verschlossen und sich in das Schneckenhaus ihrer Resignation zurückgezogen haben, hören wieder die alten Worte der Verheißung und der Mahnung. Menschen, die unbeweglich und starr geworden sind, kommen wieder in Bewegung. Andere, die den Weg verloren  haben, die den Weg zu sich selbst und zu ihren Mitmenschen nicht mehr finden konnten, sehen plötzlich einen Weg, auf dem sie gehen können. Sie sehen einen Weg, der sich in der Wüste eigener Verlassenheit und eigener Ängste auftut. Da wird sich diese Wüste verwandeln in ein Land, in dem sich zu leben, auf andere zuzugehen und mit anderen zusammenzuleben, lohnt. Die Erlösten werden dort gehen, sagt die alte Verheißung. So ist es und so wird es sein. Darauf könnt Ihr euch verlassen.

Amen