Was muss das für ein überwältigendes Gefühl für Petrus gewesen sein, als Jesus ihm die Schlüssel für das Himmelreich versprach! Vielleicht können Sie sich das ein wenig vorstellen, wenn Sie sich an Situationen aus dem eigenen Leben erinnern, wo jemand Ihnen mal einen besonderen Schlüssel anvertraut hat. Zwei Menschen aus unserer Gemeinde können von solchen "Schlüsselerlebnissen" berichten. Ronja, wie war das für dich, als dir mal ein besonderer Schlüssel anvertraut wurde?
Ronja Holtappels, Statement: "Eine gute Freundin hat mir mal den Schlüssel zu ihrer Wohnung anvertraut. Sie wollte in Urlaub fahren und bat mich darum, ihre Blumen zu gießen und hin und wieder den Briefkasten zu leeren. Ich weiß noch genau, was das für ein schönes Gefühl war, als sie mir ihre Schlüssel gab. Das ist ja ein echter Freundschaftsbeweis, dachte ich. Auf der anderen Seite war ich aber auch etwas aufgeregt. Was, wenn ich den Schlüssel irgendwie verliere? Zum Glück ist aber alles gutgegangen."
Auch Harm Otten aus unserer Gemeinde hatte mal ein besonderes "Schlüsselerlebnis". Bei dir, lieber Harm, ging es aber nicht um einen Wohnungsschlüssel, wenn ich mich recht entsinne.
Harm Otten, Statement: "Richtig, bei mir drehte es sich um den Autoschlüssel meiner Eltern. Nachdem ich als 18- jähriger den Führerschein in der Tasche hatte, war es mir natürlich wichtig, Fahrpraxis zu sammeln. Meine Eltern nach der "Familienkutsche" zu fragen fiel mir dabei gar nicht so leicht, denn ich wusste, dass sie diesen Wagen nicht gerne aus der Hand geben.
Umso größer war da meine Überraschung ,als meine Mutter am Abend der bestandenen praktischen Prüfung des Führerscheins die Autoschlüssel überreichte, damit ich mich an unser Auto gewöhne. Es ging mir der ganzen Familie ins 35 Kilometer entfernte Bremen, also fast einer "Millionenstadt". Mir ging es da ähnlich wie Ronja: Das Vertrauen zu spüren war fantastisch! Gleichzeitig spürte ich aber auch die Verantwortung, die mit diesen Autoschlüsseln verbunden war."
Was für ein Vertrauen, was für eine Verantwortung! So hat sich vielleicht auch Petrus gefühlt, als er die Himmelsschlüssel überreicht bekam. Wir evangelischen Christen glauben, dass Petrus in dieser Geschichte für alle Christen steht, Jesus also auch uns diese Schlüssel überreicht.
Die Oberstufenschüler unserer St. Petri Schule haben darum den Schlüssel ganz groß gemalt. Hier auf diesem Altartuch. Er hat etwas von einem Kraftfeld, das uns Menschen in Bewegung bringt und uns manchmal mitten im Leben himmlische Erfahrungen beschert: Erfahrungen, die uns jetzt schon etwas von dem Himmel erschließen.
Gott macht ihn für alle Menschen ganz weit auf. Unser Gott, der uns mit freundlichen Augen anschaut. "There’s a kindness in his justice". Die Liebe unseres Gottes geht weit über unsere menschlichen Maßstäbe hinaus: "For the love of god is broader than the measures of man’s mind".
There's a wideness in God's mercy like the wideness of the sea. Da ist eine Weite in der Gnade Gottes, so weit wie die See. Das klingt schön, was unser Kinderchor gerade gesungen hat. Wie aber kann man sie merken, diese Weite? Und wo lassen sie sich machen, die Erfahrungen, die uns den Himmel Gottes näher bringen? Das Altartuch zeigt es im hellen Farbton: Da sehe ich die Sonnenseite des Lebens; wo es uns gut geht und wo wir das Leben aus vollen Zügen genießen können. In diesem Sinne hat auch die dänische Hygge tatsächlich etwas Heiliges. Und wir können Gott von ganzem Herzen für diese guten Zeiten dankbar sein. Denn wenn wir mit Freunden beisammen sind und feiern und lachen ist das schon ein kleiner Vorgeschmack auf das Fest des Lebens, zu dem Gott einmal alle Menschen an seinen Tisch laden wird.
Die dunkelblaue Farbe erinnert mich demgegenüber an himmlische Erfahrungen in der Tiefe des Lebens. In unserer Kirche kann man das am eigenen Leibe erfahren: Bei Kirchenführungen laden wir gerne Kinder zu einer Körperübung ein. Wir bitten die Kinder, sich einmal auf den Boden unserer Kirche zu legen, sich einfach mal gerade auszustrecken und nach oben zum Gewölbe zu schauen.
Wenn ich die Kinder eine Minute später frage, was Ihnen aufgefallen ist, dann erzählen viele das gleiche: Sie hatten den Eindruck, das gotische Gewölbe komme ihnen von oben her entgegen. "Das sieht ja von unten viel näher aus als von hier." hat vor Kurzem mal ein Junge gesagt, als er nach dieser Übung wieder aufgestanden war.
Die Decke der Kirche, der sogenannte "Kirchenhimmel" kommt einem näher vor, wenn man unten ist. Diesen optischen Effekt kann man in allen Kirchen mit einem gotischen Gewölbe erleben. Wie dieser Effekt genau funktioniert, weiß ich nicht. Aber ich deute diese visuelle Erfahrung als Sinnbild für den Himmel Gottes.
Sein Reich kommt uns näher, je tiefer wir gehen. Hinein in die Tiefe des Lebens. Bei Trauergesprächen zum Beispiel erzählen mir Angehörige oft mit Tränen in den Augen und einem Lächeln im Gesicht, dass ihr Abschied noch mal eine ganz besondere Zeit der Nähe gewesen ist. "Wir konnten uns noch mal aussprechen. Wir haben uns noch mal sagen können, was wir einander bedeuten. Und was wir uns vergeben. Da hat sich etwas gelöst, was jahrelang gebunden war. Das war wichtig und das fühlte sich wunderbar an." Die Sterbezeit war von tiefer Liebe erfüllt.
Wo Menschen so miteinander in die Tiefe des Lebens gehen, dürfen sie manchmal diese Erfahrung machen. Je tiefer man geht, desto näher kommt einem der Himmel.
Den Himmel Gottes können wir also schon jetzt in den Höhen und manchmal auch den Tiefen dieses Lebens spüren. Haben sie dann also Recht? Die Menschen hier in Dänemark, die voll und ganz auf das Diesseits setzen und sich vom Glauben an ein Jenseits verabschiedet haben?
In unserer Kirche gibt es ein altes Bild, das diese Frage mit einem entschiedenen "Nein" beantwortet. Es ist unser "Himmelfahrtsbild", das der königliche Hofmaler Hinrich Krock 1732 für unsere Kirche gemalt hat. Jesus zieht auf diesem Bild die Blicke auf sich.
Er schwebt nach oben, während seine Jünger ihm von unten erstaunt hinterherschauen. Jesus hat den Tod hinter sich gelassen und macht sich jetzt auf zu seinem himmlischen Vater. Bereits das ist erstaunlich genug.
Petrus und "Co" wundern sich aber vielleicht auch über das, was sie hinter Jesus sehen. Da tut sich der blaue Himmel auf und hinter seinen Wolken sieht man auf einmal ein goldenes Glänzen, einen anderen Himmel. Es ist das Reich Gottes.
Unsere Himmelserfahrungen im hier und jetzt sind eine Vorahnung von diesem Reich. Da ist noch mehr Himmel hinter dem Horizont unseres Denkens, viel mehr als wir uns jetzt vorstellen können.
Immer wieder erzählt die Bibel von diesem himmlischen "Mehrwert". Die Propheten im alten und neuen Testament malen mit ihren großartigen Visionen diesen anderen Himmel aus. Der Prophet Jesaja erzählt zum Beispiel, wie die Menschen im Einklang mit einander, mit den Tieren und mit der ganzen Schöpfung leben.
Der Seher Johannes sieht den Himmel als eine Stadt ohne Leid, Schmerz und Tod. Viel tiefer, weiter und goldener als in den "himmlischsten" Momenten unseres Lebens heute. Wir nehmen den Mund ganz schön voll, wenn wir Christen an diesen anderen Himmel erinnern. Vielleicht halten uns unsere Zeitgenossen dann für naive Träumer.
Trotzdem: Es ist es unsere Aufgabe, vom neuen Himmel Gottes zu erzählen. Denn Gottes Himmel mit seinen überwältigenden Visionen von Frieden und Gerechtigkeit erinnert uns daran, dass unsere Träume nicht in den zuckersüßen Versprechungen der Werbung aufgehen. Wir dürfen auf mehr hoffen und uns mehr von Gott erwarten.
Seien wir also seine guten Bevollmächtigten. Nehmen wir die Himmelsschlüssel in die Hand. Gehen wir bis zum Horizont und öffnen der Hoffnung Tür und Tor. Amen.