Ich bin das Erbe angetreten – Predigt zu 1.Petrus 3,8-17 von Stephanie Höhner
3,8-17

Seid stets bereit, Rede und Antwort zu stehen, wenn jemand von euch Rechenschaft fordert über die Hoffnung, die in euch ist.

 

Ein weißer Schreibtisch, darauf Stapel mit Unterlagen und ein paar Aktenordner.

Davor sitzt Farid und steht Rede und Antwort. Hinter dem Schreibtisch sitzt der Sachbearbeiter der Ausländerbehörde und stellt die Fragen.

Warum haben Sie sich taufen lassen? Was ist die Taufe genau? Warum haben Sie jetzt zum christlichen Glauben gefunden? Und: Würden Sie in ihrer Heimat zu ihrem Glauben stehen, auch wenn sie dann sterben müssten?

Der Sachbearbeiter fordert von Farid Rechenschaft. Das muss er, weil Flüchtlinge, die sich hier in Deutschland taufen lassen, verdächtig sind. Verdächtig, dass die Taufe ihnen den Aufenthalt in Deutschland ermöglicht.

Mich hat noch nie jemand gefragt, warum ich getauft bin und ob ich für meinen Glauben sterben würde.

 

Den Schrecken, den sie verbreiten, fürchtet nicht, und lasst euch nicht irremachen! Den Herrn aber, Christus, haltet heilig in euren Herzen. Seid stets bereit, Rede und Antwort zu stehen, wenn jemand von euch Rechenschaft fordert über die Hoffnung, die in euch ist.

Petrus sitzt an seinem Tisch, neben ihm ein Stapel von Briefen. Vor ihm liegt ein leeres Stück Papyrus. Er muss Rede und Antwort stehen. So viele Fragen, die seine Freunde ihm stellen, aus allen Ecken des Landes. Sie klagen Petrus ihr Leid, sind verzweifelt und brauchen Rat, was sie tun sollen. Immer wieder werden sie auf der Straße beschimpft, weil sie mit ihren Sklaven gemeinsam am Tisch essen. Sie werden ausgelacht, weil sie sich nicht gegen das Anpöbeln wehren. Sie werden von Festen ausgeladen, weil sie den halbnackten Kellnerinnen Tücher mitbringen, damit sie sich verhüllen können. Und sie oft noch einen armen Nachbarn mitbringen, weil ja genug Essen da sei.

Petrus kennt das nur zu gut. Er selbst ist gestern wieder auf der Straße bespuckt worden, weil er einen fremden Mann, der Hunger hatte, mit nach Hause genommen hat. Die Beleidigungen auf der Straße hat er einfach überhört. Es kommt ihm ein altes Gebet in den Sinn, Verse aus den Psalmen:

Denn wer das Leben lieben will, und gute Tage sehen möchte, der halte seine Zunge im Zaum, fern vom Bösen, und seine Lippen rein, dass sie nichts Heimtückisches sagen. Er gehe aber dem Bösen aus dem Weg und tue Gutes, er suche Frieden und jage ihm nach. Denn die Augen des Herrn sind gerichtet auf die Gerechten und seine Ohren ihrer Bitte zugewandt; das Antlitz des Herrn aber steht gegen die, die böses tun.

Das hat er oft gebetet, als er noch jünger war. Als er in der kalten, dunklen Zelle saß und sein Rücken schmerzte von den Peitschenhieben. Und auch, als sie seinen Freund einfach umgebracht haben, ohne langen Prozess. Als er geweint hat um seinen Freund und es sich anfühlt, als ob sein Leben jetzt auch zu Ende ist.

 

Petrus muss Rede und Antwort stehen. Er schreibt:

Seid alle eines Sinnes, voller Mitgefühl, liebt einander, übt Barmherzigkeit, seid demütig! Vergeltet nicht Böses mit Bösem, nicht üble Nachrede mit übler Nachrede. Im Gegenteil: Segnet, denn ihr seid dazu berufen, Segen zu erben.

 

Alle Drei sitzen um den kleinen Glastisch im Wohnzimmer. Der Vater ist gerade abgeholt worden. Frank hat ein letztes Mal seine Hand berührt, sie war schon kalt. Jetzt sitzen sie zu Dritt um den Glastisch und starren auf das Papier vor ihnen. Vaters Testament. Alle Drei sind als Erben eingesetzt für das Haus und die zwei Konten. Ein kleines Aktiendepot ist auch dabei.

Neben dem Testament liegt ein Stapel an Briefen: Mahnungen von Firmen, denen der Vater Geld schuldet.

Der erwartete Geldsegen, den sie sich erhofft haben, bleibt wohl aus. Auf dem Haus lasten noch Schulden. Vielleicht sind auch die Konten leer. Dafür aber ein Schuhkarton voller Rechnungen – unbezahlt.

Vielleicht sollte Frank das Erbe ausschlagen. Aber er hängt an dem Haus. Sein Elternhaus, in dem ist er groß geworden. Auf dem Hof hat er Radfahren gelernt und im Herbst mit dem Vater die Äpfel vom Baum im Garten gepflückt. Jetzt stehen noch die letzten weißen Blüten. Es könnte eine gute Ernte werden dieses Jahr.

Der Bruder sieht die Rechnungen durch und überschlägt die Schulden. Er kommt auf eine fünfstellige Summe. Die Schwester telefoniert mit der Bank. Sie möchte einen Termin, um Klarheit über Schulden und Vermögen des Vaters zu bekommen.

Frank schaut in den Garten und erinnert sich an die gemeinsamen Grillabende. Ein guter Grillmeister wendet die Wurst nur einmal, hat der Vater immer gesagt. Frank grillt bis heute gern.

 

Einer stirbt und Drei werden erben. Die Namen stehen im Testament. Zu erben gibt es Vermögen, aber auch Schulden. Die zierliche Nase und Krankheiten. Die schöne Stimme und das „sofort auf 180“ bei jeder Kleinigkeit.

Manche werden das Erbe ausschlagen – zu groß die Pflichten. Manches muss man nehmen, ob man will oder nicht. Der erhoffte Geldsegen bleibt aus.

 

Einer stirbt und viele werden erben. Auf der Namensliste ist noch Platz. Manche werden das Erbe ausschlagen – zu groß die Pflichten.

Ich entdecke auch meinen Namen auf der Liste. Ich nehme das Erbe an, ohne an die Pflichten dabei zu denken. Der erhoffte Segen – immer wieder suche ich ihn.

 

Ich bin das Erbe angetreten. Mich hat nie jemand gefragt. Aber ich kann es jeden Tag ausschlagen.

Ich bin das Erbe angetreten, wie die Freunde von Petrus.

Petrus steht für mich Rede und Antwort:

Seid alle eines Sinnes, voller Mitgefühl, liebt einander, übt Barmherzigkeit, seid demütig! Vergeltet nicht Böses mit Bösem, nicht üble Nachrede mit übler Nachrede. Im Gegenteil: Segnet, denn ihr seid dazu berufen, Segen zu erben.

Den Herrn aber, Christus, haltet heilig in euren Herzen. Seid stets bereit, Rede und Antwort zu stehen, wenn jemand von euch Rechenschaft fordert über die Hoffnung, die in euch ist. Tut es jedoch mit Sanftmut und Ehrfurcht, mit einem guten Gewissen. Denn es ist besser, Gutes zu tun und – wenn es der Wille Gottes ist – zu leiden, als Schlechtes zu tun und zu leiden.

 

Ein schweres Erbe, das ich antrete und das viele vor mir schon angetreten haben.

Die Freunde von Petrus werden beschimpft, später verfolgt, ins Gefängnis gesperrt. Viele sind für das Erbe gestorben.

Für Farid ist es ein schweres Erbe. In seiner Unterkunft möchte er nur von seinem Glauben sprechen, wenn er gefragt wird. Auch ihm drohen Beschimpfungen und vielleicht mehr. Bisher hat noch niemand gefragt.

In seiner Heimat Afghanistan müsste er für das Erbe sterben.

 

Es ist ein schweres Erbe.

Seid alle eines Sinnes, voller Mitgefühl, liebt einander, übt Barmherzigkeit, seid demütig! Vergeltet nicht Böses mit Bösem, nicht üble Nachrede mit übler Nachrede.

Beiß dir auf die Lippe, wenn jemand einen blöden Spruch über dich macht.

Habe Verständnis, wenn mehr Arbeit an dir hängen bleibt, weil die Tochter vom Kollegen wieder krank ist.

Ärgere dich nicht über das Auto, das deine Einfahrt zuparkt.

Tröste deine Freundin, wenn sie wieder einmal Liebekummer hat – auch wenn dein Kalender voll mit Terminen ist.

Gib eine warme Decke und heißen Tee für Menschen, die ihr Zuhause verloren haben.

 

Ein schweres Erbe.

 

Ein schweres Erbe, das Frank antritt. Sein Bruder macht eine Kosten-Nutzen-Rechnung. Ergebnis: zu viele Schulden, zu wenig Vermögen. Er schlägt das Erbe aus.

Frank erinnert sich: als er als Student knapp bei Kasse war, hat der Vater seine Miete bezahlt. „Andere sollen nicht auf ihrem Geld sitzen bleiben, nur weil du zu wenig verdienst“, hat er gesagt.

„Du wirst Fehler machen, aber du musst dafür auch gerade stehen“, war eine andere Weisheit vom Vater. Vater kann nicht mehr für seine Fehler gerade stehen, aber Frank. Andere sollen nicht auf ihrem Geld sitzen bleiben, nur weil der Vater gerne Kreuzfahrten auf dem Mittelmeer gemacht hat. Also wird Frank das Erbe antreten. Es ist ein schweres Erbe, der Geldsegen bleibt aus. Aber schon lange vor den Schulden und dem Haus hat Frank geerbt, es ist ganz leicht: er macht den besten Apfelkuchen und wendet die Grillwurst nur einmal. Er bezahlt seine Miete pünktlich und lässt dafür die neue Jeans einen Monat warten. Er träumt davon, seinem Sohn das Radfahren hier auf dem Hof beizubringen.

 

Einer stirbt und viele erben. Ich trete das Erbe an. Ein schweres Erbe.

Seid stets bereit, Rede und Antwort zu stehen, wenn jemand von euch Rechenschaft fordert über die Hoffnung, die in euch ist.

Farid ist bereit und steht Rede und Antwort vor dem Sachbearbeiter im Ausländeramt. Er erzählt seine Geschichte, von der Angst, die er hatte, als er mit 16 Jahren von zu Hause weglaufen muss, alleine, weil die Taliban ihn abholen wollten. Von der Angst auf dem Boot und vor jedem Polizisten. Von dem Gestank in den Camps und dem ständigen Geschrei.

Von dem Glück, bei einer Familie ein Zimmer zu bekommen. Wie er dort Geschichten von Jesus gehört hat. Farid sagt: „Da ist Jesus in mein Leben gekommen. Er hat mich vom Dunkeln ins Licht gebracht.“ Farid steht Rede und Antwort, warum er getauft ist, was das ist, eine Taufe. Er erzählt von seinem Leben mit Jesus. Und er sagt auch, dass er für seinen Glauben sterben würde.

 

Ich bin so etwas noch nicht gefragt worden und ich weiß nicht, was ich antworten würde. Die Worte von Farid sind nicht meine Worte. Seine Geschichte ist nicht meine Geschichte. Aber es ist unser gemeinsames Erbe.

Ich versuche, Rede und Antwort zu stehen, wenn ich nach meiner Hoffnung gefragt werde. Auch jetzt. Ich hoffe, dass nach dieser Welt eine andere Welt kommt. In der ist alles anders. Kein Leid, kein Schmerz, keine Beschimpfungen, kein Töten, kein Rede-und-Antwort-Stehen. Da sind Fehler vergeben und Wunden geheilt. Das ist ein Versuch, hier Rede und Antwort zu stehen.

Und doch fehlen mir oft die Worte und die Taten. Oft verfehle ich das Erbe.

 

Ein schweres Erbe und doch manchmal ganz leicht. Denn das Erbe selbst macht es leicht.

Segnet, denn ihr seid dazu berufen, Segen zu erben.

Ich sage: „Es tut mir leid, ich war ungerecht zu dir.“

Frank bezahlt die Schulden seines Vaters und bringt seinem Sohn Radfahren bei.

Petrus schreibt Briefe an seine Freunde und macht ihnen Mut, das Anpöbeln auszuhalten.

Farid wird Konfi-Teamer und Experte für den Gasherd in der Gemeindeküche – der hat so seine Tücken.

Eine Lehrerin im Ruhestand bringt fünf mal in der Woche jungen Frauen Deutsch bei.

Der Nachbar klingelt nebenan und bittet darum, seine Einfahrt frei zu halten.

Eine Familie gibt das Gästezimmer frei für einen Studenten aus Syrien.

Die Kirchengemeinde macht ein faires Frühstück und alle werden satt – auch ohne Geld.

 

Ich bin das Erbe angetreten. Manchmal ist es ein schweres Erbe. Manchmal ganz leicht. Ich habe die Hoffnung, dass ich es schaffe: Segnet, denn ihr seid dazu berufen, Segen zu erben.

Amen.

 

 

 

 

Perikope
24.06.2018
3,8-17