Ich bin mein GastfreunD - Predigt zu 1Petr 4,7-11 von Elisabeth Tobaben
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Ich bin mein GastfreunD - Predigt zu 1Petr 4,7-11 von Elisabeth Tobaben

Liebe Gemeinde!

„Ich bin GastfreunD“ steht auf dem T-Shirt der jungen Frau, die mir morgens beim Joggen am Strand entgegenkommt.
Dass es das noch gibt, so lange nach der Fußballweltmeisterschaft in Deutschland! Damals sollte diese Initiative im Vorfeld der WM die Stimmung im Land verbessern und den Gästen aus aller Welt, Spielern wie Fans signalisieren: Wir freuen uns, dass Ihr da seid, ihr seid gern gesehen bei uns.
Mir war tatsächlich neu, dass es diese Initiative offenbar immer noch gibt, viele Jahre nach dem großen Erfolg des „Sommermärchens“.
Die Joggerin erzählt, dass sie ihr T-Shirt erst vor kurzem online bestellt habe. Man könne auch Seminare belegen zum Thema „Gastfreundschaft“ oder sich beraten lassen, wie man z.B. seinem Unternehmen ein möglichst gastfreundliches Outfit gibt. Die Initiative lädt ein, die eigene Haltung zu überprüfen, Grundlagen und Gebote der Gastfreundschaft zu lernen.

Auch in dem Text aus dem 1.Petrusbrief, der uns heute zum Nachdenken vorgeschlagen ist, spielt die Aufforderung zur Gastfreundschaft eine ziemlich wichtige Rolle:

Das Ende aller Dinge ist nahe. Seid also besonnen und nüchtern und betet! Vor allem haltet fest an der Liebe zueinander; denn die Liebe deckt viele Sünden zu. Seid untereinander gastfreundlich, ohne zu murren. Dient einander als gute Verwalter der vielfältigen Gnade Gottes, jeder mit der Gabe, die er empfangen hat. Wer redet, der rede mit den Worten, die Gott ihm gibt; wer dient, der diene aus der Kraft, die Gott verleiht. So wird in allem Gott verherrlicht durch Jesus Christus. Sein ist die Herrlichkeit und die Macht in alle Ewigkeit. Amen (1. Petrus 4, 7-11)

„Was würdest du tun“, so wurde zur Zeit der ganz frühen Kirche ein frischgebackener Christ gefragt, „was würdest du tun, um einen Heiden vom christlichen Glauben zu überzeugen?“ Und er soll geantwortet haben: „Ich würde ihn bei mir wohnen lassen.“
Andere aufnehmen in die eigene Wohnung, das eigene Leben eine Zeit lang mit ihnen zu teilen – dadurch hofft er, andere überzeugen zu können. Er ist bereit, sich in die Karten gucken zu lassen, damit andere Menschen erleben können, wie in diesem Haus, in dieser Familie, dieser Gemeinde Glaube gelebt wird. Sie können die Formen des Umgangs miteinander kennen lernen, vielleicht ein Tisch- oder Abendgebet, ein Lied, das Engagement für andere. Das ist natürlich nicht ganz ohne Risiko – für beide Seiten! Bei so viel Nähe bleibt es nicht aus, dass die Gäste auch all das andere zu sehen bekommen, was eben gerade nicht so klappt. 

Eine besondere Situation ist es, wenn Gäste, wie bei uns in den Feriengebieten, viel Geld dafür bezahlen, dass sie hier zu Gast sein können. Insulanerkinder lernen früh, dass die Gäste nicht gestört werden dürfen. Die Mittagsruhe ist penibel einzuhalten, und alle Fremden sind äußerst höflich zu behandeln.
Alle, die bei uns auf der Insel mit Vermietung zu tun haben, können ein Lied davon singen! Ein älterer Insulaner erzählte immer gern die herrliche Geschichte, dass sein Opa früher aus dem Kellerfenster geklettert sei, um den Hausgästen nicht zu begegnen und sie womöglich begrüßen zu müssen.
Natürlich gibt es mitunter auch schwierige Gäste. Da kommt es schonmal vor, dass einer mit seinen Badetüchern vom Strand Berge von Sand ins Haus schleppt.

„Gastfrei ohne Murren …“? Das ist, vor allem jetzt, gegen Ende der Saison, gar nicht so einfach. Die Toleranz wird auf eine harte Probe gestellt, wenn Gäste z.B. in der Ferienwohnung alle Möbel umgestellt und leider vergessen haben, alles wieder zurück zu räumen. Oder der Kühlschrank ist bei der Abreise voller nicht mehr ganz frischer Lebensmittel, und mit dem Sand im Pensionszimmer  könnte man eine Sandburg bauen. Mitarbeiterinnen in Hotels und Ferienwohnungen stehen unter hohem Druck und müssen sich dann manchmal Luft verschaffen.
Und nun gar noch jemanden aus missionarischen Gründen bei sich aufnehmen, um ihm den Glauben nahezubringen?

Nun war die Situation zu der Zeit, als der 1. Petrusbrief geschrieben wurde, natürlich ein bisschen anders als heute.
Wenn Christen wegen ihres Glaubens verfolgt wurden und flüchten mussten, hatte sie noch keine Möglichkeit, in einem andern Land politisches Asyl zu beantragen. Sie waren darauf angewiesen, dass Gemeinden woanders sie bei sich aufnahmen.
Es konnte auch keiner einfach schnell online ein Hotelzimmer buchen, wenn er eine Reise machen wollte. Außerdem gab es natürlich noch keine Kirchen und Gemeindehäuser. Die ersten Gemeinden waren darauf angewiesen, dass Menschen ihre Häuser zur Verfügung stellten für Gottesdienste und Zusammenkünfte.
Abgesehen davon, dass man nicht weiß, wie leicht oder schwer solche Richtlinien zu erfüllen sind, ist die Liste der Ratschläge aus dem 1. Petrusbrief recht einleuchtend: Ganz selbstverständlich gastfreundlich sein, die jeweiligen Talente und Begabungen einbringen, nüchtern und besonnen sein und beten, und über allem: Festhalten an der Liebe. Und man könnte meinen, es verstehe sich in einer christlichen Gemeinde eigentlich fast von selbst.

Gastfreundschaft kann auch zu äußerst überraschenden Erfahrungen führen. Leute, die zu Besuch kommen, zeigen sich vielleicht interessanter als erwartet, bringen neue Anregungen mit und erzählen spannende Geschichten. Echte Freundschaften können aus anfangs flüchtigen Begegnungen entstehen. Nun ist der heutige Sonntag im liturgischen Kalender auch der Michaelistag, der „Tag des Erzengels Michael und aller seiner Engel“. Im Hebräerbrief gibt es eine interessante Verknüpfung, dort wird auch zur Gastfreundschaft aufgerufen, mit dem Hinweis: „ …viele haben ohne ihr Wissen Engel beherbergt.“ Wie schön, wenn einem ein Gast zum Engel wird!

Überraschend mag uns heute die Begründung vorkommen, von der der Verfasser des 1. Petrusbriefes ausgeht: „Das Ende aller Dinge ist nahe.“ Nüchterne, sachliche Einschätzung der Sachlage, tun, was „dran“ ist, das ist nach meiner Beobachtung genau das, was ein großer Teil von Menschen angesichts so vieler Krisen gerade nicht mehr hinkriegt. Sie denken dann bei der Rede vom Ende eher an Endzeitszenarien und entwickeln Weltuntergangsstimmungen. Menschen werden in Angst und Schrecken versetzt und sind mitunter unfähig überhaupt irgendwas zu tun. Schlaflose Nächte, Alpträume und Existenzängste können die Folge sein.
Wer extrem mit ihren eigenen Ängsten und Befürchtungen beschäftigt ist, der fehlen in der Regel die Kräfte für ein soziales oder kulturelles Engagement. Das Rückzugsbedürfnis steigt. In solchen Zeiten kann einen die Vorstellung, auch noch Gäste beherbergen zu sollen, völlig überfordern. Womöglich verstärkt sich die Panik sogar noch, wenn es sich um Menschen handelt, die gar nicht freiwillig zu uns kommen, sondern durch Krieg und Verfolgung aus ihrer Heimat vertrieben wurden. Denn wo würden wir Zuflucht finden, wenn uns das passieren sollte?

Mit Bedacht setzt der Briefschreiber vor die weiteren Empfehlungen den Aufruf: Seid nüchtern und besonnen und betet.
Das ist der Rat, sich gerade nicht mit hineinziehen zu lassen in eine allgemeine lähmende Untergangsstimmung und panische Reaktionen. Denn das Ende ist nah – das klingt ja zunächst mal wie eine Zeitansage, wie: nicht mehr lang, sehr bald. Aber handelt es sich denn wirklich um eine Zeitangabe? Ich denke, dem Verfasser des 1. Petrusbriefes geht es vielmehr um eine qualitative, inhaltliche Veränderung.
Das griechische Wort, das vielfach mit „Ende“ übersetzt wird, kann auch „Ziel“ heißen. Es ist das, was der ratlose junge Mann im Evangelium sucht, als er nach ewigem Leben fragt. „Himmelreich“ heißt es oft in den Gleichnissen, die Jesus erzählt. Das, was vorne liegt, strahlt so viel Hoffnung aus, dass Kräfte mobilisiert werden für das gegenwärtig Nötige und sachlich Richtige.

Stellen wir uns einen Augenblick vor, der Ermutigungsversuch des Petrusbriefes sei auf so richtig fruchtbaren Boden gefallen. Der Gemeinde sei es tatsächlich gelungen, gastfrei zu sein ohne murren. Alle hätten ihre Talente wirklich entdecken, entfalten und zum Wohl aller einsetzen können und wären selbst dabei aufgeblüht! Leute, die phantastisch reden konnten, hätten gerlernt, in sich hineinzuhorchen, auf Gott zu hören und sein Wort zum Fundament ihrer Rede zu machen.Und denen, die diakonisch tätig waren, hätte man angesehen, dass sie ihren Dienst aus der Kraft Gottes taten. Was hätte das für eine Strahlkraft! Es wäre eine Art Vorschau von  dem, was Jesus mit „Himmelreich“ beschreibt. Für mich macht es sich fest an der Art und Weise, wie Jesus selbst auftritt, wie er mit Menschen umgeht, sich ihnen zuwendet uns sie auf den richtigen Weg bringt. Einfach dadurch, dass er da ist, tröstet, heilt und zurecht bringt, ist diese Welt eine andere geworden, in ihm ist das Himmelreich schon angebrochen. Christus ist nahe, und damit ist  jetzt schon alles anders geworden

Viele Geschichten der Bibel malen uns Christus gastfreundlich vor Augen. Da wird erzählt, wie er Menschen einlädt, ihm zu folgen. Oder er holt den Zöllner Zachäus von seinem Beobachtungsposten auf einem Maulbeerbaum herunter und lädt sich bei ihm ein. Ein interessanter Gedanke, finde ich, dass er so als Gast irgendwie doch zum Gastgeber wird für die vielen, die mitfeiern, weil Zachäus ein neues Leben beginnt.

Mit anderen gastfreundlich umzugehen, das wird am besten gelingen, wenn man auch mit sich selbst gastfreundlich umgehen kann. Bei Benedict von Nursia habe ich den Gedanken der Gastfreundschaft im Umgang mit sich selbst gefunden. Um gastfrei sein zu können, brauchen es – in seinem Fall: die Nonnen und Mönche –, dass sie ihrem Leib die nötige Erholung gönnen, ihrer Seele Atemräume eröffnen, und dass sie ihren Geist lehren sich frei zu erheben.
Gastfreundschaft üben im Umgang mit sich selbst heißt für ihn auch: dass man nicht vor sich selbst davonrennt, sich nicht in Hektik verliert, sondern bei sich einkehrt, Stille übt und gütig wird, nüchtern und besonnen. Du bist dir selbst ein Unbekannter, sagt Benedict, aber lass ihn, diesen Fremden, der aus dir auf dich zukommt, bei dir ein.

Das wäre dann die Variante: „Ich bin mein GastfreunD“.

Wie schön, dass der Text aus dem Petrusbrief mit einem Loblied schließt! Es klingt wie der Schlusschor eines großen Oratoriums: „Denn sein ist die Herrlichkeit und die Macht in alle Ewigkeit! Amen.“

Vier Fragen zur Predigtvorbereitung an Pastorin i. R. Elisabeth Tobaben: 

1. Welche Predigtsituation steht Ihnen vor Augen?
Ich habe die Inselkirchengemeinde auf Juist vor Augen. Einheimische sind um diese Zeit noch intensiv mit der Betreuung ihrer Gäste beschäftig, sodass die Gemeinde überwiegend aus Urlauberinnen und Urlaubern besteht. Die Herbstferien beginnen in den ersten beiden Bundesländern erst an diesem Wochenende, deswegen ist davon auszugehen, dass vorwiegend Gäste auf der Insel sind, die nicht auf Schulferien angewiesen sind.

2. Was hat Sie bei der Predigtvorbereitung beflügelt?
Es war anregend, über Gastfreundschaft nachzudenken im Zusammenspiel zwischen Urlaubsgemeinde heute und in der Zeit des 1. Petrusbriefes, besonders im Hinblick auf das Murren.

3. Welche Entdeckung wird Sie weiter begleiten?
Ich möchte die Idee ‚Christus als Gastfreund‘ weiter verfolgen und weitere neutestamentliche Texte aus dieser Sicht betrachten.

4. Was verdankt diese Predigt der abschließenden Bearbeitung?
Ich habe den ursprünglichen Text erheblich gekürzt, dafür etwas intensiver über das Murren nachgedacht und versucht, Ende und Ziel als Grundlage für nüchternes Handeln zu bedenken. Da der 29. September auch der Michaelistag ist, kam mir der Hinweis meines Coachs auf die unfreiwillige Beherbergung von Engeln sehr entgegen.

Perikope
Datum 29.09.2024
Bibelbuch: 1. Petrus
Kapitel / Verse: 4,7-11