Auf dem Sofa, eingekuschelt in die rosa Decke, da liegt sie und schläft.
Sie ist zehn Jahre alt und am allerallerliebsten hört sie Geschichten, am allerallerliebsten Geschichten von Prinzessinnen.
Eingekuschelt in die rosa Decke, liegt sie auf dem Sofa und schläft.
Sie lächelt…
…lächelnd steht sie auf dem Balkon: ein rosa Traum von einem Kleid, ganz neu. Sie hat es eben von ihrem Vater, dem König, geschenkt bekommen. Die Haare, ihre blonden Locken wallen über ihre schmalen Schultern. Sie hebt den Arm, winkt dem Volk, das unter dem Balkon steht. Sie winkt und singt, singt ihr Lieblingslied und alle auf dem Schlosshof stimmen ein. Ihr Vater, der König, lächelt still in sich hinein und die kleine Prinzessin lächelt zurück…
Eines Tages, wieder war sie kurz eingenickt auf dem Sofa, eingekuschelt in die rosa Decke, da stellt sie fest: „Mama, ich will doch keine Prinzessin sein! Weil…“, sie holt kurz Luft, „weil, wenn dann der König stirbt, muss ich ja die ganze Arbeit machen!“
Ein weises Kind. Irgendwann, eingekuschelt in die rosa Decke auf dem Sofa, kam die Erkenntnis, dass so ein Königreich nicht nur Tüllkleider und Singen, Tanzen und Friede, Freude und Eierkuchen ist. Sondern, dass so ein Königreich richtig Arbeit macht. Und fortan waren die Prinzessinnengeschichten Geschichte…
Auf dem Sofa, eingekuschelt in die karierte Decke, da liegt sie und schläft.
Sie ist achtzig Jahre alt und am allerallerliebsten hört sie Geschichten. Geschichten, die ihr die kleinen Prinzessinnen erzählen - ihre beiden Urenkel sind gerade drei geworden und sie erzählen viel, wenn die Ur-Oma mal wach ist.
Eingekuschelt in die karierte Decke liegt sie auf dem Sofa und schläft.
Sie schläft viel in letzter Zeit. Lebensmüde ist sie, so sagt sie das selber. Auf ein langes Leben blickt sie zurück. Sie hat Regierungen kommen und gehen sehen, sie hat Währungen kommen und gehen sehen, sie hat Reiche kommen und gehen sehen. Sie ist noch immer da. Und wenn die kleinen Mädchen sie wieder lange wach gehalten haben und sie einfach nur schlafen will, dann beginnt sie zu beten und die kleinen Mädchen beginnen zu schweigen um zu hören, wenn die Ur-Oma betet: „Vater unser im Himmel, geheiligt werde dein Name, dein Reich komme…“
In letzter Zeit nickt sie schon bei diesen Worten ein, „dein Reich komme“, die Mädchen murmeln mit.
Als sie später im Sterben liegt, stehen die Mädchen an ihrem Bett, zupfen die Ecken der karierten Decke gerade und beten für sie: „Vater unser im Himmel, geheiligt werde dein Name, dein Reich komme…“ Und auch als sie nichts mehr sagen kann und nichts mehr reden will, als die Müdigkeit zu groß geworden ist, murmelt sie die alten Worte mit „… dein Reich komme, Herr, dein Reich komme.“
Das Reich Gottes ist nicht Essen und Trinken, sondern Gerechtigkeit und Friede und Freude in dem heiligen Geist. 18 Wer darin Christus dient, der ist Gott wohlgefällig und bei den Menschen geachtet. 19 Darum lasst uns dem nachstreben, was zum Frieden dient und zur Erbauung untereinander.
Geschichte - das ist das Große, das entsteht, wenn viele kleine Geschichten aufeinandertreffen. Geschichte ist Geschehenes, aber Geschichte ist vor allem gelebtes Leben in und auf dieser Welt.
Geschichte gibt es nicht ohne Geschichten. Und ich mag Geschichten – Sie auch?
Wir durchleben Geschichten, wenn wir sie erleben. Und auch, wenn wir uns erzählen, was wir erlebten.
Geschichten, die wieder und wieder erzählt werden, die werden zu unserer Geschichte.
Erst meine (kleine) Geschichte, dann Ihre, dann unsere (gemeinsame) – schon nicht mehr so klein und irgendwann die große Weltgeschichte.Die großen Geschichten werden aufgeschrieben, damit sie noch mehr Leute erfahren.
Es gibt auch eine Kirchengeschichte und es gibt meine und deine Glaubensgeschichte.
Wir glauben, dass geschehen ist, wovon wir lesen.
Wir glauben, dass gelebt wurde, was wir hören.
Wir glauben den Geschichten derer, die vor uns waren und die erzählten von dem, der die Erde und die Welt geschaffen hat und den die Menschheit nicht ertragen hat bei sich und der gekreuzigt wurde auf dem Berg und der dann doch nicht in dem Reich der Toten blieb. Der auferstanden ist, weil er noch mehr Geschichten mit uns leben will, die zu Geschichte werden.
Die Geschichte, die Geschichten, die uns heute hierher führten, die werden seit Jahrhunderten schon erzählt. Und immer wieder taucht das eine darin auf. Das eine, das so wunderbar und sonderbar, so unverständlich oft beschrieben wird, dass wir als Menschen da so unsere Schwierigkeiten haben zu sagen: „Aha, ja, jetzt hab ich das verstanden. Ich weiß genau, was du mir sagen willst!“
So wunderbar, so sonderbar ist es beschrieben, dass damals schon die Menschen, ja Gott selbst, uns immer wieder Bilder malte davon und versuchte, es in Gleichnisse zu packen, wenn er davon sprach:
Mal ist es eine Perle, die ein Bauer auf dem Acker fand, ein kostbarer Schatz.
Mal ist es ein Sauerteig, den jemand nahm und der mit diesem kleinen bisschen einen großen Teig säuern konnte.Mal ist es ein Senfkorn, das kleinste unter den Samenkörnern, das später dann ein großer Baum werden wird.
Kleine Geschichten über das große Reich.
Kleine Geschichten über das große Reich Gottes.
Verschiedene Bilder für ein und dasselbe. Jesus hat sie erzählt, hat viel erzählt von diesem Reich, das in der Zukunft liegen wird und dennoch schon heute mitten unter uns ist.
Und Jahre später spricht dann wieder einer davon, erzählt keine Geschichte und malt kein Bild. Nein, Paulus erzählt trocken, realistisch und konkret:
Das Reich Gottes ist nicht Essen und Trinken, sondern Gerechtigkeit und Friede und Freude in dem heiligen Geist. 18 Wer darin Christus dient, der ist Gott wohlgefällig und bei den Menschen geachtet. 19 Darum lasst uns dem nachstreben, was zum Frieden dient und zur Erbauung untereinander.
Konkret und realistisch. Es erinnert mich daran, dass ich die Predigt ja begann mit zwei Geschichten über Frauen: eine junge, kleine und eine alte, sterbende. Beides Geschichten, aber realistisch und konkret und mitten aus dem Alltag, denn wer von uns hat nicht ein Sofa und darauf eine Lieblingsdecke!?
Gerechtigkeit - spielte in meinen Geschichten keine direkte Rolle.
Ich glaube, gerecht zu sein, das ist so ziemlich das schwerste im Leben und ich bin froh, dass es Gottes Gerechtigkeit gibt. Die Gerechtigkeit, die ich von ihm erfahre, weil er mich gnädig ansieht und mir vergibt, was ich mir selbst nicht verzeihe. Und die Gerechtigkeit, nach der alle rufen, beten und flehen, weil es in der Weltgeschichte so ungerecht zugeht.
Frieden - der kam in meinen friedlichen Geschichten vor, er war rosa und kariert und umhüllte die Menschen wie eine Decke.
Frieden ist, wenn jeder schlafen kann, da wo er zu Hause ist und dann schlafen kann, wenn er müde ist.
Frieden ist, wenn jeder sterben darf, da wo er zu Hause ist und dann, wenn es an der Zeit ist.
Und die Freude - die hat jeder wieder erkannt und erhört, der selbst einmal davon träumte, Prinzessin zu sein oder Prinz.
Und jeder wird sie wieder erfahren, wenn er denen zuhört, die er liebt. Wenn diese ihre Geschichten erzählen über eine Welt, in der Friede sein könnte. Über ein Reich, in dem Gerechtigkeit herrschen könnte und im Glauben an den, bei dem das möglich ist.
Das Reich Gottes ist Gerechtigkeit und Frieden und Freude.
Doch weil es noch zu viele Kinder gibt, die nicht träumen können, weil sie arbeiten müssen oder aus Furcht gar nicht schlafen und weil es noch zu viele Menschen gibt, die nicht alt werden und nicht erst sterben, wenn es an der Zeit ist - darum werden sie und wir nicht müde zu beten:
Vater unser im Himmel, geheiligt werde dein Namen, dein Reich komme, ja, dein Reich komme Herr!
Amen.