"Innenarchitektur des Glaubens" - Predigt über Ps 84 zur Konfirmation 2013
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"Innenarchitektur des Glaubens" - Predigt über Ps 84 zur Konfirmation 2013

Innenarchitektur des Glaubens
Der Predigttext für diesen Konfirmationsgottesdienst steht in Ps 84:
  
  „Ein Psalm derSöhne Korach, vorzusingen, auf der Gittit.
  
  Wie lieb sind mir deine Wohnungen, HERR Zebaoth!
  Meine Seele verlangt und sehnt sich nach den Vorhöfen des HERRN;
  mein Leib und Seele freuen sich in dem lebendigen Gott.
  Der Vogel hat ein Haus gefunden
  und die Schwalbe ein Nest für ihre Jungen – deine Altäre, HERR Zebaoth,
  mein König und mein Gott.
  Wohl denen, die in deinem Hause wohnen;
  die loben dich immerdar. SELA .
  
  Wohl den Menschen, die dich für ihre Stärke halten
  und von Herzen dir nachwandeln!
  Wenn sie durchs dürre Tal ziehen, wird es ihnen zum Quellgrund,
  und Frühregen hüllt es in Segen.
  Sie gehen von einer Kraft zur andern
  und schauen den wahren Gott in Zion.
  HERR, Gott Zebaoth, höre mein Gebet;
  vernimm es, Gott Jakobs! SELA .
  
  Gott, unser Schild, schaue doch;
  sieh doch an das Antlitz deines Gesalbten!
  Denn ein Tag in deinen Vorhöfen
  ist besser als sonst tausend.
  Ich will lieber die Tür hüten in meines Gottes Hause
  als wohnen in der Gottlosen Hütten.
  Denn Gott der HERR ist Sonne und Schild;
  der HERR gibt Gnade und Ehre.
  Er wird kein Gutes mangeln lassen den Frommen.
  HERR Zebaoth, wohl dem Menschen,
  der sich auf dich verlässt!“
  
  Liebe Konfirmanden,
an die Schwalben erinnert der Psalm. Und die Schwalben erinnern an einen Film. Im Jahr 2000, als der Film erschien, wart ihr alle ein oder zwei Jahre alt, noch nicht alt genug für Kino. Der französische Film hieß „Eine Schwalbe macht den Sommer“. Er gewann viele Zuschauer, weil er Hoffnung und Sympathie ausstrahlte. Der Regisseur drehte mit einem kleinen Budget. Er erzählte die Geschichte von Sandrine, der IT-Fachfrau, und Adrien, dem alten Bauern.
Sandrine hat das doppelte Konfirmationsalter überschritten: Sie ist dreißig geworden. Aus dem anstrengenden Beruf und dem Großstadtleben will sie aussteigen. Sie macht eine Ausbildung zur Landwirtin und kauft sich einen abgelegenen und einsamen Bauernhof. Verkäufer ist Adrien. Adrien ist ungefähr fünf Konfirmationen alt. Seine Frau ist gestorben, darum will er in die Stadt ziehen. Eigentlich will er nicht verkaufen. Er macht zur Bedingung, daß er noch anderthalb Jahre dort wohnen bleiben darf. Dann wird in Grenoble sein Neffe die Wohnung räumen, die zu seinem Alterswohnsitz werden soll. Es kommt, wie es kommen muß. Der alte Adrien gibt sich große Mühe, der unerfahrenen Sandrine das Leben schwerzumachen. Er ist bärbeißig, grantig, schroff. Von seinen jahrelangen Erfahrungen mit der Landwirtschaft gibt er nichts preis. Sandrine hat viele neue Ideen, aber manchmal verzweifelt sie. Als im Winter meterhoch der Schnee fällt und vieles schief geht, denkt sie ans Aufgeben.
An diesem Punkt beginnt ganz langsam, zunächst für den Zuschauer kaum wahrzunehmen, die Freundschaft zwischen der jungen Frau und dem alten Mann. Zuerst kocht er für sie mit, dann gibt er ihr Tipps, dann hilft er ihr. Und Sandrine, die schon aufgeben wollte, kehrt zurück, um den Hof weiter zu bewirtschaften. Sie verarbeitet die Ziegenmilch wieder zu Käse, und sie führt Schulklassen aus der Stadt durch die Ställe und über die Weiden.
Am Ende bleiben die forsche Sandrine und der greise Adrien zusammen. Liebe Konfirmanden, ihr denkt vielleicht, sie lieben und heiraten. Aber der Film ist kein Märchen. Die beiden heiraten nicht, dazu ist der Witwer Adrien zu alt und Sandrine noch zu jung. Nein, sie schließen Freundschaft. Sie respektieren sich gegenseitig in ihrer Verschiedenheit. Sie gehen auf ihrem ganz unterschiedlichen Lebensweg nebeneinander, der eine am Ende seines Weges, die andere gerade noch auf der letzten Strecke des Anfangs.
In der einsamen, kargen Landschaft wird Sandrine, wie es der Psalm sagt, zu dem Vogel, der sein Haus gefunden hat. Sandrine wird zu der einen Schwalbe, die den Sommer macht. Sandrine wird zu der Schwalbe, die ihr Nest findet.
Liebe Konfirmanden, ich habe euch diese Filmgeschichte erzählt, weil in ihr ein junger und ein alter Mensch zusammenfinden und ein Stück der Wegstrecke des Lebens zusammen zurücklegen. Und ich habe euch die Geschichte, weil das Bild von der Schwalbe im Psalm und im Titel des Films vorkommen. Der Psalm, liebe Konfirmanden, bringt euch wie der Film, etwas über das Wohnen bei. Für die meisten von euch ist das eigene Zimmer sehr wichtig geworden.
Liebe Eltern, Sie wissen sicherlich alle ein Lied davon zu singen. Die Zimmer Ihrer jugendlichen Kinder legen oft ein allzu beredtes Zeugnis davon ab, wer dort wohnt: ausgelatschte Chucks, Boots und Sandalen, an der Wand ein Starschnitt von Justin Bieber, neongrüne ungespitzte Bleistifte, ein smartphone, das mit dem neuesten Hit lautstark durch die ganze Wohnung klingelt. Finden kann es der jugendliche Besitzer (oder die Besitzerin) nicht, weil es hinter das Bett zwischen Schwaden von Staubflocken geflogen ist. Die elterliche Ankündigung oder Aufforderung aufzuräumen, verursacht schrille Aufregung und Abwehr. Konfirmationskleid oder–anzug hängen in der hintersten Ecke des Schranks, damit ja niemand sieht, was man sich ausgesucht hat.
Konfirmanden wissen manchmal nicht, wie sie sich  wohnlich und bequem einrichten sollen. Die herumliegenden Handtücher, die auf dem Boden verstreuten Comics, die mühsam ausbalancierten Schulbuchstapel auf dem Schreibtisch und die aufgeschlagenen Hefte unter der Bettdecke dienen eher der Abschreckung unerbetenen elterlichen Besuchs als der Bequem- und der Wohnlichkeit. Konfirmanden entdecken die Zweideutigkeit des Wohnens. Eine Wohnung schützt und birgt, aber sie beengt auch die eigene Freiheit. Es ist bequem, im Schutz und mit Hilfe der Eltern zu leben, die für Fahrdienste, Schokolade und Trost nach der verhauenen Mathearbeit sorgen. Auf der anderen Seite lockt am Horizont ein erwachsenes Leben ohne die Fernsehverbote der Eltern, mit Führerschein und ohne nächtliches Rückkehrgebot spätestens um 22.00 Uhr.
Konfirmanden sehen am Horizont schon die Zeit heraufdämmern, wenn sie einmal achtzehn sind, ein eigenes Auto fahren und, wenn nicht in einer eigenen Wohnung, dann mindestens in einer WG leben. Wer die Bequemlichkeit des Elternhauses genießen will, muß auch die gelegentlichen Erziehungsmaßnahmen erdulden. Aber wer die Freiheit einer eigenen Wohnung zu früh genießen will, der kann in dieser Freiheit auch abstürzen.
Wohnungen haben eine doppelte Aufgabe: Sie hüllen ihre Bewohner ein, geben Schutz, Wärme, Ruhe. Auf der anderen Seite schaffen sie neue Möglichkeiten: die Gemeinschaft des Zusammenlebens und des Gesprächs, des gemeinsamen Kochens, Aufräumens und Abspülens – wobei letzteres gar nicht ironisch gemeint ist.
Schwalben, Vögel und Menschen suchen alle ihre angemessene Wohnung – mit Rückzugsräumen und offenen Türen. Als ihr Konfirmanden als Babies zur Welt gekommen seid, habt ihr ein behütetes Zuhause vorgefunden, ohne daß euch jemand gefragt hat. Schutz und Geborgenheit waren ganz selbstverständlich und sind heute ein Grund, den Eltern, Großeltern und anderen dankbar zu sein. Aber es ist euer gutes Recht, lieber an die Zukunft des Erwachsenwerdens als an die Vergangenheit des Babies zu denken.
Im Moment ist die Zukunft nur nebelhaft am Horizont zu sehen. Irgendwann in ein paar Jahren zieht ihr von zuhause aus und sucht euch ein erstes eigenes Zimmer. Die Konfirmation liegt genau in der Mitte der Wegstrecke, zwischen Behütetsein in der Wiege und dem Auszug mit den Kisten im geliehenen VW Transporter. Die Konfirmation ist eine Schwelle. Sie liegt zwischen Eltern und Freiheit, zwischen Taschengeld und selbst verdientem Einkommen. Eine Schwelle markiert bekanntlich den Eingang zu einer Wohnung oder einem Haus.
Erwachsensein heißt unter anderem, sich seine eigene Wohnung zu suchen. Wenn es mir nicht gefällt, wie Sandrine, der IT-Fachfrau, dann suche ich nach etwas Neuem, wobei es gar nicht unbedingt der abgelegene alte Bauernhof sein muß. Und wenn ich die neue Wohnung oder das Haus gefunden habe, dann braucht es Geduld, Hartnäckigkeit und Zähigkeit, um am neuen Wohnort heimisch zu werden und neue Freunde und Partner zu finden.
Wohnen ist Lebensthema. Der 84. Psalm ist ein Psalm für Wohnungssucher, Heimatlose und Häuslebauer, für Mieter und Vermieter, für Nomaden und Seßhafte, für Nichtaufräumer und Zimmerabschließer, für schüchterne Nesthäkchen und forsche Nestflüchter, für zögerliche Spätaussiedler und stabile Daheimbleiber.
Der 84.Psalm verknüpft Wohnen und Glauben zu einer Innenarchitektur der Gottessuche. Leben heißt, sich auf dieser Erde eine Wohnung zu suchen.
Eine Wohnung.
  Ein Zuhause.
  Eine Heimat.
Die erste Wohnung und Heimat für Euch Konfirmanden ist das Elternhaus. Sie ist zugleich die stärkste Erinnerung daran, was es heißt, geborgen zu sein. Vater und Mutter trugen euch als kleine Schreihälse über die Schwelle in die Wiege, bis ihr angefangen habt, krabbelnd und robbend erste kleine Veränderungen an der Innenarchitektur vorzunehmen. Je mehr aus den Babies Kindergarten-, Schulkinder und dann Konfirmanden werden, desto mehr wächst das Bedürfnis, die Innenarchitektur der Lebensgeschichte in die eigene Hand zu nehmen. Ich möchte der Architekt meines Lebens und meiner Wohnung sein, wünscht sich die Konfirmandin, und zugleich ist sie sich dieser Aufgabe nicht völlig sicher. Denn manchmal ist es sehr hilfreich, das liebevolle Backup der Eltern in Anspruch zu nehmen. Konfirmation ist der Wendepunkt zwischen einem Leben in Abhängigkeit und einem Leben in Selbständigkeit. Der Wohn-, Spiel- und Lebensraum wird erweitert, er greift nun weiter über den schon vergessenen Laufstall, das Kinderzimmer und den gelangweilt betretenen Schulweg hinaus.
Für die Innenarchitekten der Lebensgeschichte liefert der 84.Psalm die Raumplanung des Glaubens, eine Blaupause hoffnungsvoller Zukunft. Der gnädige Gott der Bibel tritt in einer Doppelrolle auf: als Hausherr des Tempels und als Wegbegleiter der durch das Leben wandernden Menschen.
Hausherr klingt nach Bausparvertrag und Filzpantoffeln und darum ein wenig spießig. Das aber ist zu menschlich gedacht. Gott, der auf der Erde, bei den Menschen wohnen will, braucht einen Ort, an dem er sich finden lassen kann, auch zu den unmöglichsten Zeiten.
Wer selbstbewußt und ohne Angst vor dem Stolpern auf den Wegen und Straßen des Erwachsenwerdens laufen will, der benötigt einen guten Orientierungssinn und einen Stadtplan mit großem Maßstab. Letzterer zeigt ihm, wo er findet, was er benötigt. Der Psalm sagt: Gott wohnt im Tempel. Gottesdienste sind die Orte und Zeitpunkte, an denen sich Gott finden läßt. Im Gottesdienst öffnen sich die Glaubenden der Erfahrung, daß sie von einer Kraft getragen werden, die menschliche Erfahrung übersteigt. In Gebet und Gesang, im Hören und Sprechen, im Bekenntnis und im am Schluß empfangenen Segen. Am Ort des Gottesdienstes bereiten sich Menschen ganz bewußt auf Gott vor. Sie beten, sie hören auf die Geschichten aus der Bibel. So schön das oft sein mag, das ist ein empfindlicher, für Störungen anfälliger Vorgang. Dort wo Gemeindeleben durch Mobbing und klerikale Bevormundung zerstört wird, können weder Glaube noch Gebet wachsen.
Liebe Konfirmanden, es wäre schön, wenn auch ihr euch in den kommenden Jahren manchmal an die Gottesdienste erinnern würdet. Es wäre schön, wenn ihr auch in der Zeit einen Gottesdienst besucht,  wenn andere Orte auf dem Stadtplan des Lebens wichtiger werden.
Und nicht nur der Gottesdienst erinnert die Menschen an die Erfahrung des biblischen Gottes. Dafür hören wir alle regelmäßig auch andere Zeichen, zum Beispiel die Glocken, die am Morgen, Mittag und Abend zum Gebet läuten. Der Gottesdienst bietet einen Ort und einen Raum, um auf die Wirklichkeit aufmerksam zu werden, die wir Gott nennen.
Auf der anderen Seite läßt sich dieser Gott nicht auf bestimmt Orte festlegen. Er ist nicht nur Hausherr, sondern auch Wegbegleiter. Seine Anwesenheit beschränkt sich nicht auf bestimmte Orte, die von Menschen festgelegt wurden. Liebe Konfirmanden, ihr seid alle getauft worden und ihr bekräftigt es heute mit dem Versprechen der Konfirmation: Gott macht sich zum Wegbegleiter eures Lebens.
Gott ist nicht nur im Gottesdienst, sondern in allen Räumen seiner Schöpfung gegenwärtig. Ich hoffe, wir alle können das immer wieder spüren, genauso wie wir gelegentlich durch die Erfahrung der Abwesenheit Gottes gequält werden. Liebe Konfirmanden, diese Erfahrung der Abwesenheit Gottes ist leider nicht an ein bestimmtes Alter gebunden. Und trotzdem halten sich alle Glaubenden an die Verheißung, die sie in der Taufe empfangen haben.
Gott begleitet einen Menschen durch sein ganzes Leben hindurch, auf jedem Weg, den er geht, und in jeden Raum, den er betritt. Gott ist, wie der Psalm sagt, Sonne und Schild. Er ist die Sonne, weil er die Quelle all unserer Lebensenergie ist. Und er ist Schild, weil wir uns in ihm bergen können.
Liebe Konfirmanden, wir lernen in diesem Psalm eine besondere Innenarchitektur des Glaubens kennen. Diese Innenarchitektur ist zweigeteilt, in Hausbesuche und Unterwegssein. Sie ist beides, Heimat und Aufbruch. Sie ist Heimat, weil wir im Tempel, im Gottesdienst, an allen Orten, an den Gottes Wirken zu spüren ist, eine Geborgenheit spüren, die uns auf dieser Welt ein Zuhause gibt. Jeder spürt: Ich bin nicht allein. Ich muß mich nicht erklären. Ich muß mich nicht rechtfertigen. Ich kann so sein wie ich bin, weil ich mich getragen und angenommen fühle. Auf der anderen Seite ist Glauben Unterwegssein: Ich verändere mich, ich werde älter. Ich ziehe von zuhause aus und ich mache neue Erfahrungen. Erfahrungen des Erfolgs, der Liebe, der Kooperation und der Solidarität, aber auf der anderen Seite auch Erfahrungen des Scheiterns, des Ungenügens, der fehlenden Geborgenheit. Gott ist in beidem zu finden, in den Erfahrungen des Glücks und der Geborgenheit, aber auch in den Erfahrungen des Scheiterns. Im Psalm heißt es, daß das dürre, vertrocknete Tal durch den Frühregen zum Quellgrund werden kann. Manche Erfahrungen brauchen Zeit. Diese Erfahrung hat die junge Sandrine im  Film gemacht. Auch das, liebe Konfirmanden, will ich euch am Ende mitgeben. Ihr werdet zwar an einem Tag und in einem Gottesdienst konfirmiert. Aber ihr werdet nicht an einem Tag erwachsen. Das ist ein längerer Weg, ein Weg in die Freiheit. Aber an jedem Punkt dieses Lebenswegs sind die Wohnungen und Räume Gottes zu finden. Und ich wünsche euch, daß ihr diese - wie der Psalm sagt - lieblichen und schönen Räume Gottes immer wieder findet. Amen.
Perikope
Datum 10.04.2013
Kapitel / Verse: 84