Klagepsalm ausgehend von Römer 7,14-25 von Agnes Köber
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Klagepsalm ausgehend von Römer 7,14-25 von Agnes Köber

Klagepsalm, ausgehend von Römer 7, 14-25
(Eindrücke aus drei Jahren Seelsorgerdasein)
 
O Herr, du hast mich nach deinem Bild geschaffen. Du hast mir Freiheit geschenkt und Fähigkeit zu denken und zu handeln. Du hast mir aufgetragen, verantwortungsvoll zu leben.
 
Du hast mir deine Gesetze und Gebote gegeben, die mir dabei helfen sollen.
Aber sie schränken mich ein: sie beschneiden meinen Spaß, meinen Ehrgeiz und meine Pläne.
Ich bedenke nur selten alle Konsequenzen meines Handelns und habe noch nicht mal ein schlechtes Gewissen dabei, solange ich nicht des Gesetzesbruchs überführt werde.
In meinen Handlungen denke ich zu selten nach über Recht und Unrecht.
Der Sinn und der Nutzen einer Handlung stehen im Vordergrund.
 
Wenn ich denn nachdenke, erkenne ich, dass ich eigentlich nicht weiß, was ich tue.
Ich erkenne, ich tue nicht, was ich will, sondern was ich eigentlich ablehne.
Ich habe ein zu gutes Bild von mir und meinen Handlungen, denn Kritik lässt mich verständnislos zurück. Im Rahmen meiner Parameter…  Vordergründig mag das sein.
Herr, du hast mich reich beschenkt mit Gaben und Fähigkeiten – ich könnte sie zum Nutzen aller einbringen, aber ich tue es nicht im möglichen Umfang.
Ich begnüge mich mit viel weniger.
 
Herr, du hast mir eine beschränkte Zeit gegeben – ich tue so, als wären meine Tage und Kräfte endlos. Ich verstehe deine Vorgabe als Einengung meiner Persönlichkeit.
  Und erkenne nur ab und an, dass es mir eigentlich zum Segen gereicht.
Ich verschiebe, was mir grad nicht in den Kram passt, so lange, bis ich unter seiner Last zusammenbreche oder jemand zu Schaden kommt.
Ich kehre unter den Teppich, um gut dazustehen.
Ich lüge mir selbst in die Tasche, es sei alles ok, obwohl mir mein Leben zunehmend aus den Händen gleitet.
 
Herr, deine Gebote halten mir einen Spiegel vor, in dem ich den Ist-Zustand erkennen kann.
Aber er blendet mich. Er schränkt mich in meinen Vorhaben und Träumen ein, er zeigt mir etwas, was mit meinem Bild von meinem Leben, mit meinen Träumen nicht kompatibel ist.
 
Warum, o Herr? Warum? Willst du mich nicht glücklich sehen, mit dem, was ich erreicht habe, mit den Gaben, die du mir schenkst? Du willst doch, dass ich ein erfülltes Leben habe.
 
Herr, ich sehe ein: mein Bild von mir ist nicht dein Bild von mir, ist nicht das Bild meines Nächsten. Und ja, Herr, Bilder sind gefährlich, sie täuschen und wiegen mich in falscher Sicherheit.
Ich sehe ein: ich bin fleischlich und endlich. Ich bin der Sünde verfallen und verkauft.
Eine bequeme Ausrede. Was ich auch tue – es reicht nicht. Ich kann mich selbst nicht befreien. Kein Mensch kann mich auf Dauer befreien. Ich bin gefangen in meiner Existenz. Wozu also anstrengen?
 
Ich habe die erlösende Botschaft deines Sohnes gehört, o Herr, aber sie erreicht mich nicht.
Ich zögere, weil sie mein Leben zu sehr verändert und ich dann darin nicht mehr zuhause bin.
Ich könnte jederzeit umkehren von meinem Weg, aber ich tue es nicht.
Ich könnte mich annehmen, wie ich wirklich bin und nicht, wie ich mir vorstelle zu sein. Aber wie stehe ich dann da? Als der große Verlierer, der Versager, der keinen Mumm in den Knochen hat.
 
Herr, ich habe Angst vor meinem Leben: die Ansprüche an mich übersteigen mich.
Es ist niemand da, der mir die Hand reicht und mir aufhilft. Jeder ist mit sich selbst beschäftigt, mit seinen Zielen und Plänen. Da ist kein Platz mehr für mich. Sie sind alle zu selbstbezogen und egoistisch.
Herr, erbarme dich meiner.
 
 
Herr ich blicke in den Spiegel, ich fange an zu blinzeln und erkenne nach und nach: trotz der vielen Schrammen und Blessuren, bin ich dein Gegenüber, dein Geschöpf.
Für die Welt bin ich verloren, für „die Welt“ habe ich keinen Wert mehr.
Aber ich entdecke nach und nach den Wert, den ich in deinen Augen habe.
Ich sehe, du reichst mir die Hand. Du verurteilst mich nicht. Du kommst mir nahe.
Du wirst selbst Mensch, du begibst dich in mein Elend. Du öffnest mir die Augen und ich erkenne auf einmal: ich bin frei. Du selbst schenkst mir die Freiheit. Dein Gesetz verdammt mich nicht mehr, dein Gesetz hilft mir zu leben.
 
Und ich atme auf. Du bist meine Stütze und meine Kraft. So gewappnet, wage ich mein Leben neu und erkenne deine Wunder, deine Güte, dein Erbarmen.
Dank sei dir, Herr Jesus Christus.
Amen
 
Pfarrerin Agnes Köber
agneskoeber [at] yahoo.de