Leben aus dem Geist? – Predigt zu Römer 8,12-17 von Andreas Pawlas
8,12-17

Leben aus dem Geist? – Predigt zu Römer 8,12-17 von Andreas Pawlas

So sind wir nun, liebe Brüder, nicht dem Fleisch schuldig, dass wir nach dem Fleisch leben. Denn wenn ihr nach dem Fleisch lebt, so werdet ihr sterben müssen; wenn ihr aber durch den Geist die Taten des Fleisches tötet, so werdet ihr leben. Denn welche der Geist Gottes treibt, die sind Gottes Kinder. Denn ihr habt nicht einen knechtischen Geist empfangen, dass ihr euch abermals fürchten müsstet; sondern ihr habt einen kindlichen Geist empfangen, durch den wir rufen: Abba, lieber Vater! Der Geist selbst gibt Zeugnis unserm Geist, dass wir Gottes Kinder sind. Sind wir aber Kinder, so sind wir auch Erben, nämlich Gottes Erben und Miterben Christi, wenn wir denn mit ihm leiden, damit wir auch mit zur Herrlichkeit erhoben werden.

 

Was soll wohl im Predigttext gemeint sein mit dem „Taten des Fleisches töten durch den Geist“? Und überhaupt, wann beschäftigen wir uns in unserem Alltag einmal richtig mit dem „Geist“? Häufiger können wir dagegen hören, dass uns modernen Menschen so viele „geistlose“ Tätigkeiten an Fließbändern, Werkstätten oder Amtsstuben allen Geist ausgetrieben hätten. Oder auch überlauter Krach oder überlaute Musik. Allerdings scheint es im Lande auch eine große Sehnsucht nach Geist, nach Geistvollem, nach Begeisterung zu geben. So entstehen mancherorts „geistvolle“ oder gar esoterische Zirkel. Sollte dann etwa allein denen dieser Satz in unserem Predigttext gelten: „Welche der Geist Gottes treibt, die sind Gottes Kinder“?

Aber diese Frage lenkt die Aufmerksamkeit auf uns persönlich zurück. Denn was würden wir wohl antworten auf die Frage, was uns persönlich täglich antreibt. Was für ein Geist das ist. Jedoch, wer wollte dafür die Antwort lange nachdenken und da klingt überhaupt nichts nach „Geist“: Denn treiben uns nicht meist die ganz alltäglichen Dinge an, die wir brauchen, um unser „Fleisch“ zu erhalten und einfach zu überleben? Ja, das sind wir sozusagen unserem Leib, „Fleisch“, eben unserer materiellen Lebensgrundlage schuldig. Ist damit etwa nun die Frage erledigt? Nein, denn wir müssen doch weiterfragen, was wir dann mit unserem so erhaltenen Leben machen. Geht es dann nur wieder um weitere Lebenserhaltung oder was treibt uns da zu welchem Ziel? Ja, welcher Geist will uns treiben, wenn wir uns in unserem Beruf einsetzen, in Familie, Kirche, Vereinen oder Politik?

Natürlich wissen wir, dass sich für uns da heutzutage in der Zeit der „Neuen Unübersichtlichkeit“ viele Antwortmöglichkeiten auftun. Aber vermutlich sind wir uns alle in einem hinsichtlich des Geistes, der uns treibt, einig: Nämlich, dass es auf keinen Fall ein knechtischer Geist sein soll, der uns treibt. Nein, das wollen wir uns gefälligst verbitten. Knecht sein, das möchte doch niemand gern. Aber frei sein und Freiheit in vollen Zügen genießen, das wollen wir doch alle! Wer wollte sich da ausschließen. Geist und Freiheit, die sollen doch zusammengehören.
Überhaupt ist doch Geist und Freiheit die Grundsubstanz unserer modernen Gesellschaft und unseres modernen Staates. Wie großartig wurde deshalb vor Jahren dieser Geist der Freiheit gefeiert, der vor 227 Jahren das französische Volk zur französischen Revolution trieb und fast das ganze Europa mit hineinzog. Ja, auch Deutschland, das in seiner dreifarbigen Fahne noch immer für die drei Schlagworte der französischen Revolution „Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit“ demonstriert. Aber ist es heute noch dieser Geist, der uns treibt und der in stolzer und gefeierter Tradition steht? Und vor allem: Ist es etwa dieser Geist, den der Apostel Paulus meint und als Geist Gottes versteht?

Jedoch steht uns vor Augen, dass damals in der französischen Revolution und den darauf folgenden Umbrüchen, im Namen von Freiheit und Befreiung ein Blutbad nach dem anderen verübt wurde und ein Massaker nach dem anderen. Da frage ich mich schon, ob ich mich tatsächlich mit einem solchen Geist der Freiheit identifizieren möchte.

Oder ist das alles gar nicht gemeint? Gilt für uns und die Christenheit heute etwa ein ganz anderer Geist der Freiheit? Etwa der Geist der Freiheit, dem es vor allem um freien Handel, freies Kaufen und Verkaufen geht? Aber wer wollte denn verhindern können, dass sich ein solcher Geist sehr schnell in Raffgier und Geiz auflöst, wie wir es in der letzten Finanzkrise erleben mussten? Sollte darum das der Geist sein, der uns treibt?

Oder empfinden wir etwa allein den Geist der Freiheit für unser Leben, wenn wir freie Zeit oder Urlaub haben? Also Freizeit als das Beste im Leben? Nämlich alle Viere genüsslich von sich strecken nach dem Motto: Den lieben Gott einen guten Mann sein lassen.

Nichts gegen Freiheit und Freizeit, freies Kaufen und Geld verdienen –  wir dürfen doch bestimmt Gott dafür danken, dass uns das alles weitgehend möglich ist. Aber sollte das etwa der Geist sein, in dem wir auch unsere Kinder aufwachsen lassen und erziehen wollen? Worin wollen wir denn den Geist unserer Kinder anregen und schulen? Etwa, dass sie noch besser und gewitzter kaufen, handeln oder faulenzen können? Aber wie sollten sie so ihr Leben wirklich bestehen können?

Nun sagt ja mancher, dass man gar nicht früh genug damit anfangen kann, die Kinder auf den Ernst des Lebens vorzubereiten. Und offenbar ist damit nicht gemeint möglichst gelungenes Faulenzen, und möglichst viel Freiheit als Freizeit. Sondern manche meinen, dass den Kindern möglichst schnell alles Naive und Kindliche ausgetrieben werden muss. Und wozu sollte da etwa ein Händefalten und das zu Gott „Abba, lieber Vater“ rufen nützlich sein?

Wenn immer wieder Leute sagen, dass der kindliche Geist von solchen angeblich naiven Selbsttäuschungen möglichst schnell befreit werden muss, dann hat das offenkundig mit dem zu tun, was man in seinem Leben als real und damit als wirkmächtig ansieht. Und solche Leute sagen dann auch, real und wirkmächtig sei doch nur das, was wir messen, zählen, wiegen oder prüfen können. Real sei doch nur das, was wir im Portemonnaie oder in der Scheune haben.

Aber, liebe Gemeinde, wenn nur das alles real sein soll, wenn nur das der Reichtum unserer ganzen Wirklichkeit sein sollte, wären wir dann nicht  ganz arme Menschen?
Wo bliebe dann alle Freude? Die kann man doch im Portemonnaie nicht zählen!
Wo bliebe dann alles Schöne und alles Vertrauen? Denn das kann man doch nicht messen oder wiegen!
Und wo bliebe dann alle Liebe und alle Hoffnung? Das alles wäre in einer solchen verkümmerten Erbsenzähl-Realität nicht vorhanden. Und dann wären wir wirklich arm dran.

 

Für mich klingt genau eine solche armselige Realität durch in dem, was ganz am Anfang im Bibelwort mit „ Fleisch“ bezeichnet wird. Mir scheint diese armselige Realität mit „Fleisch“ gemeint zu sein, deren Auswirkungen, also „Taten“, durch den Geist überwunden, also „getötet“ werden sollen. Aber warum soll es denn notwendig sein, diese armselige Realität zu überwinden? Viele haben sich doch darin in der heutigen Zeit irgendwo eingerichtet. Jedoch schreibt uns hier der Apostel in aller scharfen Konsequenz ins Gewissen: „Wenn ihr nach dem Fleisch lebt, so werdet ihr sterben müssen“. Aber wieso denn?

Schauen wir hierzu allein einmal auf die Kinder. Denn wie sollten Kinder in einer armselige Erbsenzähl-Realität überleben können? So hat doch kein Kind vor seiner Geburt kritisch geprüft, ob bei den Eltern auch genügend Geld auf dem Konto ist für seine Ernährung oder ob sie beim neuesten Babywickelkurs mitgemacht haben. Kinder haben doch gar keine andere Lebenschance, als Vater und Mutter völlig zu vertrauen. Und für Kinder ist es auch gar kein Problem, Vater und Mutter mit ganzem Herzen zu lieben, sonst würden sie einfach sterben.
Und vergleichbar könnte sich ein Erwachsener kaum aus dem Haus bewegen, wenn er immer alles, was er für das Alltagsleben braucht, wie Auto, Aufzug, U-Bahn, Haus, Lebensmittel, allen nach unserem technischen Zeitalter möglichen Verlässlichkeits- und Gesundheitstests unterwerfen wollte. Vermutlich würde er drum schlicht verhungern. Offensichtlich stimmt es: Wer nicht vertrauen kann, muss sterben. Wessen Leben nicht vom Geist des Vertrauens getragen ist, der wird es verlieren.

Wenn wir uns darum davon verabschieden können, in unserem Geist allein von den Alltagsdingen bestimmt zu werden und unserem himmlischen Vater genauso vertrauen könnten, wie unsere Kinder Vater und Mutter völlig vertrauen, dann müssten wir nicht genauso vergehen wie unsere Alltagsdinge. Sondern dann könnten wir uns ganz gewiss sein, Gottes Kinder und damit Gottes Erben und Miterben Christi zu sein, denen nach allem weltlichen Leiden himmlische Herrlichkeit zugesagt ist.

Warum ist uns das nun so fremd geworden, so wie Kinder einfach zu glauben und zu leben? Sind wir in unserem Leben vielleicht zu viel enttäuscht und verletzt worden? Oder tragen wir vielleicht an Leib und Seele zu viel an Trauer, Schmerzen oder Wut mit uns herum? Wie dem auch sei, eins lehrt dabei jedenfalls die Erfahrung: dass man in der Regel von allein aus einem solchen dunklen Loch schmerzlicher Erfahrungen nicht heraus kommt. Sich allein an einem grauen Morgen vorzunehmen, „Heute will ich begeistert und fröhlich sein“, das klappt einfach nicht oder führt nur zu Verkrampfungen.

Manche sagen, was da helfen kann, ist der Mitmensch. Das ist sicherlich manchmal möglich. Aber kennen wir das nicht auch: Da steht man enttäuscht und traurig, und dann stellt sich ein munterer Mitmensch zu einem und sagt polterig so etwas wie: „Komm, so schlimm ist das doch alles gar nicht, stell dich doch nicht so an!“ Und dann schluckt man und verkriecht sich noch tiefer in sein Schneckenhaus. Nein, ein solcher polteriger Geist kann nicht immer helfen. Weder in Arbeit und Beruf, noch in Familie oder Gesellschaft.

Wirklich hilfreich kann nur ein liebevoller, einfühlsamer, herzlicher Geist sein, der einem eben nicht gewaltsam übergestülpt wird oder auf Knopfdruck von irgendwoher auf einen niederprasselt. In unserem Bibelwort heißt es deshalb ja auch: Der Geist selbst gibt Zeugnis unserm Geist, dass wir Gottes Kinder sind. Und da der Geist Gottes weht, wo er will, bedeutet das weiter, dass man um Gottes guten Geist nur bitten kann. Nein,  nicht nur zu bitten, sondern  sich dann auch darauf zu verlassen, dass Gott unsere Bitte um Christi willen erhört und uns dann seinen Geist schickt, mit neuem Mut, mit neuer Kraft, mit neuem Trost und neuer Hoffnung.

Wenn man um Gottes guten Geist wirklich bitten kann, dann geschieht tatsächlich etwas. Bitte rechnen Sie jetzt nicht mit ständigen spitzen Halleluja-Rufen oder dauerhaften ekstatischen Tänzen. Aber mit einem muss und darf man ganz fest rechnen: dass sich Menschen wohltuend verändern. Dass sich das Klima untereinander und miteinander heilsam verändert, wenn Menschen tatsächlich beten, wenn Menschen tatsächlich Gott um seinen guten Geist bitten. Und dann sind sie auch gleichzeitig von Gottes Geist getrieben und dann sind sie seine Kinder. Und Besseres kann es doch wirklich nicht geben im Leben und im Sterben. Denn dann werden einem als Kind oder Erwachsenen die Augen aufgetan für Gottes ganz andere Lebenswelt, die in jeder Fröhlichkeit und in allem Schönen durchschimmern will, die in jedem Gefühl der Dankbarkeit, des Vertrauens und der Liebe uns bereits jetzt anrühren will, um uns dann als Kinder Gottes ewig wunderbar zu umhüllen und zu umschließen in seinem ewigen Reich. Dazu führe und leite uns alle Gottes guter Geist. Amen.

 

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Pastor i. R. Dr. Andreas Pawlas
Eichenweg 24
25365 Kl. Offenseth-Sparrieshoop,