Liebe Gemeinde!
Eine Freundin von mir ist Erzieherin in einer evangelischen Kindertagesstätte.
Vor einigen Jahren erzählte sie mir, dass die Kinder diesmal ganz versessen gewesen seien auf die Figuren der Weihnachtskrippe.
Noch lange, lange nach Weihnachten wollten sie immer wieder so gern damit spielen, dass es nicht möglich war, die Krippe wieder fürs nächste Jahr einzuwickeln und wegzupacken.
Wieder und wieder spielten die Kleinen die Weihnachtsgeschichte nach,
bewegten die Figuren hin und her und manchmal tauchten auch ganz neue Mitspieler auf, Kuscheltiere oder Bilderbuchfiguren,
Phantasiegebilde der Kinder.
Dabei beobachtete die Erzieherin eines Tages,
dass einer der größeren Jungen mit dem Josef spielte.
Er ließ ihn das Kind aus der Krippe nehmen
und es denn darum herumstehenden Heiligen drei Königen zeigen.
Dann ließ er den Josef sagen:
„So, jetzt könnt ihr ruhig wieder nach Hause gehen in euer Land.
Das Jesus-Kind wird jetzt größer, und dann wird es euch beschützen vor
dem Heiligen Geist und allen anderen bösen Geistern.“
Da beschloss meine Freundin, dass es wohl an der Zeit sei, diesmal mit den Kindern ganz ausführlich über Pfingsten zu sprechen.
„GEIST“ - das hatte für den Sechsjährigen offenbar etwas Unheimliches, Gefährliches;
Mag sein, dass er schon zu viele Halloween-Geschichten gehört hatte!
Nun werden wir Erwachsenen vielleicht nicht mehr gleich an Geister- und Gespenstergeschichten denken, wenn vom Heiligen Geist die Rede ist;
Aber mir scheint, das Ungreifbare, das Ungestüme und Umkrempelnde des Pfingstgeistes hat auch für uns noch manchmal noch fast schon etwas unheimliche, zumindest erschreckende Züge!
Das mit dem Geist überlassen wir meist doch lieber anderen, etwas pfingstbewegteren Gruppen und Gemeinden.
Eine besondere Rolle scheint mir der Heilige Geist in der Frömmigkeit von uns „normalen Kirchenchristen“ doch wohl doch eher nicht zu spielen.
Gut, wir bekennen Sonntag für Sonntag gemeinsam: „Ich glaube an den Heiligen Geist“,
sprechen von „Dreieinigkeit“ Gottes und feiern heute Pfingsten ... das schon,
Aber manchmal hat man fast das Gefühl: es ginge auch so!
Vielleicht trifft unsere Stimmungslage besser, was im Johannesevangelium steht und uns heute zum Nachdenken vorgeschlagen ist:
Johannes 14, 23-27
Jesus sprach zu seinen Jüngern: „Wer mich liebt, der wird mein Wort halten;
und mein Vater wird ihn lieben, und wir werden zu ihm kommen und Wohnung bei ihm nehmen. Wer aber mich nicht liebt, der hält meine Worte nicht.
Und das Wort, das ihr hört, ist nicht mein Wort, sondern das des Vaters, der mich gesandt hat. Das habe ich zu euch geredet, solange ich bei euch gewesen bin.
Aber der Tröster, der Heilige Geist, den mein Vater senden wird in meinem Namen,
der wird euch alles lehren und euch an alles erinnern, was ich euch gesagt habe.
Den Frieden lasse ich euch, meinen Frieden gebe ich euch.
Nicht gebe ich euch, wie die Welt gibt.
Euer Herz erschrecke nicht und fürchte sich nicht.
„...euer Herz erschrecke nicht...“
Insgesamt ruft dieser Text eher eine düstere, etwas melancholische Stimmung dieser Text wach.
Kein Wunder, er gehört in die sogenannten „Abschiedsreden“ Jesu, in eine Zeit vor Kreuz und Auferstehung, vor Karfreitag und Ostern.
Jesus schon weiß: die Zeit seines Redens und Handelns geht zu Ende.
Er ist entschlossen, nach Jerusalem zu gehen, und er ahnt, was dort auf ihn zukommt.
Die Lage spitzt sich zu.
Er kann nichts mehr tun für die Jünger, aber sie sollen wenigstens vorbereitet sein, wenn er sie zurücklassen muss.
Solange sie zusammen waren, gab es keine Veranlassung für ihn, sie irgendwie zu beunruhigen mit solchen bedrohlichen Zukunftsperspektiven!
Das wird jetzt anders.
Jetzt mutet er es ihnen allerdings zu, der Gefahr ins Auge zu sehen.
...damit ihr nicht abfallt, nicht Ärgernis nehmt! wird er wenig später in diesen Abschiedsreden sagen.
Damit ihr drauf gefasst seid, dass sie euch angreifen werden.
Sie - dass sind die, die nichts begriffen haben, die zwar sehr wohl ‘von außen’ sozusagen gesehen und gehört haben von Jesus, von seiner Botschaft der Menschenfreundlichkeit Gottes, der Liebe und Freiheit, aber dort ist sie auch geblieben, äußerlich, hat sie innerlich nicht erreicht, ihr Leben unverändert gelassen.
Sie haben ihn gehört, aber doch nicht gehört.
Und so fangen sie an zu hassen, so schlagen sie zu, werden zunächst Jesus selbst umbringen und dann auch viele, die zu ihm gehören.
Die Jüngerinnen und Jünger werden den Tröster also dringend brauchen.
Tröster übersetzt Martin Luther, Beistand sagt die Einheitsübersetzung.
Trost finden- das ist eine ganz wichtige, grundlegende Lebenserfahrung für ein kleines Kind!
Wenn es sich verlassen und traurig fühlt, es ihm so vorkommt, als wäre es ganz allein auf der Welt und würde die verloren geglaubte Mama nie wiederfinden,
Denn -normalerweise jedenfalls- tauchen die Eltern ja natürlich wieder auf,
nehmen das Kind auf den Arm, wischen ihm die Tränen ab und stellen es schließlich wieder auf die eigenen Füße,
damit es getröstet getroste Schritte ins Leben machen kann;
Und später?
Für Jugendliche und Erwachsene ist der Trost irgendwie etwas in Verruf geraten,
viele assoziieren zu dem Wortfeld sofort:
Trost hat etwas von ... es ändert sich ja eigentlich doch nicht wirklich etwas ...,
hat was von Vertröstung, vom Zudecken von Unabänderlichem.
„Sie haben aber schönen Architektentrost“ sagte kürzlich ein Architekt zu mir, der bei uns zu Gast war, und bewunderte den herrlich blühenden Knöterich;
Eine schnell wachsende Pflanze, mit deren Hilfe man tatsächlich auch unansehnlich graue Betonwände schnell begrünen und verschönern kann.
Trost hat irgendwie den Anstrich von: „Du schaffst es eben doch nicht allein“, ich helfe dir besser mal;
Und das ist ein Gefühl, das die meisten Menschen lieber zu vermeiden versuchen,
denn das wäre ja ‘uncool’.
Trotzdem: Dass der Gottesgeist auch ein tröstender ist, ist eine ganz wichtige Eigenschaft!
Aber was tut er denn nun, wenn er tröstet?
Das Wort, das Luther mit „Tröster“ übersetzt, kann auch mit Helfer, Anwalt, Beistand oder Retter wiedergegeben werden.
Wörtlich steht da eigentlich bedeutet es: der Anrufende, der, der mich anspricht, mich herausruft.
Damit stellt sich natürlich sofort die Frage: Was ruft er denn?
Und wo heraus?
Interessant ist es, zu beobachten, wenn man sich Erfahrungen von Menschen anguckt, die sie als Geisterfahrungen beschreiben, dann ähneln die sich alle in einem Punkt, sie haben alle das Gefühl, sie hätten etwas absolut Neues kennengelernt, etwas noch nie Dagewesenes.
Unser Text ist da sehr viel nüchterner.
„...er wird euch lehren und erinnern...“ (V. 26) sagt Jesus.
Nur lehren?
Nur erinnern?
Wozu das nun wieder? Glaubt Jesus, dass seine Anhänger alle ein so schlechtes Gedächtnis haben, dass sie dauernd erinnert werden müssen?
Es geht offenbar gar nicht um ganz neue Inhalte, frisch entdeckte Erkenntnisse oder Sätze.
Der Geist, den er ihnen für Pfingsten ankündigt, wird gar nichts völlig Neues sagen, nichts Anderes, als sie eigentlich schon lange kennen.
Er wird erinnern an das Wort, das von Gott kommt.
Wieder eine Quelle für Missverständnisse, denn wenn Johannes vom Wort spricht, dann meint er nicht bloß solche Worte, wie Sie sie jetzt gerade hören oder lesen, gesprochene, geschriebene Worte, sondern für Johannes klingt immer sofort mit: das Wort, das Jesus selbst ist, mit allem, was er sagt und tut ist er das lebendig gewordene Wort Gottes, an seiner Gestalt, seinem Leben kann man ablesen, dass Gott es gut meint mit seinen Menschen.
Mehr und anderes, Wichtigeres kann auch der Geist nicht vermitteln, meint Johannes.
Er erinnert.
Und das muss nicht für jede und Jeden an jedem Tag genau Dasselbe sein!
Schon beim gesprochenen Wort ist das so, wir können alle denselben Text hören und hören doch etwas völlig Unterschiedliches.
Ich erinnere mich an einen Vortrag bei einer Tagung, den ich grauenvoll langweilig und nichtssagend fand.
Ich ärgerte mich, dass ich nicht doch lieber spazieren gegangen war, und traf im Anschluss vor der Tür einen Kollegen, der völlig hingerissen und begeistert war und geradezu ins Schwärmen geriet über diesen phantastischen Vortrag.
Ich war sprachlos.
Jesus jedenfalls geht es eben gerade nicht um eine allgemeingültige, unveränderliche, eherne neutrale und unumstößliche Wahrheit, das ist die Vorstellung, aus der uns der Geist herausruft, von der wir uns verabschieden sollten.
Es geht vielmehr um die sehr persönlich gefärbte Zeugenaussage, damit der Geist eine Chance hat, sich einzumischen und zu wirken!
Als „Kirche des Wortes“ werden die protestantischen -speziell wir als lutherische- oft bezeichnet.
Das ist ja auch nicht verkehrt- nur denke ich, wir müssten auch hier den Wortbegriff umfassend genug verstehen.
So wie wir mit Menschen ja auch nicht nur über das gesprochene Wort Kontakt aufnehmen, Gesten und Symbole sprechen mit.
Jesus ist das Gestalt gewordene Wort, sagt Johannes.
Und so sind Bilder und Formen für uns eben nicht ablenkendes Beiwerk, auf das man besser verzichten sollte, sondern Ausdruck des Glaubens.
Pfingsten 2019, Nordseebad Juist, Ostfriesland, Bundesrepublik Deutschland, Europa ...
Keine Verfolgungssituation mehr bei uns, wir leben wohl eher in einer Zeit, in der sich der Ungeist der Gleichgültigkeit breitgemacht hat.
Glauben?
Wen interessiert das denn noch,
wenn nicht gerade wieder in der Kirche irgendwo der Rotstift an der falschen Stelle angesetzt wird,
eine Skandalgeschichte aufgedeckt
oder ein Forscher wieder mal Gottes-Gen entdeckt haben will ...
Oder wenn nicht grad Kirchentag ist und die Zeitungen ungläubig staunen, dass Hunderttausende zusammenkommen und singen und beten.
In so einer Menge kann man sich vorstellen, wie das damals in Jerusalem gewesen sein könnte.
Pfingsten.
Ich finde, es wird Zeit, dass wir wieder lernen, heftig darum zu streiten,
was wir glauben?
Nicht, um nachher alle dasselbe zu denken, aber: um vielleicht Neues zu entdecken, weil der andere was anderes erkannt hat, einen, der auch meinen Blickwinkel erweitert.
Diese Freiheit brauchen wir, damit sich nicht ein anderer Glaube in den Herzen breitmacht, der kaputt macht und krank!
Wenn Kirche der Raum ist dafür, dann ist Pfingsten.
Und zuletzt: Pfingsten ist ein Fest, das sehr nüchtern beginnt.
Bevor das Brausen vom Himmel kommt und die aufrüttelnde Predigt der Jünger losgeht.
Da heißt es nämlich schlicht: „Als der Pfingsttag gekommen war, waren sie alle beieinander an einem Ort.“
Mehr nicht.
Sie waren zusammengekommen, trotz depressiver Grundstimmung, trotz Traurigkeit und Abschiedsschmerz.
Und dann kommt der Geist! Er kommt eben gerade nicht zu jedem einzelnen irgendwo verstreut in der Landschaft, am Strand oder im Wald, er kommt zur versammelten Gemeinde.
Viele sagen: Pfingsten ist so schwer greifbar, kein Tannenbaum wie zu Weihnachten, keine Ostereier...
Man könnte doch aber sagen: Die versammelte Gemeinde ist geradezu das greifbare Zeichen für Pfingsten!
Ist der Ort, an dem Gott wirkt, seinen Geist schenkt, Hoffnung, Frieden, Trost und Kraft.
Amen.
Vorschläge Lieder / Liturgie:
Psalm 118 kombiniert mit EG 294 Nun saget Dank und lobt den Herren als Eingangslied:
Choralvorspiel Liturg*in oder Lektor*in: Ps 118, 1 + 14 • Gemeinde singt EG 294,1 •
L.: Ps. 118, 15-18 • G.: EG 294,2
L.: Ps. 118, 19-25 • G.: EG 294,3
L.: Ps. 118, 26-29 • G.: EG 294,4 - Gloria Patri
Graduallied: freitöne 5 Erschein, du Heilger Geist
Lied nach der Predigt: freitöne 7 Atme in uns, Heiliger Geist
Schlusslied: EG 130 O Heilger Geist, kehr bei uns ein
Nach dem Segen im Stehen EG 135,4 Güldner Himmelsregen