Machtspiele - Predigt zu Matthäus 4,1-11 von Manfred Wussow
4,1-11

Machtspiele - Predigt zu Matthäus 4,1-11 von Manfred Wussow

Machtspiele

Dienstag, 17. Februar 2015, 14:49 Uhr:
Die deutsche Presseagentur – dpa – meldet:
„Debalzewo  - Die Aufständischen in der Ostukraine haben die strategisch wichtige Stadt Debalzewo nach eigenen Angaben "zu 80 Prozent" eingenommen.
"Nur ein paar Wohnviertel sind noch übrig, dann haben wir den Ort völlig unter Kontrolle", sagte Separatistensprecher Eduard Bassurin am Dienstag in Donezk.
Die Gefechte gelten als massiver Verstoß gegen ein erst vor wenigen Tagen in Minsk geschlossenes Friedensabkommen. Demnach sollten die Konfliktparteien eigentlich ihre schweren Waffen aus dem Donbass abziehen.“

Ich lese die dpa-Meldung, als ich mein e-mail Postfach öffne. Sachlich ist sie, unbestechlich. Eine Nachricht – unter vielen. Aber was macht sie mit mir? Was mache ich mit ihr? Ich fiebere bei jeder Friedensbemühung mit, ich bin enttäuscht, wenn sie wieder einmal keine Chance bekommt, ich sehe die Felle schwimmen. Durchschauen kann ich sie nicht – die Machtspiele. Die Drohgebärden. Die Schuldzuschreibungen. Gewalt windet sich, wächst in Spiralen. Die Propaganda vernebelt, kunstvoll rational verhüllt. Am Ende darf nicht mehr klar sein, wer Freund, wer Feind ist – wer angefangen hat, wer sich wehren musste – wer rechtzeitig gewarnt hat, wer überfallen wurde. Viele Menschen sterben. Viele trauern.Wird der Frieden auf der Strecke bleiben? Geopfert werden? Geopfert werden müssen? Wie die Wahrheit, die auf der Strecke bleibt?

Beim Lesen meiner e-mails huscht mir durch den Kopf, wie groß doch die Versuchung sein muss, (wieder) in Machtblöcken zu denken, Einflussshären abzugrenzen, Nationalitäten zu definieren – und Menschen gegeneinander aufzubringen. Pflöcke werden eingeschlagen, um später Rechtsansprüche aus ihnen ableiten zu können. Nennen wir es die Gunst der Stunde, die herbei gezwungen wird, nennen wir es „Kriegsglück“ - für Macht verkaufen Menschen sogar ihre Seelen – und die fremden, die anderen gleich mit. Doch Hass sät neuen Hass … Kein Ende in Sicht!

Widerspruch

Hat mein Freund, Matthäus, eigentlich gewusst, dass uns das Thema bewegt, bedrängt? Jedenfalls erzählt er uns heute, 22. Februar 2015, unerwartet eine Geschichte, die von einem ungewöhnlichen Traum, von einem ungewöhnlichen Weg erzählt.

Da wurde Jesus vom Geist in die Wüste geführt, damit er von dem Teufel versucht würde.
Und da er vierzig Tage und vierzig Nächte gefastet hatte, hungerte ihn.
Und der Versucher trat zu ihm und sprach: Bist du Gottes Sohn, so sprich, dass diese Steine Brot werden.
Er aber antwortete und sprach: Es steht geschrieben (5.Mose 8,3): »Der Mensch lebt nicht vom Brot allein, sondern von einem jeden Wort, das aus dem Mund Gottes geht.«

Da führte ihn der Teufel mit sich in die heilige Stadt und stellte ihn auf die Zinne des Tempels
6und sprach zu ihm: Bist du Gottes Sohn, so wirf dich hinab; denn es steht geschrieben (Psalm 91,11-12): »Er wird seinen Engeln deinetwegen Befehl geben; und sie werden dich auf den Händen tragen, damit du deinen Fuß nicht an einen Stein stößt.«
Da sprach Jesus zu ihm: Wiederum steht auch geschrieben (5.Mose 6,16): »Du sollst den Herrn, deinen Gott, nicht versuchen.«

Darauf führte ihn der Teufel mit sich auf einen sehr hohen Berg und zeigte ihm alle Reiche der Welt und ihre Herrlichkeit
und sprach zu ihm: Das alles will ich dir geben, wenn du niederfällst und mich anbetest.
Da sprach Jesus zu ihm: Weg mit dir, Satan! Denn es steht geschrieben (5.Mose 6,13): »Du sollst anbeten den Herrn, deinen Gott, und ihm allein dienen.«
Da verließ ihn der Teufel. Und siehe, da traten Engel zu ihm und dienten ihm.
(Mt. 4,1-11)


Der Traum – bleiben wir einmal bei diesem Wort - beginnt in einer Wüste, schwingt sich auf die Zinne des  Tempels in der Heiligen Stadt, Jerusalem, und landet auf einem „sehr hohen Berg“. Das alles dann auch noch an einem Tag. Oder war es eine Nacht? Die Szenen verlaufen wie Aquarell- Farben. So schnell kann man kaum noch schauen.  Geschweige denn aufpassen. Unheimlich und gefährlich sind alle drei Orte: die Wüste, die Tempelzinne und der hohe Berg – ist es wirklich ein Traum? Ein Albtraum? Matthäus erzählt nicht, dass Jesus schweißnass aufwacht, wohl aber, dass er jetzt seinen Weg kennt – und geht. Gehen kann.

Klärung

Die Geschichte, die Matthäus erzählt, ist faszinierend: Sie erzählt von Jesus, der seinen eigenen Weg sucht, noch sucht  – den Weg des Messias. Er hat sich in die Einsamkeit zurückgezogen. In eine Wüste. Vierzig Tage sind auch kein Pappenstiel. Aber vierzig Tage erinnern an die Prüfungszeit Israels, die – nur eine kleine Nebensächlichkeit – vierzig Jahre betragen haben soll. Gemeint ist eine Zeit der Reifung, eine Zeit der Klärung. Auch Jesus fängt klein an – wie einer, der sich entdecken muss. Der seine Identität findet. Der wird, was er sein soll: Messias. Oder griechisch: Christus.
Früher dachte ich, Jesus sei von Anfang an fertig gewesen – heute bin ich glücklich, dass auch er seinen Weg sucht – und findet. Es ist der Geist, der Geist Gottes, der Jesus auf Trapp bringt.  Lehrstück Nr. 1 – sozusagen.

Neuer (oder auch alter) Bekannter ist der Teufel. Er nimmt Jesus mit auf einen sehr hohen Berg. Betont: sehr hoch! Ein Hügel tut’s hier nicht. Es muss der Weltenberg sein. Dort oben, ganz oben, sind die beiden allein. Aber auch dem Himmel ganz nah … Ob der Teufel weiß, in welcher gefährlichen Höhe er sich bewegt? Ob er ahnt, wem er hier gefährlich nahe kommt? Gipfeltreffen können wir nennen, was jetzt geschieht, was auf die Spitze getrieben wird – und zerfällt. Jesus soll alle Reiche der Welt und ihre Schönheiten sehen. Ein herrlicher Blick! Es ist ein Blick, der ausgekostet werden muss. Ein Panorama sondergleichen. Die Welt liegt Jesus  zu Füßen. Oder wird sie ihm vor die Füße gelegt? Der Teufel will seine letzte Karte ausspielen – er setzt auch alles auf eine Karte: „Das alles will ich dir geben, wenn du niederfällst und mich anbetest“. Eine kleine Geste nur, nicht der Rede wert – für ein so großes Geschenk? Wir ahnen, wie vergiftet das Angebot ist. Jesus sagt dann auch: Weg mit dir, Satan! Denn es steht geschrieben (5.Mose 6,13): »Du sollst anbeten den Herrn, deinen Gott, und ihm allein dienen.« 

Diese kleine Szene aus Rede und Gegenrede – es reicht jeweils ein Satz  – spielt mit der Sehnsucht nach der Weltherrschaft, der Sehnsucht nach Macht, der Sehnsucht danach, „ganz oben zu sein“.  Der Teufel ist ein begnadeter Seelenkenner – und ein Spieler dazu. Er spielt mit Gefühlen und Träumen, mit Minderwertigkeitskomplexen und Allmachtsphantasien. Doch: Kann der Teufel geben, was ihm nicht gehört? Was ihm noch nie gehörte? Nie gehören wird? Hier, ganz oben auf dem Berg, wird der Teufel entlarvt – der Zauberer verliert sein Gesicht. Hier oben auf dem hohen Berg ist die Luft dünn – und die Welt unnahbar weit weg – und das Leben so erbärmlich klein wie ein Gipfelplateau.  Aber: Gott ist nahe. In Sichtweite. Auf Rufweite. Gegenwärtig in  – einem Wort. »Du sollst anbeten den Herrn, deinen Gott, und ihm allein dienen.« 
Jesus sieht die Welt mit ihren Schönheiten – als Schöpfung Gottes.  Aber er sieht auch die Verlorenheit, das Leiden der Menschen. Er sieht die Wunden der Natur. Er sieht die verwickelten und verwinkelten Geschichten – jetzt geht er nach unten. Er geht zu den Menschen. Er liebt die Menschen. Sein Weg ist jetzt klar: Er wird nach Jerusalem gehen. Dort wird der Menschensohn, wie er sich nennt, wie er genannt wird, leiden – am dritten Tag aber auferstehen.  In seiner Verteidigungsrede wird Jesus sagen, dass sein Reich nicht von dieser Welt ist … Dann wird er als „König“ ans Kreuz geschlagen.

Von dem Abstieg Jesu erzählt Matthäus darum direkt nach der Geschichte von der Versuchung Jesu – und von dem hellen Licht, das sich jetzt breitmacht, ausbreitet:

Und Jesus verließ Nazareth – so Matthäus - , kam und wohnte in Kapernaum, das am See liegt im Gebiet von Sebulon und Naftali,
damit erfüllt würde, was gesagt ist durch den Propheten Jesaja, der da spricht (Jesaja 8,23; 9,1):
»Das Land Sebulon und das Land Naftali, das Land am Meer, das Land jenseits des Jordans, das heidnische Galiläa,
das Volk, das in Finsternis saß, hat ein großes Licht gesehen; und denen, die saßen am Ort und im Schatten des Todes, ist ein Licht aufgegangen.«

Seit der Zeit fing Jesus an zu predigen: Tut Buße, denn das Himmelreich ist nahe herbeigekommen!“


Von Finsternis ist die Rede, von Schatten des Todes – und von einem großen Licht, das aufgegangen ist. Jetzt können Menschen aufbrechen, umkehren, noch einmal neu anfangen.  Auch ein Macht-Spiel. In ihm gewinnt das Leben. Die Zukunft. Gottes Reich – Gottes Recht.  Nahe herbeigekommen! Nahe! Herbeigekommen!

Versuchung

Wir nennen die Geschichte, die Matthäus – ziemlich am Anfang seines Evangeliums – erzählt, eine Versuchungsgeschichte. Jesus soll auch – wörtlich – vom Teufel versucht werden. Jesus wird in eine Situation gebracht, in der er dem größten Widersacher – im Leben von Menschen – ausgeliefert wird. Wir  sind gespannt, wie er damit fertig wird!
In dem Wort „Versuchung“ stecken die Worte „Suche“ und „Versuche“, Worte, die wir kennen, die uns vertraut sind. Suche wie Versuche sind nicht einmal auf Lebensalter aufzuteilen oder abzuschließen. Glücklich ist der Mensch, der immer noch Versuche frei hat! Der sich auf die Suche machen kann.

Oscar Wilde (1854 - 1900), eigentlich Oscar Fingal O'Flahertie Wills, irischer Lyriker, Dramatiker und Bühnenautor, meint:
I can resist everything except temptation - etwa: Allem kann ich widerstehen, nur der Versuchung nicht.

Christian Morgenstern (1871 - 1914) weiß:
„Nur in Versuchungen immer wieder  fallend, erheben wir uns.“

Und Giovanni Guareschi (1908–1968), italienischer Journalist und Schriftsteller, fügt – vielleicht ein wenig schmunzelnd - hinzu:
„Manch einer, der vor der Versuchung flieht, hofft doch heimlich, dass sie ihn einholt.“

Alles kluge Sentenzen, aus dem Leben gegriffen. Aber nicht jede Versuchung ist so zart – wie Schokolade. Versuchungen können tödlich ausgehen. Versuchungen können das Leben zur Hölle machen. Versuchungen können uns die Seele rauben.

Von dem Teufel reden wir übrigens nicht mehr. Es gibt ihn nicht – mehr. Oder doch? Wer vom Teufel redet, wieder reden kann, gibt dem Bösen ein Gesicht, eine Gestalt – und kann mit ihm kämpfen. Mein Freund Matthäus ist da sehr unbefangen – und viel moderner als gedacht. Das ist doch eine tolle Szene da oben auf dem Berg! Ich verrenke mir den Kopf – so hoch kann ich nicht gucken. Wie gut, dass Jesus runter kommt! Ich will ihn hören, ich will ihm folgen!

Von den Steinen in der Wüste und von der Zinne des Tempels möchte ich jetzt nichts erzählen. Uns läuft auch die Zeit weg. Aber wir hören Rede und Gegenrede, wir hören, wie ein Wort das andere gibt. Jesus wächst das letzte Wort zu!  Er findet seinen Weg – in der Schrift. In der Schrift Israels. Wir müssen, wir dürfen  sie nicht „alt“ nennen – Gott ist der Vater Jesu. Mit Zitaten, mit Rezitation, wird der Teufel gefangen. Nur – mit Zitaten, mit Rezitation! Dem Teufel bleiben nicht einmal mehr Ausreden.
Die Welt geht neu auf in dem Wort. »Du sollst anbeten den Herrn, deinen Gott, und ihm allein dienen.« 

Es tut gut – und macht gut -, unsere Versuchungsgeschichten als Klärungsgeschichten, als Findungsgeschichten zu verstehen. Der Geist Gottes hat gewiss seine Finger im Spiel! Auch bei uns.
Am Ende treten Engel in unser Leben. Ob sie uns auch – dienen?  Matthäus legt da so eine Spur …
Zumindest: wir sind in guter Gesellschaft!

Invokavit

Heute ist der 22. Februar 2015. Ein Tag des Herrn! Der Sonntag trägt den Namen Invokavit. Der 91. Psalm steht an ihm Pate. : "Invocavit me, et ergo exaudiam eum" – auf deutsch:
„Er ruft mich an, darum will ich ihn erhören“ – und weiter:
„Ich bin bei ihm in der Not; ich will ihn herausreißen und zu Ehren bringen“ (Ps 91, 15).

Der Wochenspruch bringt es auf den Punkt:
Dazu ist erschienen der Sohn Gottes, dass er die Werke des Teufels zerstöre. (1. Joh 3, 8b).


Und der Friede Gottes,
der höher ist als unsere Vernunft,
bewahre unsere Herzen und Sinne
in Christus Jesus,
unserem Herrn