Moses Berufung - Predigt über Exodus 3,1-14 von Esther Kuhn-Luz
3,1-14

Moses Berufung - Predigt über Exodus 3,1-14 von Esther Kuhn-Luz

Liebe Gemeinde,
alles beginnt beschaulich. Mose hütet die Schafe seines Schwiegervaters Jitro, einem Priester in Midian. Von außen betrachtet wirkt das Bild zunächst wie eine Idylle: ein Hirte, umgeben von seinen Schafen, mitten in der Steppe. Von außen gesehen war das Leben von Mose zu dieser Zeit auch sehr beschaulich. Still und zurück gezogen lebte er zusammen mit seiner Frau Zippora, seinem Sohn Gerschom und der Großfamilie von Jitro. Dort ist er damals sehr freundlich aufgenommen worden, als er abgehetzt, verfolgt und am Ende seiner Kräfte mitten in der Steppe in Midian zusammen brach.
Damals…… Das war nun schon so lange her und er wollte nicht so gern an diese Zeit erinnert werden. Schließlich hatte er einen Mord auf dem Gewissen. Aber er hatte sich im Recht gefühlt in dieser Auseinandersetzung. Er hatte aus Wut gehandelt über die maßlose Ungerechtigkeit der Ägypter gegenüber den armen Arbeitern, den Israeliten.
Er konnte es einfach nicht mehr länger anschauen, wie seine hebräischen Brüder bei der Arbeit am Bau der Pyramiden ausgebeutet wurden. Wie Arbeitstiere wurden sie behandelt! Schläge gab es viel – aber wenig Essen.
Er selbst hatte ja lange Zeit ein gutes Leben gehabt. Durch das Engagement seiner Schwester Miriam war er nicht, wie andere jüdische männliche Babys, ermordet worden. Durch eine List hatte sie es geschafft, dass er am Hofe des Pharao aufwachsen konnte. Wie oft hatte ihm seine Pflegemutter, die Tochter des Pharao, erzählt, dass er wie ein kleiner ägyptischer Gott auf dem Nil daher geschwommen kam - in einem Binsenkörbchen.
Ihm ging es sehr gut am Hof und er wäre wohl auch vollkommen als ägyptischer Prinz aufgewachsen, wenn ihm seine Schwester Miriam nicht immer mit Nachrichten versorgt hätte. Eigentlich wollte er die gar nicht so gerne hören: über Armut und Kindersterblichkeit und Entwürdigung – auch der Frauen. Ihm ging es gut. Warum sollte er sich um andere kümmern, auch wenn es seine Volksgenossen waren? Er blieb lieber zuhause im Palast. Was ich nicht weiß, macht mich nicht heiß. Umso erstaunter war er über sich selbst, als er bei einem Spaziergang außerhalb des geschützten Lebens mitbekam, wie ein ägyptischer Aufseher einen hebräischen Arbeiter fast zu Tode geprügelt hätte. Einfach nur deshalb, weil er zu langsam war. Diese Wut, die in Mose damals hochstieg, an die erinnert er sich noch heute.
Plötzlich war alles da, was ihm Miriam erzählt hatte. Er schlug zu, als könnte er mit dem Tod des einen Sklavenaufsehers die ganze Sklaverei abschaffen. Erst fühlte es sich gut an, dass er sich für Gerechtigkeit eingesetzt hatte. Aber dann wurde ihm schnell klar, dass er nun ein Mörder war – steckbrieflich gesucht. Für den Pharao – und für seine Tochter – war er dazu noch ein Verräter, ein politischer Verbrecher.
Nein, diese Erinnerungen mochte Mose nicht. Er war froh, dass er als Flüchtling einen Ort gefunden hatte, an dem er liebevoll aufgenommen worden war. Hier in Midian lebte er beschaulich und ganz in Frieden, weit weg von seiner Vergangenheit.
Nun lebte er als Hirte. Und dieses schöne Idyll könnte das Ende eines Lebensromans werden. Viele Lebenswege enden so – vielleicht glücklich, vielleicht angepasst, vielleicht resigniert. Wieviel hatte ich mir vorgenommen für mein Leben! Welch einen guten Start hatte ich mal! Und was ist daraus geworden! Doch sehr bescheiden im Vergleich zu meinen früheren Vorstellungen.
Ein Stück Enttäuschung spielt da mit, nicht die zu werden, die ich gerne wäre. Aber dann machen wir manchmal Erfahrungen mitten in unsrem Alltag, die uns zeigen: Es ist doch wichtig, dass du genau diesen Weg gegangen bist. Denn hier wirst du gebraucht. Dein Weg hat dich so geprägt, dass du fähig geworden bist zum Zuhören und Hinsehen. So jedenfalls passiert das bei Mose.
Wenn es nun wahr ist, dass ein großer Traum niemals ganz abgetötet und nicht für immer begraben werden kann, sondern eines Tages machtvoll wieder hoch kommt, dann wird es vielleicht dieser Traum von dem weiten Raum gewesen sein, der Mose veranlasst hat, eines Tages seine Schafherde über die Steppe hinaus zu treiben. Er ging weiter als sonst. Er hatte nichts Besonderes vor, aber in ihm war ein Drang, sich einmal in ein neues Gebiet vor zu wagen, Grenzen zu überschreiten. Und wie das immer ist bei Grenzüberschreitungen: Es ermöglicht uns neue Erfahrungen. Wir sind im Unbekannten aufmerksamer als im Gewohnten, sehen manches, was wir im alltäglichen Trott gar nicht mehr wahrnehmen. Diese Gefühlsmischung aus Neugierde, Offenheit und auch ein bisschen Angst, was nun kommt. Das Leben wird am intensivsten an Grenzen und bei Grenzüberschreitungen gespürt.
Das gilt nun auch für Mose. Ohne, dass er sich das bewusst vorgenommen hat, führt ihn sein Weg zum Berg Gottes. Zum Horeb. Noch weiß Mose nicht, was er an und auf diesem Berg noch alles mit Gott erleben wird. Er ahnt noch nicht, dass er dort später ganz allein mit Gott vierzig Tage und vierzig Nächte im Gespräch sein wird, um die Gebote Gottes für sein Volk zu bekommen. Mose ahnt es noch nicht, aber der biblische Schriftsteller, der wollte es den Leser/-innen und uns Hörenden schon mal mitteilen: Achtung, wenn vom Berg Gottes gesprochen wird, dann geschieht gleich etwas ganz Besonderes. Und so ist es auch.Mitten im Alltag von Mose. Er denkt gerade nicht an Gott, mehr an Grünfutter für seine Schafe, als er beim Berg Horeb vorbei kommt. Aber Gott denkt an Mose. Und er will ihm begegnen mitten in seiner alltäglichen Arbeit. Gottesbegegnungen sind nicht an bestimmte Orte und Zeiten gebunden. Wir können überall und immer am Gottesberg stehen und von Gott angesprochen werden. Oft genug durch irgendetwas, was meine Aufmerksamkeit herausfordert. So wie bei Mose. Er sieht, dass ein Dornbusch brennt und trotz der hohen Flammen nicht verbrennt. Ein Naturschauspiel, denkt Mose. Den biblischen Lesenden ist aber schon mitgeteilt worden, dass der Engel Gottes in diesen Flammen verborgen ist. Mose ist neugierig. Ich will hingehen und diese wundersame Erscheinung besehen, warum der Busch nicht verbrennt. Für eine Gottesbegegnung ist Neugier eine gute Voraussetzung, auch die Fähigkeit, noch staunen zu können, sich auf Ungewöhnliches ein zu lassen.
„Als aber Gott sah, dass Mose hinging um zu sehen, rief Gott ihn aus dem Busch und sprach: Mose! Mose!“ Wer von uns wäre da nicht erschrocken, mitten in der Einsamkeit seinen Namen laut zu hören. Aber Mose reagiert anders. Er sagt: „Hier bin ich“. Ganz ruhig. Ohne dass er Gott erwartet hätte – aber jetzt kann er sich auf seine Nähe einlassen.
Wie Gott Menschen erscheint, hat immer auch etwas mit seiner Botschaft zu tun. Also – warum der Dornbusch und warum das Feuer? Diese Gottesbegegnung ist kein Kuschelbild, sondern eines mit Dornen. Das mögen wir nicht so gerne. Wir begegnen Gott lieber in schönen Situationen und Bildern.
„Warum sprach Gott aus dem Dornbusch und nicht aus der Mitte einer schönen Dattelpalme?“ heißt es in einer jüdischen Geschichte. „Der Heilige, gelobt sei er, sagte: Ich bin bei euch in der Not. Mein Volk befindet sich in der Unterjochung und ich bin desgleichen im Dornbusch – an einem Ort voller Dornen. Deshalb der Dornbusch, der ganz aus Dornen besteht.“ „Und der Busch wurde nicht verzehrt.“
Nach der Schoah, nach dem Versuch der Nazis, das jüdische Volk zu vernichten, gewinnt diese Aussage eine neue Dimension. In einem Gedicht von Nelly Sachs heißt es dazu: „Mose hat gebrannt. David hat gebrannt. Jetzt brennen wir, die Überlebenden. Sein Dornbusch in der Wüste sind wir, wir! Und der Busch wurde nicht verzehrt!“
Nun stellt sich Gott Mose vor. „Ich bin der Gott deines Vaters“ und wir fügen hinzu: und deiner Mutter – und dann werden alle die Namen aufgeführt, die in der jüdischen Geschichte auch schon für Mose wichtig waren. „Ich bin der Gott Abrahams – und Saras - , der Gott Isaaks - und Rebeccas –, der Gott Jakobs – und der Gott von Rahel und Lea.“Viele Geschichten sind mit diesen Namen verbunden. Geschichten, die mit Aufbruch, Bewahrung und mit Begleitung zu tun haben. Gott stellt sich vor als einer, der sowohl in seiner eigenen Geschichte als auch in der Tradition viele Spuren hinterlassen hat. Mose erschrickt vor so viel Gottesnähe und verhüllt sein Haupt. Und nun wird Gott konkreter, was er von Mose will.„Ich habe das Elend meines Volkes in Ägypten gesehen und ihr Geschrei über ihre Bedränger gehört. Ich habe ihr Leiden erkannt. So geh nun hin. Ich will dich zum Pharao senden, damit du mein Volk, die Israeliten aus Ägypten führst.“
Mose sprach: Wer bin ich, dass ich zum Pharao gehe und führe die Israeliten aus Ägypten?“
Warum soll er, Mose, aus seinem ruhigen Leben wieder aufbrechen? Warum soll er nicht in Frieden bei seiner Familie bleiben? Warum soll er sich in Gefahr begeben? Überhaupt – wer bin ich?
Darin steckt auch die Frage nach der eigenen Vergangenheit: Schau an, wer bin ich schon? Ich habe genügend Schuld auf mich geladen, auf mich kannst du nicht bauen. Ich bin kein Fels in der Brandung. Entweder ziehe ich mich feige zurück oder ich schlage gleich zu. Ich bin weder glaubensstark noch besonders mutig. Also -wer bin ich schon, dass du gerade mich senden willst?
Gott gibt darauf keine Antwort, aber eine Zusage. Er sagt zu Mose: „Ich will mit dir sein.“ Die Frage ist also nicht, wer ich bin und ob ich mich von meiner Vergangenheit und meinen Fähigkeiten eigne, von Gott berufen zu werden. Das Entscheidende ist die Zusage Gottes: „Ich will mit dir sein!“ Noch ist Mose nicht soweit, Gottes Auftrag an zu nehmen. Ihm geht es gut in Midian – hier hört er die Schreie der Gequälten nicht mehr. Für ihn sind sie weit weg. Und er ist noch nicht bereit, sein bequemes Leben auf zu geben.
Diese ablehnende Haltung kennen wir. Wir wissen, dass es viel Elend auf der Welt gibt. Aber was können wir dagegen tun? Eine Schutzfrage. Auch Mose sammelt noch Gegenargumente, warum er nicht gehen kann und für Gott an seinem Befreiungswerk mit arbeiten kann. Eigentlich kennt er diesen Gott gar nicht richtig. Er kennt keinen Namen von ihm. Und niemand wird ihm glauben, dass er wirklich von Gott geschickt sei, wenn dieser Gott keinen Namen hat.
Und nun offenbart Gott sich Mose mit dem ganzen Namen: - dieser Name Gottes ist eine Offenbarung und eine Verhüllung gleichzeitig. „Ich werde sein, der ich sein werde, so sollst du zu den Israeliten sagen. Ich werde sein hat mich zu euch gesandt.“
Wie Gott sich nennt ist auf der einen Seite ganz konkret: Ich werde da sein. Es wird mit mir eine Zukunft geben. Aber dann auch wieder unkonkret: Wie ich da sein werde, dass werdet ihr dann sehen. Auf jeden Fall befreiend. Eines ist bei allem Unkonkreten deutlich: Für uns will Gott sein, auch wenn die Art, wie Gott uns erscheint, ganz unterschiedlich ist. Die Bibel hat ganz verschiedene Bilder für Gott entwickelt: Schneiderin und Hirte, Vater und Mutter, Fels und Licht - je nachdem, was für Menschen in ihrer entsprechenden Situation wichtig war. In dem Gottesnamen steckt eine große Freiheit. Gott ist nicht auf ein bestimmtes Bild, auf eine bestimmte Offenbarung fest zu legen.
Nochmal zurück zur Geschichte. Mose, der mit seinen Schlägen auf eigene Weise etwas gegen die Ungerechtigkeit tun wollte, wird jetzt von Gott in Gottes Befreiungshandeln mit einbezogen. Gott fährt vom Himmel herab, um Geplagte und Gefolterte zu befreien und Mose soll dabei mitwirken.Wenn wir diese Geschichte heute hören, dann ist das nicht nur eine interessante Geschichte über Mose. Wir selbst kommen darin vor. Jeder und jede mag für sich entscheiden und überlegen, was gerade meine Rolle ist.
Bin ich der Mose, der es sich so schön gemütlich eingerichtet hat und überhaupt nicht bereit ist, sich für die Not anderer Menschen zu öffnen?
Gehöre ich selbst zu den Geplagten, Unterdrückten, Gedemütigten, Überlasteten, die ihr Elend am liebsten laut herausschreien würden und dringend warten, dass ihnen jemand hilft?
Verstehe ich mich als Dornbusch, der mit dem eigenen Verhalten auf die Not anderer aufmerksam macht?
Oder bin ich der Engel, der auf die Stimme Gottes aufmerksam macht?
Stehe ich in der Stille auf diesem heiligen Raum in Gottes Gegenwart und lasse mir das zusagen: „Ich bin mit dir! Ich werde sein, der ich sein werde!“?
Gebe Gott uns das Vertrauen, dass er uns begegnet und uns allen seine Gegenwart zuspricht:
„Ich bin, der sich sein werde!“
Amen