Nun aber Corana? – Corona – Nun Aber! - Predigt zu 1. Korinther 15,20 ff. von Axel Denecke
Der Predigtautor greift für seine Predigt zum Ostermontag auf die Perikope des vorangegangenen Ostersonntags zurück.
1.
Das ist ein Ostern in diesem Jahr! So war es noch nie! Corona beherrscht aller Orten die ganze Welt! Und unsere Kirchen sind zwangsweise leer! Zu unserem Glück! Ich hab heute gerade im ZDF einen katholischen Gottesdienst aus dem Stephansdom in Wien gesehen. Fünf Akteure insgesamt in dem riesengroßen Dom. Ein großartiger Gottesdienst, hab jede Einzelheit (die Musik, die Stimmen der zwei Sänger, die Kurzpredigt des Kardinals, der ganz sorgsame, übervorsichtige Umgang mit den liturgischen Gegenständen, die betonte Achtsamkeit auf zwei Meter Abstand zwischen allen Beteiligten und alles andere auch) ganz aufmerksam mit Bedacht wahrgenommen, habe auf jede Einzelheit genau geachtet. Alles stimmte, hatte seine Bedeutung. Obwohl keine Besucher da waren. „Palmsonntag“ und „Ostersonntag“ zusammengebunden in einem Gottesdienst. Großartig. Corona macht‘s unfreiwillig möglich.
Macht‘s Corona wirklich möglich? Wird das diesmal ein anderes Osterfest? Ganz gewiss.Daher. Ganz äußerlich gilt zwar: Nun aber (schon wieder) Corona? Doch innerlich gilt: Corona – Nun Aber!
2.
„Nun aber ist Christus von den Toten auferstanden“ sagt Paulus am Ende endlich ganz befreit, nachdem er acht Verse lang (ab V. 12) vorher das Für und Wider der Auferstehung umständlich mit ganz viel Gedankenakrobatik hin und her gewendet hat, zu keinem rechten Schluss gekommen ist, mit dem „Beweis“ für Ostern sich mühevoll und ohne rechte Überzeugungskraft abquält, es gelingt ihm einfach nicht. Doch dann wirft er alle quälenden Argumentationsketten hinter sich, wirft den Griffel oder das Pergamentblatt einfach weg und ruft, nein seufzt, nein schreit befreit auf „Nun aber“. Nun aber ist Christus von den Toten auferstanden.
Punktum. Da kann ich mich argumentativ drehen und wenden wie ich will, da kann ich alle möglichen Verstandesargumente hin und her wenden, hilft nichts, es klappt nicht, überzeugt mich selbst nicht Aber sei‘s drum „Nun aber...“ Wie ein Befreiungsschrei bricht es laut aus ihm raus. Das ist Ostern, ja das ist Ostern. – So wie wir in der Osternacht oder am Ostermorgen befreit in der Kirche singen „Christ ist erstanden… von der Marter alle… des sollen wir alle froh sein… Christ will unser Trost sein… Halleluja.“
Überall um uns herum lungert zwar der Tod. Corona an allen Ecken, Ansteckungsgefahren und Mundschutze und was weiß ich nicht noch. Die Totenzahlen gehen ins Fünfstellige, jeden Tag mehr, bald sechsstellig, man könnte verrückt werden. Und die Menschen all überall, diese Angst in diesen misstrauischen Gesichtern. Manchmal aber auch liebevoll-verständnisvolle. Corona aller Orten. Tod aller Orten. Die Welt bricht fast zusammen, fast zwar nur, aber immerhin fast.
Doch was soll‘s ? „Nun aber“ ist Ostern. Auferstehung! Leben! Neues Leben! Es gibt ein Leben vor dem Tod! Zukunft! Neuen Anfang! Trotz allem Karfreitags-Tod rings um uns her
Zugespitzt also noch einmal: Mag die Welt auch (ansatzweise) in Trümmern liegen, mag auch alles durcheinander geworfen sein, Ruinen überall, mag es so sein. „Nun aber“ ist Ostern. „Nun aber“ ist Christus von den Toten auferstanden. Da können wir nix gegen tun. Es ist einfach so. Das Leben, neues Leben, ja ewiges Leben hat das Sterben des Einzelnen und den Tod aller besiegt: „Tod, wo ist dein Stachel, Hölle wo ist dein Sieg?“
Ach ja, dies alles ist nur ein verzweifeltes Pfeifen im Walde, sagen da einige. Mögen sie es sagen, wenn es ihnen hilft in ihre Gottesdunkelheit. Ich sage mit Paulus trotzig und erleichtert zugleich „Nun aber … ist Christus von den Toten auferstanden“.
3.
Trotzig und erleichtert?
Ich hatte als ganz kleines Kind, war grad in die Schule gekommen, fing an lesen zu lernen, anno 1945 in meiner völlig zerbombten Heimatstadt Leipzig ein Erlebnis, das sich bis heute in mich eingefressen hat. Wir fuhren mit der Straßenbahn zum noch leidlich intakten Hauptbahnhof. Ich konnte dabei vor einem großen städtischen völlig zerbombten Gebäude am Augustusplatz ein Transparent entziffern, das an den Ruinen befestigt war. Da stand rot auf gelben Untergrund (vielleicht auch umgedreht, auf jeden Fall gelb und rot, weiß ich noch heute) ein einziges Wort „Trotzalledem !“ Mit dicken Ausrufezeichen! Ich habe als Sechsjähriger sofort verstanden, was das bedeuten sollte. Brauchte keinen Erwachsenen zu fragen. Also: Trotz aller Ruinen, trotz aller Nachkriegsnot, trotz aller zerbombten Städte und zerfledderten Großreich-Illusionen: Trotzalledem! Wir fangen neu an! Trotzalledem! Leipzig wird wieder aufgebaut! Trotzalledem! Es geht weiter, das Leben siegt über den Tod! „Nun aber“
Das war auf dem Transparent natürlich nicht christlich gemeint, in Leipzig herrschten schon die Russen, daher wohl auch das Rot (denke ich heute). Aber was soll‘s? Ob christliches „Nun aber!“ oder sozialistisch-nationalistisches „Trotzalledem!“. Macht nichts, beides ein Bekenntnis zum Leben gegen alle Schatten und Gewaltorgien des Todes, weltpolitisch und ganz persönlich in jeder einzelnen Existenz. „Nun aber“ siegt „trotzalledem“ das Leben über den Tod, ein neues Leben über den alten Zerstörungsgeist. Wir gestalten voll Zuversicht neu unsere Zukunft, wie auch immer.
Ja, ja, ich weiß, von Ferne tönt schon das sozialistische Arbeiterlied. „Bau auf, bau auf, freie deutsche Jugend bau auf – für eine bessere Zukunft...“ usw., doch noch einmal: was soll‘s? Ob sozialistisch oder christlich: Nach Karfreitag, auch Karsamstag und dann folgt Ostern. Nach dem Sterben folgt das Leben „Nun aber...“
4.
Wirklich nun aber? Ich halte ein, um mir nicht selbst einen Ostersieg einzureden, den ich noch gar nicht habe. Mag ja sein, dass Ostern uns auch ganz grundsätzlich immer voraus ist, dass wir unser Leben zwischen Karfreitag und Ostersonntag fristen, das wir also immer im „Karsamstag“ leben. Karfreitag – na ja, in Ansätzen – hinter uns, Ostern aber – na ja, mehr als nur in Ansätzen – noch vor uns. Mag sein. Dennoch ist Ostern damals (bei Paulus) und heute (bei Corona) ganz real, auch wenn es noch vor uns liegt, so wie wir Karfreitag dabei hoffentlich hinter uns haben.
So ging es jedenfalls dem guten Paulus, der uns den heutigen Predigttext beschert hat. Ich wiederhole noch einmal: Acht Verse lang quält er sich ab mit einem „Beweis“ für die Auferstehung des Herrn. Der Beweis gelingt ihm nicht, wie sollte er auch. Paulus verheddert sich, sein Kopf dreht sich und schwillt rot an. Er wird ganz meschugge, fast wird der verrückt. Und dann wirft alle alle Pergamentfetzen und Griffelkästen einfach weg, fegt sie vom Tisch und ruft, nein schreit befreit auf. „Ach, was solls? Nun aber ist Christus von den Toten auferstanden!“ Ja, er ist. Ich weiß es, denn ich habe es leibhaftig erfahren. Punktum! Es ist so. Was soll ich da noch alles argumentieren und hin und her lavieren. Nun aber ist es einfach so. Punktum.
Ich denke, viel anders als so können wir auch nicht von Ostern reden, von der „Auferstehung des Herrn“ in unser Leben hinein, also von einer Ostererfahrung in uns selbst. Viel anders können wir nicht reden. Wir können es anderen eben nicht an-demonstrieren. Wir können es nur mit unserem eigenen Leben bezeugen. Glaubwürdig vorleben können wir es nur, dass Ostern wahr und wahrhaftig ist. In uns, in unserer Welt. Trotz alledem was wir an Todesmächten (Corona hin und her, was ist schon Corona gegen 10 Millionen Tote im 2. Weltkrieg?) um uns herum sehen. Der Tod wütet, er sucht sich sein Opfer, auch in uns selbst. In uns, die wir noch leben, wenn Todesmächte sich in uns einnisten. Doch auch und gerade hier gilt: Trotz alledem! Nun aber.
Ich muss dabei am Ende auch an einen ganz und gar weltlichen Spott auf alle Todesmächte denken, an Goethes berühmten Osterspaziergang in seinem Faust-Drama. „Vom Eise befreit sind Strom und Bäche --- durch des Frühlings holden belebenden Blick --- im Tale grünet Hoffnungsglück --- usw.“ Hab ich in der Schule einst mit Begeisterung auswendig gelernt. Also: Ob nun mit Goethe Osterspaziergangs den Frühling (neues Leben nach einem harten und kalten Karfreitag-Winter) jubelnd begrüßen oder ob mit den Leipziger Sozialisten mit ihrem „Trotz alledem“ oder mit dem alten Juden Paulus „Nun aber“ sagen, macht keinen großen Unterschied. Es gibt viele Möglichkeiten: ganz säkular-sozialistisch – ganz dichterisch schwärmend naturverbunden – ganz christlich fromm – auch ganz unbedarft banal, das „neue Leben“ mit dem Sieg über den „Tod“ auszudrücken: Im Grunde ist „Auferstehung“ etwas für uns Menschen Unfassbares. Da versagt unsere Sprache einfach. Da muss die Sprache immer neue Ausdrucks-Möglichkeiten suchen, dieses „Trotzalledem“, das neue Leben, das „Nun aber“, zum mindesten zu umwandern, sich ihm anzunähern, vorsichtig und mutig zugleich. Und da macht‘s am Ende keinen Unterschied, ob der fromme Judenchrist Paulus oder der pantheistisch angehauchte Naturschwärmer Goethe oder der sozialistisch ankämpfende Leipziger Ratsherr (wenn er denn überhaupt sozialistisch war) sein „Nun aber“ und „Trotzalledem“ und „es grünet Hoffnungsglück“ (Goethe) sagt. Es meint am Ende – am Ende bitte! – dasselbe.
6.
Ach ja, wie geht unser Predigttext nach dem befreienden Aufschrei des „Nun aber“ gleich weiter? Paulus fällt leider zurück in die alte elendiglich langweilige Argumentiererei: „Denn da der Tod durch eine Menschen gekommen ist, kommt auch die Auferstehung der Toten durch einen Menschen“ (V.21). „Erstling Christus, hernach die, welche zu Christus gehören“ (V.23). „Denn gewisse Leute haben keine Erkenntnis Gottes. Euch zur Beschämung rede ich so“ (V.34). Nun ja. Das ändert aber alles nichts daran, dass der befreiende Aufschrei „Nun aber“ am Anfang erfolgt ist. Das ist das einzig Wesentliche und daran haben wir uns zu halten. Mehr als dieses „Nun aber“ als Erweis/Beweis für die Wahrheit oder besser Wahrhaftigkeit des Auferstandenen in unserem Leben ist nicht zu sagen. Und mehr kann, will und darf auch ich nicht sagen wollen.
7,
Daher zum wiederholten und nun letzten Mal.
„Nun aber ist Christus von den Toten auferstanden“. Nun aber ist Ostern… „Nun aber… Trotz alledem … grünet Hoffnungsglück“. Kommt und lasst uns das Osterfest feiern, feiern wir einfach den neuen „jüngsten Tag Gottes“. Heute – jetzt!
1. Welche Predigtsituation steht Ihnen vor Augen?
Ich habe ganz allgemein alle HörerInnen vor Augen, die Ostern (Trotz/wegen) Corona eine Gottesdienst besuchen würden – dem Thema „Corona“ ist einfach nicht auszuweichen – Aber es sollte sowohl negativ Kreuz/Karfreitag) als auch positiv (Ostern/Auferstehung) betrachtet werden – insofern der obige Titel der Predigt mit Schwerpunkt: „Corona? Nun Aber !"
2. Was hat Sie bei der Predigtvorbereitung beflügelt?
Der Fernsehgottesdienst aus dem Stephansdom Wien zu Palmarum – Natürlich die gegenwärtige aussergewöhnliche Corona-Situation – Ganz allgemein: Meine bleibende Freude am Predigen, wo mir immer wieder neue Gedanken und Einfälle zufallen.
3. Welche Entdeckung wird Sie weiter begleiten?
Die alte Einsicht, dass besondere bisher unvertraute Ereignisse (Corona in diesem Fall) ganz neue Wahrnehmungen im Menschen frei setzen. Theoretisch wissen wir das, praktisch kann es ganz neu im Leben erprobt werden. Das Leben ist stets voller Überraschungen.
4. Was verdankt diese Predigt der abschließenden Bearbeitung?
Die fre8undlich-kriische Rück-Fragen von Herrn Dr. Meyer haben mich in meinem Chandieren zwischen Kreuz und Auferstehung und dem neuen immer wieder Infrage-stellen des paulinischen „Nun aber“ bestätigt. Unsre leben ist halt so.