Predigt über Jeremia 20, 7-13 von Frank Hiddemann
20,7
1. EIN GECOVERTER PSALM
  "Du meine Seele singe,
  wohl auf und singe schön!"
  
  Liebe Gemeinde,
  so singt Paul Gerhardt.
  Es ist ein heiteres Lied,
  ein Psalmlied,
  und auch ein "gecovertes" Lied,
  wie Jugendliche heute sagen.
  Das heißt: Ein Lied,
  das ein altes Lied wiederholt
  und zugleich neu singt,
  den Psalm 146.
  Schon Luther hat ihn nachgesungen.
  "Lobe den Herrn, meine Seele",
  hat er den hebräischen Text übersetzt.
  "Du meine Seele singe",
  jubiliert Paul Gerhardt,
  noch etwas intimer und vertrauter mit sich selbst
  und seiner Seele.
  ...
  Auch unser Predigttext ist ein Lied.
  Aber ein dunkles Lied.
  Ein Liebeslied,
  das davon singt,
  wie abhängig der Liebende vom Geliebten ist.
  Ein Klagelied.
  Es singt der Prophet Jeremia.
  Bis eben hat er im Block gelegen.
  An Händen und Füßen stramm gefesselt.
  Als er wieder frei gelassen wird,
  hat er nichts Besseres zu tun
  als seinem Peiniger ein paar prophetische Sprüche entgegen zu werfen:
  "In der Verbannung wirst du sterben,
  Jerusalem wird zerstört samt Tempel,
  wo du mich jetzt festgehalten hast.
  Spruch des Herrn."
  ...
  Später ein Moment der Stille,
  der Mann spürt seine Wunden und redet wieder,
  diesmal zu Gott:
  
  "Du hast mich verführt Gott,
  und ich ließ mich verführen.
  Du hast mich gepackt und überwältigt.
  Jeden Tag werde ich zum Gespött,
  alle verlachen mich.
  Ach, sooft ich rede,
  muss ich rufen,
  muss ich schreien:
  'Gewalt und Misshandlung'.
  Ja, das Wort Gottes wurde mir täglich zu Spott und Hohn.
  Dachte ich aber:
  'Ich will nicht mehr an Gott denken
  und nicht mehr im Namen Gottes reden!',
  dann brannte es in meinem Herzen wie Feuer,
  es erfüllte mein Inneres ganz.
  Ich versuchte, dies auszuhalten,
  ich vermochte es aber nicht.
  Ach, ich hörte das Gerede von Vielen:
  'Grauen ringsum!
  Verklagt ihn!
  Wir wollen ihn verklagen!'
  Selbst alle Menschen, die in Frieden mit mir verbunden sind,
  warten gespannt auf meinen Sturz.
  'Vielleicht lässt er sich verführen,
  dann können wir ihn überwältigen
  und uns an ihm rächen.'
  Aber Gott steht mir wie ein starker, kraftvoller Mann bei.
  Deshalb werden die, die mich verfolgen,
  straucheln und nichts erreichen."
  
  2. WORTE DER OHNMACHT
  Du hast mich verführt, gepackt und überwältigt.
  Dieser Mann redet wie eine Frau,
  die gegen ihren Willen
  zur Liebe gezwungen wird.
  Dieser Mann braucht die Worte der Ohnmacht,
  um seinem Leiden Ausdruck zu geben.
  Wenn er die Worte Gottes reden muss,
  die ihn überfallen,
  spuckt er sie aus
  und sogleich fallen alle über ihn her.
  Sie verletzen ihn,
  schließen ihn in den Block.
  Eigentlich sind es Gottes Worte.
  Ihn müssten sie verletzen.
  Aber er, Jeremia,
  steht für Gott ein,
  gegen seinen Willen.
  Er kann zwar seinen Mund halten,
  aber dann beginnen die Worte in ihm drin zu brennen,
  als seien es glühende Kohlen.
  Er muss sie ausspucken,
  die schwelenden Worte in seinem Inneren
  und dann trifft ihn der Zorn von außen.
  Eine ausweglose Situation.
  Alles, was helfen kann,
  ist ein Lied.
  ...
  Aus einem Jetzt,
  das nicht mehr ist als ein Schrei,
  aus dem ausweglosen Moment
  werden Verse und Strophen,
  wird ein Bild des Leidens.
  Aus dem Jetzt der Verzweiflung,
  wird eine Wegstrecke.
  ein Stück Leben,
  das dem Verstummen abgerungen ist.
  
  3. IN DER KUTSCHE NACH MITTENWALDE
  "Du meine Seele singe,
  wohl auf und singe schön!"
  1651.
  Paul Gerhardt sitzt in einer Kutsche nach Mittenwalde.
  Sein ganzer Hausstand ist interwegs.
  Ein Teil hinten auf der Kutsche in Kisten.
  Ein Teil rappelt voraus.
  Ein Teil folgt in einem Lastenfuhrwerk.
  Unterwegs sein mit allem.
  Das ist recht für einen Christenmenschen.
  Wir haben hier keine bleibende Statt.
  Paulus lächelt.
  Er wird tüchtig durchgeschüttelt.
  Die Straße ist gut.
  Mittenwalde liegt an der alten Heerstraße nach Dresden.
  Aber auch ein gute Straße
  schützt einen nicht vor den Stößen des Lebens.
  Seine erste Pfarrstelle wartet auf ihn in Mittenwalde.
  Einer seiner Vorgänger,
  der Propst Gallus Lutherus,
  wurde dort in seiner eigenen Kirche erschossen.
  Plündernde Soldaten drangen in die Kirche ein.
  Und der Pastor wollte den Gotteskasten nicht abgeben.
  Das Geld der Gemeinde war darin.
  Da traf ihn der Pistolenschuss.
  Die Dörfer am Rande der Straße
  tragen noch heute die Spuren des Krieges.
  Schwarze Gehöfte,
  einige Orte sind zu Wüstungen geworden.
  Sie ziehen an den Kutschenfenstern vorbei,
  Gras und Sträucher holen sich ihr Gelände zurück.
  Diese Ruinen sind nicht romantisch.
  Der große Krieg hat die Gegend zur Ader gelassen,
  ausgeblutet.
  Dazu die Pest.
  "Er weiß viel tausend Weisen,
  zu retten aus dem Tod."
  kommt Paulus Gerhardt in den Sinn.
  Eine Liedzeile,
  trotzig dem Schrecken des entvölkerten Landes entgegen gesetzt.
  Die meisten Felden sind nicht bestellt.
  Es fehlen Hände und Werkzeuge.
  Und Gerhardt formuliert noch einmal gegen den Augenschein:
  "Er nährt und gibet Speisen,
  zur Zeit der Hungersnot,
  macht schöne rote Wangen
  oft bei geringem Mahl;"
  Woher soll denn sonst die Hilfe kommen?
  Wasser und Brot fallen ihm ein,
  ein geringes Mahl im Gefängnis.
  Die meisten sind über den Haufen geschossen worden.
  Glück hatte, wer im Gefängnis landete.
  "Und die da sind gefangen,
  die reißt er aus der Qual."
  ...
  Vielleicht ist
  "Du meine Seele singe,
  wohl auf und singe schön!"
  auf dieser Kutschfahrt entstanden.
  Zwei Jahre später wurde es in Crügers Gesangbuch veröffentlicht.
  
  4. DIE STÖSSE DES LEBENS
  In Mittenwalde hat Paul Gerhardt geheiratet.
  Er war fast 48 Jahre alt,
  als er sich 1655 mit der 32jährigen Anna Maria Berthold zusammen tat.
  Zwei Jahre später begrub er in der Kirche sein erstes Kind.
  "Wenig und böse ist die Zeit meines Lebens"
  steht auf der Grabtafel der kleinen Maria Elisabeth.
  
  Du meine Seele, singe,
  Wöhlauf, und singe schön
  Dem, welchem alle Dinge
  Zu Dienst und Willen stehn.
  Ich will den HErren droben
  Hier preisen auf der Erd,
  Ich will ihn herzlich loben,
  So lang ich leben werd.
  
  Dieses Lob ist im Munde Paul Gerhardts nie verstummt.
  Nicht dass es ihm irgendwann besser gegangen wäre.
  Nicht dass er bis zum glücklichen Ende durchgehalten hätte.
  Seine Heiterkeit war nie eine Sache überwundener Trübsal.
  Sie sprosste zwischen den Steinen seines Leids.
  Sie holte sich stets ihr Gelände zurück.
  Denn seine Wurzeln gingen tief hinab
  in den Quellgrund unseres Trostes,
  Gott selbst.
  Jeremia und Paul Gerhardt
  lebten in schweren Zeiten.
  Was ihnen zustieß,
  hätte andere zerbrochen.
  Überlebt haben sie auch mit Hilfe von Liedern,
  die ihrem Leid Ausdruck gaben.
  Manchmal schwangen sie sich sogar darüber hinaus.
  
  5. IN LIEDERN LEBEN
  Und es lässt sich heute noch in Liedern leben
  mit Gottesworten auf der Zunge und im Bauch.
  Mit drei Strophen aus Paul Gerhardt Liedern
  erinnere ich Sie an das kleine Einmaleins
  des Lebens in Liedern:
  
  Erstens:
  Die Dinge unseres täglichen Lebens mögen uns wichtig erscheinen.
  Aber wer nur darauf achtet,
  wie er seine Siebensachen bei sich behält
  und seine Angelegenheiten regelt,
  der verstrickt sich leicht in Ihnen.
  Wenn Ihnen mal wieder alles bis zur Hutschnur geht,
  empfehle ich ihnen diese Strophe:
  
  Ich bin ein Gast auf Erden
  Und hab' hier keinen Stand;
  Der Himmel soll mir werden,
  Da ist mein Vaterland.
  Hier reis' ich aus und abe;
  Dort in der ew'gen Ruh'
  Ist Gottes Gnadengabe,
  Die schleußt all' Arbeit zu.
  
  Zweitens:
  Wir bauen alle an unseren Nestern.
  Wenn es möglich ist,
  sehen wir auf das Gute in unserem Leben.
  Wenn wir beten und singen,
  ist es gut, auch die dunkle Hälfte des Lebens
  in den Blick zu nehmen und -
  beim Namen zu nennen.
  Eins der beliebtesten Kindergebete,
  das zur Nacht gesprochen wird,
  handelt vom Satan,
  der das Kindlein verschlingen will,
  und wo es Schutz davor findet.
  
  Breit aus die Flügel beide,
  O Jesu, meine Freude,
  Und nimm dein Küchlein ein!
  Will Satan mich verschlingen,
  So laß die Englein singen:
  Dies Kind soll unverletzet sein!
  
  Drittens:
  Wir leben unser Leben,
  wo schon andere gelebt haben.
  Wir leben in ihrer Spur,
  singen ihre Strophen,
  holen ihre Worte hervor,
  wenn unsere Leben schwer wird.
  Gott ist ein Mensch geworden.
  Und was auch immer uns begegnet,
  er hat es auch erlebt oder gedacht oder gespürt.
  Oder erlitten.
  
  Ich hang' und bleib' auch hangen
  An Christo als ein Glied;
  Wo mein Haupt durch ist gangen,
  Da nimmt er mich auch mit.
  Er reißet durch den Tod,
  Durch Welt, durch Sünd' und Not,
  Er reißet durch die Höll',
  Ich bin stets sein Gesell.
  
  Und der Friede Gottes,
  der höher ist,
  als all unsere Vernunft,
  bewahre euere Herzen und Sinne in Christus Jesus.
  Amen
Perikope
03.03.2013
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