Predigt über Jesaja 43, 1-7 von Claudia Bruweleit
43,1
Und nun spricht der HERR, der dich geschaffen hat, Jakob, und dich gemacht hat, Israel: Fürchte dich nicht, denn ich habe dich erlöst; ich habe dich bei deinem Namen gerufen; du bist mein!
   2 Wenn du durch Wasser gehst, will ich bei dir sein, dass dich die Ströme nicht ersäufen sollen; und  wenn du ins Feuer gehst, sollst du nicht brennen, und die Flamme soll dich nicht versengen.
  3 Denn ich bin der HERR, dein Gott, der Heilige Israels, dein  Heiland. Ich habe Ägypten für dich als Lösegeld gegeben, Kusch und Seba an deiner statt,
  4 weil du in meinen Augen so wertgeachtet und auch herrlich bist und weil ich dich lieb habe. Ich gebe Menschen an deiner Statt und Völker für dein Leben.
  5 So fürchte dich nun nicht, denn ich bin bei dir.  Ich will vom Osten deine Kinder bringen und dich vom Westen her sammeln,
  6 ich will sagen zum Norden: Gib her! und zum Süden: Halte nicht zurück! Bring her meine Söhne von ferne und meine Töchter vom Ende der Erde,
  7 alle, die  mit meinem Namen genannt sind, die ich zu meiner Ehre geschaffen und zubereitet und gemacht habe.
  
  Liebe Gemeinde!
  In Hochseilgärten klettern sie zwischen alten Buchen auf schwankenden Leitern in luftiger Höhe:  Kinder, Jugendliche, Erwachsene mit Sturzhelm und Hüftgurt. Sie klinken sich mit dicken Karabinerhaken an jeder Station sorgfältig in das Netz der Sicherungsseile ein, das über ihren Köpfen gespannt ist. Mit dieser Absicherung wagen sie sich auf Strickleitern und schwankende Seile, balancieren hoch in den Wipfeln der Bäume.  Einige Jugendliche  lehnen sich mit ausgebreiteten  Armen weit über den Abgrund. Sie lachen und kreischen vor Freude, denn sie werden gehalten. Andere zögern vor einer besonders wackeligen Strecke. Sie werden von erfahrenen Kletterern angeleitet und ermutigt.
  Im Vertrauen auf ihre Sicherheitsleine und auf die technische Sicherheit des ganzen Systems tasten sie sich schließlich doch Schritt für Schritt vorwärts und wagen sich auf schwingenden Balken über Abgründe hinweg. Manch einer staunt am Ende über den eigenen Mut und über die Strecken, die er bewältigt hat.
  Ein doppeltes Netz hält sie: das eine besteht aus vielen starken Stahlseilen und das andere aus Menschen, die ihre Erfahrungen weitergeben und Mut machen.
  Fürchte dich nicht, denn du wirst gehalten- so könnten wir auch die Grundaussage unseres Predigttextes heute verstehen. Fürchte dich nicht, denn ich habe dich erlöst. Ich habe dich bei deinem Namen gerufen, du bist mein!
  
  Es ist ein Wort, das seit mehr als Zweitausend Jahren Menschen getröstet und ermutigt hat und viele als Taufspruch durch das Leben begleitet. Ein Wort, das dem Volk Israel und jedem Einzelnen persönlich Gottes unsichtbare Nähe zusagt. Der Prophet, der hier spricht,  wird auch der Zweite Jesaja genannt. Er hatte das Volk Israel nach mehr als dreißig Jahren im babylonischen Exil getröstet und ihnen zugesagt, dass Gott sie nach Jerusalem zurückführen werde. Lange hatten die Israeliten es als Strafe Gottes verstanden, dass sie fern der Heimat leben mussten. Inzwischen leben sie in dritter Generation in dem fremden Land. Doch nun ändern sich die politischen Verhältnisse. Der persische König Kyros II nimmt Babylon ein. Durch seine Worte beginnen sie zu hoffen, dass sie als Freie zurückkehren werden. Seine Worte sagen ihnen auch: Gott ist es, der dieses alles wirkt. Er ist ihnen gnädig gesonnen:
  Fürchte dich nicht, denn ich habe dich erlöst; ich habe dich bei deinem Namen gerufen; du bist mein! 2 Wenn du durch Wasser gehst, will ich bei dir sein, dass dich die Ströme nicht ersäufen sollen; und  wenn du ins Feuer gehst, sollst du nicht brennen, und die Flamme soll dich nicht versengen.
  
  Den Israeliten wird dieses Gotteswort zu einem Protestwort gegen die herrschenden Verhältnisse. Es ist ein Wort der Freiheit – sie gehören nicht mehr dem babylonischen König und auch nicht dem neuen persischen Herrscher, selbst dann nicht,  wenn dieser Anspruch auf sie erheben sollte. Sie erinnern sich an Gott, der ihr Volk schon damals aus Ägyptenland befreit hat. Der sie durch das Wasser des Schilfmeeres gerettet hat. Auch wenn fremde Völker und Könige sie bedrängen sollten wie Feuer, werden sie dieses Volk nicht überwinden.[1]  3 Denn ich bin der HERR, dein Gott, der Heilige Israels, dein  Heiland. Ich habe Ägypten für dich als Lösegeld gegeben, Kusch und Seba an deiner statt,
  4 weil du in meinen Augen so wertgeachtet und auch herrlich bist und weil ich dich lieb habe. Ich gebe Menschen an deiner Statt und Völker für dein Leben.
  5 So fürchte dich nun nicht, denn ich bin bei dir.  Ich will vom Osten deine Kinder bringen und dich vom Westen her sammeln.
  Die Zusage Gottes stärkt ihr Selbstbewusstsein und macht sie unempfindlich gegen die Verlockungen, in der fremden Kultur aufzugehen.
  
  Wie hören wir heute diese Sätze?
  Jesus Christus, selbst ein Jude, hat uns Christinnen und Christen in die Verheißung seines Volkes hinein genommen.  Er hat uns gelehrt, Gott als einen lieben Vater anzusehen, den wir vertrauensvoll um Hilfe bitten können.
  Heute, am Taufsonntag, erinnern wir uns daran. Das Netz des Glaubens ist durch ihn ausgespannt bis in unsere Zeit. Durch Christus gehören wir auch zu Gott und hören sein Versprechen an Israel neu
  für uns Einzelne. Er verspricht, uns auf unseren Wegen zu begleiten. Fürchte dich nicht, (…) du bist mein!
  2 Wenn du durch Wasser gehst, will ich bei dir sein, dass dich die Ströme nicht ersäufen sollen; und  wenn du ins Feuer gehst, sollst du nicht brennen, und die Flamme soll dich nicht versengen.
  Feuer und Wasser, in der alten Welt beschreiben sie die Summe aller möglichen Gefahren, in die ein Mensch geraten und vor denen er sich fürchten könnte.
  Auch uns ist Furcht ein vielfältiger Begriff. Wir fürchten uns vor Krankheit und Leiden. Vor dem Verlust der Arbeitsstelle. Vor Einsamkeit. Vor Streit und Zerrüttung. Vor Terror, Krieg. Das sind innere und äußere Abgründe, die sich vor uns auftun.  Furcht an sich ist nichts Schlimmes. Sie kann sich aber auf den ganzen Menschen ausdehnen, kann sein Denken und Handeln besetzen, so dass er sich getrieben vorkommt und nicht mehr weiß, was er oder sie tun soll.
  Aus der Herrschaft der Furcht will Gott uns herausreißen. Indem wir uns an ihm festmachen, gewinnen wir einen anderen Blick auf den Gegenstand unserer Furcht. Er kennt uns mit unseren Fehlern und Stärken. Er weiß: wir sind mehr als das, was wir in unserer Angst, in unserer Furcht wahrnehmen. Menschen helfen uns mit ihrem Glauben und ihren Erfahrungen, neuen Wegen zu vertrauen.  Wir können handeln. Wir können aushalten. Wir können neu beginnen. Gott erlöst uns aus der Starre der Furcht und gibt uns neuen Raum zum Handeln.
   
  Eine Frau erzählt, dass nach der Trennung und dem Auszug ihres Mannes aus der gemeinsamen Wohnung immer mehr Rechnungen ins Haus kamen, die sie schließlich ungeöffnet liegen ließ, weil sie nicht wusste, wie sie sie hätte von ihrem kleinen Verdienst bezahlen sollen. Als ihr schließlich der Strom gesperrt wurde, fasste sie sich ein Herz und ging zur Schuldnerberatung. Die Beraterin ging mit ihr alle Verbindlichkeiten durch, schrieb auch einige Briefe um Schuldenerlass oder Stundung zu erwirken. Die Frau zahlt ihre Schulden nun mit einer angemessenen monatlichen Rate zurück, bei der ihr noch ein bescheidenes Auskommen bleibt. Es wird Jahre dauern, bis sie schuldenfrei sein wird, aber sie blickt zuversichtlich nach vorne. Sie ist dankbar, dass es Menschen gab, die ihr aus ihrer Verzweiflung heraushalfen.
  Fürchte dich nicht, ich habe dich erlöst. Ich habe dich bei deinem Namen gerufen, du bist mein.
  
  Im Gästebuch unserer Kirche schreiben Menschen auf, wie sie auf ihrem Lebensweg Halt und Hilfe erfahren haben und  wofür sie Gott danken. Dort findet sich der Eintrag einer Frau, die sich an ihre Hochzeit vor vielen Jahren erinnert und schreibt, ihr Mann sei wenige Jahre später ums Leben gekommen, sie blieb allein mit zwei kleinen Kindern. Nun komme sie jedes Jahr um ihren Hochzeitstag herum wieder in die Kirche. Sie sei dankbar, dass sie mit ihren beiden Kindern gut zurecht komme und dass sie sich gut verstünden.
  Aus ihren Zeilen spricht Vertrauen und der Mut, nach vorne zu blicken und für die da zu sein, die ihre Nähe brauchen.
  Fürchte dich nicht, denn ich habe dich erlöst; ich habe dich bei deinem Namen gerufen; du bist mein!
  
  Ich weiß von einem Mann in fortgeschrittenem Alter, bei dem eine Krebserkrankung festgestellt wurde. Auf mitfühlendes Nachfragen, wie es ihm gehe, antwortet er knapp: Ich bin eine Kämpfernatur. Tausende andere haben diese Krankheit auch, die Ärzte tun ihr Bestes. In der Ecke sitzen und heulen ist nicht meine Sache. Ich gehe jetzt jede Woche zur Chemotherapie.
  
  So spricht der Herr, der dich geschaffen hat: Fürchte dich nicht, denn ich habe dich erlöst. Ich habe dich bei deinem Namen gerufen, du bist mein.
  Wen Gott beim Namen ruft, der gehört zu ihm. Gott will nicht, dass Verzweiflung und Angst das letzte Wort haben über uns, denn er ist größer als alles, was uns ängstigen könnte.
  
  Die Hochseilgärten spielen mit Grenzerfahrungen. Sie konfrontieren uns mit Höhenangst, setzen auf Teamgeist, um Schwierigkeiten zu bewältigen. Die Taufe erinnert uns daran, dass wir im Leben keine Einzelkämpfer sind. Gott ist da. Er hat sich uns verbunden. Dass wir ich ihn nicht sehen können, verleitet uns oft dazu zu meinen, wir seien allein. Das Gegenteil ist der Fall. Unsichtbar hält er uns. Unser Glaube kann unsere Sicherungsleine sein, die uns den nötigen Abstand zur Furcht gibt und Ruhe und den Mut für den nächsten Schritt. So dass wir um uns blicken können und wahrnehmen, welches der Grund ist, der uns trägt und wo die Menschen stehen, die uns brauchen.
   

  
  
    [1] Die jüdische Auslegung dieser Stelle im Targum greift die Symbolik der Exodustradition auf. Vergleiche Johannes Thon, 6. Sonntag nach Trinitatis : Jes. 43, 1-17. Beim Namen gerufen. In: Studium in Israel e.V., Hg, Predigtmeditationen im christlich-jüdischen Kontext Zur Perikopenreihe V, Wernsbach 2012, S. 257-260, 257.
Perikope
07.07.2013
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